Ein Kommentar von Daniel Kovalik
Kürzlich habe ich an der Amtseinführung des Sandinistenführers Daniel Ortega als nicaraguanischer Präsident teilgenommen und ihn jetzt, nachdem sein Land seine Beziehungen zu China wieder normalisiert hat, in einer optimistischen Stimmung erlebt, in der er die Heuchelei der USA offen kritisierte.
Seit 1987 komme ich regelmäßig nach Nicaragua, um Solidarität mit einer aufstrebenden Gruppe inspirierender Männer und Frauen zu zeigen, die als Sandinisten bekannt sind. Sie waren es, die in der erfolgreichen Revolution gegen die Diktatur der Familie Somoza einen unwahrscheinlichen Sieg erringen konnten – gegen ein Regime, das 1934 mit Hilfe der USA installiert und von ihr bis zum bitteren Ende unterstützt wurde. Im Jahr 1979 brach es schließlich zusammen. Zehntausende Nicaraguaner wurden von den Schergen von Anastasio Somoza ermordet, die beim Versuch, an der Macht zu bleiben, auf das eigene Volk schossen und die Städte aus der Luft bombardierten. Und dennoch triumphierten die Sandinisten, angeführt von Daniel Ortega.
Über 100 Jahre US-Intervention
Die USA, die seit mehr als einem Jahrhundert regelmäßig in Nicaragua intervenieren, haben die sandinistische Revolution und ihren Anführer nie akzeptiert, weil sie die Idee der im Jahr 1823 definierten Monroe-Doktrin nie aufgegeben haben – einer Doktrin, gemäß der die USA die alleinige Herrschaft über die westliche Hemisphäre beanspruchen und sich gemäß der Folgerung Präsident Theodore Roosevelts das Recht vorbehalten kann, in jedem Land Süd- und Lateinamerikas einzugreifen, um diese Herrschaft aufrechtzuerhalten und zu verhindern, dass Nationen aus anderen Teilen der Welt, ihren Einfluss in dieser Gegend geltend machen.
Ortega und die Sandinisten, die es wagten, eine von den USA unterstützte Diktatur zu stürzen und eigene Verbündete zur Verteidigung ihrer Revolution zu wählen – darunter Kuba, die UdSSR und andere Staaten des Warschauer Pakts – stellen eine direkte Bedrohung der Monroe-Doktrin dar. Und jetzt hat Ortega, der seit 2007 im Amt ist und im vergangenen November mit einem Erdrutschsieg erneut als Präsident gewählt wurde, einen weiteren Spießrutenlauf angetreten, um die US-amerikanische Vorherrschaft herauszufordern – nämlich durch die formelle Anerkennung der Volksrepublik China und die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen, die 1990 eingefroren wurden, als Ortega eine Wiederwahl gegen seine Gegnerin Violeta Chamorro verlor.
Kanalbau in Kooperation mit Peking
Eine der größten Befürchtungen der USA – und somit eine der größten Bedrohungen für das Fortbestehen der antiquierten Monroe-Doktrin – ist, dass Ortega in Zusammenarbeit mit China, einen neuen Kanal bauen lässt, der Nicaraguas Pazifikküste für die Schifffahrt mit der Atlantikküste des Landes verbinden würde. Auch die USA streben seit dem 19. Jahrhundert den Bau eines solchen Kanals zwischen den beiden Ozeanen an, und zwar zusammen mit der Möglichkeit, diesen zu kontrollieren und davon zu profitieren.
Denn ein solcher Kanal, der durch einen riesigen, zwischen den beiden Küsten Nicaraguas liegenden See führen würde, könnte auch Schiffe aufnehmen, die größer wären als jene, die den inzwischen veralteten Panamakanal befahren können. Ein solcher Kanal würde sogar zulassen, dass Schiffe gleichzeitig in beide Richtungen fahren können. In der Tat war es laut dem US-Außenministerium der Versuch des Vorsitzenden der liberalen Partei Nicaraguas, Jose Zelaya, welcher Anfang des 20. Jahrhunderts mit Deutschland und Japan Verhandlungen über den Bau des Kanals führte, der 1911 zur ersten von vielen Invasionen durch die US-Marines in Nicaragua führte.
Die US-Marines, die schließlich vom berühmten Guerillaführer Augusto César Sandino zurückgeschlagen wurden, verließen Nicaragua jedoch erst im Jahr 1934 endgültig, nachdem die Somoza-Diktatur errichtet worden war. Es ist daher kein Wunder, dass Nicaraguas Anerkennung Chinas, die Anwesenheit chinesischer Offizieller bei der Amtseinführung Ortegas und die Ankündigung, dass Nicaragua bereit ist, sich der chinesischen Belt & Road Initiative anzuschließen, in Washington die Alarmglocken läuten ließ.
Impressionen von der Amtseinführung
Ich hatte die Ehre, nach Nicaragua eingeladen zu werden, um an der Amtseinführung Ortegas auf dem Platz der Revolution in Managua teilzunehmen, wo ein riesiges Banner über eine historische Kirche gespannt war, mit der Aufschrift "Alles mit Liebe, alles für die Liebe". Wie ich im Laufe der Jahre beobachten konnte, spricht Ortega in seinen Reden oft von Liebe. Sowas hört man nicht von Politikern aus den USA, wo Liebe und Mitgefühl für die Wähler selten auf der Menükarte stehen. Der Slogan zur Amtseinführung selbst war "Somos Pueblo Presidente" (Das Volk ist der Präsident), und um diesen demokratischen Gedanken zu unterstreichen, hoben alle anwesenden Nicaraguaner ihre Hand, um gemeinsam mit Ortega den Amtseid abzulegen.
Unterdessen kündigten am Morgen der Amtseinführung sowohl die EU als auch die USA neue Sanktionsrunden gegen Nicaragua an. Wie üblich, geschah dies aufgrund vorgetäuschter Bedenken hinsichtlich der Demokratie im Land. Dabei wird die Tatsache ignoriert, dass es in Nicaragua keine Demokratie gab, bis die Sandinisten die Somoza-Diktatur stürzten, um im Jahr 1984 Nicaraguas erste freie und faire Wahlen abzuhalten. Es ignoriert auch die Tatsache, dass Ortega und die Sandinisten 1990 friedlich zurücktraten, nachdem sie damals die Wahlen verloren hatten.
Gegen US-Doppelstandards
Ortega hatte bei der Amtseinführung viel über Demokratie zu sagen und verwies auf die Ereignisse in Washington am 6. Januar vergangenen Jahres, als Hunderte von US-Bürgern das US-Kapitol stürmten, um gegen das zu protestieren, was sie – und Millionen andere – als betrügerische Wahlen empfanden. Er wies darauf hin, dass viele der Festgenommen zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. Und weil ihre Handlungen als politisch eingestuft werden können, könne man diese Personen auch als politische Gefangene betrachten. Und doch spricht kein Land ernsthaft darüber, die USA deswegen mit Sanktionen zu belegen.
Was auch immer man über die Ereignisse vom 6. Januar denkt, es ist wichtig festzuhalten, dass die nicaraguanische Regierung kritisiert und sanktioniert wurde, weil sie Personen strafrechtlich verfolgen ließ, die im Jahr 2018 an einem viel gewalttätigeren und tödlicheren Aufstand in Nicaragua teilgenommen und/ oder zu diesem angestiftet haben. Auch dieser Aufstand, der das Leben von weit über 160 Nicaraguanern forderte, war vermutlich von den USA finanziert worden.
Die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Situationen blieb in Nicaragua und bei anderen Opfern der angeblichen Interessen der USA bei der Verteidigung von Demokratie und Menschenrechte nicht unbemerkt.
Erinnerung an die Opfer der US-Einmischung
In Bezug auf die US-amerikanische Unterstützung von Gewalttaten gegen Nicaragua, nahm sich Ortega bei seiner Amtseinführung auch ausgiebig Zeit, um über den von den USA unterstützten Krieg der Contras in den 1980er Jahren zu sprechen, der etwa 30.000 Nicaraguaner das Leben kostete – eine astronomische Zahl für ein Land mit einer Bevölkerung von damals nicht einmal drei Millionen.
Ortega begann seine Rede damit, das Leiden einer Frau zu beschreiben, die bei der Amtseinführung anwesend war – Brenda Rocha, die Vorsitzende des Wahlrats von Nicaragua –, die im Alter von 15 Jahren einen Arm durch die Contras verlor und heute von den Vereinigten Staaten sanktioniert wird. Er betonte, dass Sanktionen seit Jahren ein fester Bestandteil der US-Aggression gegen Nicaragua sind, so wie auch gegen Venezuela und Kuba – zwei Länder, die bei der Amtseinführung durch ihre jeweiligen Präsidenten vertreten waren.
Vietnamveteran Willson
Zu sagen hatte er auch einiges über die Krokodilstränen der USA in Bezug auf die Verletzung von Menschenrechten. Er verwies auf den Fall von Brian Willson, einem weiteren Ehrengast. Willson, ein Vietnamveteran, der zum Friedensaktivisten wurde, verlor 1987 beide Beine, nachdem er sich auf ein Bahngleis in Kalifornien gesetzt hatte, um gegen Waffenlieferungen an die Todesschwadrone von El Salvador zu protestieren. Damit wollte er einen Zug stoppen, der diese Lieferungen transportierte.
Willson wurde jedoch von dem Zug überrollt, und später stellte sich heraus, dass es kein bloßer Unfall war. Der Zugführer war angewiesen nicht anzuhalten, wie er es normalerweise getan hätte. Ortega stellte ganz berechtigt die Geltung der Menschenrechte in einer Nation in Frage, die eine solche Gräueltat zulässt.
US-Vorherrschaft im Niedergang
Kurz gesagt, Ortega und das nicaraguanische Volk, das ihm während seiner Rede fortwährend zujubelte, bleiben gegenüber dem Mobbing und der Aggression der USA standhaft und trotzig. Nachdem die Beziehungen zu China wiederhergestellt sind, haben sie jetzt die Unterstützung, die sie brauchen, um sich effektiv zu behaupten. Dies maßregelt zugleich jene amerikanischen Politiker, die glauben, dass die US-Herrschaft in der Welt unangreifbar ist.
Der republikanische Stratege Karl Rove prahlte bekanntermaßen einmal: "Wir sind jetzt ein Imperium und wir schaffen uns unsere eigene Realität. Während Sie diese von uns geschaffene Realität studieren, schaffen wir bereits neue Realitäten, die Sie wiederum studieren können. Wir sind die Akteure der Geschichte, und Ihnen, Ihnen allen bleibt nichts, als die Realität zu studieren, die wir geschaffen haben!"
Der Emporkömmling Ortega hat jedoch durch seine anhaltenden Wahlsiege und durch die Bildung neuer Allianzen mit Ländern wie China gezeigt, dass sich die Zeiten geändert haben, dass es jetzt die USA mit ihrem zerfallenden Imperium sind, die an der Seitenlinie zusehen müssen, wie Länder wie das winzige Nicaragua ihre Zukunft selbst planen und ihre eigenen Realitäten schaffen.
Für diejenigen von uns, die sich instinktiv an die Seite Davids statt Goliaths stellen, ist das die reinste Befriedigung.
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Übersetzt aus dem Englischen.
Daniel Kovalik lehrt Internationale Menschenrechte an der University of Pittsburgh und ist Autor des kürzlich erschienenen Buches "No More War: How the West Violates International Law by Use 'Humanitarian' Intervention to Advance Economic and Strategic Interests".
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