Absurdistan EU: Mit Sputnik V und QR-Code aus San Marino geht's quer durch Europa

Gleiche Impfung, verschiedene Regeln. Solange es keine EMA-Zulassung gibt, sind Sputnik-V-Geimpfte in der EU mit Ungeimpften gleichgestellt. Es gibt aber Schlupflöcher, die Reisen ohne Tests ermöglichen. Die Logik bleibt auf der Strecke.

Ein Kommentar von Lisa Nikolaev

"Vollständige Impfung. Für nur 50 Euro". So könnte eine Werbung für einen Urlaub in San Marino, einem kleinen Staat in der Mitte Italiens, klingen. Und tatsächlich, wer seit Mai dieses Jahres zweimal drei Hotelübernachtungen in der kleinen Republik bucht, kann sich dort auch impfen lassen.

Die Geschichte hat allerdings einen Haken. Denn es geht um den in der EU nicht zugelassenen Impfstoff Sputnik V. San Marino stand im Februar ohne Vakzin da und hat sich schnell für den Impfstoff aus Russland entschieden. "San Marino, ein Zwergstaat innerhalb Italiens, schürt den Neid mit schnellem, von Russland geliefertem Impfstoff", schrieb damals die Washington Post.

Inzwischen ist fast die gesamte Bevölkerung komplett geimpft. San Marino ist kein Mitglied der EU, daher braucht das Land keine Sondergenehmigung, um Sputnik V zu verwenden. Was ist aber mit den Menschen in San Marino, die mit dem russischen Impfstoff geimpft wurden? Oder mit Touristen, die sich dort haben impfen lassen?

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat Sputnik V bisher nicht für die Europäische Union zugelassen. Ist also "die Impfung aus San Marino" in der EU nicht gültig? Die EMA hat das sogenannte schnelle Rolling-Review-Verfahren für Sputnik V bereits im März eröffnet. Doch die Experten prüfen noch immer. Inzwischen ist das russische Vakzin in mehr als 60 Ländern zugelassen und wird in Ländern wie Argentinien oder Indien sogar hergestellt.

Aber selbst Veröffentlichungen in renommierten Fachzeitschriften wie Lancet und Nature können die europäischen Behörden nicht von der Wirksamkeit des russischen Vakzins überzeugen. Es ist daher überhaupt nicht abzusehen, wann und ob eine Zulassung erfolgen könnte. Mit Sputnik V geimpfte Russen, die zum Beispiel nach Deutschland einreisen, gelten dort noch immer als ungeimpft und müssen sich mehreren PCR-Tests vor oder nach der Einreise unterziehen.

Allerdings erweisen sich die einheitlichen Regeln als nicht so einheitlich und nicht für alle gleich gültig. "Quod licet Iovi, non licet bovi" – Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt, das wussten schon die alten Römer. Während einige Länder auf die gegenseitige Anerkennung von Coronavirus-Impfstoffen warten, macht die EU im Stillen für andere Länder Ausnahmen.

Noch vor kurzem sagte Dmitri Peskow, der Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, bei einer Telefonkonferenz, es gebe noch keine Lösung für diese Herausforderung, aber man sei sich der Existenz dieses Problems bewusst. Die Bürger von San Marino sind jedoch inzwischen stolze Besitzer von internationalen Impfpässen mit dem in der EU anerkannten QR-Code. Dieses Digitalzertifikat ist ein Nachweis dafür, dass man gegen COVID-19 geimpft wurde. Auch Russland hat verpflichtende QR-Codes für Geimpfte eingeführt. Wer möchte, kann sie sogar in englischer Sprache ausdrucken oder herunterladen.

Lassen Sie uns ein Experiment durchführen. Versuchen wir, diesen QR-Code mit der von der EU akzeptierten App CovPass einzuscannen. Doch der Versuch scheitert. "Der QR-Code wurde nicht erkannt. Der QR-Code gehört nicht zu einem digitalen COVID-Zertifikat der EU", meldet die App.

Das digitale Zertifikat aus San Marino funktioniert hingegen einwandfrei. "Das digitale COVID-Zertifikat von San Marino ist ein wichtiges Instrument, das die Republik an die von der EU verwendeten technologischen Standards anpasst und eine vollständige Interoperabilität sicherstellt und gleichzeitig eine 'universelle' Zertifizierungsmethode auf Basis der Blockchain-Technologie hinzufügt", sagte Lorenzo Spadoni, Präsident am Institut für Innovation der Republik San Marino nicht ohne Stolz. Gleiche Impfung, verschiedene Regeln.

Inzwischen darf ein weiterer Staat, diesmal sogar ein EU-Mitgliedsland, die in der EU gültigen QR-Codes an seine Bürger herausgeben -  obwohl diese Bürger mit dem russischen Impfstoff geimpft wurden. Die Rede ist von Ungarn. 

Seit dem 15. Juni gibt es eine digitale Version des ungarischen Immunitätsausweises, die allen EU-Vorschriften entspricht. Alles eine Frage der Auslegung also. Denn laut der EU-Vereinbarung über die digitalen COVID-19-Zertifikate wird es einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen, ob sie nicht von der EMA zugelassene Impfstoffe einsetzen wollen oder nicht.

Seit dem 1. Juli ist das digitale EU COVID-Zertifikat auch in Ungarn anerkannt und mit dem ungarischen Impfpass gleichgestellt. Das ungarische COVID-Zertifikat ist wiederum mit dem digitalen COVID-Zertifikat der EU kompatibel. So können sich ungarische Bürger frei in der EU bewegen. Sollte man meinen. Der Teufel steckt aber wie immer im Detail. Denn das Impfzertifikat der EU, welches das Reisen innerhalb der Union vereinfachen soll, gilt eben nur für in der EU zugelassene Impfstoffe und somit nicht für Sputnik V. Jedes EU-Land entscheidet weiterhin, wie es damit umgeht. Deutschland zum Beispiel verlangt bei der Einreise von mit Sputnik V Geimpften einen zusätzlichen PCR-Test. EU-Zertifikat hin oder her.

Noch im April haben die ungarischen Behörden Daten zu einer Reihe von Impfstoffen veröffentlicht, darunter Sputnik V, Pfizer und AstraZeneca. Hierbei hat das russische Vakzin die besten Ergebnisse erzielt. Sputnik V weist pro 100.000 Geimpften mit 95 Infektionen und Todesfällen die niedrigste Zahl auf, bei Pfizer sind es 555 und bei AstraZeneca 700.

Es wäre demnach nur logisch anzunehmen, dass Ungarn seine Grenzen für mit Sputnik V geimpfte Russen öffnet. Dies ist jedoch nicht der Fall. Man hatte zwar während der Fußball-Europameisterschaft die Einreisebestimmungen für russische Fußballfans gelockert, jedoch nicht für Geimpfte, sondern nur für diejenigen, die eine Bescheinigung vorzeigen konnten, dass sie von einer COVID-19-Erkrankung genesen sind. Aber Bulgarien, welches Sputnik V gar nicht einsetzt, nimmt gerne russische Touristen mit einer russischen Impfung auf, ohne von ihnen zusätzliche Tests zu verlangen.

Der Fairness halber sollte angemerkt werden, dass auch Russland bis jetzt die in der EU gültigen Impfstoffe nicht anerkennt. So haben Ausländer, die zum Beispiel in Moskau arbeiten und mit Pfizer oder AstraZeneca geimpft sind, die gleichen Schwierigkeiten wie die mit Sputnik V geimpften Russen in der EU. Das Impfchaos geht also weiter.

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