von Anna Belchow
Während die Staats- und Regierungschefs den UN-Klimagipfel in Glasgow abschließen, präsentierten sich nicht wenige als Teil der Lösung für globale Probleme, deren jahrzehntelange Barmherzigkeit andernorts bereits zu heftigen Gegenbewegungen, Suizidwellen und sogar blutigen Konflikten geführt haben und deren Verständnis von Demokratie zumindest fragwürdig, wenn nicht bedenklich erscheint.
Der weltweit umtriebige Unternehmer und Philanthrop Bill Gates hat Anfang des Jahres in seinem Buch "How to Avoid a Climate Disaster" (zu Deutsch "Wie man eine Klimakatastrophe vermeidet") globale Probleme aufgelistet – den auch von anderen Akteuren angeprangerten Klimawandel, der viele Erdteile durch Dürre, extreme Hitze, Überschwemmungen und katastrophalen Wetterereignissen unbewohnbar macht – und so öffentlichkeitswirksam enormen Handlungsdruck aufgebaut. Die Buchbesprechungen dienten gleichzeitig dazu, die große Erzählung der Bill & Melinda Gates Stiftung (BMGF) zu wiederholen, welche zu Beginn des Jahrtausends vor dem Hintergrund humanitärer Herausforderungen im globalen Süden, wo sich der Tech-Billionär berufen fühlte zu "helfen", ins Leben gerufen wurde.
Ein Fokus dieser Hilfe ist die "Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika" (Alliance for a Green Revolution in Africa, AGRA), die 2006 mit dem Versprechen gegründet wurde, rund 30 Millionen kleinbäuerlichen Haushalten ertragreiche landwirtschaftliche Arbeit zu ermöglichen. Wie seit jeher hat auch diese "Grüne Revolution" auf Technologie, Chemie und Kommerzialisierung gesetzt: Mithilfe von patentiertem Saatgut und viel Dünger sollte die Produktivität gesteigert und so die Ernährungsunsicherheit bis 2020 halbiert werden. Angesichts dieser so hehren wie ambitionierten Ziele und mit etwas Überzeugungsarbeit der BMGF haben auch afrikanische Regierungen tief in die nicht eben prall gefüllten Kassen gegriffen, um die Kampagne der Grünen Revolution mit rund einer Milliarde Dollar pro Jahr für Saatgut und Düngemittel zu subventionieren.
Gleichzeitig hat aber die Unterernährung laut einer Studie von Timothy Wise, Senior Research Fellow am Global Development and Environment Institute der Tufts University, die sich auf Zahlen der FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) beruft, in den betroffenen Ländern um 30 Prozent zugenommen. Auch das African Centre for Biodiversity hat in mehreren Berichten anprangert, dass die Ernährungsunsicherheit weiter zugenommen hat, während die Gates-Stiftung afrikanischen Ländern gentechnisch veränderte Organismen (GVO) und schädliche Technologien aufzwingt.
Dass der von der Stiftung propagierte Ansatz alles andere als die vermeintlich verfolgten Ziele fördert, weder den Hunger bekämpft noch Kleinbauern zugutekommt, haben weitere Studien ebenso widerlegt wie die enormen Proteste von Kleinbauern in Indien, die Bill Gates zur Persona non grata in ihrem Land erklärt haben und teils gar seine Verhaftung fordern. Die massiven Proteste mit etwa 70 Toten sind auch Auswirkungen der "Grünen Revolution" in Indien, die dort bereits in den 1950er Jahren eingeführt wurde – ein Produkt des Kalten Krieges, gefördert von der US-Behörde für internationale Entwicklung, USAID, als Gegenprojekt zu einer vermeintlichen roten Revolution.
Anhand der Experimente nicht nur in Indien ist seit Jahrzehnten klar, dass der Ansatz der sogenannten "Grünen Revolution" den Kleinbauern – im Gegensatz zu Saatgutentwicklern – ganz und gar nicht hilft, sondern mitunter enorm schadet. Die Umstellung des Saatguts der Landwirte hat diese teilweise in derartige Schwierigkeiten gebracht, dass sie in einigen Fällen das Pestizid als letzten Ausweg selbst tranken oder sich anderweitig in einer "Epidemie von Selbstmorden" das Leben nahmen, um den entstandenen Problemen und der für einige Konzerne profitablen Abhängigkeit zu entkommen.
Ganz nebenbei ist so das ökologische Versprechen der Grünen Revolution krachend gescheitert. Vielerorts haben die Maßnahmen den Grundwasserspiegel abgesenkt und dadurch zu noch mehr Trockenheit geführt, zu Versalzung und Degradierung vormals fruchtbarer Böden und einem Verlust der biologischen Vielfalt geführt. Zudem hat der massive Einsatz von Pestiziden und Herbiziden bei den Bauern schwere Gesundheitsschäden nach sich gezogen.
Wenn Bill Gates und Jeff Bezos "helfen"
Zwar hatten mehrere herzgütige Geldgeber, allen voran die Gates-Stiftung, bis zur ersten Septemberhälfte dieses Jahres erneut Gelegenheit, Stimmen aus Afrika zur Kenntnis zu nehmen, die eindrücklich darauf verwiesen, dass sie auf diese Art der "Hilfe" gern verzichten und im Sinne der Souveränität gern selbst entscheiden würden.
In einem offenen Brief zum Anlass des "Afrikanischen Forums für eine Grüne Revolution" forderte die Allianz für Ernährungssouveränität in Afrika (AFSA), die rund 200 Millionen kleinere Lebensmittelproduzenten vertritt, zusammen mit 160 internationalen Organisationen aus 40 Ländern das Ende der Finanzierung der "Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA)".
"Wir begrüßen Investitionen in die Landwirtschaft auf unserem Kontinent", hatte AFSA-Generalkoordinator Million Belay in dem Artikel "Bill Gates: Hört auf, den Afrikanern zu sagen, welche Art von Landwirtschaft sie brauchen" im Scientific American betont. "Aber wir wollen sie in einer Form, die demokratisch ist und auf die Menschen im Herzen der Landwirtschaft eingeht."
AFSA hatte die Geldgeber von AGRA bereits im Sommer direkt angeschrieben und sie aufgefordert, Beweise für die Behauptung vorzulegen, dass die seit 15 Jahren in Afrika tätige Initiative für industrielle Landwirtschaft entgegen anderslautender Erfahrungen und Studien in der Lage sei, die Einkommen und die Ernährungssicherheit von Millionen von kleinen Lebensmittelproduzenten zu verbessern. Eine Antwort oder überzeugende Belege erhielt die AFSA jedoch nicht.
Doch Gates, der populäre Tech-Unternehmer und größte Ackerlandbesitzer in den USA, ist entschlossen zu "helfen". Also nahm die Bill & Melinda Gates Stiftung im September 2021 am UN-Gipfel für Lebensmittelsysteme teil, bei dem es mit den Themen Hunger, Ernährung, ökologische Nachhaltigkeit und Ungleichheit für Afrika um nichts weniger ging als um Leben und Tod. Auf dem Gipfel versprach die für ihre finanzielle Großzügigkeit von den Medien verehrte Gates-Stiftung mehr als 900 Millionen US-Dollar gegen das Übel der Unterernährung. Zusammen mit acht anderen Stiftungen sagte sie zu, bis 2030 insgesamt fünf Milliarden US-Dollar auszugeben, um mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresflächen des Planeten zu schützen. Ein weiterer prominenter Geldgeber, Amazon-Gründer Jeff Bezos, hatte ebenfalls angekündigt, dass sein Bezos Earth Fund – der laut seiner pompösen Webseite einen Systemwandel anstrebt – eine Milliarde Dollar für solche Naturschutzmaßnahmen bereitstellt.
Dabei wird dieser Naturschutz-Ansatz, bekannt als 30x30, längst von Betroffenen in den Ländern mit schützenswerten Gebieten sowie von Umweltorganisationen und zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich für die Rechte von Indigenen einsetzen, stark kritisiert. Nicht zuletzt träten dabei koloniale Muster und Vorgehensweisen wieder zutage, die weder der lokalen Bevölkerung noch dem Naturschutz dienen, sondern sie beide teils gar ihrer Lebensgrundlagen berauben. Gerade in rohstoffreichen Gebieten wie beispielsweise dem Kongobecken werden dutzende Regenwaldstämme – bekanntermaßen die besten Hüter der Artenvielfalt – im Rahmen dieser Art von Naturschutz illegal von ihrem Land vertrieben, wo anschließend ohne ihre Zustimmung Nationalparks und andere Schutzgebiete eingerichtet werden. Berichten zufolge fokussiert unter anderem auch der Star-Unternehmer Bezos die wohltätigen Aktivitäten seiner Organisation auf das Kongobecken, die tropischen Regionen der Anden und den Pazifik.
Der UN-Gipfel der Lebensmittelsysteme stieß bei Teilen der Beobachter jedoch auch auf Ablehnung – wenn auch weniger öffentlichkeitswirksam: Mehr als 500 Akademiker und Interessengruppen, die sich für die Nachhaltigkeit von Lebensmitteln, kleine landwirtschaftliche Betriebe, indigene Völker und damit verbundene Anliegen einsetzen, machten in einer Erklärung darauf aufmerksam, dass der Gipfel zu eng mit Unternehmensinteressen verbunden ist, sich zu sehr auf das große Geld und Technologie als mögliche Lösungen konzentriere und "die dringende Notwendigkeit, das große Machtungleichgewicht, das die Unternehmen über die Lebensmittelsysteme haben, anzugehen" vernachlässige.
Auch der UN-Menschenrechtsausschuss, eine Gruppe unabhängiger Experten, kritisierte die seit 2019 geplante Veranstaltung heftig: "Der Gipfel für Nahrungsmittelsysteme hat kategorisch versagt", erklärte das Ausschussmitglied Michael Fakhri in einem Video. Der Juraprofessor von der University of Oregon ist UN-Sonderberichterstatter für das Themenfeld Recht auf Nahrung. Fakhri sagt:
"Die Organisatoren des Gipfels haben die täglichen Kämpfe der Menschen ignoriert. Und wer hat von dieser Agenda profitiert? Die Konzerne."
Doch die Show der Weltrettung muss offenbar weitergehen. Auf Marginalitäten wie Souveränitätsansprüche lokaler Bevölkerungen – die ihre Ausbeutungsverhältnisse immer wieder auch mit dem Leben zahlen – kann angesichts der "großen Herausforderungen" wohl kaum Rücksicht genommen werden.
Auch die Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP26) bot der Bill & Melinda Gates Foundation eine Plattform, sich als Heilsbringer für "Hunderte von Millionen Kleinbauern bei der Anpassung an die zunehmenden Klimabedrohungen ... , die den weltweiten Kampf gegen Hunger und Armut gefährden", ins Licht schmeichelnder Scheinwerfer zu bringen. Sie sagte 315 Millionen US-Dollar für die globale Agrarforschungspartnerschaft CGIAR zu.
Gegründet auf dem Höhepunkt der "Grünen Revolution" im Jahr 1971, hat die CGIAR seither enormen Einfluss auf Ernährungssysteme weltweit. Dieser basiert auf kommerziellen Methoden der Pflanzenzüchtung und der Mechanisierung der Landwirtschaft. Mit einem Budget, das jenes der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) übersteigt, sowie 10.000 Wissenschaftlern und Ingenieuren und fast 800.000 Pflanzensorten in ihren Genbanken ist diese Stimme deutlich lauter, als die der afrikanischen oder indischen Kleinbauern. Während einige der vielen Geldgeber auf Veränderungen gedrängt haben, setzt die CGIAR weiter auf kommerzielle Pflanzensorten und technologieintensive Agrarproduktion. Auch aktuell unterstützt die US-Entwicklungsagentur USAID das Vorhaben – wie seit Jahrzehnten. Das Budget, das die Gates-Stiftung für CGIAR bereitstellt, beläuft sich inzwischen auf mehr als eine Milliarde Dollar.
Gut beraten? Gegen den Willen der Bevölkerung
Auch McKinsey & Company – hierzulande auch bekannt als Protagonist in teuren Beraterskandalen, in den USA derzeit im Fokus unter anderem aufgrund der möglichen Schädigung der öffentlichen Gesundheit, Interessenkonflikten und Missbrauchsskandalen – geriert sich gern als globaler Helfer und erklärt etwa öffentlich, sich "dem Schutz des Planeten verpflichtet" zu fühlen und seine Kunden seit Jahren in Umweltfragen zu unterstützen. Ähnlich wie die Gates Foundation fühlt sich das globale Beratungsunternehmen den eigenen Verlautbarungen nach berufen, die Welt zu retten. Und so haben die beiden Organisationen sich teils gemeinsam der edlen Schnittstelle von Umweltschutz, Armutsbekämpfung und der "Transformation der Landwirtschaft" im globalen Süden gewidmet.
Das "McKinsey Center for Agricultural Transformation" konnte mit Unterstützung der Bill & Melinda Gates Stiftung eine Reihe sogenannter Transformationsbereitschaftsfaktoren ausmachen und weitere in Beratersprech vermarktete Erkenntnisse gewinnen. Zusammen haben die Bill & Melinda Gates Foundation und McKinsey & Company unter anderem in Äthiopien und Marokko "Transformationskenntnisse" gesammelt und sogenannte Agricultural Transformation Agencies (ATA) aufgebaut.
Wie es von einer Unternehmensberatung zu erwarten ist, hat McKinsey es aber nicht bei der 'Verbesserung der afrikanischen Verhältnisse' zugunsten der armen, dort lebenden Menschen belassen, sondern im Sinne des viel beschworenen Win-Win auch mögliche Investoren darauf verwiesen, dass in der Landwirtschaft Afrikas unerschlossenes Potenzial darauf wartet, von investitionsfreudigen wachstumsorientierten Unternehmen, aus- oder eben abgeschöpft zu werden.
Dafür notwendig sind laut McKinsey massenweise Düngemittel, "verbessertes" Saatgut und viele Millionen Dollar an Investitionen, so die Unternehmensberatung laut ihrer Einschätzung in "Winning in Africas agricultural market". Der Beratungskonzern weiß auch, wie man das zur "Verbesserung" notwendige Saatgut vor Ort auch an den kleinen Mann bringen kann, beispielsweise in geringeren Mengen für den schmaleren Geldbeutel oder mit afrikanisch klingendem und aussehendem Branding. Und damit auch die Investoren etwas davon haben, muss der abgeschöpfte Teil selbstverständlich von der womöglich allzu hungrigen Bevölkerung abgezweigt werden, wofür Infrastruktur wie Straßen und Häfen ebenso benötigt wird wie die "Verbesserung der Politik und der regionalen Handelsströme".
Genau diese Art des Abschöpfens auf Kosten der lokalen Subsistenzlandwirtschaft wurde in Äthiopien durch die im Jahr 2010 gegründete Agricultural Transformation Agency (ATA) ermöglicht, die wiederum zurückgeht auf ein Treffen zwischen Premierminister Meles Zenawi und Melinda Gates im Jahr 2009.
Schwamm drüber, dass das Beispiel Äthiopiens nach rund zehn Jahren ATA-Praxis zeigt, dass auch diese Initiative der Bevölkerung weitaus weniger zugutekommt, als von den Urhebern behauptet, dass die ATA ihre Arbeit vorsätzlich von jeglichem demokratischen Mandat isoliert und die damit eingeführten Bedingungen der Agrarindustrialisierung eine Kette von politischen Ereignissen auslösten, die laut Beobachtern zu dem aktuellen blutigen Konflikt in Äthiopien geführt haben.
Im Jahr 2021 ist es Zeit, noch mehr Milliarden in die Afrikanische Agricultural Transformation Initiative (AATI) zu stecken, eine gemeinsame Initiative der Bill & Melinda Gates Foundation, McKinsey & Company, der IFAD und der vielerorts unerwünschten "Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika" (AGRA), die diese Erfahrungen auf andere Teile des Kontinents ausweiten soll.
Statt der Forderung internationaler Experten und lokaler Stimmen, darunter die Allianz für Ernährungssouveränität in Afrika, Dr. Vandana Shiva und vielen anderen, bessere Möglichkeiten für lokale Ansätze der Agrarökologie zu bieten, die durch weniger teures Zutun reichhaltigere, nahrhaftere Lebensmittel liefern, die Umwelt schützen und ein gerechteres Ernährungssystem schaffen können, dürfen sich Akteure wie Bill Gates, die US-Regierung und nun auch die unter anderem für wahrscheinliche Kriegsverbrechen kritisierten Vereinigten Arabischen Emirate bei den UN-Klimagesprächen in Glasgow als Heilsbringer inszenieren.
Zusammen haben sie eine Mission zur vermeintlichen "Abwendung der katastrophalsten Auswirkungen des Klimawandels" ins Leben gerufen, die Agriculture Innovation Mission for Climate (AIM for Climate). Die AIM wird bisher von mehr als 30 Ländern und 40 NGOs unterstützt, Regierungen aus Europa, Asien und Afrika haben sich bereit erklärt, die öffentlichen und privaten Investitionen in die "klimafreundliche Landwirtschaft" zu erhöhen.
Wie der ehemalige Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, Oliver de Schutter, schon vor Jahren sagte, scheitert die agrarökologische Alternative nicht an einem Mangel an Beweisen, sondern an der "Diskrepanz zwischen dem enormen Potenzial, die Ergebnisse in allen Lebensmittelsystemen zu verbessern, und dem viel geringeren Potenzial, Gewinne für die Agrarindustrie zu erzielen."
Unterm Strich kann ein Teil des Gipfels in Glasgow eher als Geburtstagsgeschenk an die seit kurzem 60-jährige Agentur USAID, den seit Ende November 66-jährigen Bill Gates und die 50-jährige CGIAR angesehen werden, denn als "revolutionär", "grün", klima- oder menschenfreundlich.
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