Meinung

Unbelehrbar verrannte Polit-Eliten: Der bizarre Maßnahmenbeschluss der Ministerpräsidentenkonferenz

Omikron ist anders, harmloser? Egal. Wir machen so weiter wie bisher. Wenn noch irgendein Beleg nötig war, dass die bundesdeutsche Politik sich völlig unbelehrbar verrannt hat, dann hat die heutige Ministerpräsidentenkonferenz ihn geliefert.
Unbelehrbar verrannte Polit-Eliten: Der bizarre Maßnahmenbeschluss der MinisterpräsidentenkonferenzQuelle: www.globallookpress.com © www.imago-images.de

von Dagmar Henn

Warum muss ich bei dieser Ministerpräsidentenkonferenz und ihren neu beschlossenen Maßnahmen an einen alten Irrenwitz denken? Der mit dem Mann, der ständig mit dem Kopf gegen die Wand rennt und "Ah!" ruft? Und dann, gefragt, warum er das macht, sagt: "Es tut so gut, wenn der Schmerz nachlässt."

Das ist, zugegeben, kein ganz passender Vergleich, aber so ist das mit den Dingen, die einem in den Sinn kommen. Passender wäre es, wenn der Mann immer noch fester mit dem Kopf gegen die Wand rennen würde, nur um dann zu sagen: "Irgendwann muss es doch guttun, wenn der Schmerz nachlässt."

Jetzt also 2G-Plus für alle Gaststätten; das könnte man vermutlich auch den Wirtshauskiller nennen. Franziska Giffey, die zur Erheiterung alle Maßnahmen für verhältnismäßig erklärte, hat auf der Pressekonferenz dazu gesagt, dass der Fakt, dass nicht Geboosterte jetzt zum Test müssten, solle zum Boostern animieren. Um dann übergangslos das "aufsuchende Impfen" zu preisen, das sie jetzt einführen wolle. Auch ein interessantes Sozialexperiment; nur das Auffinden ausreichend impffreudiger Mediziner mit einem schwarzen Gürtel in Karate dürfte etwas knifflig werden. Aber vielleicht kann sie sich bei gewissen Großfamilien nach spritzfreudigen Türstehern erkundigen. Die informierte Einwilligung ist ja auch sonst nicht so wichtig.

Es geht alles weiter wie bisher. Die Impfpflicht soll kommen. An der Quarantänezeit haben sie ein bisschen gedreht, weil ihnen jemand erzählt hat, dass schlicht zu viele in Quarantäne müssten bei Omikron. Also dürfen sich Kontaktpersonen in der "kritischen Infrastruktur" schon nach fünf Tagen per PCR-Test freitesten.

Eine putzige Idee, die völlig verkennt, dass die technischen Voraussetzungen nicht stimmen. Wenn jemand nämlich in Quarantäne ist, darf er das Haus nicht verlassen. Dann muss also jemand anderer zu ihm kommen, um den Test vorzunehmen. Aufgehoben ist die Quarantäne erst dann, wenn das negative Testergebnis vorliegt. Theoretisch könnte das sehr schnell gehen. Aber praktisch entscheidet der Zustand des örtlichen Gesundheitsamtes darüber, ob es überhaupt zu einer vorzeitigen Aufhebung der Quarantäne kommt.

Wenn ich da meine eigenen Erfahrungen im vergangenen Sommer betrachte, als ich nach einem falsch positiven Schnelltest eine ganze Woche auf das Negativergebnis meines PCR-Tests warten musste (schöne Grüße nochmal nach Neukölln!), dürfte das ein ziemlich böses Erwachen geben, wenn die Herrschaften meinen, irgendwas an Funktionstüchtigkeit wichtiger Infrastruktur durch diesen Beschluss sichern zu können. Ganz abgesehen davon, dass die Ausnahme von Geboosterten bei der Quarantäne wieder mal so ein werbetechnischer Unfug ist; es gibt das Produkt Impfdurchbruch schon längst auch in der Variante Boosterdurchbruch.

Bisher unbestätigten Gerüchten zu Folge soll übrigens ein gewisser CT-Wert inzwischen in der Debatte aufgetaucht sein. Ein Wert, von dem die "Coronaleugner" schon seit über einem Jahr behaupten, dass es notwendiger Bestandteil eines PCR-Testergebnisses sein müsse, weil Tests mit zu vielen Vermehrungszyklen nicht mehr aussagefähig seien. In der Pressekonferenz war nicht mehr die Rede davon; aber womöglich taucht er in den konkreten Verordnungen wieder auf.

Man könnte natürlich auf die mittlerweile ziemlich etablierte relative Harmlosigkeit von Omikron schauen und sagen, wir lassen das Ganze. Keine Kontaktbeschränkungen mehr, keine Maskenpflicht, im Gegenteil; nichts ist wirkungsvoller als natürliche Immunität, und mit Omikron wird sie bezahlbar... aber das geht nicht, weil man dann so einiges an Fehlleistungen eingestehen müsste. Und dem Ärger, der dann durch die Bevölkerung schwappen würde, will man sich lieber nicht aussetzen.

Der thüringische Innenminister Meier will deshalb, dass noch weniger über Proteste berichtet wird, und die "Medien hätten eine gewisse Verantwortung, die Proteste einzuordnen", sprich, möglichst düster zu zeichnen. Die FAZ setzt das schon um und hat heute die argumentative Schleuse zu einer Unterdrückung weiter geöffnet, mithilfe eines Interviews mit einem führenden Verschwörungstheoretiker, der eisern darauf beharrt, alle Spaziergänger seien irrational und stünden unter dem Einfluss von Rechtsextremen. Dieser Herr behauptet: "Die Leute sagen, ihre Demonstrationen hätten nichts gebracht, und die Impfpflicht, die sie so gefürchtet haben, komme jetzt ja trotzdem. Das führt zu einer höheren Bereitschaft, Gewalt einzusetzen." Bei hunderten Spaziergängen kam es nur in zwei Fällen zu Auseinandersetzungen; aber was schert die Wirklichkeit. "Wenn man an eine globale Verschwörung einer bösen Elite glaubt – deshalb reden wir ja von Verschwörungsideologien – ist man eher gewillt, bis zum Äußersten zu gehen, je bösartiger man den vermeintlichen Feind zeichnet."

Das Eigenartige ist nur, dass es doch der Staat ist, die Regierung, die seit bald zwei Jahren Gewalt ausübt, und das auf zunehmend schwächerer Grundlage. Der Fluch der bösen Tat? Es gibt einen wunderbaren brasilianischen Roman, "Brasilien, Brasilien" von João Ubaldo Ribeiro. Er beginnt zur Zeit der Sklaverei, mit der ausführlichen Schilderung der Angst des Sklavenhalters. Man könne ihm das Essen vergiften, ihn im Schlaf erwürgen, ihm das Haus über dem Kopf anzünden ... Die Angst ist das Spiegelbild der über andere ausgeübten Macht. Insbesondere der ungerecht ausgeübten Macht. Wenn man danach geht, und daran denkt, welche Quälereien den Kindern zugemutet wurden und werden, wie viel an Lebenslust verloren ging, in welch höllisch bürokratisiertes Ritual sich der Alltag verwandelt hat – dann müssen im politischen Berlin die Nächte ziemlich schlecht sein.

Die FAZ krönt die bizarren Aussagen des Interviews übrigens mit einer noch wüsteren Schlagzeile: "Demonstrationen nützen nichts, jetzt muss Blut fließen." Hat da jemand einen Blick in das Handbuch für Farbrevolutionen geworfen, in dem nach der Stufe "Massendemonstrationen" die Anweisung steht "organisiere unbekannte Scharfschützen, die beide Seiten unter Feuer nehmen"? Bei so viel medialer Aufrüstung ist man fast versucht, beiden, Interviewerin wie Interviewtem, die "friedlichen Demonstranten" an den Hals zu wünschen, die der Westen so gern beschützt, in Venezuela, in Weißrussland oder zuletzt in Kasachstan. Aber man sollte sich die Projektionen anderer Leute nicht zu eigen machen.

Der Spiegel hat am Freitag ein kleines Filmchen veröffentlicht, nach dem in Großbritannien ("fest im Griff von Omikron") die Mülltonnen voll und die Supermärkte leer wären. Nicht, weil so viele elend krank aufs Lager gestreckt wären. Sondern, weil sie in Quarantäne sind. Weshalb auch dort die Bestimmungen gelockert werden sollen. Nur, um dann auf die gleichen Hindernisse zu treffen, die auch hier schon vorhersehbar sind: zu begrenzte Kapazitäten bei den Gesundheitsämtern. Und dann vermutlich auch bei den Laboren für die PCR-Tests.

Wenn also dann Omikron übers Land rauscht und Hunderttausende in Quarantäne kerngesund Schiffchen versenken spielen, während die Infrastruktur um sie herum selbst ganz ohne Blackout zerkrümelt, werden sich die Akteure des heutigen Tages schon beim Aufstehen ganz laut vorsagen, sie hätten das Richtige und alles ihnen Mögliche getan. Lauterbach wird währenddessen jeden Morgen im Frühstücksfernsehen einen immer größeren Teufel an die Wand malen. Giffey wird ihren "aufsuchenden Impfern" in Pressebegleitung Blumensträuße ans Krankenbett bringen, und die FAZ zum Frankfurter Spaziergang einen Fotoreporter mit großem Teleobjektiv schicken, um nur gar keinen Blutspritzer zu verpassen. Sollte es keine geben, wofür wurde Photoshop erfunden?

Und dann? Dann könnte Corona einen leisen und unauffälligen Tod sterben. Das Chaos, das sie mit ihrer Weigerung, Fehler einzugestehen, angerichtet haben, treibt währenddessen die muntersten Blüten. Früher (zugegeben, sehr viel früher) hätte man solchen politischen Rohrkrepierern dann ein ruhiges Plätzchen in einem kleinen, abgelegenen Kloster empfohlen.

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