Meinung

Rangliste von The Economist: Je demokratischer das Land, umso härtere Corona-Regeln?

Die britische Wochenzeitung The Economist hat unlängst eine Staaten-Bestenliste in Sachen Demokratie veröffentlicht. Doch hier drängt sich die Frage auf: Warum nennt man Staaten, die harte Corona-Maßnahmen verhängen, demokratisch, und jene, die ihren Bürgern eher die Freiheit lassen, autoritär?
Rangliste von The Economist: Je demokratischer das Land, umso härtere Corona-Regeln?Quelle: AFP © John MACDOUGALL / AFP

Ein Kommentar von Rachel Marsden

Es ist schon eine verkehrte Welt, wenn Staaten, die Millionen Menschen unter Hausarrest stellen, zu den "freiesten" Ländern der Welt zählen sollen – und doch behauptet die neueste Umfrage der Zeitschrift The Economist genau das.

Hey, ihr Erdenbürger! Lebt ihr eigentlich noch in einem freien Land? Das ist ja bekanntlich schwer zu sagen – angesichts all der Einschränkungen, die im letzten Jahr in euer tägliches Leben eingeführt und in vielen Fällen immer noch nicht gelockert wurden. Um in dieser Frage eine Hilfestellung zu geben, hat es sich das renommierte Magazin The Economist zur Aufgabe gemacht, euch mitzuteilen, ob ihr tatsächlich frei seid oder nicht.

Logischerweise würde man denken, je mehr Einschränkungen im Namen der Pandemiebekämpfung eingeführt werden, desto niedriger ist der Indikator für die bürgerlichen Freiheiten. Doch bei The Economist wird die Pro-Lockdown-Flagge gleich zu Beginn des Artikels hoch gehisst:

"Dass der Verlauf der Pandemie die Lockdown-Skeptiker eines Besseren belehrt hat, bedeutet nicht, dass man sie hätte an der Äußerung ihrer Ansichten hindern sollen, egal, als wie falsch sich einige davon erwiesen haben."

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The Economist versäumt es, irgendwelche Beweise für strikte Abriegelung als die beste Option für Freiheit, Demokratie und die Wirtschaft zu präsentieren (auch Belege dafür, Sperren seien die beste Art, die Pandemie zu bekämpfen, bleibt das Blatt an dieser Stelle schuldig). Stattdessen wird einfach die Position eingenommen, als hätten die Länder wirklich keine Wahl, ob sie abriegeln sollten – obwohl sie durchaus eine hatten. Dem folgt ein Lippenbekenntnis zur Redefreiheit in Form des Arguments, dass diese verrückten Lockdown-Gegner wenigstens hätten zu Wort kommen dürfen. Allerdings scheint man ja nicht einmal bei The Economist mit einem guten Beispiel für Achtung der Redefreiheit vorangegangen zu sein, indem man etwa den Lockdownskeptikern die Titelseite des Magazins zum Vorbringen ihrer Argumente verfügbar gemacht hätte, oder habe ich da etwas verpasst? Vielleicht hätte die Zeitschrift in ihrem Artikel ja diese Frage zuerst beantworten können, bevor der Autor sich munter daranmachte, mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Die Experten der zitierten Studie – Mitarbeiter der hauseigenen The Economist Intelligence Unit – entschieden sich, Frankreich vom Status einer "vollwertigen Demokratie" auf den einer "mangelhaften Demokratie" herabzustufen: wie es hieß, "aufgrund der Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, einschließlich mehrfacher Abriegelungen und in jüngster Zeit auch landesweiter Ausgangssperren zu früher Uhrzeit". Zugegeben, die landesweite Abriegelung Frankreichs von Mitte März bis Mitte Mai 2020, bei der die Menschen nur mit Genehmigung der Regierung für eine Stunde pro Tag ins Freie durften, war auf brutale Art autoritär und ein schockierender Schlag gegen die bürgerlichen Freiheiten. Doch seitdem sind mit Ausnahme der aktuellen 18-Uhr-Ausgangssperre, die seit Neujahr in Kraft ist, die geltenden Einschränkungen minimal – und sei dies nur, weil es eine Reihe von Formularen zur Selbstermächtigung gibt, die jeder auf dem Smartphone ausfüllen muss, um den Zuständigen gegenüber zu rechtfertigen, warum er unterwegs ist (nötigenfalls mehrmals täglich).

Wenn man überhaupt auf irgendwelche Vertreter der Staatsgewalt stoßt, sei hier angefügt: Wer versuchen will, nachts auf der Straße irgendwo Polizisten zu finden, die sich überhaupt die Mühe der Ausweiskontrolle machen, dem kann man nur viel Glück bei der Suche wünschen. Auf dem Papier scheinen Frankreichs Maßnahmen also restriktiv zu sein, aber in der Praxis sind sie viel weniger einengend als die in anderen Ländern, die die Experten von The Economist offenbar als Leuchttürme der Demokratie und Freiheit betrachten.

Sogar Israel mit seinem Demokratie-Index-Wert, der dem Frankreichs fast identisch ist, wurde von seiner Regierung strengen und langwierigen Abriegelungen unterworfen, die absolut keine Ähnlichkeit mit denen in Frankreich haben. Die Freiheiten in Israel mit denen in Frankreich gleichzusetzen, ist absurd – und wirft die Frage auf, ob die befragten Experten die Realität vor Ort in beiden Ländern erlebt haben.

Und warum werden in diesem Artikel Neuseeland, Australien und das Vereinigte Königreich, die in der Praxis weitaus mehr Restriktionen erfahren haben, und das schon viel länger als Frankreich, immer noch als "volle Demokratien" eingestuft – angesichts ihrer drakonischen COVID-19-Razzien? Wenn ich hier in Frankreich über den Teich zu unseren lieben britischen Cousins schaue, ist mein erster Gedanke: "Wow, die Ärmsten können nicht einmal ihre eigenen Erlaubnisformulare auf dem Smartphone ausfüllen, um die Erlaubnis zum Ausgang zu erlangen, wann immer es ihnen passt." Und als zweiter Gedanke drängte sich mir sofort auf, dass es dort anscheinend sogar Polizisten auf den Straßen gibt, die die Abriegelung durchsetzen – im Gegensatz zu hier in Frankreich, wo sie bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen man sie trifft, einem einfach zulächeln und nach einem "Bonsoir" die Ruhe lassen.

Stünde ich jetzt vor der Wahl, würde ich Frankreichs "mangelhafte Demokratie" dem scheinbar leuchtenden Leuchtturm der Demokratie Großbritanniens vorziehen, wo jeder seit Wochen praktisch unter Hausarrest steht.

Und was hat es mit Russland auf sich, das als "autoritär" bezeichnet wird und in der Tabelle zwischen Äthiopien und dem Niger rangiert? Einige der vorhin angeführten "vollwertigen Demokratien" könnten sich von Russland eine Scheibe abschneiden, wenn es um die Balance zwischen grundlegender Bewegungsfreiheit und Pandemiebekämpfung geht. Doch zur selben Zeit, zu der westliche Medien Russland für seinen "Autoritarismus" verdammen, wird Moskau auch dafür kritisiert, dass es dem russischen Volk … nicht genug Einschränkungen auferlege: So fragte man im Juni letzten Jahres, als der Rest der Welt in voller Abriegelungshysterie war, bei der BBC: "Lockert Putin die Restriktionen, um politisches Kapital zu schlagen?"

Nun, ich weiß es ja nicht, aber vielleicht hatte er einfach nur Bedenken, die Menschen in ihren Häusern einzusperren und blind die pandemische Blaupause zu übernehmen, die von den hellsten Leuchttürmen der Demokratie nach The Economist diktiert werden?

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Übersetzt aus dem EnglischenRachel Marsden ist Kolumnistin, Politikstrategin und Gastgeberin einer unabhängig produzierten französischsprachigen Sendung, die auf Sputnik Frankreich ausgestrahlt wird. Ihre Webseite ist zu finden unter rachelmarsden.com

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