Meinung

Löw, Merkel und die Leere

Die Leere – auf seine alten Tage wird Noch-Bundestrainer Jogi Löw philosophisch. Eine "gewisse Leere" erwarte ihn und Noch-Bundeskanzlerin Merkel, fürchtet Bundesjogi. Doch wir, die wir schon länger mit und in "der Leere" leben, können tröstend sagen: Ihr schafft das!
Löw, Merkel und die Leere© ESA via globallookpress.com

von Michel Fuckoh

Über "die Leere", oder besser "das Nichts", zerbrechen sich die Philosophen die Köpfe, seit es Philosophen und Köpfe gibt. Über Leibniz mit seinem "Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?" bis zu Schelling ("Warum ist nicht nichts, warum ist überhaupt etwas?") und auch Heidegger mit seinem raunenhaften "Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?" – um nur einige wenige zu nennen. Nun reiht sich auch Noch-Bundestrainer Jogi Löw in die ehrwürdige Runde der "Nichts-Ergründer" ein. In einem Gespräch mit der Zeit sagte Bundesjogi, er habe mit Noch-Bundeskanzlerin Angela Merkel über die Zeit nach der Amtszeit gesprochen, und "nach einer so intensiven Zeit" werde auf beide "wahrscheinlich eine gewisse Leere" zukommen.

Wir, die wir "die Leere" nicht auf uns zukommen sehen, sondern schon längst von ihr erfasst und eingewickelt sind (kann man von "Leere" erfasst und eingewickelt sein? Nun ja), möchten den beiden zurufen: Hey, willkommen im Club! Wird schon! Interessanterweise bekommt der immer wieder gern bemühte Mythos über Merkel, dass sie "immer alles vom Ende her denke", nun eine ganz neue Note – "die Leere" war das eigentliche Ziel, der Endzweck sozusagen. Was Löw betrifft, ist vor allem die Formulierung interessant. Er sagt nicht, "auf uns kommt eine Leere zu", nein, es ist "eine gewisse Leere". Eine unbewusste Anspielung auf die "gewisse Leere" in der Trophäenvitrine des Deutschen Fußball-Bundes? Löw, immerhin seit 2006 Bundestrainer, gewann 2014 zwar die Fußball-Weltmeisterschaft (Okay, und 2017 den FIFA-Konföderationen-Pokal, wie niedlich), doch streng genommen macht das einen ernstzunehmenden Titel in 15 Jahren Amtszeit (na gut, die EM 2021 steht noch aus, aber das wird nix, echt) – da kann man tatsächlich mal von "einer gewissen Leere" sprechen.

Bei Merkels "gewisser Leere" hingegen müssen wir gedanklich einen Haken schlagen (das kann sie ja auch sehr gut). "Die Leere", "das Nichts", lässt sich auch als die Abwesenheit von etwas, also als Mangel, beschreiben. Der utopisch-marxistische Philosoph Ernst Bloch nennt es das "Noch-Nicht-Gewordene", oder auch das "Noch-Nicht-Seiende". In diesem Duktus könnte man Merkel ein "Noch-Niemals-Vorhandenes" oder auch ein "Da-War-Nix" attestieren, eine Abwesenheit, einen Mangel an einer politischen Vision und/oder überhaupt einen politischen Gestaltungswillen, der über den reinen Zweck des Machterhalts hinausreichte. Dennoch war und ist bei Merkel alles "alternativlos". Wobei das "alternativlos" im Laufe ihrer Amtszeit durchaus zu alternativen Kapriolen neigte, es sei nur an den überraschenden Atomausstieg erinnert. Amüsant, nur am Rande, ist in diesem Zusammenhang auch, dass man den Begriff "alternativlos" in der Welt der Politik nur mit einer weiteren, ebenfalls weiblichen Staatenlenkerin verbindet – Margaret Thatcher.

Es gibt "Leere" und "Leere"

Einer ihrer Vorgänger, Helmut Schmidt, sagte zwar den berühmten Satz: "Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen". Doch er hatte immerhin in seiner schwersten Stunde, während der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer durch die RAF 1977, den Mut, in einer Sitzung des Krisenstabs von den Anwesenden zu fordern, "das Undenkbare zu denken" und durchaus auch "exotische Vorschläge" zu unterbreiten. Von Merkel "Exotik" zu verlangen, wäre hingegen ungefähr so, als würde man von Dieter Bohlen verlangen, einen einfühlsamen portugiesischen Fado zu komponieren (obwohl, rein technisch könnte er es sicher, wird oft unterschätzt der Mann). Beide, Löw und Merkel, eint, dass sie keine Freunde von Experimenten sind. Zwar überraschten beide ab und zu mit ungewöhnlichen Entscheidungen, Löw zum Beispiel 2012 mit seiner Taktik beim EM-Halbfinale gegen Italien und Merkel 2015 mit ihrer Flüchtlingspolitik, doch beides ging bekanntlich nicht so aus, wie sie sich das vorgestellt haben.

Für beide mag die kommende "Leere" eine neue Erfahrung sein, für uns ist sie es nicht. Die leeren Blicke der deutschen Fans nach der völlig verkorksten WM 2018 in Russland sind noch in guter Erinnerung. Auch die zunehmende Anzahl armer oder armutsgefährdeter Menschen in Deutschland weiß sicher etwas über "die Leere" oder "das Nichts" zu erzählen. Doch finanziell müssen sich beide keine großen Sorgen machen. Da wird es keine Leere geben – auch keine "gewisse".

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