Meinung

Steinmeier nach Wiederwahl – Schuldzuweisungen und Warnungen an Putin

In seiner Rede nach der Wiederwahl zum Bundespräsidenten hat Frank-Walter Steinmeier heftige Vorwürfe an die Adresse Russlands und dessen Präsidenten Wladimir Putin erhoben. Moskau gefährde die europäische Sicherheit und bedrohe die Souveränität der Ukraine.
Steinmeier nach Wiederwahl – Schuldzuweisungen und Warnungen an PutinQuelle: www.globallookpress.com © Bernd von Jutrczenka/dpa

von Christian Harde

Frank-Walter Steinmeier beginnt seine zweite Amtszeit mit einer außenpolitischen Provokation. Nach seiner Wiederwahl durch die 17. Bundesversammlung hat der bisherige und künftige Bundespräsident in seiner Dankesrede an die Delegierten heftige Vorwürfe an die Adresse Russlands und dessen Präsidenten Wladimir Putin erhoben.

Der Text der Rede findet sich auf der Internetseite des Deutschen Bundestages und ist abgeglichen mit dem Wortlaut der gehaltenen Rede.

Wahlergebnis

Steinmeier erhielt 1.045 von 1.437 abgegebenen Stimmen. Von den Mitbewerbern Steinmeiers entfielen auf den von der Linken aufgestellten Mediziner Gerhard Trabert 96 Stimmen; der von der AfD nominierte Wirtschaftswissenschaftler Max Otte erhielt 140 Stimmen sowie die von den Freien Wählern aufgestellte Astrophysikerin Stefanie Gebauer 58 Stimmen. Es gab 86 Enthaltungen und 12 ungültige Stimmen.

Kaum, dass Steinmeier seinen Dank abgestattet und Bedauern über die "Beschränkungen der Pandemie" geäußert hatte, kam der alte und neue Bundespräsident zur Sache.

Steinmeier und die Demokratie

Seine erste Bemerkung mochte noch vorwiegend innenpolitisch gemeint und auf die Gegner der staatlichen Corona-Maßnahmen gemünzt sein, doch im Zusammenhang mit seinen nachfolgenden außenpolitischen Vorhaltungen kann sie auch für das Selbstbild des Bundespräsidenten und das Selbstverständnis des Staates, den er repräsentiert, verstanden werden:

"Das Amt des Bundespräsidenten ist ein überparteiliches, und ich verspreche Ihnen, so werde ich es weiterführen. Deshalb: Überparteilich, ja – aber ich bin nicht neutral, wenn es um die Sache der Demokratie geht. Wer für die Demokratie streitet, der hat mich an seiner Seite. Wer sie angreift, wird mich als Gegner haben!"

"Sorge um den Frieden in Europa"

Steinmeier fuhr fort, indem er seiner Sorge um den Frieden in Europa Ausdruck verlieh: "Aber wichtiger noch: Meine Freude wäre größer, wenn unsere Versammlung nicht in eine Zeit der Sorge fiele, Sorge um den Frieden in Europa." Seine "Sorge" verband Steinmeier mit einem Appell zu "Abschreckung" und "Entschlossenheit", als ob es daran im Westen und Deutschland zuletzt gemangelt hätte, und baute einem möglichen Appeasement (im historisch verdrehten herrschenden Verständnis) vor:

"Die Abwesenheit von Krieg, meine Damen und Herren, auf unserem Kontinent, die war uns zur Gewohnheit geworden – geschützt von Freunden, in Frieden mit den Nachbarn, seit über dreißig Jahren wiedervereint. Welch ein Glück für unser Land! Doch in diesen Tagen lernen wir neu, was wir hätten wissen können: Frieden ist nicht selbstverständlich. Er muss immer wieder erarbeitet werden, im Dialog, aber wo nötig, auch mit Klarheit, mit Abschreckung, mit Entschlossenheit, meine Damen und Herren. Alles das braucht es jetzt."

"Russland trägt die Verantwortung"

Steinmeier nahm also für sich "Klarheit" in Anspruch und wollte auf die Ursachen der aktuellen Krise um die Ukraine nicht weiter eingehen, war sich jedoch gewiss, dass allein Moskau die Verantwortung für die Gefahr eines Krieges in Europa trüge. Steinmeier sprach nur von Osteuropa, als ob sich ein solcher Krieg regional begrenzen ließe:

"Und zur Klarheit gehört dann auch eines: Man mag viel diskutieren über die Gründe der wachsenden Entfremdung zwischen Russland und dem Westen. Nicht diskutieren kann man dies: Wir sind inmitten der Gefahr eines militärischen Konflikts, eines Krieges in Osteuropa. Und dafür trägt Russland die Verantwortung!"

Der Bundespräsident stellte dann die inzwischen übliche militärisch-strategische Lageanalyse an und meinte, Folgendes sicher festhalten zu können:

"Und Russlands Truppenaufmarsch kann man nicht missverstehen. Es ist eine Bedrohung der Ukraine und soll es ja auch sein. Aber die Menschen dort haben ein Recht auf ein Leben ohne Angst und Bedrohung, auf Selbstbestimmung und Souveränität. Kein Land der Welt hat das Recht, das zu zerstören – und wer es versucht, dem werden wir entschlossen antworten!"

Die in Aussicht gestellte entschlossene Antwort nimmt die Ankündigung des Eingangs seiner Rede auf – die Ankündigung der Gegnerschaft. Da im Westen die Ukraine seit 2014 zu den Demokratien gezählt wird, liegt in dieser Herleitung die Legitimation, die Selbstermächtigung der Bundesrepublik Deutschland zum Eingreifen an der Seite der Ukraine – gegen Russland.

Keine deutsche Mäßigung, im Gegenteil

Dies wird aus dem folgenden Abschnitt der präsidialen Rede deutlich, die den Bogen von den eingebildeten, vorgeschobenen oder tatsächlichen "Sorgen" osteuropäischer Länder zu den vermeintlichen deutschen Bündnisverpflichtungen im Rahmen der NATO schlägt – und keine deutschen Vorbehalte gegenüber den Ansprüchen der Militärallianz mehr erkennen lässt, vielmehr Berlin als einen treibenden Faktor erkennbar macht:

"Aber nicht nur in der Ukraine, in vielen Ländern Osteuropas wächst die Angst. Deshalb stehen wir an der Seite der Esten, der Letten und Litauer; wir stehen gemeinsam mit Polen, Slowaken, Rumänen und allen Bündnispartnern: Sie können sich auf uns verlassen. Deutschland ist Teil der NATO und der Europäischen Union. Ohne sie würden wir Deutsche nicht in Einheit und Freiheit leben. Das vergessen wir nicht. Und deshalb, meine Damen und Herren, ohne jede Zweideutigkeit bekennen wir uns zu den Verpflichtungen in diesem Bündnis."

Steinmeier kam dann wieder auf die Demokratie und das Selbstbild der NATO als Bündnis demokratischer Staaten zu sprechen. Angeblich würden "autoritäre Herrscher" auf die Rechtsstaatlichkeit der westlichen Länder herabsehen. Wen Steinmeier auch zu den "autoritären Herrschern" zählt, wurde wiederum rasch deutlich: Wladimir Putin, den Präsidenten Russlands.

Steinmeier warnt Putin

Kaum wiedergewählt, maßte Steinmeier sich an, eine Warnung an den russischen Präsidenten auszusprechen:

"Verehrte Delegierte, unsere Gemeinschaft ist die Gemeinschaft liberaler Demokratien, die die Stärke des Rechts über das Recht des Stärkeren stellt. Und ich weiß wohl: In den Augen von autoritären Herrschern gelten demokratische Institutionen als schwach. Dort, wo alle Macht in einer Hand konzentriert ist, verachtet man eine Versammlung wie diese als mehr oder weniger belangloses Ritual. Dort gelten demokratische Entscheidungsprozesse als Schwäche, das Recht als Bremsklotz, das Bemühen um Freiheit und Glück der Bürgerinnen und Bürger als naiv. Aber, meine Damen und Herren, ich kann Präsident Putin nur warnen: Unterschätzen Sie nicht die Stärke der Demokratie!"

Die folgenden Wendungen entsprachen dem gängigen westlichen, liberal-demokratischen Selbstbild, und die Anspielungen ließen keinen Zweifel, gegen wen sich dieses Selbstlob richtete, das mit Unterstellungen nicht sparte:

"Warum bin ich da so sicher? Unsere Demokratie ist stark, weil sie getragen wird von ihren Bürgerinnen und Bürgern. Weil sie ihre Kraft nicht mit Unterdrückung, nicht mit Drohung nach außen und Angst im Inneren erkauft. Weil sie den Menschen mehr zu bieten hat als Ideen von nationaler Größe und Herrschaft über andere."

Unschuldiger Westen?

Der Bundespräsident führte das Demokratie-Motiv in seiner Rede weiter aus und verknüpfte abermals innen- und außenpolitische Aspekte. Bemerkenswert erscheint die Feststellung, dass die westlichen Länder nicht auf Konfrontation mit anderen Staaten aus seien:

"Demokratien sind nicht alle gleich, nein, aber sie sind im Inneren miteinander verwandt. Und auch das verbindet uns: Wir suchen nicht die Konfrontation nach außen. Das ist die gleichlautende Botschaft aus Washington, Paris und Berlin in diesen Tagen: Wir wollen friedliche Nachbarschaft in gegenseitigem Respekt."

Inwiefern diese Selbstzuschreibungen an den kollektiven Westen durch Berlin zutreffen, wird man aktuell in Donezk und Lugansk, aber auch in Belgrad und Damaskus, Bagdad und Tripolis oder Kabul (die Aufzählung ist nicht vollständig) möglicherweise anders beurteilen. Steinmeier nahm sodann den bevorstehenden 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki zum Anlass, ein weiteres Mal Russland zu unterstellen, in die Ukraine einmarschieren zu wollen und nicht am Frieden in Europa interessiert zu sein:

"Und meine Damen und Herren, das sage ich auch deshalb, weil sich bald zum 50. Mal die Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki jährt: Möge dieser Jahrestag nicht der Anlass sein, an dem wir uns in Ost und West das Scheitern der Bemühungen um dauerhaften Frieden in Europa eingestehen müssen. Arbeiten wir im Gegenteil für die Erneuerung dieses kostbaren Erbes. Ich appelliere an Präsident Putin: Lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine! Und suchen Sie mit uns einen Weg, der Frieden in Europa bewahrt!"

Ob Steinmeier der Ansicht ist, dass seine selbstgerechten Vorhaltungen an die Adresse Russlands in der gegenwärtigen Situation einer Entspannung der Lage dienlich sein könnten, wurde aus seiner überheblichen Rede nicht deutlich. Realitätsverlust scheint eine deutsche Spezialität zu sein. Offizielle Reaktionen aus Moskau auf die wohl nur undiplomatisch zu nennenden Vorwürfe an die Adresse des russischen Präsidenten sind zur Stunde noch nicht bekannt.

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