Michel, wach auf! – Die USA waren schon immer so
von Arthur Buchholz
Die Flitterwochen waren kurz, und die Realität hält Einzug in die deutsch-amerikanische Freundschaft. Und nichts symbolisiert die Blase, in der sich vor allem deutsche Journalisten befinden, besser als der Kommentar von Katrin Brand aus dem ARD-Studio in Washington.
"Von dem Joe Biden, der sich im Wahlkampf als einfühlsamer Weltbürger präsentierte, ist nach dem Afghanistan-Debakel nichts mehr übrig. Schlimmer noch: Mit seiner Strategie hat er nicht mal Erfolg. Das wird sich rächen."
Zuerst einmal: Man muss schon eine ganz besonders naive Art von Mensch sein, um zu denken, dass der Präsident bei allem, was Auslandseinsätze angeht, irgendwie allein das Sagen hätte. Ich denke, Frau Brand hat noch nie vom militärisch-industriellen Komplex gehört. Oder davon, dass der aktuelle Verteidigungsminister im Vorstand von Raytheon saß.
Der Auslandseinsatz in Afghanistan war, so behaupten ganz böse Zungen, ohnehin nie mehr als ein Mittel, die Armee mit Kampferfahrung zu versorgen und das neueste Material der Kriegswirtschaft in realistischer Umgebung zu testen. So etwas steigert ja die Absatzchancen.
WikiLeaks – eine Quelle, die Frau Brand sicher nicht konsumiert – zeigte eine Anfrage aus Schweden, dessen Streitkräfte ihren Mehrzweckkampfflieger "Gripen" nach Afghanistan schicken wollten, um die "Marktfähigkeit" zu steigern.
Schließlich unkt Frau Brand noch, Bidens Afghanistanstrategie werde keinen Erfolg haben? Könnte Frau Brand dann vielleicht auch nachliefern, welches Land als erfolgreiches Beispiel für US-Interventionismus gilt? Libyen? Syrien? Irak? Nicaragua?
Aber lesen wir weiter bei Frau Brand:
"Vor sieben Monaten ist Joe Biden ins Amt gekommen, und es ist Zeit zu fragen: Ist das tatsächlich der Mann, den die US-Amerikanerinnen und -Amerikaner gewählt haben? Der Mann, den wir aus dem Wahlkampf kennen, war ein Seelchen. [...]
Dieser Mann, dieser nette Herr Biden, ist – schockierenderweise – weg. Verschwunden. Wir sehen einen Präsidenten, der mit dem Finger auf andere zeigt und behauptet, die Afghanen seien eben selber Schuld, und überhaupt habe er das Problem Afghanistan nur geerbt. Der die Warnungen vor dem drohenden Zusammenbruch ignorierte – ja, es gab sie – und den Abzug innerhalb weniger Monate durchzog."
Das Einzige, was mich schockiert, ist, dass in einem so wichtigen Studio wie Washington ein Seelchen wie Frau Brand sitzen kann. Da wundert man sich auch nicht mehr über die Qualität der Berichterstattung. Weiß diese Frau denn nicht, wie Wahlkampf funktioniert? Frau Brand, fragen Sie doch mal in den oben genannten Ländern nach zur Bündnistreue der USA, eventuell ergeben sich da ganz neue Perspektiven!
Auch die knallharten Transatlantiker kommen aus dem Staunen nicht mehr raus. "Das hat für das transatlantische Verhältnis weitreichende Folgen, die im Einzelnen noch nicht absehbar sind", sagt zum Beispiel der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen.
Von Heiko Maas hört und sieht man derweil wenig. Warum sitzt er nicht schon im Flieger nach Washington und bedrängt seinen Amtskollegen mit Fragen?
Man möchte alle Journalisten und Politiker mal kräftig schütteln und laut zurufen: Wacht endlich auf! Die USA kennen nur ein "vitales Interesse", wie es auf Neudeutsch so schön heißt, und das sind die USA. Denn die USA brauchen keine Verbündeten, sondern Basen.
Solange man auf Seiten der USA steht, geht's einem gut. Ob man auf der Seite der USA steht, entscheiden aber immer die USA.
Das heißt im Umkehrschluss natürlich nicht, dass man sich gleich mit den Russen oder Chinesen ins Bett legen muss, aber ein realistischer Blick auf die wahre Motivation kann nicht schaden.
Wenn beim nächsten Mal wieder ein armes Land mit Frieden und Freiheit beglückt werden soll, erinnern Sie sich einfach an die Worte von Egon Bahr:
"Wenn ein Politiker anfängt, über 'Werte' zu schwadronieren, anstatt seine Interessen zu benennen, wird es höchste Zeit, den Raum zu verlassen."
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