Der Irrsinn der "Philantropen" oder warum wir uns Musk nicht leisten können

Nichts zeigt so deutlich den Wahnzustand, in dem diese Gesellschaft sich befindet, wie die Verherrlichung der Superreichen. Das Time Magazine hat mit seiner Lobpreisung von Elon Musk ein Musterbeispiel dafür geliefert. Dabei sind er und seinesgleichen die größte Bedrohung.

von Dagmar Henn

Als Marie-Antoinette ihre Schäfchen durch die Gärten von Versailles führte, war ihre Welt von der des gewöhnlichen französischen Bauern oder Handwerkers so weit entfernt, wie das nach damaligen Maßstäben möglich war. Versailles war eine Welt für sich, in der die Gesetze der übrigen Welt nicht galten, in der sie nicht einmal verstanden werden konnten, und ebenso wenig verstand Paris Versailles. Es war kein Wunder, dass dort allerlei Gerüchte die Runde machten, über Verschwörungen, in die die österreichische Königin verstrickt sei, und über das sittenlose Gebaren am Hof.

Ein Zuviel an Macht, das bemerkten schon die Geschichtsschreiber der römischen Kaiser, erzeugt seinen eigenen Wahn. Das prägte die Zeit von Marie-Antoinette ebenso sehr, wie es unsere Gegenwart prägt. Um das zu erkennen, muss man nur einen Blick auf den Text werfen, mit dem das Time Magazine dieses Jahr Elon Musk zur Person des Jahres erklärt.

Einen Menschen, dessen Sozialisation, das verhüllt selbst Time nicht, sich auf der Ebene bestenfalls eines pubertierenden Jugendlichen, schlimmstenfalls auf der eines Kleinkinds bewegt. Dem sich die Schreiber des Artikels in kriechender Bewunderung nähern, wie einem Halbgott.

"Er weist die Idee zurück, dass schon die Größe seines Vermögens ein politisches Problem darstellt, oder dass er moralisch verpflichtet sei, einen Teil davon als Steuern zu zahlen."

Nein, Steuern zahlt er nicht, aber staatliche Förderungen kassiert er gerne, wie unlängst in Brandenburg erst erwiesen. Er möchte zum Mars fliegen und twittert auf dem Klo. Aber was bitte ist an dieser Person bewundernswert? Es bleiben die Träume eines kaum sozialisierten kleinen Jungen, die nur deshalb überhaupt der Erwähnung wert sind, weil er das Geld besitzt, sie zu realisieren.

Musk ist der reichste aus jener Kaste von Oligarchen, momentan noch etwas reicher als Bill Gates, der ebenfalls keine Steuern zahlen will. Sie halten es für ihr natürliches Recht, ihre persönlichen Vorstellungen der Gesellschaft aufzudrücken, Bill Gates unter anderem über seine Geschenke an diverse Medien und internationale Organisationen. Und sie begreifen es ebenso wenig, dass man ihnen misstraut, misstrauen muss, wie dies eine Marie-Antoinette konnte.

"Er will ewigen Ruhm für das Tun großer Taten, und er ist ein Gewinn für die Menschheit, weil er große Taten als etwas definiert, das für die Menschheit groß ist. Er ist gierig nach Ruhm," so beschreibt ihn der Gründer der Mars-Gesellschaft, der allerdings notwendigerweise selbst einen Flug zum Mars als Gewinn für die Menschheit sieht. Nur – die Gesellschaft der Vereinigten Staaten hat ganz andere Probleme als Reisen zum Mars. Während die Apollo-Flüge am Ende einer Phase steigenden gesellschaftlichen Wohlstands standen, wäre selbst ein erfolgreicher Flug zum Mars finanziert durch Herrn Musk Produkt der bizarren Hybris eines Superreichen vor einem Hintergrund aus Zeltstädten und einer zerfallenden Gesellschaft. Eine Tat für die Menschheit kann es nicht sein, weil Musk (und das dürfte er mit vielen seiner "Kollegen" teilen) sich gar nicht als Teil dieser Menschheit begreift.

Keine moralische Verpflichtung zum Steuernzahlen

Das und nichts anderes bedeutet nämlich die Aussage, er sehe keine moralische Verpflichtung, Steuern zu zahlen. Er und seinesgleichen profitieren auf vielfache Weise von staatlichen Ausgaben, scheuen nicht davor zurück, staatliche Aufträge anzunehmen, sehen sich aber dennoch nicht verpflichtet, zu den Aufwendungen beizutragen. Musk, Bezos, Gates und wie sie alle heißen, sehen sich selbst, wie die französische Aristokratie des Ancien Regimes, als Personen über dem Gesetz, über den Regeln der menschlichen Gesellschaft. Und sie werden auch so behandelt; was nicht wundert, angesichts der Tatsache, dass sie die komplette US-Regierung aus der Portokasse kaufen könnten.

Ein solcher Zustand ist letztlich für beide Seiten von Nachteil. Ja, auch für die Oligarchen selbst, denn wer für die Spielregeln der menschlichen Gesellschaft nicht mehr fassbar ist, wem niemand Schranken setzen kann, der verliert sich zwangsläufig, selbst dann, wenn er nicht bei einem sadistischen Millionärsvater aufgewachsen ist wie Musk. Menschen müssen sich in anderen Menschen spiegeln können, um sich selbst wahrzunehmen; ist das Gefälle zu groß, ist das Bild verzerrt. Barocke Komödien zeigen das sehr gut, in denen die Dienstboten die Wahrheit über ihre Herren immer nur in Abwesenheit derselben sagen.

Solche Menschen wie Musk glauben tatsächlich, der von ihnen aufgehäufte Reichtum sei von ihnen geschaffen. Sie sind das Produkt von über vierzig Jahren neoliberaler Politik, die die Steuerlast der Reichen immer weiter gesenkt und auf allen Ebenen ein Menschenbild etabliert hat, in denen der eine des anderen Wolf ist. Wenn sie einen Teil ihres Geldes – immer noch nach dem und oft auch im eigenen Interesse – irgendwohin spenden, erwarten sie, dafür besonders belobigt zu werden. Und wirklich, die Presse hat das Wort "Philanthrop", das zuletzt zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Gebrauch war, wieder hervorgeholt und abgestaubt, und liebdienert jetzt damit vor diesen Herrschaften, als hätten sie etwas anderes getan als nur einen Bruchteil ihrer gesellschaftlichen Pflicht. Keine der beiden Seiten ist sich noch dessen bewusst, dass der US-amerikanische Spitzensteuersatz bis Nixon bei 70 Prozent lag, davor lange gar bei 95.

"Philanthropie," das heißt übersetzt Menschenliebe. Allerdings ist das eher eine Liebe, wie man ein Haustier liebt oder eine Zimmerpflanze. Keine Liebe, die enttäuschen oder verletzen kann, daher auch keine, die erfüllt oder wachsen lässt. Aber ein passendes Symbol für diesen emotional sterilen Raum, den ein zuviel an Macht und Reichtum erzeugt.

Und auf der anderen Seite? Musk ist vielleicht noch nicht lange genug so sichtbar, aber über Bill Gates kursieren allerlei Vermutungen. Die natürlich von den Faktencheckern, die meist auch selbst am Futternapf eines Oligarchen hängen (ob Soros oder Gates) sogleich ins Reich der Verschwörungstheorie verbannt werden. Was allerdings die Entstehung solcher Vermutungen nicht bremsen wird; denn der zentrale Auslöser ist das Ausmaß der Ungleichheit, das bemerkt wird, und die Tatsache, dass Lebensumstände, Sorgen, Wünsche, Ziele, Absichten und Denkweise nicht mehr nachvollziehbar sind, die eigenen Maßstäbe für diese Personen erkennbar nicht mehr gelten und damit im Grunde jede Form von Überschreitung vorstellbar wird.

Gesellschaft braucht Gleichheit, keine "Menschenfreunde"

In den USA sind solche Entwicklungen besonders extrem, aber dort wurden sie auch bereits zwei Mal wieder eingefangen. Anfang des 20. Jahrhunderts mit den Anti-Trust-Gesetzen, und dann ein zweites Mal mit dem New Deal. In Europa waren es die beiden Weltkriege, die jeweils wieder eine egalitärere Phase einleiteten und den Abstand zwischen Arm und Reich auf ein gesellschaftsverträglicheres Maß eindampften. Aber inzwischen wurden die Extreme der ausgehenden Zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts noch übertroffen, und allein Corona hat den Abstand zwischen den Milliardären und der Menschheit abermals verdoppelt.

Die Schreiber des Time Magazine sind von Musk begeistert:

"Er spielt mit bei Robotern und Solartechnik, Kryptowährungen und Klima, Computerimplantaten im Gehirn, um die Bedrohung durch künstliche Intelligenz abzuwenden, und unterirdischen Tunneln, um Menschen und Fracht mit Supergeschwindigkeiten zu bewegen. Er dominiert Wall Street. 

Viele Menschen werden als überlebensgroß beschrieben, aber wenige haben es verdient."

Und das für einen unkontrollierbaren Dreijährigen mit viel zu großem Spielzeug? Ein Kleinkind hinter einem Maschinengewehr würde jedermann sofort und instinktiv als bedrohlich empfinden, aber ein Musk ist Gegenstand der Verehrung?

"Musk ist unser Avatar der unbegrenzten Möglichkeit, der Platzanweiser unserer erneuerten Welt, wo altbewährte Praktiken beiseite gelegt werden und das niemals dagewesene logisch wird, wo Erde und Menschheit noch gerettet werden können."

Ein Dreijähriger hinter einem Maschinengewehr, dem Hymnen gesungen werden. Dabei bräuchte die Welt Rettung zuvörderst vor einem – vor den Dreijährigen mit Maschinengewehren, den außer Kontrolle geratenen Egos zwangsläufig übergeschnappter Milliardäre. Vor denen, die sich für Übermenschen halten und glauben, es stünde ihnen zu, über das Schicksal der Menschheit zu entscheiden.

Der Widerwille dagegen mag sich in befremdlichen Theorien äußern, aber der Kern ist wahr. So irre die Geschichten über Echsenmenschen sind, sie beschreiben die realen Verhältnisse noch eher als die Lobpreisungen eines Time Magazine. Denn die wirkliche Gefahr, die darin liegt, solchen Personen die Entscheidungen über die Zukunft der Menschheit zu überlassen, wird erst deutlich, wenn man wahrnimmt, dass sie sich selbst bereits als etwas anderes sehen.

Zugegeben, nicht alle römischen Kaiser, denen man Wahnsinn nachsagte, waren wirklich irre. Nero beispielsweise war, im Gegensatz zu dem, was man ihm nachsagt, ein kluger und sehr vernünftiger Herrscher (Lion Feuchtwanger hat einen sehr interessanten Roman über ihn geschrieben). Es mag auch sein, dass der eine oder andere dieser Oligarchen noch bei Sinnen ist. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die soziale Situation selbst dafür sorgt, dass die Mehrheit es eben nicht ist und gar nicht sein kann.

Die Menschheit war schon immer für ihr Überleben auf Kooperation und auf Vernunft angewiesen. Dieser Kaste der Auserwählten ist beides fremd. Klar, im Kapitalismus hatten immer schon die Reichen das Sagen; aber der politische Apparat, das Parlament, diente dazu, zumindest die langfristigen Interessen der herrschenden Klasse gegen die Einzelnen durchzusetzen. Das ging, solange die ökonomische Macht des Staates die einzelner Kapitalisten übertraf und selbst die Käuflichkeit noch in unterschiedliche Richtungen wirkte. Aber die Superreichen heute haben wenig zu tun mit wirklicher Produktion (selbst Musk macht seinen Gewinn weniger aus dem Verkauf seiner schlechten Autos, sondern eher aus dem Verkauf der CO2-Zertifikate). Sie verstehen nicht einmal mehr, dass Geld kein Geld erzeugt, sowenig sie verstehen, dass immer noch nicht sie den Reichtum schaffen, sondern die Menschen, die konkrete Arbeit leisten.

Solange diese Kaste die Macht besitzt, die sie heute in den Staaten des Westens hat, ist Demokratie notwendigerweise eine Farce, denn selbst das gebündelte kollektive Interesse der Bevölkerung kann sich gegen diese Übermacht nicht durchsetzen. Das Mindeste, was es bräuchte, um diesen Zustand zu ändern, wäre ein Wladimir Putin, der ihnen auf Strafe des Untergangs untersagt, Einfluss auf die Politik zu nehmen. Aber es gibt in den Staaten des Westens keine Sicherheitsorgane mehr, die einen solchen Schritt stützen könnten.

Also wird es weiter Lobpreisungen für den Wahn regnen, die Politiker sich weiter in Servilität üben und die Gesellschaften weiter den Fantasien dieser Kaste ausgeliefert bleiben und ihren Groll und ihr berechtigtes Misstrauen in eigenartigen Metaphern ausdrücken. Bis klar wird, dass die Menscheit sich solche Menschenfreunde nicht leisten kann.

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