von R. M. Huffman
In den Vereinigten Staaten, in Großbritannien und Teilen Europas hat sich eine heimtückische Haltung gebildet, die von Politikern, Experten und – am beunruhigendsten – Ärzten befeuert wird: Dass Ungeimpften, die sich mit COVID-19 infizieren, eine medizinische Versorgung verweigert werden soll. Dies würde einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen und grundlegende Grundsätze der medizinischen Praxis im Kern erschüttern.
Die ehemalige US-Senatorin aus Missouri Claire McCaskill fordert, dass die Versicherungsbeiträge der Ungeimpften erhöht werden. Piers Morgan, ein britischer TV-Prominenter, verlangt auf seinem von fast acht Millionen Menschen gefolgten Twitter-Account, dass das britische Gesundheitssystem den Ungeimpften Krankenhausbetten verweigern soll. Ein Notarzt in Arizona antwortete auf einen Videoclip in den sozialen Medien, der Menschen ohne Mundschutz in einem Lebensmittelgeschäft zeigt, mit "Lasst sie sterben". Ein Chirurg in Massachusetts schlägt vor, dass die Ablehnung eines COVID-19-Impfstoffs durch einen Patienten von Ärzten generell als Anweisung zum "nicht Intubieren/nicht Wiederbeleben" betrachtet werden sollte.
Das sind keine privaten Gedanken oder Gespräche unter Kollegen: Das sind Aufrufe zum Handeln, geteilt in den sozialen Medien, gerichtet an die Öffentlichkeit. Und dies sollte uns erschrecken.
Primum non nocere: Füge erstens keinen Schaden zu
Ärzte setzen diese verbalen Angriffe bereits in Taten um. Mediziner in Florida veranstalteten einen Warnstreik, frustriert darüber, dass sich ihre Krankenhäuser mit COVID-19-Patienten füllen. Eine COVID-19 Task Force in Texas sah sich gezwungen, einen Vorschlag zur Zuweisung von Intensivbetten nach Impfstatus und nicht nach Bedarf zurückzuziehen. Ein Hausarzt in Alabama trennte sich von allen Patienten, die sich gegen eine Impfung entschieden hatten, egal ob sie krank waren oder nicht.
Die medizinische Gemeinschaft im Westen steht am Rande eines ethischen Fehlverhaltens, und im Interesse der Gegenwart und der Zukunft der Patienten müssen wir einen Schritt zurücktreten und uns daran erinnern, warum und weshalb wir unsere Arbeit als Mediziner machen.
Ein grundlegender Grundsatz der medizinischen Praxis ist die Nicht-Schädigung des Patienten, im Lateinischen primum non nocere – erstens, füge keinen Schaden zu. In einer Fernsehansprache am 2. Juni dieses Jahres erklärte US-Präsident Joe Biden zu den drei verfügbaren COVID-19-Impfstoffen: "Das Fazit ist Folgendes – und ich verspreche es Ihnen: Die Impfstoffe sind sicher. Sie sind sicher". Diese Botschaft wurde unwidersprochen von unzähligen gewichtigen Stellen wiederholt, von Krankenhausverwaltungen, die Impfungen für Mitarbeiter anordnen, bis hin zu Berufsorganisationen: "Der Impfstoff ist sicher".
Um es deutlich zu machen: Ich glaube, dass Impfungen eine der wichtigsten therapeutischen Innovationen in der Geschichte der Medizin sind. Impfstoffe haben Millionen und Abermillionen von Leben gerettet. Das gesagt, glaube ich aber auch, dass diese COVID-19-Impfstoffe mit ihren neuartigen Wirkmechanismen der Öffentlichkeit als Allheilmittel, als "Idiot, wenn man sie ablehnt", als "Nagel im Sarg des Coronavirus" vorgestellt wurden, was unaufrichtig, übertrieben und durch die vorhandenen Daten einfach nicht gerechtfertigt ist.
Es gibt einige Hinweise darauf, dass die vorhandenen Impfstoffe gegen COVID-19 möglicherweise nicht für alle Patienten völlig sicher sind. VAERS (Vaccine Adverse Event Reporting System) – die staatliche Meldestelle für unerwünschte Nebenwirkungen von Medikamenten der US-Regierung – weist darauf hin, dass unerwünschte Nebenwirkungen zwar äußerst selten sind, aber Erscheinungen wie Gesichtslähmungen, Entzündungen des Herzmuskels, Blutgerinnsel und sogar Tod gemeldet wurden. Dies wird jedoch weitgehend mit der Begründung abgetan, dass die VAERS Erfassung von Fällen mit Nebenwirkungen keine Kausalität zur Impfung aufzeigen kann und dass es sich bei den gemeldeten Nebenwirkungen um Einzelfälle handelt – so wie jener einer 44-jährigen BBC Moderatorin, die kurz nach der Impfung starb – und das mag sogar zutreffen.
Nebenwirkungen eines Medikaments müssen gründlich untersucht werden
Allerdings dürfen medikamentöse Therapien, insbesondere neuartige, nicht als "unschuldig bis zum Beweis der Schuld" behandelt werden. Vielmehr müssen alle möglichen unerwünschten Nebenwirkungen eines Medikaments gründlich und formell untersucht werden, da der Schaden, der angerichtet wird, manchmal schlimmer ist, als man sich vorgestellt hat, wie der Pharmakonzern Merck Anfang der 2000er Jahre mit dem zugelassenen Schmerzmittel Vioxx feststellen musste. Untersuchungen, die in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht wurden, schätzten, dass 88.000 Amerikaner durch die Einnahme von Vioxx einen Herzinfarkt erlitten und 38.000 von ihnen starben.
Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass die COVID-19-Impfungen auch nur annähernd so gefährlich sind. Aber das allgemeine Negieren ihrer potenziellen Gefahren durch die medizinische Gemeinschaft bis hin zur Auferlegung von Impfvorschriften für junge und gesunde Bevölkerungsgruppen wie die des US-Militärs, ist ein Verrat am Prinzip des primum non nocere und wird Leben kosten.
Keine medizinische Therapie ist ohne Risiko, aber die Einwilligung nach gründlicher Aufklärung – ein weiteres Grundprinzip der Medizin – verlangt, dass der Patient selbst über die kleinsten Risiken aufgeklärt werden muss. Ein winziger Prozentsatz der von Nebenwirkungen Betroffenen bedeutet keine unbedeutende Zahl. Mindestens 6.000 Todesfälle, die auf freiwillige COVID-19-Impfungen gemäß VAERS bisher auf die Impfungen zurückzuführen sind, sind doppelt so viele Opfer wie die Todesfälle durch die Anschläge vom 11. September. Sowas lässt sich nicht einfach mit dem Argument der "statistischen Signifikanz" beiseiteschieben.
Im vielleicht verantwortungslosesten Fall der Nichtbeachtung von Risiken hat das amerikanische Institut für Geburtshilfe und Gynäkologie und die Gesellschaft für Frauen- und Fetale Medizin unmissverständlich erklärt, dass die "Impfung vor, während oder nach der Schwangerschaft sicher ist", wohl wissend, dass es keine Langzeitstudien und Daten gibt, die diese Behauptung stützen würden.
In der Medizin gibt es viele Umstände, bei denen ein vernachlässigbares Risiko dennoch zu drastischen Maßnahmen führt. Jeder Anästhesist wird das Risiko eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls in sein präoperatives Gespräch mit einem Patienten einbeziehen, egal wie viele tausend ereignislose Anästhetika er oder sie verabreicht hat. Ärzte haben sich in der Vergangenheit mit einem verschwindend geringen Risiko beschäftigt und konzertierte Anstrengungen unternommen, um den Patienten entsprechend zu informieren und zu schützen. Unser kollektives Versäumnis, im Fall neuartiger COVID-19-Impfstoffe dasselbe zu tun, ist skrupellos und verwirrend.
Pflege nach Bedarf, nicht nach Verdienst
Man könnte dem entgegenhalten, dass diese Verhaltensweisen andere nicht gefährden, im Gegensatz zu einem fehlenden Schutz vor einer übertragbaren Krankheit. Wenn wir die Tatsache ignorieren, dass COVID-19-Impfstoffe nicht sterilisieren und nicht gegen eine Übertragung absichern: Werden wir diesen Standard auf schwule Männer mit AIDS anwenden? An intravenöse Drogenkonsumenten mit Hepatitis C? An Sexarbeiterinnen mit sexuell übertragbaren Krankheiten? An betrunkene Autofahrer, die tödliche Autounfälle verursachen? Sobald medizinisches Pflegepersonal sich zu Schiedsrichtern erklärt, wer eine Behandlung verdient und wer nicht, gibt es kein Prinzip mehr, das eine solche Selbsternennung auf "nur ungeimpfte COVID-19-Patienten und nur bis die Pandemie überwunden ist" beschränkt. Es ist eine erschreckende Aussicht.
Für Ärzte, Pflegepersonal und alle an der medizinischen Versorgung Beteiligten ist das, was wir tun müssen, einfach: den Patienten behandeln. Den Gefäßkranken behandeln, der seinen sechsten Bypass am Herzen bekommt und immer noch zwei Packungen Zigaretten pro Tag raucht. Die Patientin mit chronischen Schmerzen behandeln, die dreimal mehr wiegt, als ihr Skelett tragen kann. Das Gangmitglied behandeln, das sich auf der Flucht vor der Polizei das Handgelenk gebrochen hat und mit seinem Auto in das Auto einer fünfköpfigen Familie gekracht ist und vier von ihnen tötete. Den Betrunkenen behandeln, der zum wiederholten Mal in die Notaufnahme geliefert wird. Den Mann behandeln, der eine Taschenlampe so weit in seinen Anus geschoben hat, dass er operiert werden muss, um diese zu entfernen. Alle mit der gleichen hervorragenden Sorgfalt behandeln, die man jedem anderen bieten würde, den Ungeimpften genauso wie den Geimpften. Das habe ich bisher getan und werde es auch weiterhin tun.
Wir bieten Pflege nach Bedarf, nicht nach unserer eigenen Vorstellung davon, wer sie verdient. Schütteln wir den Kopf frei vom Nebel der Frustration, der im Zuge der COVID-19-Pandemie aufgezogen ist. Denken wir daran, warum wir diesen undankbaren, schwierigen und ehrenhaften Beruf gewählt haben. Mach wir unseren Job.
Und wenn man es nicht tun kann, dann sollte man bitte etwas anderes tun.
R. M. Huffman ist Arzt, Autor und Kulturbeobachter. Übersetzt aus dem Englischen.
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