Entführung der Europa 2.0 – Regisseur Bogomolows Manifest für eine neue rechte Ideologie
Das "Entführung der Europa 2.0" betitelte Manifest für die Formulierung einer neuen rechten Ideologie wurde vom Theaterregisseur Konstantin Bogomolow verfasst. Es erschien in der 14. Ausgabe der vor allem von Liberalen und westlich orientierten Intellektuellen Russlands gelesenen Zeitung Nowaja Gaseta am 10. Februar 2021 und wurde gleichzeitig als Einladung zur Diskussion postuliert.
Da das Manifest beim russischen Publikum auch außerhalb der typischen Leserschaft der Nowaja Gaseta eine rege Diskussion auslöste und die Veröffentlichung eines rechtskonservativen Manifests ausgerechnet in dem liberalen Blatt Russlands überhaupt ebenfalls keine gewöhnliche Sache darstellt, hat sich RT DE entschlossen, diesen Text in seiner Gesamtheit auf Deutsch zu veröffentlichen, obwohl das Erscheinungsdatum etwas zurückliegt.
Das Manifest baut auf Bogomolows Sichtweise auf, dass der Toleranzgedanke in der liberalen Gesellschaft des modernen kollektiven Westens mittlerweile so radikal gedacht wird, dass der Zirkelschluss zum Totalitarismus praktisch vollzogen ist. Statt der Gedankenwelt des Menschen wie in den früheren Formen totalitärer Staaten soll hier allerdings die Gefühlswelt kontrolliert werden. Dabei würden die Menschen auf bedingungslose Liebe zu allen und allem abgerichtet und ihnen nicht nur das Recht auf Hass oder Nichtakzeptanz genommen, sondern gleich alles Triebhafte, Dionysische aus ihrer Natur getilgt, womit aber auch das Apollinische seines Inhalts beraubt würde. Durchgesetzt wird dies nicht etwa mittels staatlicher Repressionen, sondern mit den Mitteln der Denunzierung und der gesellschaftlichen Ächtung, die sich in Hetze äußert und zum Ausschluss aus allen Aspekten des gesellschaftlichen Zusammenlebens führen kann. Diese, so Bogomolow, im Aufbau befindliche Gesellschaftsordnung zeugt von der Fehlentwicklung des kollektiven Westens, und auch russische Liberale seien bereit, diesem Fehlweg zu folgen. Geboten sei stattdessen eine Rückbesinnung auf die Werte des alten aufklärerischen Europa des komplexen Menschen, dessen die Europäer selbst verlustig wurden.
Uhrwerk Orange
Der Mensch ist ein wunderschönes, aber auch ein gefährliches Geschöpf: Wie die Atomenergie besitzt er sowohl schöpferische als auch zerstörerische Kraft.
Diese Energie zu steuern, ihre zerstörerische Kraft in Grenzen zu halten und die schöpferische Kraft zu fördern – all das ist eine hohe Aufgabe: die Aufgabe, auf den komplexen Menschen gestützt eine komplexe Zivilisation aufzubauen. So entwickelte sich die westliche Welt bis in die jüngste Zeit: Die dunklen Aspekte des Menschen dämmte sie mithilfe von Religion, Philosophie, Kunst und Bildung ein – dieselben dienten ihr aber auch als Überdruckventile, durch die sie die Dunkelheit entweichen ließ wie Dampf aus einem überhitzten Kessel.
Im 20. Jahrhundert geriet die Atomenergie, die der Mensch gleichsam ist, außer Kontrolle. Zum humanitären Tschernobyl wurde der Nationalsozialismus. Der Schock und die Angst Europas vor dieser Explosion des Urzeitlichen im Menschen erwiesen sich als zu groß.
Befreit vom Nationalsozialismus, beschloss der Westen, sich gegen weitere "Kernschmelzen" zu versichern, indem er den komplexen Menschen eliminierte –
jenen komplexen Menschen, den Europa all die langen Jahre des Christentums geprägt hatte, den von Dostojewski beschriebenen Menschen: gleichzeitig erhaben und niederträchtig, Engel und Teufel in einer Person, liebend und hassend, gläubig und zweifelnd, nachdenklich und fanatisch. Europa bekam Angst vor dem Tier im Menschen und verkannte, dass das Tierische ein ebenso natürlicher und organischer Teil des Menschen ist wie das Angelische. Unfähig, die Folgen des Nationalsozialismus intellektuell und seelisch zu überwinden, beschloss Europa, den komplexen Menschen zu kastrieren, seine dunkle Natur zu kastrieren und seine Dämonen für immer einzumauern.
Seinerzeit drehte Kubrick "A Clockwork Orange", einen Film über völlig verrohte Jugendliche, die unter Drogeneinfluss London terrorisieren und friedliche Bürger brutal zusammenschlagen und vergewaltigen. Als der Bandenanführer gefasst wird, bietet man ihm an, sich einer experimentellen Therapie zu unterziehen, um vorzeitig in die Freiheit entlassen zu werden: Seine Augenlider werden so festgehalten, dass er seine Augen nicht schließen kann, und dann werden ihm stundenlang Gewaltszenen zur Musik seines geliebten Beethoven vorgeführt. Im Ergebnis wird der junge Mann nicht einfach nur seine Aggressionen los: Musik löst bei ihm einen Brechreiz aus, den Anblick einer nackten Frau kann er nicht ertragen, Sex ekelt ihn an. Und als Reaktion auf einen ihm versetzten Schlag leckt er dem Aggressor den Schuh.
Der moderne Westen ist genau jener Verbrecher, der chemische Kastration und Lobotomie hinter sich hat. Daher auch das falsche Lächeln des Wohlwollens und der allumfassenden Akzeptanz, das auf dem Gesicht des westlichen Menschen erstarrt ist. Dies ist nicht das Lächeln des Kultivierten. Es ist das Lächeln der Degeneration.
Neues Ethisches Reich
Der Westen erklärt sich selbst zu einer Gesellschaft, die auf die Umsetzung persönlicher Freiheiten "eingeschärft" ist. In Wirklichkeit bekämpft heute der Westen das Individuum als ein komplexes und schwer zu kontrollierendes Energiephänomen. In diesem Kampf wurden die Funktionen der Gerichtsbarkeit, der (Straf-)Verfolgung und Isolierung nicht etwa abgeschafft, sondern vom Staat an die Gesellschaft (rück)delegiert. Der Staat in Form von Polizei und Sicherheitsbeamten wurde "humanisiert", "vermenschlicht"; doch die bedingt progressive Gesellschaft nahm die Rolle neuer Sturmtruppen auf sich, mit deren Hilfe derselbe Staat mit höchster Effizienz gegen Andersdenkende kämpft.
Die gegenwärtige westliche Welt ist dabei, sich in ein Neues Ethisches Reich umzuformen, komplett mit einer eigenen Ideologie – der "neuen Ethik". Der Nationalsozialismus ist Sache der Vergangenheit. Wir stehen vor einem ethischen Sozialismus, einem queeren Sozialismus. Aus Siemens, Boss und Volkswagen wurden Google, Apple und Facebook,
und die Nazis sind einer ebenso aggressiven und ebenso nach einer totalen Neuformatierung der Welt lechzenden Mischung aus Queer-Aktivisten, Feminismus-Fanatikern und Öko-Psychopathen gewichen.
Traditionelle totalitäre Regime unterdrückten die Gedankenfreiheit. Der neue, unkonventionelle Totalitarismus ist noch weiter gegangen und will die Emotionen kontrollieren. Die Einschränkung der Gefühlsfreiheit des Einzelnen – dies ist das revolutionäre Konzept des Neuen Ethischen Reiches.
Gefühle und Gedanken waren schon immer privater Bereich des Menschen. Er hatte zwar seine Hände gefälligst bei sich zu halten, aber sein Herz und sein Gehirn waren frei. So war der unausgesprochene contrat social der europäischen Zivilisation, die den Menschen als ein Gefäß von Emotionen und Ideen begriff, einer Zivilisation, der der Hass – der Liebe andere Seite – ein komplexer und gefährlicher, aber notwendiger und wichtiger Teil der menschlichen Persönlichkeit war.
In der Nazi-Gesellschaft wurde der Mensch wie ein Hund zum Hass auf das Andere abgerichtet.
Im Neuen Ethischen Reich wird der Mensch zur Liebe abgerichtet und des Rechts beraubt, frei zu hassen.
Du darfst nicht mehr sagen: "Ich mag nicht ...", "mit gefällt nicht ...", "Ich habe Angst vor ...". Du musst deine Emotionen mit der öffentlichen Meinung und den gesellschaftlichen Werten ins Verhältnis setzen.
Die öffentlichen Werte aber sind zu einer neuen Klagemauer geworden, an die jedes unglückliche oder gekränkte Individuum, oder einfach nur ein Individuum mit unehrenhaften Absichten nicht nur einen Zettel herantragen kann, sondern an der es auch vom neuen Gott – der Fortschrittsgesellschaft – verlangen kann, seine Kränkung, sein Drama, seine Angst oder seine Krankheit auf die Liste des Welterbes einer neuen ethischen UNESCO zu setzen, ihnen einen gesellschaftlich bedeutsamen Status zu verleihen, ein Budget dafür bereitzustellen und eine besondere Quote in allen Bereichen des öffentlichen Lebens einzuführen. Und jeder, der sagt, dass die Kränkung eine Bagatelle ist, die Krankheit heilbar und das persönliche Drama sowieso eine intime Angelegenheit, wird zum Opfer der mächtigen Repressionsmaschine – ebenjener öffentlichen Meinung.
Alle gegen einen
Als ideales Werkzeug für diesen neuen Unterdrückungsapparat bewährten sich die sozialen Netzwerke. Alle "wohlmeinenden" und "ordnungsliebenden" "netzaktiven" Bürger sind die konditionierten Mitarbeiter dieses Apparats. Sie tragen keine Uniformen, sie führen keine Schlagstöcke oder Tazer – aber dafür haben sie Computer und Gadgets mit Internetzugang, einen Machthunger der kleinbürgerlichen Varietät und eine unterschwellige Leidenschaft für Gewalt sowie einen Herdentrieb. Sie haben keine gesetzlichen Befugnisse – aber sie bemächtigen sich des moralischen Rechts. Und im Lichte der jüngsten Ereignisse in den USA ist es offensichtlich:
Sie sind nicht nur ein selbst organisierender Online-Mob – sie werden von den Behörden unterstützt, von dem neuen Miniwahr in Gestalt der Besitzer der Internet-Giganten.
Die Netzwerke verschafften diesen neuen Gewalttätern Anonymität, Kontaktlosigkeit – und infolgedessen Straffreiheit. Virtuelle Mobs, virtuelle Lynchgerichte, virtuelles Mobbing, virtuelle Gewalt – und reale psychische und soziale Isolation derjenigen, die aus der Reihe tanzen. Sie – diese Online-Reinkarnationen von Block- und Knastwarten – spielen gekonnt mit der ewigen Angst des Menschen, sich allein gegen alle anderen wiederzufinden.
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Im NS-Staat konnte ein Künstler wegen seiner "entarteten" Kunst seine Arbeit und sein Leben verlieren. Im "schönen" westlichen Staat der Zukunft könnte ein Künstler seinen Job verlieren, weil er ein falsches Wertesystem unterstützt. Davon betroffen ist aber nicht mehr nur der Künstler als eine Figur mit Einfluss: Heute kann an irgendeiner abgelegenen US-amerikanischen Hochschule jeder bescheidene wissenschaftliche Mitarbeiter, oder auch einfach ein friedlicher und durchaus erfolgreicher Student der Mauern des Instituts verwiesen werden, weil er eine "falsche" Meinung zum aktuellen politischen oder öffentlichen Leben hat. Da es aber nicht der Staat, sondern die Gesellschaft ist, die diese repressiven Maßnahmen durchführt, werden diese Repressionen als Akte der gesellschaftlichen Solidarität bezeichnet und durch den gerechten Zorn der "freien" und "fortschrittlichen" Menschen geheiligt, die verlangen, dass die nicht Einverstandenen ein Knie beugen – in diesem Fall sind die Erstgenannten bereit, den Letztgenannten gnädig das Recht auf Arbeit und Schaffen zu bewahren. So wird der Mensch an die Selbstkastration als die einzige Möglichkeit, in diesem neuen Orwellschen Staat zu überleben, herangeführt.
Sexuelle Konterrevolution
Das Neue Reich hat dem Tod den Krieg erklärt – einen Krieg gegen die menschliche Natur, in der das Verwelken und der Tod Teil eines unergründlichen göttlichen Plans sind. Das Streben nach ewiger Jugend ist zur inneren idée fixe der neuen westlichen Gesellschaft geworden. Und der Grund liegt auf der Hand: Der Tod ist unvorhersagbar und göttlich. Doch die Queer-Sozialisten, wie schon die Nationalsozialisten, wie auch die Kommunisten, erkennen keine andere Macht über sich selbst an als die ihrer jeweiligen Idee. Entweder sind Idee und Ratio ihr Gott, oder sie selbst sind Götter und sehen den Menschen nicht als Mysterium, sondern als Versuchsobjekt, als ein Stück Fleisch. Der Krieg gegen den Tod ist ein Krieg mit dem Mysterium der Existenz. Ein sinnloser und dummer Krieg gegen die Ewigkeit.
Doch wo ein Krieg gegen den Tod als ein göttliches Gegebenes, als das mystische finale Ergebnis tobt, da wird zwangsläufig auch ein Krieg gegen das Leben geführt. Denn das Leben ist genauso unberechenbar wie der Tod, genauso unergründlich – und somit unkontrollierbar und gefährlich.
Schnell durchlief Europa den Weg von der sexuellen Revolution, die zu einer neuen europäischen Post-Nazi-Renaissance wurde, zu einem totalen Kampf gegen die dem Sex innewohnenden Energie, gegen den vitalsten, emotionalsten und am schlechtesten kontrollierbaren Teil der menschlichen Existenz.
Denn Sex ist Freiheit. Sex bedeutet Gefahr. Sex ist das Tierische im Menschen. Doch am wichtigsten ist Sex als die Geburt des Lebens.
Das Christentum verlieh dem sexuellen Akt sakralen Charakter, verlieh ihm Göttlichkeit und Schönheit. Erotik war ein Thema der Kunst. Im Verlangen manifestierte sich die Inspiration. Sex war der heilige Genuss der Liebe, die Geburt ein Wunder.
Das Neue Reich betrachtet Sex als einen Produktionsvorgang und die Geschlechtsorgane als Werkzeug. Und in Anlehnung an die sozialistischen Vorgaben der Vergangenheit sowie im Rahmen des neuen Queer-Sozialismus macht das Neue Reich die Produktionsmittel zu öffentlichem Gut und verteilt sie um – während die Produktion selbst optimiert und unter staatlich-soziale Kontrolle gestellt wird, wodurch die Geschlechtsangehörigkeit irrelevant wird.
Der niedergebrannte Dom Notre-Dame de Paris ist kein Zeichen für den Fall des christlichen Europas unter dem Andrang eines muslimischen – sondern ein seltsames und mystisches Zeichen des Krieges, den das Neue Reich gegen das im Kruzifix offenbarte heilige Mysterium von Leben und Tod führt.
Grenzen und neue Rassentheorie
Die Transnationalisierung der Gesellschaft, die Globalisierung gehören zur Schaffung eines neuen totalitären Imperiums dazu. In alten Zeiten hatte der Dissident die Möglichkeit, seine Gesellschaft zu verlassen und eine neue zu finden. Grenzen versicherten die individuelle Freiheit: Die Vielfalt der Ethik- und Wertesysteme ermöglichte es dem Einzelnen, sich zum Leben und zur Selbstverwirklichung einen eigenen, passenden Lebensraum zu suchen – der ihn entweder möglichst akzeptieren oder wenigstens sein Leben nicht erschweren würde.
Das neue ethische Imperium dürstet nach eigener Ausdehnung und nach Vereinheitlichung von Gesellschaften. So entsteht ein neues globales Dorf, in dem sich die Andersdenkenden nicht vor den Hütern der ethischen Reinheit verstecken können.
Denn die ethische Reinheit ist an die Stelle der rassischen Reinheit getreten. Im Westen werden heute weder Nasenform noch Nationalität mit der Lupe begutachtet, sondern die ethische Vergangenheit eines jeden erfolgreichen Individuums:
Lauert dort, in den Tiefen der Jahrzehnte, nicht wenigstens ein kleiner Übertritt in Form einer Belästigung, einer Misshandlung oder einfach einer Aussage, die nicht dem neuen Wertesystem entspricht? Und wenn ja, fall auf deine Knie und tue Buße.
Das Europa, dessen sie verlustig gingen
Die Revolution im Jahr 1917 isolierte Russland fast ein Jahrhundert lang vom Westen. Vom Bolschewismus befreit, stürzte sich Russland in den 1990er-Jahren auf Europa. Russland suchte dort Akzeptanz, versuchte zu lernen, träumte davon, seinen Status als europäisches Land wiederzuerlangen – und europäische Werte: die Werte des schönen Vorkriegseuropa, eines Europa, das keine Angst vor dem komplexen Menschen in seiner ganzen Vielfalt hatte, das seine Freiheit zu lieben und zu hassen respektierte, eines Europa, das verstand, dass die Natur den Menschen gerade als ein komplexes, widersprüchliches und dramatisches Wesen schuf und sich nicht für berechtigt hielt, in den höheren Plan einzugreifen, eines Europa, für das der Hauptwert des Menschen seine Individualität war, die sich nicht in der Art und Weise ausdrückt, wie ein Mensch Sex hat, sondern in der Art und Weise, wie er denkt und schafft, und das die eigentliche Kreativität im Schaffen von Gemälden, Musik, Texten sah – und nicht in Änderungsschneiderei am eigenen Körper oder im Erfinden neuer Genderdefinitionen.
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Dieses Europa war es, das Russland in den 1990er-Jahren suchte – und das zu werden Russland sich erträumte.
Muss man denn heute versuchen, Verbündete zu finden, wo es keine gibt?
Europa ist gleichsam der verlassene und der Plünderung preisgegebene "Kirschgarten" des Anton Tschechow:
Die Firs verstecken sich vor den Migrantenmassen, die Gutsbesitzer Ranewskis schnupfen sich mit Kokain den letzten Rest ihrer Gesundheit weg, der Student Peter Trofimow schreibt EU-Gesetze, Anja hat erkannt, dass sie eine queere Person ist, und die auf die letzte Stunde ihres Lebensabends senil gewordenen Gajews murmeln Lippenbekenntnisse über Güte und Gerechtigkeit vor sich hin wie Alterchen Biden.
Das heutige Russland ist zweifelsohne weit von dem Europa entfernt, in das es einst strebte. Doch es will sich selbstredend auch nicht der neuen europäischen panoptischen Freakshow anschließen.
Unsere Progressiven und Westler bestehen darauf: Russland war und ist ein Land der Knastwarte und der Sklaven. Dies ist in vielerlei Hinsicht richtig. Wahr ist indes aber auch, dass die langen Jahre des Lebens unter Bedingungen der Unfreiheit, die Angst vor dem Lager, das Denunziantentum sowie das Schweigen und die Gewalt als Mittel zum Überleben und zum Schutz des Volkes vor der Obrigkeit und der Obrigkeit vor dem Volk, die sich in das genetische Gedächtnis eingefressen haben – dass all das keine Revolutionen erfordert, sondern Geduld und Therapie. Das Drama von Lanzelot besteht darin, dass er weder Elsa noch diejenigen, die er zu retten versucht, wirklich liebt.
Ich verabscheue den Geist der Gewalt und die Atmosphäre der Angst [in Russland]. Aber das bedeutet nicht, dass ich die Verwandlung des Landes der Knastwarte und Sklaven in ein Land akzeptiere, in dem nicht aus Angst verpfiffen wird, sondern vom ganzen Herzen,
in dem Menschen sich nicht aus Rückständigkeit mobben und hetzen, sondern aus lauter Aufgeklärtheit, in ein Land, in dem bunte (darunter auch weiße) BLM-"Schwonder" in Häuser eindringen und verlangen, dass Professoren niederknien und zum Zwecke der Hilfe an die hungernden Floyds ihren Wohnraum teilen und Geld spenden.
Russland hat das alles nach dem Jahr 1917 durchgemacht: Feminismen ebenso wie andere Entweihungen der Sprache und Versuche, sich von der geschlechtlichen oder kulturellen Zugehörigkeit zu befreien, auch Versammlungen mit Diskussionen zum "moralischen Antlitz", Forderungen seitens der Arbeitermassen, ja, und sogar Kinder, die ihre Eltern verraten – wie kürzlich in den USA geschehen, als ein den Demokraten anhängendes Mädchen ihre trumpistischen Eltern bei der Polizei* anzeigte, nachdem sie erfahren hatte, dass diese an Protesten und der Kapitol-Erstürmung teilgenommen hatten. Alles schon dagewesen.
Und wie erstaunlich ist da die westliche Welt zu beobachten, als träume sie zum ersten Mal die süßen Träume von einer schöneren Welt, die schon Wera Pawlowna bei Tschernyschewski träumte; wie befremdlich auch die brennenden Augen und naiven Reden der neuen russischen Rasnotschinzen (Intellektuelle; hier als Synonym für den Teil der Intelligenzija mit radikalen [liberalen] Ansichten. Anm. d. Red.), die mit ihrem moralischen Terror gegen Andersdenkende der Bereitschaftspolizei auf der Straße in nichts nachstehen.
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Andersdenkende indes sind viele, und sie sind nicht bloß "hinterwäldlerische, rückwärtsgewandte" Orthodoxe. Sie sind moderne, fröhliche und freie Menschen, gebildet und erfolgreich, offen für Neues, Menschen, die das Leben in seiner ganzen Vielfalt lieben. Russen, Europäer, US-Amerikaner, die insgeheim davon träumen, dass diese seltsamen und dunklen Zeiten vergehen. Sie haben Angst, ihre Stimme zu erheben, Angst, in Russland zur Zielscheibe von Online-Hetze zu werden, moralisch terrorisiert zu werden oder im Westen ihre Arbeit und ihre Finanzierung zu verlieren.
Sie brauchen Unterstützung wie Luft zum Atmen. Ihre Gefühle und Gedanken müssen in Worte gefasst werden, und diese Worte müssen mit Willen und Organisation untermauert werden. Das bedeutet:
Es ist an der Zeit, dass eine neue rechte Ideologie klar und verständlich artikuliert wird,
eine Ideologie außerhalb der radikalen Orthodoxie, die jedoch streng und unversöhnlich die Werte einer komplexen Welt verteidigt, auf den komplexen Menschen gestützt.
Russische Rasnotschinzen sagen uns: Russland hinkt dem Fortschritt hinterher.
Nein.
Dank einer Verkettung von Umständen sind wir im Heck eines Zuges des Wahnsinns gelandet, der mit Volldampf auf eine Hölle des Hieronymus Bosch zurast, wo uns multikulturelle, geschlechtsneutrale Teufel erwarten. Wir müssen einfach den Waggon abkoppeln, uns bekreuzigen und anfangen, eine neue Welt aufzubauen – unser altes, geliebtes Europa wieder aufzubauen, das Europa, von dem wir einst geträumt haben, das Europa, dessen sie verlustig gingen. Das Europa des gesunden Menschen.
* Offensichtlich vermischt hier der Autor mehrere Ereignisse zu einem und stellt dadurch die Fakten falsch dar. Der Autor bezieht sich wahrscheinlich auf einen Vorfall in der Familie der 18-jährigen Helena Duke aus dem US-Bundesstaat Massachusetts, die ihre republikanische Mutter in einem Tweet rügte, nachdem sie sie in Aufnahmen in den sozialen Netzwerken gesehen hatte: Eine Videoaufnahme zeigte, wie die Mutter sich während des Aufruhrs am Kapitol am 6. Januar 2020 mit einer afroamerikanischen Frau eine Prügelei lieferte.
Ein weiteres Ereignis, auf das sich Bogomolow hier wahrscheinlich beruft, geschah Anfang Januar im US-Bundesstaat Texas: Der 48-jährige Guy Reffitt hatte seinen Kindern mit dem Tod gedroht, wenn sie seine Beteiligung an der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar melden würden. Nach diesen Drohungen kontaktierte sein Sohn, der 18-jährige Jackson Reffitt, den US-Inlandsgeheimdienst FBI. Guy Reffitt drohte ferner seiner Tochter, ihr Telefon zu zerschießen, wenn sie etwas über ihn in den sozialen Medien posten würde. (Teilweise übernommene Anmerkung der Redaktion der Nowaja Gaseta.)
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Übersetzt aus dem Russischen.
Konstantin Bogomolow ist ein Dichter, vor allem aber ein hochdekorierter Theaterregisseur, der an mehreren renommierten Moskauer Dramenbühnen als Generalregisseur tätig ist beziehungsweise war, darunter das Oleg-Tabakow-Theater, das Anton-Tschechow-Kunsttheater, das Mark-Sacharow-Lenkom und das Theater an der Malaja Bronnaja.
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