Wie man Demokratie verhindert: Ein paar Worte über NGOs
von Dagmar Henn
Irgendwie gelten sie als die Guten: die NGOs, oder Nicht-Regierungsorganisationen, wie man auf Deutsch sagt. Darum lässt es sich auch leicht skandalisieren, wenn irgendwo ihre Tätigkeit eingeschränkt wird. Allerdings finden sich unter diesem Etikett völlig verschiedene Organisationen, und während bei klassischen Vereinen und Verbänden relativ klar ist, wer dahinter steht und wessen Interessen vertreten werden, ist das bei vielen NGOs nicht so leicht zu erkennen. Auffällig ist allerdings, dass im Verlauf der letzten Jahrzehnte Organisationen, die von Großspendern abhängig sind oder gleich direkt von ihnen betrieben werden, immer mehr Einfluss gewinnen.
Der Begriff besagt oft nicht einmal das, was er besagen soll. Die Auslandsstiftungen der deutschen Parteien gelten im Ausland auch als NGOs, obwohl ihre Mittel vollständig vom Auswärtigen Amt stammen. Auch wenn man die Strukturen betrachtet, die im Verlauf der letzten Jahre beispielsweise mit der Internetzensur beauftragt wurden, wie Correctiv, handelt es sich dabei um vorwiegend staatlich finanzierte Akteure; und in den Fällen, in denen staatliche Mittel keine Rolle spielen, treten an deren Stelle Großspenden. Für die Spender hat das einen doppelten Nutzen – zum einen können sie ihre Spenden steuermindernd geltend machen, zum anderen können sie die betreffenden Organisationen letztlich in ihrem eigenen Interesse einsetzen.
Als der Begriff NGO aufkam, ging es unter anderem um die Einbindung von realen Organisationen realer Menschen wie z. B. von Gewerkschaften, Berufs- oder Frauenverbänden in die Debatten innerhalb der Vereinten Nationen, die ja grundsätzlich aus Regierungen bestehen. Damals war das eine nötige und sinnvolle Erweiterung, die es ermöglichte, soziale und soziokulturelle Entwicklungen früher aufzugreifen. Schließlich umfasst die Menschenrechtscharta der UN nicht nur politische, sondern auch soziale Menschenrechte.
Innerhalb der BRD galt dieser Begriff bis in die 1980er Jahre schlicht für die vorhandenen Vereine und Verbände. Sie wurden üblicherweise von jenen finanziert, deren Interessen sie vertraten. Der Regelfall war tatsächlich eine demokratische Binnenstruktur, bei der sich eventuell vorhandene hauptamtliche Apparate den inhaltlichen Entscheidungen der ehrenamtlichen Führung unterzuordnen hatten, zumindest in der Theorie. Eine Vorgabe, die so auch für die Parteien gilt, die juristisch in Deutschland eine Sonderform des Vereins sind.
Der Wellenbrecher für die Etablierung des Mythos der NGO als einer neuen Form des Guten war Greenpeace. Die Aktionen, die die Organisation bekannt machten, waren spektakulär und erzielten ein – im Verhältnis zum Aufwand – ungeheures Medienecho. Jeder Verein, der sich jahrelang zu seinem Thema abmühte, wurde da blass vor Neid. Greenpeace schien gerade für die Jüngeren das Versprechen, Themen schneller auf die Tagesordnung setzen zu können, als das durch die bekannten demokratischen Strukturen der vorhandenen Verbände möglich war, die wesentlich langsamer auf Veränderungen reagierten.
Diese Langsamkeit war allerdings eine Folge der demokratischen Struktur, und die Schnelligkeit und Effizienz, die Greenpeace ausstrahlte, eine Folge dessen, dass diese Organisation nur sehr begrenzt als demokratisch betrachtet werden kann.
Demokratische Entscheidungen sind, das kann jeder bestätigen, der zumindest schon einmal in einem Verein aktiv war, naturgemäß langsam. Solange die Struktur tatsächlich demokratisches Leben aufweist, die Mitglieder also aktiv inhaltlich mitbestimmen wollen, muss überzeugt werden, bis eine Mehrheit eine Position unterstützt. Im Gegensatz dazu können zentral gelenkte Organisationen sehr schnell bestimmte Entscheidungen treffen und umsetzen. Allerdings funktioniert das für gesellschaftliche Prozesse nicht, in denen unterschiedliche Interessen aufeinanderstoßen, und in denen sich Einstellungen in der Breite verändern müssen, um bestimmte Veränderungen zu erreichen.
In der Praxis ist jede Organisation gezwungen, eine Balance zwischen Demokratie und Effizienz zu finden. Dass gerade in den 1980er Jahren der Glaube an die Effizienz ohne Demokratie in der BRD so um sich greifen konnte, hatte zwei Gründe. Der eine war die beginnende neoliberale Seelenmassage, die – klar im Interesse der großen Konzerne, die ja völlig demokratiefreie Zonen sind – die Vorstellung verbreitete, privat sei immer besser als öffentlich, wegen der höheren Effizienz. Der andere war die Erfahrung der Protagonisten der 68er Revolte, mit ihren Vorstellungen von Veränderung geradewegs gegen die Wand gelaufen zu sein.
Eine zentralistische Organisation, die keine demokratischen Prozesse beachten muss, lässt sich natürlich auch leichter an die Vorgaben einer Medienlandschaft anpassen, die von PR beherrscht wird. Was getan wird, und wie es getan wird, ist nicht mehr Ausdruck der Bedürfnisse der Beteiligten, sondern wird von der möglichst großen medialen Reichweite bestimmt. Die spektakulären Aktionen, die Greenpeace so viel Bewunderung eintrugen, waren eine Mischung aus Kommandoaktion und Werbekampagne, deren Ziel mindestens ebenso sehr in der Erzeugung von Spendenbereitschaft lag wie in der Vermittlung einer inhaltlichen Botschaft.
Die Spender sind bei Greenpeace und anderen Organisationen, die einem ähnlichen Muster folgen, völlig von den Entscheidungen abgekoppelt. Sie dürfen sich zwar so fühlen, als hätten sie etwas Gutes getan, aber die Definition, worin dieses Gute besteht, entzieht sich ihrem Einfluss. Letztlich wird damit die eigentlich auch mit der Spende angestrebte politische Handlung eingedampft auf eine Kaufentscheidung und an die Stelle der Teilnahme an politischen Prozessen tritt eine Wahl zwischen zu konsumierenden Produkten.
Traditionelle Organisationsformen wie etwa die Gewerkschaften gingen davon aus, dass die Mitglieder nicht nur Finanzquelle, sondern ebenso Handelnde und Entscheidende sind. So sieht es auch das deutsche Vereinsrecht vor; weshalb man bei den neuen Formen der NGOs oft zwei Vereine findet; einen kleinen mit handverlesener Mitgliedschaft, der in sich demokratisch ist und die Entscheidungen trifft, und einen großen, einen Förderverein, der die Gelder einsammelt und dessen Mitglieder keinerlei Mitbestimmungsrechte haben.
(Wer ein Beispiel für diese Organisationsform sehen will, kann das auf der Webseite von Campact tun. Der eigentliche Verein, der die politische Richtung bestimmt, hat ganze zwölf Mitglieder... das Fußvolk darf spenden und die Kampagnen ausführen.)
Die Erfolge, die das Modell Werbekampagne mit angeschlossener Spendenbüchse dabei erzielte, politische Themen zu setzen, führten dazu, dass sich auch in den Gewerkschaften und Parteien die Vorstellung der "Kampagnenfähigkeit" verbreitete; oft schlicht, weil es schwerer wurde, mit traditionell formulierten politischen Themen in der Öffentlichkeit durchzudringen. Der Preis dafür bestand in einem Verlust an innerer Demokratie und einer Verstärkung der Spaltung zwischen Berufspolitikern mit ihrem Apparat und Mitgliedern, die teils inzwischen bereits daran gewöhnt waren, Spenden und die Durchführung vorgegebener Werbemaßnahmen mit politischer Aktivität zu verwechseln.
Das waren jetzt nur die Folgen der Entstehung der ersten Generation von neuen NGOs. Inzwischen hat man es bereits mit einer zweiten Generation zu tun, die das undemokratische Modell fortführt, aber zusätzlich noch Großspender ins Spiel bringt (wie z. B. Human Rights Watch). In manchen Fällen (wie bei Amnesty International) ist eine solche NGO der ersten Generation mittlerweile zusätzlich noch in den Sog der Großspender geraten. Es ist auch wesentlich leichter, eine Organisation unter Kontrolle zu bringen oder zu korrumpieren, die nur eine Handvoll Mitglieder umfasst; bei Hunderttausenden wird das bedeutend schwerer.
Eine solche NGO der zweiten Generation legt nicht einmal mehr Wert auf einen Förderverein und dessen Mitglieder, da der Finanzbedarf für den hauptamtlichen Apparat bereits durch die Großspender gedeckt ist. Die Entscheidung, für welche Themen sie sich einsetzt, welche Aussagen sie macht, liegt logischerweise letztlich bei diesem (oder diesen) Großspendern. Vor der Erfindung der Kategorie NGO und ihrer Glorifizierung durch Greenpeace etc. wären solche Strukturen sogleich als Lobbyorganisationen für eben diese Großspender klassifiziert worden. Inzwischen werden sie aber behandelt, als hätten sie die gleiche politische Legitimität wie Gewerkschaften und ähnliche Mitgliedsorganisationen. Schlimmer noch – ihre Glaubwürdigkeit wird höher eingeschätzt als jene der Parteien, die zumindest ein Grundmaß an innerer Demokratie gehalten haben.
Wenn nun unterschiedliche NGOs, die alle am Tropf, sagen wir mal, einer Open Society Foundation des George Soros hängen, gemeinsam handeln, erweckt das den Anschein eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses, ohne dass real mehr vorhanden ist als einige Hauptamtliche und ein paar volle Konten. Im Gegensatz zu wirklichen politischen Bündnissen, in denen die Verhandlungen über die Grundlagen, über Aufrufe und Aktionen immer kompliziert, mühsam und langwierig sind, können sich diese Apparate auf einen kleinen Hinweis der Spendengeber hin leicht verständigen. Die Simulation von Politik ist leichter zu haben als das wirkliche Ding.
Das, was in der "naturwüchsigen", tatsächlich demokratischen Variante der Erfahrung und Kooperation hunderter ehrenamtlich aktiver Personen bedarf, wie die Organisation einer bundesweiten Demonstration, kann von diesen mit viel Geld versehenen Hauptamtlichenapparaten im Dienste von Oligarchen geradezu aus dem Ärmel geschüttelt werden. Die Finanzierung großer Bühnen, von Sonderzügen und Bussen, die Produktion von Flugblättern, Webseiten und Transparenten, die erforderliche Pressearbeit, alles kein Problem. Nur wirkliche Bürger, also politisch engagierte ganz gewöhnliche Menschen, wird man in diesen Zusammenhängen nicht finden.
Im Angloamerikanischen gibt es dafür den schönen Begriff "Astroturfing". Astroturf ist die Markenbezeichnung des größten Kunstrasenherstellers. Der Kunstrasen wurde zum Bild für künstlich erzeugte Bewegungen, weil der Begriff für von Mitgliedern aufgebaute Organisationen "grassroots organisation", Graswurzelorganisation ist. Gräser wachsen von unten nach oben. Kunstrasen wird von oben verlegt und sieht nur so aus, als wäre er gewachsen.
Die letzte große Astroturfing-Kampagne in der BRD war "Fridays for Future". Überhaupt ist die ganze Klimawandel-Szene voll mit NGOs der zweiten Generation; klassische Mitgliederorganisationen finden sich so gut wie überhaupt nicht. Dazu kommen dann Stiftungen und Forschungsinstitute, deren Finanzquellen erstaunlicherweise wieder die gleichen Oligarchen sind...
Ganz unabhängig von der politischen Bewertung der gesetzten Inhalte und der Frage, wessen Interessen damit durchgesetzt werden, gegen wen – unter dem Etikett NGO verbergen sich überwiegend Organisationen, die schon durch ihre Struktur und ihre Vorgehensweise für das demokratische Leben eines jeden Landes toxisch sind. Dafür müssen sie nicht einmal aus dem Ausland finanziert und gegen die Souveränität gerichtet sein. Ein Blick auf die Bertelsmann Stiftung, die NGOs, die sie fördert, das sie umgebende Netzwerk an Instituten und ihre vielfältigen Methoden, die politischen Interessen der Bertelsmann AG in der politischen Landschaft durchzusetzen, genügt.
Die Frage sollte folglich nicht sein, Handlungsfreiheit für alle NGOs zu fordern oder Länder zu kritisieren, die das Astroturfing begrenzen wollen. Die Frage lautet, wie es gelingen kann, an die Stelle der Simulation von Demokratie durch Kunstrasenstrukturen wieder eine wirkliche, lebendige, authentische Demokratie zu setzen. Oder zum Mindesten zu verhindern, in einer Art Matrix-Republik zu erwachen, in deren politischen Diskurs sich nur noch die unterschiedlichen Oligarchen bespielen.
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