Hausgemachte Probleme: Bundesregierung warnt vor hoher Abbrecherquote in der Pflegeausbildung
von Matthias Lindner
Die Bundesregierung will die Pflegeberufe attraktiv machen, den Personalnotstand endlich beenden, doch was sie auch tut – sie scheitert an diesem Ziel. Das Bundesfamilienministerium hatte im Oktober noch gejubelt: "Zahl der Auszubildenden in der Pflege steigt" – jetzt warnte der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, vor hohen Abbrecherquoten.
Die Auszubildenden merkten in den Einrichtungen, sagte er am Montag, dass in der Pandemie nicht die Ausbildung an erster Stelle stehe. Ausbildung sei aber keine Wertschöpfung – Zeit für Praxisanleitung müsse abgesichert werden. Zudem dürften sie nicht mit kritischen Situationen wie Sterben und unheilbaren Krankheiten alleingelassen werden. Wichtig sei, sie bei solchen Umständen aufzufangen.
Vor hohen Abbrecherquoten hatte die Dienstleistungsgewerkschaft schon im letzten Jahr gewarnt – und wurde kaum gehört. Den Grund sah sie in der Reform der Pflegeausbildung und warnte vor einem verschärften Prüfungsdruck, dem die Auszubildenden ausgesetzt sind. Das zeige sich unter anderem in der neu vorgeschriebenen Vergabe von Noten. Zuvor war es nicht üblich gewesen, dass Vornoten vergeben und Jahreszeugnisse ausgegeben werden.
ver.di befürchtete, dass noch mehr Auszubildende vorzeitig aussteigen. Die Abbrecherquote war ohnehin nicht gering: Sowohl in der Alten- als auch in der Kinderkrankenpflege beendeten 24 Prozent die Ausbildung ohne Abschluss, in der Krankenpflege 29 Prozent.
Der große Andrang blieb aus
Die Pflegebranche hätte in Deutschland eigentlich Zukunft: Die Gesellschaft wird immer älter und immer mehr Menschen gelten als pflegebedürftig. Knapp zwei Millionen Menschen galten 1999 als pflegebedürftig, Ende 2018 waren es schon gut 3,7 Millionen – Tendenz steigend.
Je älter die Menschen werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf Pflege angewiesen sein werden. Der wissenschaftliche Dienst der Krankenkasse AOK hatte im letzten Jahr seinen "Pflege-Report" veröffentlicht. Im Alter zwischen 75 und 79 Jahren ist demnach nur jeder Siebte auf Pflege angewiesen; im Alter zwischen 86 und 89 Jahren ist es fast jeder Zweite; und bei den über 90-Jährigen sind zwei von drei Personen pflegebedürftig.
Grund genug, könnte man meinen, den Pflegeberuf zu ergreifen. Wie eine "Blitzumfrage" von ver.di ergab, blieb aber der große Andrang für eine Ausbildung aus. Knapp ein Drittel der befragten Interessenvertreter gab an, die Ausbildungszahlen hätten leicht zugenommen. In etwa 15 Prozent der Einrichtungen lag die Steigerung demnach bei über zehn Prozent. Allerdings gaben weitere 30 Prozent an, die Ausbildungszahlen seien gleich geblieben, in 15 Prozent der Fälle seien sie sogar gesunken. Vor allem in der Altenpflege seien die Zahlen gestiegen, im Gegensatz zur Gesundheits- und Krankenpflege.
Die reformierte Pflegeausbildung könnte den Notstand in einigen Bereichen sogar noch verschärfen, statt ihn zu verbessern. Waren zuvor die Ausbildungen in der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege sowie in der Kinderkrankenpflege getrennt, so gibt es jetzt eine einheitliche, "generalisierte" Ausbildung. Absolventen sollen befähigt sein, Menschen aller Altersstufen in allen Versorgungsbereichen zu pflegen. Im dritten Ausbildungsjahr besteht darüber hinaus die Möglichkeit, sich zu spezialisieren.
Für welches Gebiet man sich im dritten Jahr entscheidet, dürfte von einigen Faktoren abhängen. Einer ist der erhebliche Gehaltsunterschied zum Beispiel zwischen Altenpflege und Krankenpflege. Wieso sollte man sich für die Altenpflege entscheiden, wenn man im Krankenhaus weitaus mehr verdienen kann.
Ein anderes Problemfeld ist die Kinderkrankenpflege. Eberhard Bruch, Lehrer für Pflegeberufe, macht seine Sorge über diesen Bereich immer wieder öffentlich. Er befürchtet, die Kinderkrankenpflege könnte nach der Reform unter die Räder kommen. Theoretisch könne man sie im dritten Ausbildungsjahr als Spezialisierung wählen, de facto sei aber diese Wahl nicht möglich. Denn nur sehr wenige Schulen würden die Spezialisierung überhaupt anbieten. Und wenn man 250 Kilometer zur nächsten Schule fahren müsse, dann entscheide man sich wohl für eine andere Richtung.
Eine billige und rechtlose Alternative?
Spezialisiert man sich nicht auf die Kinderkrankenpflege und schließt stattdessen mit einer „generalisierten“ Ausbildung als "Pflegefachfrau/-mann" ab, dann sei man seiner Meinung nach nicht qualifiziert für den Einsatz in der Kinderkrankenpflege. Bis Ende 2024 seien "nur 60 Stunden Praxiseinsatz in der pädiatrischen Versorgung Pflicht". Das sind etwa anderthalb Wochen. Diese Zeit könnte auch in Kinderarztpraxen absolviert werden, was "für diese Tätigkeit alles andere als eine adäquate Qualifikation" sei.
Gerd Dielmann, selbst Pfleger und Pflegelehrer, sieht unter anderem die Hochschulausbildung in der Pflege kritisch: Es sei kein Zusatznutzen für die unmittelbare Pflege gegenüber der beruflichen Ausbildung in Betrieb und Schule erkennbar. Es sei auch noch nicht nachgewiesen worden, dass ein Bedarf an dieser Qualifikation bestehe. So hatten in Nordrhein-Westfalen Absolventen im Rahmen eines Modellversuches ihre Qualifikationen über ein Hochschulstudium erworben. Einer Studie zufolge konnten aber 40 Prozent von ihnen diese in der Praxis gar nicht oder nur wenig nutzen.
Den Nutzen hätten dagegen vor allem die Einrichtungen. In der Ausbildung seien diese Auszubildenden eine billige und rechtlose Alternative zu anderen. Ein Großteil ihrer Ausbildung, 2.300 Stunden, erfolgt weiterhin in der betrieblichen Praxis, aber ohne dass ausbildungsrechtliche Schutzvorschriften gelten würden, so Dielmann.
Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), hatte bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages (30. Mai 2016) deutlich gesagt, was das bedeutet: Über 50 Prozent der Berufsanfänger im Krankenhaus hätten Abitur oder die Fachhochschulreife. Sie könnten sich in Zukunft entschließen, ein entsprechendes Pflegestudium aufzunehmen. Die Studenten hätten keinen Arbeitsvertrag, unterlägen deshalb "weder arbeitsrechtlichen Bindungen noch arbeitsrechtlichen Disziplinierungsmöglichkeiten". Es gelten keine Urlaubsregelungen, und ob ihre Tätigkeit in den Einrichtungen vergütet werden, sei "am Ende dem Arbeitgeber vorbehalten".
"Studierende werden so zu vogelfreien Praktikanten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen", sagte Dielmann dazu.
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