Spahns PR-Trick: "Epidemische Lage" beenden – Corona-Maßnahmen beibehalten
von Kaspar Sachse
Die Liste der medialen Aufreger von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn während der Corona-Krise nimmt auch zum Ablauf seiner Amtszeit kein Ende. Erst zu wenig, dann viel zu viele Masken besorgt, die gefloppte Corona-Warn-App, Spenden-Dinner samt Corona-Infektion in Leipzig.
Dazu steht sein Ministerium wegen unbezahlter Beschaffungsdeals vor Gericht. Orchestriert wird das Ganze oft von großartigen grammatikalischen und rhetorischen Ergüssen. Unvergessen der freudsche Versprecher im Frühsommer 2020 bezüglich der Corona-Tests:
"Wir müssen jetzt aufpassen, dass wir nicht nachher durch zu umfangreiches Testen – klingt jetzt total ... da muss man erstmal um zwei Ecken denken – durch zu umfangreiches Testen zu viele falsch Positive haben. Weil die Tests ja nicht 100 Prozent genau sind, sondern auch eine kleine, aber eben auch eine Fehlerquote haben. Und wenn sozusagen insgesamt das Infektionsgeschehen immer weiter runtergeht, und Sie gleichzeitig das Testen auf Millionen ausweiten, dann haben Sie auf einmal viel mehr falsch Positive."
Das RKI, das dem Gesundheitsministerium untersteht und dessen R-Werte, Neuinfiziertenzahlen oder Sieben-Tage-Inzidenzen monatelang zur besten Sendezeit über deutsche Bildschirme flackerten, verkündete vor zwei Wochen, dass quasi über Nacht die Impfquote in Deutschland wegen bislang fehlender Meldungen Geimpfter an das RKI bei Erwachsenen um 5 bis 10 Prozent gestiegen sei.
Einerseits sind dem RKI also Millionen deutscher Geimpfter monatelang durch die Lappen gegangen, anderseits kann es aber die Sieben-Tage-Inzidenz auf die Kommastelle genau und im Vergleich zum Vortag berechnen. Diese liegt am Mittwoch übrigens bei 80,4. Am Vortag war sie noch bei 75,1. Ob infektiöse Masken oder die Güte von PCR-Tests, Spahn ging und geht seinen eigenen Weg durch die Krise:
"Die Realität ist aber sehr viel komplizierter. Es geht nicht um absolute Wahrheiten."
Das hat sich auch am Montag gezeigt: Da hatte Spahn das Auslaufen der "epidemischen Lage von nationaler Tragweite" gefordert. Sie war im März 2020 mit einer von Spahns Bundesministerium für Gesundheit erarbeiteten Formulierungshilfe vom Bundestag beschlossen und mehrfach verlängert worden, zuletzt im August dieses Jahres.
Sie ist die Grundlage für die zahlreichen Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens und der Grundrechte, womit die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 und der von ihm laut Weltgesundheitsorganisation WHO ausgelösten Krankheit COVID-19 gebremst werden soll.
Der Gesundheitsminister soll gegenüber seinen Länderkollegen laut Bild gesagt haben: "Damit wird ein seit dem 28. März 2020 und damit mithin seit fast 19 Monaten bestehender Ausnahmezustand beendet."
Doch gleichzeitig erklärte er, dass die sogenannten 3G- und AHA-Hygiene-Regeln in Innenräumen "unbedingt weiter nötig" seien. "Wir kommen vom Ausnahmezustand also in einen Zustand besonderer Vorsicht", wird der Minister zitiert. Und:
"Der Normalzustand wird aus heutiger Sicht erst im Frühjahr nächsten Jahres möglich sein."
Das bestätigt ein Bericht der Bild vom Mittwoch. Dort wurde geschildert, wie Spahn in einem Brief an die Spitzen von SPD, Grüne und FDP – die momentan Sondierungsgespräche für eine mögliche Ampelkoalition führen – vom 15. Oktober schrieb:
"Die epidemiologische Lage bestätigt die weitere Notwendigkeit dieser Maßnahmen in diesem Herbst und Winter."
Es sei "unbedingt erforderlich, dass insbesondere die Rechtsgrundlage des § 28a Infektionsschutzgesetz (IfSG) weiterhin durch die Länder und Kommunen angewendet werden kann".
Übersetzt heißt das: Wir geben der Sache einen anderen Namen, lassen aber sonst alles beim Alten. Wie das funktioniert, erklärt Susan Bonath:
"Nun mag sich mancher fragen, wie man Grundrechte mit 2G oder 3G, mit Abstandsregeln und Maskenpflicht ohne epidemische Notlage weiter beschränken kann? Möglich macht es das am 18. November geänderte IfSG. Eingefügt wurde beispielsweise der neue Paragraf 28a. Darin heißt es im letzten Abschnitt:
Nach dem Ende einer durch den Deutschen Bundestag nach § 5 Absatz 1 Satz 1 festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite können die Absätze 1 bis 6 auch angewendet werden, soweit und solange die konkrete Gefahr der epidemischen Ausbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) in einem Land besteht und das Parlament in dem betroffenen Land die Anwendbarkeit der Absätze 1 bis 6 für das Land feststellt.
Bleibt also zukünftig auch ohne Jens Spahn als Gesundheitsminister "alles beim Alten"? Mit Blick auf den möglichen neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach scheinen sich sogar noch ganz andere Optionen aufzutun. Doch wie auch immer, mit einer Aussage hatte der scheidende Gesundheitsminister bereits im April 2020 definitiv recht:
"Wir werden einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen in ein paar Monaten"
Wie wahr, wie wahr, Jens!
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