Bundesregierung leugnet Krankenhausschließungen inmitten der Pandemie
von Andrej Hunko
Seit etwa einem Jahr bestimmt die COVID-19-Pandemie medial und politisch alles. Man könnte meinen, der Gesundheitsschutz stünde plötzlich an erster Stelle und die Bundesregierung habe Abstand von ihrer Politik der Zurichtung des Gesundheitssystems allein nach wirtschaftlichen Kriterien genommen. Doch weit gefehlt. Legt man die Handlungen und nicht die Reden zu Grunde, dann zeigt sich ein anderes Bild.
Noch im Sommer 2019 empfahl die Bertelsmann Stiftung die Schließung von mehr als der Hälfte aller Kliniken in Deutschland und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) konnte dem durchaus etwas abgewinnen. Zwar verteidigte er damals nicht die Zurechtstutzung der deutschen Kliniklandschaft auf gerade einmal 600 Krankenhäuser, die das weitgehende Ende der flächendeckenden und wohnortnahen Versorgung bedeuten würde, doch konnte er der Methode der Zentralisierung von Krankenhauskapazitäten durchaus etwas abgewinnen.
Ein Jahr später hält die neoliberale Bertelsmann Stiftung an ihrer Kahlschlag-Forderung fest. Und der Gesundheitsminister? Der bemüht sich zwar erfolgreich, den Anschein als oberster Seuchenbekämpfer und Gesundheitsschützer zu wahren. An seiner Linie, das Gesundheitssystem durch Instrumente wie das Fallpauschalensystem weiter an Profitinteressen und nicht am Bedarf der Menschen zu orientieren, hält er jedoch fest.
Allein im Pandemiejahr 2020 wurden dem Bündnis "Gemeingut in BürgerInnenhand" zufolge 20 Kliniken in Deutschland geschlossen. Jeder zehnten Klink droht laut Bundesrechnungshof die Insolvenz. Parallel dazu wurden und werden mit der drohenden Überlastung des Gesundheitssystems die drastischsten Grundrechtseinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik gerechtfertigt.
Schlimmer noch, als nichts dagegen zu tun: Das Gesundheitsministerium leugnet, dass überhaupt Kliniken geschlossen wurden. In einer Antwort auf meine diesbezügliche Frage schreibt der zuständige Staatssekretär Dr. Thomas Gebhart (CDU) nüchtern: "Die Bundesregierung hat keine Kenntnis über die Schließung von Kliniken im Pandemiejahr 2020."
Ähnlich kreativ antwortete das Ministerium auf die Frage zum Abbau der Intensivkapazitäten. Dieser lässt sich eindeutig aus den Daten des DIVI-Intensivregisters ablesen: Zwischen August und Dezember 2020 ging die Zahl der betreibbaren Intensivbetten um mehr als 4.100 zurück, die Notfallreserve schrumpfte um mehr als 1.200 Betten. Für das Gesundheitsministerium ist dieser kontinuierliche Trend eine "nicht ungewöhnliche Schwankung"; "eine Reduzierung von Intensivbetten" ist ihr "nicht bekannt".
Derartige Aussagen reihen sich ein in das Versagen der Bundesregierung im Umgang mit der Pandemie. Sie ließ den Sommer verstreichen, ohne die Schulen mit Luftfiltern auszustatten und umsetzbare Konzepte für Bildung in Pandemiezeiten zu entwickeln. Es dauerte fast ein Jahr, bis ältere Menschen eine lediglich symbolische Ausstattung an FFP2-Masken erhielten. Und anstatt zielgenaue Schutzkonzepte für die Altenheime und andere Pflegeeinrichtungen nicht nur zu entwickeln, sondern durch finanzielle und personelle Unterstützung auch zu ermöglichen und dann konsequent durchzusetzen, sind diese heute die tödlichsten Hotspots der gesamten Pandemie. Dabei zeigen Beispiele wie Tübingen, dass derartige Maßnahmen durchaus wirksam sein können.
Stattdessen wurde am Ende wieder der Holzhammer des Lockdowns als alternativlos dargestellt, um bei der Ausbreitung des Virus auf die Bremse zu treten. Mit allen bekannten und teils enormen Kollateralschäden und weitgehend auf den privaten Bereich beschränkt, während es in Richtung von Großunternehmern bei bloßen Appellen zum Beispiel in Bezug auf das Homeoffice bleibt. Zugleich werden ausbleibende Erfolge "individualisiert" und Menschen zugeschrieben, die sich tatsächlich oder vermeintlich nicht ausreichend an die Regeln halten.
Im Hintergrund läuft das neoliberale Programm, das das eigentliche gesundheitspolitische Problem darstellt, jedoch weiter. Kliniken werden geschlossen, der lange bestehende Pflegenotstand bleibt ungelöst und die Tendenz, Gesundheit als Ware und nicht als Grundrecht zu behandeln, bleibt bestehen. Es besteht die Gefahr, dass die Corona-Krise als Brandbeschleuniger für die Zentralisierung und weitere Privatisierung des Gesundheitswesens genutzt wird. Das ist der eigentliche Skandal der Corona-Politik der Bundesregierung.
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Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf DieFreiheitsliebe. Andrej Hunko ist Sprecher für Europapolitik der Linksfration im Bundestag und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates.
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