Gestorben mit Armut: Verband fordert mehr Pandemie-Hilfe für sozial Benachteiligte
von Susan Bonath
Einen besseren Pandemie-Schutz für die Ärmeren: Das fordert der nun zum wiederholten Mal der Sozialverband VdK. Dessen Präsidentin Verena Bentele mahnte am Donnerstag in der Neuen Osnabrücker Zeitung, es sei "erschütternd, dass in sozial benachteiligten Regionen die Sterblichkeit im Zusammenhang mit Corona-Infektionen im Dezember und Januar rund 50 bis 70 Prozent höher lag als in besser gestellten Gegenden".
Dies, so Bentele, habe mit beengten Wohnverhältnissen und einem schlechteren Gesundheitszustand Betroffener zu tun. Beziehern von Grundsicherungsleistungen, Wohngeld und Kinderzuschlag müsse die Bundesregierung endlich einen Pandemie-Zuschlag von 100 Euro pro Person und Monat gewähren. Bentele mahnte zudem "schnelleres Impfen und Testen" an. Sie berief sich auf eine vergangene Woche vom Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlichte Analyse. Danach verzeichneten arme Regionen in Deutschland um den Jahreswechsel viel höhere Todeszahlen als wohlhabende Gebiete. Allerdings ist es nicht Neues, dass Arme früher sterben. Das RKI berichtete darüber schon vor Jahren.
Besonders hohe Sterblichkeit in armen Gegenden
Die staatliche Gesundheitsbehörde hatte die gut 42.000 Sterbefälle im Dezember 2020 und Januar 2021 untersucht, die der Ursache "an oder mit Corona" zugeordnet wurden. Auch insgesamt lag die Sterblichkeit in Deutschland in diesen beiden Monaten höher als in den Vorjahren. Die Übersterblichkeit betraf fast ausschließlich die Gruppe der über 70-Jährigen, insbesondere die der über 80-Jährigen.
Laut RKI waren 90 Prozent der darunter "an oder mit Corona" Verstorbenen älter als 70 Jahre gewesen. In stark benachteiligten Regionen waren bis zu 70 Prozent mehr dieser Todesfälle gezählt worden als in reichen Vierteln, wie das RKI darlegte. Die besonders hohe Sterblichkeit in deprivierten Bevölkerungsteilen betraf demnach Frauen und Männer gleichermaßen. Allerdings kamen, wie seit einem guten Jahr, insgesamt mehr Männer als Frauen nach einem positiven Test zu Tode, sowohl in den armen als auch den reichen Schichten.
Das korreliert mit der allgemein geringeren Lebenserwartung von Männern. Auch "an oder mit Corona" starben laut RKI-Lagebericht vom Dienstag zwischen März 2020 und März 2021 nur etwa halb so viele Frauen (knapp 7.800) wie Männer (rund 15.200) unter 80 Jahren nach einem positiven Test. Lediglich in der Altersgruppe über 90 Jahre war der Frauenanteil an den Verstorbenen mit fast 11.400 mehr als doppelt so hoch wie der Männeranteil (5.780). Der Altersmedian der Toten lag demnach bei 84 Jahren.
Arme starben auch vor der Pandemie früher
Es ist seit Langem bekannt, dass Arme auch in Deutschland eine geringere Lebenserwartung haben als Wohlhabende. Dies stellte das RKI zum Beispiel in einem Gesundheitsmonitoring im Jahr 2014 fest. Danach wurden im Jahr 2007 rund 15 Prozent der Frauen und 30 Prozent der Männer, die über weniger als 60 Prozent des bundesdeutschen Durchschnittseinkommens verfügten, nicht älter als 65 Jahre. Im reichsten Teil der Bevölkerung mit einem Einkommen, das mindestens 50 Prozent über dem Durchschnitt lag, erlebten rund sieben Prozent der Frauen und zwölf Prozent der Männer ihren 65. Geburtstag nicht.
In der statistisch ermittelten Lebenserwartung klaffen ebenso hohe, vom Einkommen abhängige Unterschiede. So müssten zwischen 1995 und 2005 geborene arme Frauen laut RKI damit rechnen, im Mittel 76,9 Jahre alt zu werden und 60,8 Jahre gesund zu bleiben. Junge Frauen gleichen Alters aus reichen Elternhäusern leben laut RKI-Analyse rund zehn Jahre länger und sind auch eher gesund. Für Männer dieser Jahrgänge aus armen Familien ermittelte das Institut eine mittlere Lebenserwartung von 70,1 Jahren, davon 56,8 Jahre bei Gesundheit. Aus reicheren Schichten stammend, könnten sie damit rechnen, rund 81 Jahre alt zu werden und dabei etwa 71 Jahre gesund zu bleiben.
Das RKI bescheinigte Armen insgesamt eine höhere Mortalitätsrate. Der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Arm und Reich liegt damit bei heute 16- bis 26-jährigen Frauen bei elf Prozent, bei Männern dieser Altersgruppe beträgt er sogar 14 Prozent.
Todesfälle: An oder mit Corona, an oder mit den Maßnahmen, an oder mit Armut?
Es ist keineswegs klar, ob die höhere Sterblichkeit in ärmeren Gegenden allein durch das Coronavirus verursacht wurde. Auch die Maßnahmen-Politik, wie Shutdown, Quarantänen und dadurch bedingte Mehrkosten, trafen arme Menschen besonders hart.
Zugleich ist die Auflistung der "Corona-Toten" durch das RKI fortgesetzt irreführend. Nach wie vor unterscheidet das Bundesinstitut nicht zwischen an und mit Corona Verstorbenen. Um in letztere Kategorie zu gelangen, reicht es, in einem in Deutschland nicht definierten Zeitraum vor dem Tod einen positiven PCR-Test gehabt zu haben, die Todesursache ist dabei egal.
Es gibt nur wenige Gesundheitsämter, die zwischen den Kategorien "an und mit Corona" trennen. Hier gibt sich die Verwaltung in Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt erstaunlich transparent. Auf ihrer Internetseite listete die 240.000-Einwohner-Stadt zuletzt insgesamt 278 Tote auf. Davon seien 91 Menschen, rund ein Drittel, wirklich an und 187 Menschen, also zwei Drittel, nur mit dem nachgewiesenen Erreger gestorben.
Auf eine massive Überschätzung der "Corona-Toten" deuten auch RKI-Zahlen hin. In seinem Lagebericht vom 23. März 2021 führte das Institut zum Beispiel 26.723 Fälle von Lungenentzündungen im Zusammenhang mit einem positiven Test auf – seit Beginn der Pandemie. Das ist etwa ein Prozent der entdeckten Positivfälle. Zudem hatte von allen in der sogenannten zweiten Welle gemeldeten "Fällen" mehr als die Hälfte offenbar keine Symptome, nach denen von Gesundheitsämtern gefragt wird. Zumindest gibt das RKI auf seinem Dashboard bei der Mehrzahl aller Fälle keinen Erkrankungsbeginn an.
Arm trotz Arbeit: Löhne im ersten Corona-Jahr gesunken
Dass in Deutschland nicht nur die rund sieben Millionen Bezieher von Hartz IV und anderen Grundsicherungsleistungen sowie viele Kranke und Rentner von Armut betroffen sind, ist ebenfalls bekannt. Bereits 2018 arbeiteten einer Datenerhebung des Statistischen Bundesamtes vom Oktober 2020 zufolge rund acht Millionen Menschen für einen Niedriglohn unter elf Euro pro Stunde. Im Gastgewerbe waren sogar zwei Drittel der Beschäftigten davon betroffen, im Handel etwa ein Drittel.
Die Corona-Politik trug ihrerseits zur weiteren Verarmung bei. So sanken die Reallöhne im ersten Pandemie-Jahr laut Bundesstatistikern insgesamt um 1,1 Prozent gegenüber 2019 – dies stark beeinflusst von Kurzarbeit, Shutdown und geringeren Arbeitszeiten. Bei ungelernten Arbeitern sanken die Löhne im Mittel um 2,5 Prozent. Bei der reduzierten Arbeitszeit und entsprechend niedrigeren Löhnen waren Beschäftigte im Gastgewerbe mit einem Gesamtminus von fast 20 Prozent am stärksten betroffen.
Politik für Wohlhabende auch in Pandemie-Zeiten
Es war zu erwarten, dass arme Menschen auch in einer von der Bundesrepublik zur "epidemischen Notlage nationaler Tragweite" erklärten Dauersituation eher sterben als wohlhabende. Dass sich die Bundesregierung eher um die Belange der Reichen kümmert, ist ebenfalls kein Novum in der Pandemie. Dies konstatierten bereits Wissenschaftler, die 2017 für die Bundesregierung den Armuts- und Reichtumsbericht ausgearbeitet hatten. Schon damals hatte die Regierung kritische Passagen wegzensiert, wie der Spiegel berichtete.
Allein mit den Forderungen des VdK nach "mehr Impfen und Testen" sowie einem vorübergehenden monatlichen Pandemie-Zuschuss von 100 Euro – der ein Anfang wäre, aber wohl nie kommt – ist der Ursache für armutsbedingtes frühzeitiges Ableben wohl nicht beizukommen – das "Bedauern" von VdK-Präsidentin Bentele darüber, "dass bei der Bekämpfung der Pandemie soziale Fragen und die Sorgen und Nöte der Menschen eher weniger gesehen werden", dabei in allen Ehren.
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