von Dagmar Henn
Die Deutsche Welle, das betont der gesamte bundesdeutsche Mainstream, sei ganz und gar nicht mit RT DE zu vergleichen. Denn schließlich liefere die Deutsche Welle "ausgewogenen Journalismus, der beide Seiten zu Wort kommen lässt," so Intendant Limbourg 2015 im Interview mit der Zeit.
Betrachten wir einmal ein aktuelles Produkt der Deutschen Welle, den Videobeitrag "Ukraine: Schulen bereiten Kinder auf Angriffe vor." Er stammt vom 05. Februar dieses Jahres. In dem Video wird eine Schule in Kiew gezeigt, wo Kindern alle möglichen Arten von Geschossen und Minen präsentiert werden.
"Bomben, Schusswaffen, Munition. Das hier ist keine militärische Einrichtung, sondern eine Schule. Minenwarntraining für die Kinder der Schule Nummer 259 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew."
In Berichten über die Kubakrise kann man lesen, dass US-Schüler in dieser Zeit übten, sich unter den Schultischen in Deckung zu begeben – für den Fall eines Atomkriegs. Das war eine nutzlose Übung, aber ein Beitrag zur Stimmungsmache. Diese Unterrichtsstunde in Kiew, in Wirklichkeit eine Medieninszenierung, sollte doch zumindest als Propagandaakt wahrgenommen werden, von einem unabhängigen Journalisten.
"Den Kindern wird beigebracht, dass es Sprengstoffe in allen Formen und Größen geben kann. 'Es sieht aus wie ein gewöhnliches Stofftier. Aber es enthält Sprengstoff. Und jede Berührung, ob man es in die Hand nimmt, es streift oder einfach nur vorübergeht, kann eine Explosion auslösen.'"
Es gibt keine Hinweise darauf, dass derartige Mittel je von den Donbassmilizen oder von der russischen Armee eingesetzt worden wären. Auch die Verwendung dieses Kuscheltiers als vermeintliche Mine gehört folglich in den Bereich Kriegspropaganda; der Bericht der Deutschen Welle geht indes auf dieses Detail nicht ein und hinterlässt den Zuschauer in dem Glauben, solche Waffen würden von den Milizen tatsächlich eingesetzt.
Zwischendrin wird eine Lehrerin zitiert, die 2014 im Donbass gelebt haben soll und berichtet, ihre Schule sei damals beschossen worden, von den "Separatisten". Das ist ohne Ortsangabe weder zu bestätigen noch zu widerlegen; Tatsache ist allerdings, dass Schüler in Gorlowka bis heute regelmäßig in die Keller flüchten müssen, weil sie von der ukrainischen Armee beschossen werden. Tatsache ist auch, dass der Bürgerkrieg im Donbass nur deshalb andauert, weil die Minsker Vereinbarungen des Jahres 2015 bis heute von der ukrainischen Seite nicht umgesetzt wurden. Ein Abkommen, für das Deutschland garantiert hat; das also der Deutschen Welle zumindest eine Erwähnung wert sein sollte.
Ganz zufällig wird dann noch die Evakuierung der Schule geübt. Weil, so der Berichterstatter, es in jüngster Zeit Bombendrohungen gegen Schulen gegeben habe. Von wem? Darüber führt er nichts aus; aber er legt gerade dadurch nahe, dass es prorussische Kräfte sein müssen. Er befragt die Schulkinder, die natürlich brav beeindruckt sind von der Vorführung, und schließt mit "Alle hoffen, dass die Kinder ihr Wissen nicht anwenden müssen. Aber sie sollen auf alles vorbereitet sein."
Nicht hinterfragt wird die ganze Behauptung eines russischen Aufmarsches. Nicht erwähnt wird der ukrainische Aufmarsch an der Donbass-Front. Nicht erwähnt wird die Missachtung der Minsker Vereinbarungen durch diesen Aufmarsch, durch die Entsendung von NATO-Militärberatern, die Bewegung schwerer Geschütze an die Frontlinie. Jede einzelne Information, die Distanz zur Kiewer Version des Konflikts herstellen könnte, wird unterlassen. Schlimmer noch – die Kiewer Version wird komplett übernommen. Wo, bitte, finden sich in diesem Bericht "beide Seiten"?
Die übrige Berichterstattung ist nicht besser. In dem Artikel "Bundeskanzler Scholz reist nach Washington", der sich mit seiner anstehenden Reise befasst, sind die "beiden Seiten", die darin vorkommen, der NATO-treue Scholz und noch NATO-treuere Kritiker, die wollen, dass Deutschland Waffen an die Ukraine liefert.
"In Deutschland haben Kritiker in den sozialen Medien abfällige Bemerkungen über Scholz' offensichtliche Abneigung gegen deutliche Äußerungen zur Ukraine-Krise gemacht."
In den sozialen Medien steht vieles. Mit Sicherheit auch Kommentare, die Frieden mit Russland wollen. Solche werden von der DW aber nicht zitiert; sondern "Kritiker", die von Scholz "deutliche Äußerungen" wollen. Nein, da wird als abschreckendes Beispiel Gerhard Schröder genannt, der Scholz "nicht gerade geholfen" habe, weil er der Ukraine "Säbelrasseln" vorwarf und die russischen Truppenbewegungen in Verbindung mit den NATO-Manövern brachte.
Scholz, das impliziert diese Beschreibung, müsse sich deutlich von Schröder distanzieren und endlich lautstark die (wahrheitswidrige) Behauptung aufstellen, es gebe auf ukrainischer Seite keinerlei Angriffsvorbereitungen.
Die Zustimmung zum ökonomischen Suizid, die Bundeskanzler Olaf Scholz mit seiner Zusage geliefert hat, im Konfliktfalle Nord Stream 2 nicht in Betrieb zu nehmen, wird gelobt. Und eine US-amerikanische Stimme meint abschließend, die Tatsache, dass "Olaf Scholz mit einer kleinen Minderheit in seiner Partei umgehen muss, die russlandfreundlicher ist, als es einigen von uns lieb ist," mache ihn Russland gegenüber zu einem glaubwürdigeren Gesprächspartner.
Nun ist die Haltung der deutschen Medien, was die Sicht auf Russland betrifft, nicht die Haltung der deutschen Bevölkerung. Sollte nicht ein Medium wie die Deutsche Welle, das aus Steuergeldern finanziert wird, an diesem Punkt andere Sichtweisen zu Wort kommen lassen als hundert Prozent NATO und hundertfünfzig Prozent NATO?
Oder der Artikel "Schickt Deutschland mehr Soldaten nach Litauen?" Was haben deutsche Soldaten eigentlich überhaupt in Litauen verloren? Das soll eine Verteidigungsarmee sein, behauptet zumindest das Grundgesetz. Der Text begrüßt eine weitere Verstärkung...
Ganze zwei Absätze widmet dieser Text den Fantasien vom russischen Einmarsch in die Ukraine. Mehr noch, allen Ernstes steht dort: "Gegenwärtig habe das russische Militär bereits rund 70 Prozent der Kräfte aufmarschieren lassen, die nach Meinung von Experten für eine vollständige Besetzung der Ukraine nötig wären." Wirft irgendjemand in der Deutschen Welle überhaupt noch einen Blick in die russische Presse? Oder setzt den eigenen Verstand ein, auch wenn eine Behauptung aus dem US State Department stammt?
Niemand, der zwei und zwei zusammenrechnen kann, würde die Ukraine besetzen wollen. Jeder russische Kommentar, den ich kenne, kommt zu dem gleichen Schluss: Der Westen hat die Ukraine ruiniert, der Westen soll die Rechnung dafür zahlen. Das Land ist ein schwarzes Loch, alles Geld, das dorthin geschickt wird, versickert in der Korruption. Würde man die Ukraine ausschreiben, Russland würde nicht einmal ein Gebot abgeben. Aber diese Sicht ist in Deutschland nicht bekannt. Und auch die Deutsche Welle, die "ausgewogenen Journalismus" zu liefern behauptet, "der beide Seiten zu Wort kommen lässt", ist nicht bereit, dieses kleine Detail zu verraten.
Und der letzte Satz? Der schließt die Fantasien des russischen Einmarsches ab, nachdem zuvor die "zweite Februar-Hälfte" prognostiziert wurde. "Bis dahin wäre der Boden in der Ukraine durch Frost gehärtet", wird mit Verweis auf die New York Times behauptet.
Wie gesagt, was immer aus NATO-Quellen stammt, wird völlig kritiklos übernommen. Aber es mag zwar für amerikanische Abrams-Panzer zutreffen, dass sie mit schlammigem Boden nicht klarkommen; doch welchen Sinn würde das für russische machen? Auch für reine Verteidigungszwecke müssen sie bei jedem Wetter, das in Russland zu finden ist, funktionieren, sonst wären sie nutzlos. Und das tun sie, im tiefsten Winter genauso wie im Hochsommer, und sie fahren auch auf Schlamm. Der einzige Grund, warum die New York Times wieder einmal ein Datum in die Welt setzt, vor dem der von den USA angekündigte russische Einmarsch nicht stattfinden könne, ist, dass schon mehrere entsprechend angekündigte Einmarschtermine verstrichen sind. Damit das nicht allzu sehr auffällt, muss nun eben der Frost herhalten.
Wenn man wissen will, wie wirkliche Journalisten auf solche Behauptungen reagieren, kann man sich Matt Lee in der Pressekonferenz des State Department ansehen. Dazu gehört nämlich zuallererst, nicht alles zu schlucken, was die eigene Regierung vorsetzt. Belege zu verlangen, und sich nicht mit Behauptungen abspeisen zu lassen. Wie "nicht genannte hohe US-Regierungsbeamte". Oder anonyme "Experten". Geschweige denn, den auf diesen Grundlagen entwickelten Fantasien noch derart breiten Raum zu geben.
Die Verwendung solcher Kunstgriffe, dieses beweisfreie geheimdienstliche Raunen, ist ein Kernstück westlicher Propaganda. Es ist die distanzlose Verwendung solcher Behauptungen, die die Grenze des Journalismus überschreitet. So wie es auch die Darstellung der Kiewer Schulstunde tut. Und der Bericht zu Olaf Scholz. Und das war nur ein kleiner Spaziergang über die Seite der Deutschen Welle.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
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