Meinung

"Die Politik darf das Volk nicht verlieren" – eine Aufgabe der Presse?

Wie steht es um die Pressefreiheit unter Corona? Ein Videogespräch des Schweizer Großverlagschefs Marc Walder belegte jüngst: gar nicht gut. Er schwor seinen Konzern auf Regierungslinie ein.
"Die Politik darf das Volk nicht verlieren" – eine Aufgabe der Presse?Quelle: www.globallookpress.com © Fernando Gutierrez-Juarez

von Dagmar Henn

Es gibt ein berühmtes Zitat zur Pressefreiheit; es stammt von dem konservativen Journalisten Paul Sethe. "Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten." Er schrieb diesen Satz 1965, und schon damals fügte er hinzu, die zunehmende Konzentration auf dem Pressemarkt lasse diesen Kreis immer kleiner werden.

Der Ringier-Verlag liegt in der Schweiz mit seiner Boulevardzeitung Blick an zweiter Position hinter der kostenlosen Tageszeitung 20 Minuten. Bei den zugehörigen Online-Portalen ist die Reihenfolge gleich. Außerdem publiziert Ringier in der Schweiz eine ganze Reihe von Magazinen. In Kooperation mit dem Axel-Springer-Verlag besitzt er außerdem Medien in einer Reihe osteuropäischer Länder und Online-Medien in mehreren westafrikanischen Ländern. Es ist also kein belangloser Kleinverlag.

Der Vorstandsvorsitzende des Konzerns, Marc Walder, wurde nun in einem Videogespräch aufgezeichnet, als er erklärte: "Wir hatten in allen Ländern, wo wir tätig sind – und da wäre ich froh, wenn das in diesem Kreis bleibt – auf meine Initiative hin gesagt: 'Wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, dass wir alle gut durch die Krise kommen'". Das Schweizer Portal Nebelspalter hat diese Aufzeichnung veröffentlicht.

Er ging sogar noch weiter: "Wir müssen versuchen, dass die Politik, ob sie jetzt genug schnell, genug hart, zu wenig hart usw. agiert, das Volk nicht verliert. Und hier dürfen die Medien nicht einen Keil treiben zwischen der Gesellschaft und der Regierung." Das heißt, er erteilt der jeweiligen Regierung carte blanche; was immer sie tut, seine Medien stützen sie, noch beim gröbsten Unfug.

Von dem, was die meisten Menschen von der Presse denken, ist das ohne Frage meilenweit entfernt. Schließlich erwarten sie sich einen zusätzlichen Nutzen von einem Presseorgan, das sie konsumieren; die Verlautbarungen der Regierung bekommen sie ohnehin zu hören. Aber Walder sieht die Medien in der Pflicht, diese Verlautbarungen nicht nur wiederzugeben, sondern sie zu unterstützen. Kritiklos. Dem Nebelspalter gegenüber erklärte eine Sprecherin von Ringier auf Nachfrage, diese Vorgabe im Umgang mit der Regierung widerspreche nicht der journalistischen Freiheit.

Nun ist das, nach Sethe, so ein Ding mit der Pressefreiheit, insbesondere damit, um wessen Freiheit es sich dabei handelt. Wirft man einen Blick in das deutsche Arbeitsrecht, stellt man schnell fest, dass Sethe den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Medien gelten nämlich als Tendenzbetriebe, ähnlich wie kirchliche Einrichtungen, so dass eine Abweichung von der im Regelfall von den Eigentümern vorgegebenen Linie jederzeit zu einer fristlosen Kündigung führen kann.

Vorgaben, wie sie der Ringier-Chef in diesem Gespräch ausplaudert, wären in Deutschland nicht nur rechtens, sie würden durch die arbeitsrechtliche Lage noch gestützt. In der Schweiz scheint die Lage ähnlich. Wie in Deutschland erstreckt sich die Auswirkung des Tendenzbetriebs bis ins private Verhalten: "Diese treuepflichtigen Personen sollten jegliche Äußerungen und Verhaltensweisen im Privaten vermeiden, die im Widerspruch zu ihrer Funktion resp. zu Position und Image ihres Arbeitgebers stehen," schreibt ein schweizer Arbeitsrechtsportal.

Aber zum Glück redet normalerweise niemand darüber, wer die Pressefreiheit besitzt, und dass die Schreibenden in der Regel so etwas wie die erweiterten Gehirne der Eigentümer sind und sich glücklich schätzen dürfen, wenn die Zahl der Ketten, die ihnen angelegt werden, sich in Grenzen hält. Sicher, bei vielen Themen, sei es Corona oder die NATO, Russland, China, hat man den Eindruck, es mit lauter Durchschlägen desselben Textes zu tun zu haben, und wundert sich dann, wie so viele unterschiedliche Menschen sich derart einig sein können; aber abseits der reinen Reproduktion von Agenturmeldungen, die ebenfalls immer weiter zunimmt, gibt man sich dann doch der Illusion hin, ein echter Mensch mit Namen, Adresse und eigener Meinung habe das Produkt zu verantworten.

Walder hat da ein wenig hinter die Kulissen blicken lassen. Und zu erkennen gegeben, dass die sagenumwobene vierte Gewalt bei Bedarf ganz stramm in Reih und Glied steht. Für das Publikum ist das ein seltener Glücksfall, Illusionen über die Rolle der Medien abzustreifen. Bei Ringier brauchte es, das lässt sich der Darstellung entnehmen, nicht mehr als einer kurzen Äußerung des Vorstandsvorsitzenden gegenüber seinen nächsten Untergebenen, um die Linie durchzusetzen. In anderen Medienkonzernen dürfte das nicht anders verlaufen.

So schnell und einfach geht das nur, wenn solche Anweisungen die Regel sind und nicht die Ausnahme. Selbst wenn Walder – sehr zur Erheiterung des deutschen Publikums – behauptet, die deutsche Presse sei ihre Regierung hart angegangen, verglichen mit den Blößen, die sich die Regierung Merkel gegeben hat, war das ein zaghaftes Streicheln. Wirkliche Kritik findet sich nur dort in großen Medien, wo relevante Teile der politischen Landschaft eine abweichende Position vertreten, wie in den USA, wo sich dann auch Besitzer von Medienunternehmen unter den Abweichlern befinden.

In Deutschland, dessen Pressefreiheit inzwischen auf die von fünf Konzernen geschrumpft ist, lässt sich aus den Enthüllungen des Herrn Walder nur eine Lehre ziehen: nichts ersetzt das eigenständige Denken.

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