Ist der US-Rückzug aus Afghanistan eine Falle für China?
von Tom Fowdy
Am Mittwochabend detonierte vor einem pakistanischen Hotel eine Autobombe, die vier Menschenleben forderte. Das offensichtliche Ziel des Anschlags war der chinesische Botschafter in Pakistan, Nong Rong, der sich in der Stadt Quetta aufhielt, um sich mit einem Beamten in der instabilen Provinz Belutschistan zum Gespräch über den Chinesisch-Pakistanischen Wirtschaftskorridor (CPEC) zu treffen. Die pakistanischen Taliban bekannten sich zu dem Anschlag.
In der Provinz befindet sich der neu ausgebaute Tiefseehafen Gwadar, der für eine geplante 65-Milliarden-Dollar-Investition im Rahmen von Chinas Neue-Seidenstraße-Initiative (offiziell "Belt and Road Initiative" – BRI) von zentraler Bedeutung ist.
Während diese Art von Anschlägen in Pakistan an der Tagesordnung sind, da das Problem des Terrorismus schon lange besteht, wirft der Zeitpunkt dieses Ereignisses weitergehende Fragen bezüglich der zukünftigen Sicherheitsvorkehrungen in dieser Region auf, da in diesem Jahr ein einschneidendes Ereignis bevorsteht: der Rückzug der Vereinigten Staaten aus dem benachbarten Afghanistan. Dies wird unweigerlich zu einem massiven Wiedererstarken der Taliban führen, die nun keinen Anreiz mehr haben, sich auf Friedensgespräche mit Kabul einzulassen, und sicherlich versuchen werden, das Land zurückzuerobern.
Da die USA die Stabilität in Afghanistan nicht mehr garantieren (vorausgesetzt natürlich, dass es nicht wieder eine terroristische Bedrohung für das Land fördert), bedeutet dies, dass die Taliban jetzt effektiv Chinas Problem sind? Wird Peking gezwungen sein, das Vakuum, das Washington hinterlässt, zu füllen? Und bedeutet dies auch, dass es in Washingtons Interesse ist, die Taliban gedeihen zu lassen?
Der bevorstehende US-Rückzug aus Afghanistan ist ein taktischer, strategischer Rückzug. In den fast 20 Jahren, in denen sich die NATO-Koalition im Land befindet, haben sich die Beweggründe, dort zu sein, verändert. Der Konflikt selbst und der Einmarsch der US-Amerikaner in das Land markierten den Beginn des "Kriegs gegen den Terror", einer Epoche der US-Außenpolitik, in der der Terrorismus als größte Bedrohung für ihre Sicherheit und die Ordnung der Welt angesehen wurde. Die Taliban wurden nach dem 11. September mit der Beherbergung von Osama bin Laden in Verbindung gebracht, und in der Folge übernahmen die USA zwei Jahrzehnte lang die "Last", ein Regime in Kabul gegen einen Aufstand zu stützen, der niemals aufgab.
Aber die Welt ist jetzt eine andere. Die Ära des "Krieges gegen den Terror" ist zu Ende und wurde durch eine neue Ausrichtung ersetzt, die als "strategischer Wettbewerb" bekannt ist – eine Verlagerung der Priorität des US-amerikanischen Denkens weg von der Bekämpfung des Terrorismus und hin zum Versuch, China einzudämmen. Das bedeutet, dass der strategische Zweck, zu dem die Vereinigten Staaten in Afghanistan sind, letztlich obsolet geworden ist, und in der Folge spielt es für Washington keine Rolle mehr, wenn die Taliban das ganze Land überrennen, unter der Bedingung, dass sie nicht wieder Anschläge gegen die USA ermöglichen.
Umso besser wäre es für Washington, wenn das Problem Afghanistan dann zu dem Chinas wird. Ein mögliches Wiedererstarken der Taliban wird Instabilität und Anschläge ins benachbarte Pakistan tragen und in der Folge das große Infrastrukturprojekt CPEC, das Chinas autonome Provinz Xinjiang über Pakistan und den Hafen Gwadar mit dem Indischen Ozean verbindet, vor Herausforderungen stellen.
Da die "Indopazifik"-Strategie der USA auf dem Versuch beruht, China mittels der eigenen Marine an seiner Peripherie einzudämmen, sind die landgestützten Verbindungen der "Belt and Road"-Initiative, die Chinas Energie- und Frachtlieferungen weg vom Pazifik diversifizieren, ein Gegengewicht dazu, weshalb sich die USA so unerbittlich auf die Xinjiang-Frage konzentriert haben.
Der US-Rückzug wird die Sicherheitsarrangements dieser Region neu gestalten, unabhängig vom Ergebnis. Zunächst einmal wird die US-Unterstützung für Pakistan als "Sicherheitspartner" beendet werden. Islamabad war ein Verbündeter, der geholfen hat, die Taliban einzudämmen, aber das ist nun obsolet. Das bedeutet, dass Pakistan eine Entfremdung von den USA droht und Washington kein Interesse mehr an seinem Erfolg hat. Das Machtvakuum wird bis zu einem gewissen Grad von Peking gefüllt werden. China wird nicht in Afghanistan intervenieren, wie es die USA getan haben, aber die neuen Realitäten werden dazu führen, dass Peking zu einem Akteur wird, der Pakistan unterstützt und die Stabilität in Afghanistan aufrechterhält, um seine wirtschaftlichen Interessen zu wahren.
Auch andere Mächte werden sich verstärkt engagieren. Russland wird wahrscheinlich ein größerer Partner Afghanistans werden und zur neuen Sicherheitsdynamik beitragen, ebenso wie Indien. Die Kehrseite eines Wiederauflebens der Taliban ist ein zweischneidiges Schwert, das auch Neu-Delhi Probleme bereiten wird, da der Terrorismus ein ständiges Problem in den indisch-pakistanischen Beziehungen ist.
Doch die Frage bleibt, ob irgendein Land das Maß an Investitionen und Anstrengungen aufbringen wird, um die Taliban an einer erneuten Machtübernahme zu hindern und dem Land Frieden zu bringen. Da dies etwas ist, das die USA und ihre Verbündeten in 20 Jahren nicht geschafft haben, ist es unwahrscheinlich. All die US-Bombardements und das von den USA angerichtete Gemetzel haben nichts verändert und nichts verbessert.
Die beste Hoffnung auf Erfolg für Afghanistan könnte darin bestehen, dass China und andere einfach lernen, mit den Taliban zu leben und zu koexistieren. Deren grundlegendes Bestreben war es, dass die ausländischen Invasoren einfach verschwinden.
Während die potenzielle Ausbreitung des Extremismus eine Herausforderung sein könnte, könnte es auch eine Chance für echten Frieden geben. Das "Problem" Afghanistan wird nicht verschwinden und auch nicht schnell gelöst werden. Die strategische Landkarte dieser Region wird gerade neu geschrieben, und das wird ein größeres Engagement und größere Anstrengungen von China erfordern.
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Übersetzt aus dem Englischen. Tom Fowdy ist Politanalytiker und Analytiker zu internationalen Beziehungen mit einem Schwerpunkt auf Ostasien.
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