von Jürgen Cain Külbel
Der Brite Nick Waters ist der lautstarke "Open Source"-Analyst bei der "Investigativplattform" Bellingcat. Am 16. März 2021 setzte er gleich mehrere Tweets ab mit der Sensation, er könne nun seinem Lebenslauf hinzufügen, "kein Quacksalber, Scharlatan oder enthusiastischer Amateur zu sein".
Ehe wir dazu kommen, was Nick Waters zu diesen Tweets veranlasste, sei mir eine These gestattet: Betrachtet man das Stück Bellingcat als absurdes Theater im Sinne eines Eugené Ionescu oder Samuel Beckett, werden die Dinge sofort klarer: Charaktere ohne tiefgehende Persönlichkeit, die in der Regel wie Marionetten fungieren, lassen dem Zuschauer die Bellingcat'sche Welt in ihrer Absurdität erkennen. Und eben jener 16. März 2021 war einer dieser absurden Höhepunkte im Stück Bellingcat, wie auch im Leben des 1989 geborenen Waters. Denn Nick Waters mutierte an jenem Tag zum Zeugen "Frank Palmer".
Was war geschehen? Bellingcat, die Beweismittel-Bastelstube für die NATO und transatlantische Propaganda-Verstärker wie Der Spiegel und The Insider, hatte sich am 16. März 2021 zusammengetan mit dem Global Legal Action Network (GLAN) und der Swansea University School of Law / Hillary Rodham Clinton School of Law, um im wahrsten Sinne des Wortes Theater zu spielen – juristisches Theater. Die Darsteller aus allen drei "gewichtigen" Einrichtungen spielten an dem Tage "ein fiktives juristisches Verfahren" durch. Im Klartext: Da saßen ein echter Richter, echte Verteidiger und Kläger mit dem Scheinzeugen "Frank Palmer" in einem virtuellen Gerichtssaal, exekutierten einen "Scheinprozess" und fällten nachher ein "Scheinurteil". Ein absurdes juristisches Theaterstück also.
Doch die Ladies und Gentlemen meinten es ernst, denn ihre Theateraufführung diente der Überprüfung, "wie Online-Open-Source-Beweise vor Gericht verwendet werden könnten", wie es in einem Bellingcat-Tweet heißt.
Bellingcat-Aktivist Nick Waters stellte sich an jenem Tag als Zeuge "Frank Palmer" samt den von ihm vorgetragenen "Beweise" vor einen "echten Richter", der wiederum über die Beweiskraft von "Palmers" Findungen ein "Urteil" fällen sollte. Der Richter spielte seine Rolle, wie von ihm abverlangt, und "akzeptierte" die "Beweise" selbstverständlich als juristisch einwandfrei. Dieses "Scheinurteil" versetzte nun Waters aka "Frank Palmer" in jene Ekstase, der er auf Twitter freien Lauf ließ: "Unnötig zu sagen, ich bin sehr glücklich." Zum besseren Verständnis, was der Richter da als "Beweis" akzeptiert hatte: es handelte sich um eine Open-Source-Umfrage – nicht mehr und nicht weniger.
Für Nick Waters, der sich hinterher diebisch freute, muss das "Scheinurteil" wohl ein Höhepunkt in seinem bisherigen Leben gewesen, denn viel stand vorher nicht drin in seinem Lebenslauf: vier Jahre Dienst im Fußvolk der britischen Armee. Recht unterqualifiziert, um ins "elitäre" Schauspielhaus Bellingcat zum Auftritt geladen zu werden, möchte man meinen. Aber Bellingcat-Gründer Eliot Higgins hat Waters längst die Rolle, die er in seinem Stück zu spielen hat, auf den Leib geschnitten; auf der Liste seiner Darsteller stellt er ihn vor als "einen ehemaligen britischen Offizier und Open-Source-Analysten", der "ein besonderes Interesse hat an den Konflikten in Syrien sowie an sozialen Medien, der Zivilgesellschaft, dem Geheimdienst und der Sicherheit" habe.
Higgins Bellingcat scheint nach Wegen zu suchen, wie sie ihren Criminal-Fiction-Drehbüchern über vermeintliche Giftgasangriffe in Syrien oder die angeblichen Vergiftungsverbrechen ihres Lieblingsfeindes Wladimir Putin etc. pp. juristische Beweiskraft verleihen können. Schließlich müssen sie denen, die das Schauspielhaus Bellingcat finanziell beatmen – sei es die von Ronald Reagans CIA-Chef Bill Casey gegründete Stiftung National Endowment for Democracy, die Open Society des Regimechange-Apparatschiks George Soros oder das ZINC Network des britischen Außenministeriums – irgendwie von Nutzen sein; vor allem in deren Politik gegenüber Russland.
Anscheinend ist dieser jüngste "Scheinprozess" als Testlauf gedacht: die Aktivisten von Bellingcat wollen die ganz große Bühne erobern, den Internationalen Strafgerichtshof – um dort mit zu erwartender Unterstützung der NATO-Länder, die seit Jahrzehnten mit ihren Kriegs- und Völkerrechtsverbrechen straffrei davonkommen, Prozesse mit Fake-Beweisen gegen Assad, Syrien, Putin, Russland etc. durchzuziehen.
Giftgas in Syrien und ein gefälschter Brief des OPCW-Generaldirektors
Wir drehen die Uhr zurück. Am 7. April 2018 fand im syrischen Duma ein Chemiewaffen-Angriff statt, bei dem Dutzende Zivilisten getötet wurden. Die USA, Großbritannien und Frankreich schoben die Schuld der Damaszener Regierung in die Schuhe, griff den Levante-Staat eine Woche darauf mit völkerrechtswidrigen "Vergeltungsschlägen" an, ohne die Untersuchung des Chemiewaffen-Vorfalls durch die Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) abgewartet zu haben. Die OPCW publizierte ihren Abschlussbericht erst ein Jahr später, am 1. März 2019, bestätigte darin mit "großer Wahrscheinlichkeit" den Einsatz von Chlorgas in Duma, was die Militärschläge der beteiligten NATO-Staaten nachträglich rechtfertigen sollte.
Ehemalige OPCW-Inspektoren, die an der Duma-Untersuchung teilgenommen hatten, lehnten die Schlussfolgerungen des Berichts ab; es hieß, die Untersuchungsergebnisse seien geradezu "ins Gegenteil" verkehrt und von der OPCW manipuliert worden.
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Darunter auch Dr. Brendan Whelan, ein 16-jähriger OPCW-Veteran, der schon im Juni 2018, Wochen nachdem das OPCW-Team aus Syrien zurückgekehrt war, eine Zensur der Ermittlungen beanstandet hatte: Er warf der OPCW vor, bereits den zuvor veröffentlichten "Zwischenbericht" aus politischen Gründen manipuliert zu haben.
Zahlreiche interne OPCW-Dokumente sickerten bald in die Öffentlichkeit, darunter die "OPCW Douma Docs" von WikiLeaks, die an der offiziellen Darstellung der Organisation erhebliche Zweifel aufkommen ließen. Das Material deutete darauf hin, dass Whelan und andere OPCW-Inspektoren, die nach Syrien entsandt worden waren, Beweise gefunden hatten, die die Vorwürfe eines chemischen Angriffs in Duma aushebelten. Diese Daten wurden hernach offenbar auf Druck der NATO-Staaten unterdrückt, und Inspektoren, die sich gegen diese Zensur wandten, umgehend von den Ermittlungen entfernt.
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In dem Zusammenhang veröffentlichte Bellingcats "Investigation Team" am 26. Oktober 2020 einen angeblich geleakten Brief von Fernando Arias, Generaldirektor der OPCW, den der an seinen (mittlerweile ehemaligen) Chemiewaffen-Inspektor Brendan Whelan geschrieben haben soll; also an einen jener Kritiker aus den Reihen der OPCW. Der maschinell geschriebene Brief beweise, so behauptete Bellingcat, "dass ein chemischer Angriff stattgefunden hat, dass jede Vorstellung einer Vertuschung bei der OPCW falsch ist, dass die Organisation genau so gehandelt hat, wie vorgeschrieben war".
All die Schlussfolgerungen sind aber Bellingcats Fantasie entsprungen, denn nichts davon stand in dem geleakten Brief, der – und jetzt holen Sie, geneigter Leser, bitte tief Luft – nie vom OPCW-Generaldirektor Fernando Arias an seinen Ex-OPCW-Inspektor Brendan Whelan abgeschickt worden war! Es handelte sich lediglich um einen Entwurf. Der investigative Journalist Aaron Maté von The Grayzone deckte die dreiste Fälschung von Bellingcat am 28. Oktober 2020 auf:
"Laut Bellingcat wurde der Brief im Juni 2019 von mehreren Mitgliedern der OPCW verfasst und dann vom Generaldirektor der Organisation, Fernando Arias, als Antwort an Dr. Whelan gesendet. The Grayzone kann jedoch zeigen, dass der von Bellingcat veröffentlichte Text nie an Whelan gesendet wurde. In der Tat war der Text des Briefes von Bellingcat ein nicht gesendeter Entwurf, den Whelan nie erhalten hatte."
The Grayzone publizierte sowohl den "Entwurf" als auch den echten Brief – beide Schreiben haben inhaltlich so gut wie nichts gemein.
Bellingcats "Kracher" erwies sich also sehr schnell als Rohrkrepierer; ebenso Nick Waters begleitender Tweet vom 26. Oktober 2020 zu jenem Bellingcat-Fake-Brief, an dem er beteiligt war. Was er schrieb, ist an Arroganz nicht zu überbieten: All die kritischen Journalisten und Organisationen wie "Peter Hitchens, Aaron Maté, Robert Fisk, Wikileaks, die Courage Foundation und andere, wurden auf frischer Tat ertappt, wie sie entweder 'Journalismus' der schlechtesten Art praktizierten oder an einer Vertuschung eines chemischen Angriffs teilnahmen".
Wäre da nicht die neue Enthüllung von Aaron Maté, dem kürzlich E-Mails zugespielt wurden, die das Zustandekommen jenes Fake-Briefs von OPCW-Chef Arias an Dr. Whelan in einem ganz anderem Licht erscheinen lassen. Und darin spielt Bellingcat-"Analyst" Nick Waters die Hauptrolle.
Die Emails beweisen, dass "mindestens acht Monate bevor Bellingcat seinen betrügerischen Artikel veröffentlichte", Chris York, ein stramm auf transatlantischen und antirussischen Kurs gebürsteter Mitarbeiter der britischen Huffington Post, "dieselbe Geschichte verfolgte" und angab, kurz vor der Veröffentlichung eines Artikels zu dem Thema zu stehen. Was aber nie geschah. Wie dem auch sei: York hatte am 27. Juli 2020 einen Brief an WikiLeaks verfasst, der zwei markante Schreibfehler – den Tippfehler "or" anstelle "for" und das Weglassen des Artikels "the" – enthielt. Und eben diese Schreibfehler tauchten nun wieder in jenem von Bellingcat am 26. Oktober 2020 veröffentlichen "Leak", dem angeblichen Brief von Arias an Whelan, auf. Allerdings nur in der im Text enthaltenen Transkription des Briefes, nicht in dem an gleicher Stelle publizierten Screenshot.
Bellingcats Nick Waters, so Maté, sei es gewesen, der den Text mit den zwei Schreibfehlern von Chris York übernommen und nachher veröffentlicht habe. Nicht nur das: Waters kopierte – leicht umformuliert – auch Yorks Fragen, die der am 22. Juli 2020 an WikiLeaks geschickt hatte; und zwar in seinem eigenen Brief vom 14. Oktober 2020 an die Enthüllungsplattform. Aaron Maté stellte die beiden Schreiben gegenüber und entdeckte "über mehrere Absätze hinweg praktisch identische Strukturen und Redewendungen". Es ist somit offensichtlich, dass Nick Waters die Fragen, die er WikiLeaks stellte, von Chris York abgekupfert hatte.
Weder Waters noch Bellingcat noch die Huffington Post waren zu einer Klärung dieser Angelegenheit bereit. Daher rekonstruierte Maté die Ereignisse: Am 6. Februar 2020 veröffentlichte der OPCW-Generaldirektor den Bericht einer "unabhängigen Untersuchung": Zwei früheren OPCW-Mitarbeitern – Inspektor A und B – wurde vorgeworfen, "ihre Verpflichtung zum Schutz vertraulicher Informationen, die mit der Duma-Untersuchung verbunden sind", verletzt zu haben.
Tage zuvor hatte der britische Mainstream-Journalist Brian Whittaker den Namen von Dr. Whelan in die Öffentlichkeit gezerrt als jemandem mit "Zugang zu sensiblen OPCW-Informationen". Wenig später fuhr Bellingcat einen Angriff auf Whelan, identifizierte ihn als Inspektor B. Auch York von der Huffington Post machte mobil: "Ich hatte gehofft, mit Ihnen über einige Dokumente zu sprechen, die WikiLeaks anscheinend noch nicht veröffentlicht hat", schrieb er am 26. Februar 2020 an Whelan.
Am 7. März 2020 schob er die nächste Anfrage nach. Whelan ignorierte beide. Am 16. Juli 2020 dann die letzte Nachricht; York avisierte: "Ich werde bald einen Artikel über die Leaks zu Duma von WikiLeaks veröffentlichen, insbesondere über ein Dokument, das nicht veröffentlicht wurde, aber einigen der von WikiLeaks und Ihnen vorgebrachten Punkte zu widersprechen scheint."
Am 17. August 2020 verfasste York dann eine E-Mail an Kristinn Hrafnsson, Chefredakteur von WikiLeaks, in der die gleiche fehlerhafte Transkription enthalten war, die Bellingcat zwei Monate später, am 26. Oktober, in dem nie abgeschickten "Brief von Arias an Whelan" publizierte. York beschuldigte WikiLeaks, das "nicht veröffentlichte" Dokument versteckt zu haben, da es "der von Ihnen vorgebrachten Erzählung, dass der Duma-Angriff inszeniert wurde, völlig widersprochen hätte". Und er warf WikiLeaks vor, "nichts unternommen zu haben, um die Aufzeichnung zu korrigieren, und stattdessen die umstrittene Erzählung über einen 'inszenierten' chemischen Angriff aufrechtzuerhalten".
Chris York hat nichts über diese Vorgänge publiziert; alles deutet darauf hin, dass "sein Material" zu Bellingcat überspielt und dort veröffentlicht worden ist.
"Wer auch immer hinter den Angriffen auf erfahrene OPCW-Wissenschaftler steckt, Bellingcats Rolle in der Verleumdungskampagne ist absolut klar. Während Bellingcat sich öffentlich als 'Open-Source'-Kollektiv vermarktet, als Verbrechen aufklärende digitale Spürhunde, wurde es als Proxy in einer Desinformationskampagne benutzt, um eine große globale Täuschung zu übertünchen und die Whistleblower zu diffamieren, die das in Frage stellten. Es ist doppelzüngig genug, jemand anderes sein Material schreiben zu lassen, und schlampig genug, dabei erwischt zu werden", erklärt Aaron Maté.
Nachdem Anfang März 2021 fünf ehemalige Inspektoren der OPCW sowie ihr ehemaliger erster Generaldirektor Jose Bustani ihre tiefe Besorgnis in einer öffentlichen Erklärung zum Ausdruck gebracht hatten, weil die Ansichten der kritischen Inspektoren zu dem angeblichen Chemiewaffen-Vorfall in Duma von der OPCW-Leitung ignoriert werden und diese stattdessen öffentlich dafür verurteilt wurden, und sich herausragende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Daniel Ellsberg, Noam Chomsky, Richard Falk der Erklärung anschlossen, twitterte der nun aufgeflogene Nick Waters: "Ich hoffe, @DanielEllsberg nimmt sich die Zeit, diesen Thread und alle verknüpften Dokumente vollständig zu lesen, bevor er seinen Namen neben versponnene Verschwörungstheoretiker setzt."
Der Ökonom, Friedensaktivist und Whisteblower Daniel Ellsberg, geboren 1931, hatte 1971 die sogenannten Pentagon-Papiere veröffentlicht, mit denen unwahre Angaben der US-Regierung über den Vietnam-Krieg enthüllt werden konnten. Ob sich solch eine Koryphäe von einem absurden Bellingcat-Darsteller beeindrucken lässt? Wohl eher nicht.
Dass Hochstapler bei Bellingcat durchaus Konjunktur haben, wies ich schon früher am Beispiel des Ostberliner Timmi Allen aka Olaf Neitsch nach, der Bellingcat seit Jahren zuarbeitet und sich im Propagandasender Radio Liberty/Radio Free Europe dreist als Diplom-Kriminalist ausgab, obwohl er die meiste Zeit seiner "Karriere" beim Ministerium für Staatssicherheit Wachstubendienste schob und nie studiert hatte. Waters scheint aus dem gleichen Holz geschnitzt.
Doch Bellingcat ficht so eine peinliche Nummer nicht an; schließlich werden sie gut bezahlt, der transatlantisch gefärbte Mainstream verkauft dem Publikum die "Recherchen" von Bellingcat als Wahrheit und trägt damit dazu bei, dass solcherart "investigative Analysten" mit Journalistenpreisen und Geldnoten behangen werden. Beispielhaft etwa der jüngst erschiene ZDF-Beitrag, in dem Bellingcat als "Geheimdienst im Auftrag der Menschen" geadelt wird.
Nick Waters, der wohl nicht allzuviel Luft auf dem investigativen Reifen hat, würde ich anraten, den verdienten Titel Quacksalber und Scharlatan noch nicht ganz so weit wegzulegen; an seiner Stelle würde ich vielmehr den eines Bellingcat-Plagiators noch draufpacken. Oh yeah: "We are Bellingcat".
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