Meinung

Ukraine: Waffen, Weizen und ein Fleischwolf

Auf einmal geht es in der Ukraine gegen den Hunger in der Welt, den man doch zuvor auf so vielfache Weise selbst geschaffen hat. Indessen scheint das Ende der ukrainischen Armee bereits besiegelt. Die drohende Niederlage schreckt jedoch nicht ab, noch Geschäfte zu machen.
Ukraine: Waffen, Weizen und ein FleischwolfQuelle: www.globallookpress.com © © via www.imago-images.de

von Dagmar Henn

Langsam, ganz langsam zeigen sich nach der überaus albernen Nummer von der "Evakuierung" von Asow-Stahl die ersten, zaghaften Ansätze einer etwas realistischeren Darstellung der militärischen Lage in der Ukraine. So schreibt t-online: "Ukrainische Truppen im Osten unter schwerem Beschuss. Droht eine Kesselschlacht?" Und die FAZ titelt: "Ukrainische Armee hält russischen Angriffen nur schwer stand."

Man muss schließlich ein wenig vorbauen, während sich das seit Wochen Absehbare vollzieht – die Eliminierung der ukrainischen Armee an der Donbass-Front. Gar so plötzlich kann man selbst dem verblendetsten Publikum gegenüber nicht aus dem "Russland geht die Munition aus, die Ukraine wird siegen"-Modus in den von "die Ukraine wird untergehen, wenn wir ihr nicht weiter helfen" übergehen. Aber wirklich aussprechen, was dort gerade geschieht, ist natürlich ebenso unmöglich. Allein ein Eingeständnis, dass sich in diesem Gebiet die kampffähigsten Truppen der ukrainischen Armee aufhalten, oder eine Erwähnung der wirklichen Zahlen, würde der Erzählung vom "unbegründeten russischen Angriffskrieg" schweren Schaden zufügen.

Tatsächlich sind diese Gebiete schwer befestigt, das kann man auf den Videos immer wieder sehen. In acht Jahren haben sich diese ukrainischen Truppen Festungen in den Boden gegossen, die mancherorts einige Stockwerke tief reichen sollen. Diese Festungen liegen jetzt unter permanentem Feuer. So lange, bis die Insassen entweder kapitulieren oder tot sind. Es ist ein ähnliches Schauspiel wie in Asow-Stahl, nur mit weit mehr Beteiligten und über eine weit größere Fläche verteilt. Wie bei Asow-Stahl besteht aber im Grunde kein Zweifel am Ergebnis.

Das wirklich Schlimme an dieser Lage, das die westlichen Gazetten natürlich nie erwähnen werden, ist, dass alle Verluste, die diese ukrainischen Truppen treffen werden, für nichts gebracht werden, weil sich dieses Ergebnis bereits in den ersten Tagen der russischen Militäroperation erkennen ließ. Eine Regierung, die nur ansatzweise die ukrainischen Interessen im Blick hätte, hätte längst kapituliert und dadurch jetzt bereits Zehntausende Leben gerettet.

Am großen Kindergeburtstag des militärisch-industriellen Komplexes ändert das natürlich nichts. Der hat, das lässt sich etwa an der Zusammensetzung des US-amerikanischen "Hilfspakets" erkennen, ohnehin nur werbetechnisch etwas mit der Ukraine zu tun. Pepe Escobar fasste das hübsch zusammen: "Eine kurze Aufteilung der 40 Milliarden Dollar enthüllt, dass 8,7 Milliarden davon die US-Waffenlager wieder auffüllen werden (und damit überhaupt nicht in die Ukraine gehen), 3,9 Milliarden an US-EUCOM (das 'Büro', das Kiew seine militärischen Taktiken vorgibt); 5 Milliarden für eine unklare, nicht genauer ausgeführte 'globale Nahrungsversorgungskette', 6 Milliarden tatsächlich für Waffen und 'Ausbildung' für die Ukraine; 9 Milliarden 'Wirtschaftshilfe' (die in ausgewählte Taschen verschwinden wird), und 0,9 Milliarden für Flüchtlinge."

EUCOM sitzt übrigens in Stuttgart, falls sich jemand fragt, wo Herr Kinshal vorbeikäme, sollten die Russen einmal tatsächlich die ukrainische Kommandozentrale ausschalten wollen. Aber das dürfte gar nicht mehr nötig sein. Denn wenn man bei den sechs Milliarden US-Dollar, die tatsächlich für Bewaffnung gedacht sind, noch an die notorisch überzogenen Preise für westliches Rüstungsmaterials denkt, schrumpft dieser Betrag schon beträchtlich. Die von den USA bisher bereits gelieferten Javelins, die sich bergeweise unabgeschossen in ukrainischen Stellungen finden, kosten beispielsweise an die 200.000 Dollar je Schuss; das bedeutet, fünf Javelins kosten bereits eine Million, und die ganzen sechs Milliarden genügten nicht für die bereits gelieferten 7.000 Exemplare. In Wirklichkeit dürfte auch von diesen Mitteln ein beträchtlicher Teil an Privatunternehmen gehen, die hohe Summen in die Ausbildung für die Bedienung und Wartung der Waffen investieren.

Gonzalo Lira hatte das in einem seiner Videos einmal schön abgeleitet, warum westliche Militärtechnik so "zerbrechlich" ist (Deutsche kennen das zum Beispiel von ständig reparaturbedürftigen Hubschraubern). Der Grund dafür ist ganz simpel: Gekauft wird ein Produkt nur einmal; an Wartung und Ersatzteilen kann man mehrfach verdienen. Das profitabelste Waffensystem für den militärisch-industriellen Komplex ist also eines, das möglichst reparaturbedürftig und anfällig ist. Das heißt nicht notwendigerweise, dass es seine Aufgabe nicht erfüllen kann, aber der Bedarf, der rundherum geschaffen wird, ist beträchtlich. Und es dauert ebenso lange, jemanden für Wartung und Reparatur dieser Prinzesschenbewaffnung auszubilden wie für deren Gebrauch.

Ganz zu schweigen von Gegenständen wie dem Gepard-Luftabwehrpanzer, der dem ukrainischen Botschafter Melnyk mal wieder nicht schnell genug geliefert wird. Dabei ist auch diese Nummer nutzlos, wie der NDR ausnahmsweise einmal hübsch herausarbeitete. Kanone wie Munition des Geparden stammen von der Schweizer Firma Oerlikon, die weitere Munition schon aufgrund der Schweizer Neutralitäts- und Rüstungsexportregeln nicht liefern kann. Aus Deutschland werden die ersten 15 dieser Panzer mit gerade einmal 60.000 Schuss Munition bis Ende Juni geliefert. Aus Brasilien sollen jetzt weitere 300.000 Schuss aufgetrieben werden; ein Gepard verfeuert allerdings bis zu 1.100 Schuss die Minute.

Frederik Besse, Chefredakteur der Schweizer Militärzeitschrift Schweizer Soldat, sagte dazu: "Allein schon die Ausbildung wird mindestens die Hälfte dieses Munitionsbestands dafür aufbrauchen, mit dem Rest kann man vielleicht an einzelnen Gefechten kurz teilnehmen, aber da ist dann der Einsatz zu Ende." Alternative Munition müsste erst entwickelt werden, wofür auch Rheinmetall mindestens einige Monate brauchen dürfte. Da fragt man sich dann doch, von wem der deutsche Stellvertreter des Kiewer Clowns seine Bonuszahlungen erhält, wenn er sich so brav bemüht, dem ukrainischen Desaster noch den letzten Tropfen Geschäft abzuringen.

Für die ukrainische Armee käme all das so oder so zu spät. Und wenn man sich einmal darauf einlässt, die im Februar, vor Beginn des russischen Militäreinsatzes, von den Donbassrepubliken genannten Zahlen der an der dortigen Front aufmarschierten ukrainischen Truppen ernst zu nehmen, die zwischen 120.000 und 150.000 Mann lagen – was gegen die Verteidiger der Donbassrepubliken, die im günstigsten Fall auf 40.000 kämen, genau der klassischen Vorgabe eines Verhältnisses von 3:1 für eine Offensive entspräche – dann wird klar, dass dort gerade die entscheidenden Reste einer funktionsfähigen ukrainischen Armee durch den Fleischwolf gedreht werden. Klar kann Kiew weiter irgendwelche Truppen mobilisieren und vom Milchbart bis zum Greis alles einberufen, was nicht rechtzeitig außer Landes ist; aber der letzte Krieg, in dem unausgebildetes Kanonenfutter überhaupt noch von Nutzen war, dürfte im 19. Jahrhundert stattgefunden haben.

Vielleicht kennen sie diese Dimension doch, bei der FAZ und all den anderen NATO-Organen, und versuchen jetzt zumindest, das Publikum schonend auf das Verschwinden einer militärischen Ansammlung vorzubereiten, deren Größe sich allmählich jener der gesamten Bundeswehr mit ihren 187.000 Soldaten nähert. Während man es in Mariupol noch schaffte, die dort anfänglich vorhandenen etwa 20.000 ukrainischen Truppen, von denen es etwa ein Drittel bis in die Gefangenschaft geschafft haben dürfte, irgendwie unauffällig wegzuzaubern und so zu tun, als habe es keine Verluste gegeben, sind die Zahlen, um die es an der östlichen Frontlinie geht, einfach zu hoch. Da hilft es auch nichts mehr, wenn die Kiewer Regierung ihre eigenen Toten nicht einmal bergen will.

Dafür wird jetzt, wo eine, wie Bundesaußenministerin Annalena Baerbock formulierte, gewisse Fatigue im Zusammenhang mit der Ukraine eingetreten sei, sprich, das westliche Publikum droht, gelangweilt zu werden und dann womöglich noch ins Nachdenken zu geraten, eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Es geht nicht mehr darum, die Ukraine oder die Ukrainer zu retten, sondern den Weizen der Ukraine, weil sonst eine weltweite Nahrungskatastrophe drohe. Und Briten und Litauer sind schon einmal vorgeprescht und verlangen militärisch begleitete Transporte durch das Schwarze Meer.

Man könnte natürlich auch dieses Problem ganz einfach lösen, indem man die Sanktionen wieder zurücknimmt und damit Energieversorgung, Transport und Düngemittelherstellung wieder bezahlbar macht. Aber so stellt sich der Westen das nicht vor. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat schließlich, in Nachahmung der bei Seinesgleichen so beliebten Kriegsverbrecherin Albright, bereits verkündet, ein paar Hunderttausend Verhungerte wären noch kein Grund, die Sanktionen aufzuheben.

Das wirkliche Problem, warum die Frage des Zugriffs auf ukrainisches Getreide (und ukrainischen Boden) für den Westen so wichtig ist, ist natürlich nicht das Mitgefühl mit hungernden Kindern in Afrika. Die dienten schon zu Zeiten des Biafra-Krieges einzig der Illustration der jeweiligen westlichen Wünsche. Schließlich ist es, das kann man stillschweigend voraussetzen, besagten Hungernden ziemlich gleichgültig, ob sie die eventuell gelieferte Nahrung nun aus chinesischen oder europäischen Händen erhalten. Hauptsache, sie macht satt.

Das allerdings will der Westen auf keinen Fall. Wofür hat man sich all die Jahre solche Mühe gegeben, durch Vorgaben des IWF so viele Länder wie möglich zu zwingen, die Versorgungssicherheit der eigenen Bevölkerung für eine höhere Produktion von Exportprodukten preiszugeben, wenn man dann die Früchte dieses Manövers nicht ernten kann, weil irgendwelche Asiaten ankommen und den mühsam erzeugten Hunger einfach beenden? Wozu hat man jahrelang darum gerungen, endlich an den Ackerboden der Ukraine zu kommen (der zu Zeiten der Sowjetunion nicht einmal kiloweise außer Landes gebracht werden durfte), wenn dann diese bösen Russen ankommen und die ganzen Anstrengungen umsonst sind?

Also wird jetzt an der Geschichte gestrickt, Russland sei schuld am Hunger auf der Welt, und dieser ließe sich nicht anders bekämpfen, als indem die "Weltgemeinschaft" im Interesse der armen, benachteiligten Ländern die Verhältnisse wieder unter ihre Kontrolle bringt. Natürlich ist auch das eine wilde Fantasie zwischen britischen Ohren, weil kein Sieg im Propagandakrieg etwas an der Tatsache ändert, dass das Schwarze Meer vollständig und dauerhaft unter russischer Kontrolle ist. Aber dieses Märchen könnte durchaus noch genutzt werden, um ein weiteres Mal die Lage in der Ukraine zuzuspitzen, indem westliche Kriegsschiffe eingebunden werden.

Vielleicht ist das aber auch nur ein Ablenkungsmanöver, um allzu viel Aufmerksamkeit für den Untergang zu verhindern, der sich gerade vor Donezk abspielt. Denn auch die westlichen Massen, denen man (mit teils sadistischem Vergnügen, siehe Habeck) Elend verordnet hat, müssen doch irgendwie beschäftigt bleiben. Sie könnten sonst noch auf die Idee kommen, dass dieser aus verordneter Solidarität mit der Ukraine geborene Mangel letztlich nur den Oligarchen zugutekommt, und sehen, dass er sich mit einem Federstrich beseitigen ließe. Das Geschrei jedenfalls, das in den westlichen Medien erhoben wird, dürfte an Lautstärke wie an Absurdität noch deutlich zunehmen. Der Rest der Welt aber dürfte darauf hoffen, dass mit der Kontrolle über das ukrainische Getreide auch die Fähigkeit des Westens endet, Hunger zuzuteilen.

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