Versorgungskrise: Kliniken sind nicht überbelegt, sondern unterbesetzt

Corona bringt viele Krankenhäuser in Not. Gründe sind wohl weniger eine Überbelegung als Personalmangel und Profitzwang, wie Zahlen von fast 300 Kliniken nahelegen. Es gab weniger schwere Intensivfälle als 2019, und offenbar führt sogar verfrühte Beatmung zu mehr Todesfällen.
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von Susan Bonath

Überlastete Intensivstationen, überarbeitetes Personal, Verlegungschaos für Patienten: Immer mehr Kliniken in Deutschland warnen vor einem Notstand. Der Landkreis Oder-Spree in Brandenburg verkündete kürzlich sogar ein Großschadensereignis und band den Katastrophenschutz ein. Das liege einzig an immer mehr schwer an COVID-19-Erkrankten, so die Erzählung. Mit anderen Worten: Das Virus sei schuld.

Ein Blick auf die neuesten Zahlen der Initiative Qualitätsmedizin (IQM) offenbart allerdings etwas ganz anderes: Zumindest 284 Kliniken des Verbandes, die rund ein Sechstel der deutschen Krankenhäuser abbilden, versorgten in diesem Jahr bis Ende November (Kalenderwoche 48) normal wie auch intensivmedizinisch weniger Menschen als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Zudem wurden weniger beatmet. Die Gesundheitskrise hat offenbar einen anderen Grund. Und der ist sogar seit Langem bekannt.

Geringere Auslastung der Kliniken als im Vorjahr

Die neueste IQM-Analyse vergleicht die Zeiträume von Januar bis Ende November der beiden Jahre 2020 und 2019 miteinander. Danach wurden dieses Jahr in den 284 IQM-Einrichtungen in Deutschland, darunter in elf Unikliniken, mit 3.393.480 etwa 13 Prozent weniger Patienten als im Jahr 2019 behandelt. Die Daten für Dezember will der Verband demnächst im Februar veröffentlichen.

Auf Intensivstationen (ITS) versorgten die Krankenhäuser in dieser Zeit demnach insgesamt 181.047 Patienten. Das waren 5,5 Prozent weniger als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Erklärbar wäre das zum Teil mit verschobenen Operationen und vielen Menschen, die sich aus Angst vor Corona nicht in Kliniken behandeln ließen – mit wohl oft weitreichenden Folgen.

Was allerdings beeindruckt: Obwohl COVID-19 zu den schweren akuten respiratorischen Infektionen (SARI), also den Atemwegserkrankungen gehört, hat die Gesamtzahl dieser in Kliniken 2020 behandelten Fälle gegenüber 2019 ebenfalls um 13,6 Prozent abgenommen. So behandelten die untersuchten Krankenhäuser zwischen Januar und November 2019 noch insgesamt 191.532 SARI-Patienten. In diesem Jahr waren es dagegen "nur" 181.047 Patienten.

Darüber hinaus wurden von Januar bis November 2020 acht Prozent weniger Menschen in den Krankenhäusern invasiv beatmet als im gleichen Vorjahreszeitraum. Bis Ende November 2019 mussten 93.505 Menschen diese Prozedur über sich ergehen lassen, in diesem Jahr waren das 86.046. Lediglich der Anteil der zu Beatmenden an der gesunkenen Zahl der SARI-Patienten nahm leicht zu – er stieg von 2,4 auf 2,5 Prozent.

Die Anzahl derer, die an schweren Atemwegserkrankungen verstarben, stimmt indes nahezu mit dem Vorjahr überein. Von Januar bis Ende November 2019 verzeichneten die IQM-Kliniken hier 25.743 Todesfälle, in diesem Jahr waren es 25.791 – eine geringe Steigerung um 0,2 Prozent. Insgesamt verstarben in diesem Jahr jedoch mit knapp 33.000 Todesfällen 3,5 Prozent weniger Menschen auf Intensivstationen als noch 2019. Beim Anteil der mit Beatmung Verstorbenen verzeichneten die Stationen sogar einen Rückgang um 6,5 Prozent von 27.512 auf 25.725 Todesopfer.

Personalabbau aus Profitgründen

Festzuhalten ist: Von Januar bis November 2020 behandelten die 284 IQM-Kliniken 13,6 Prozent weniger Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen, zu denen COVID-19 gehört. Insgesamt verzeichneten sie acht Prozent weniger Beatmungsfälle und etwa genauso viele an Infektionen der Atemwege Verstorbene, wie im vergangenen Jahr. Kurzum: Es stimmt nicht, dass die Kliniken stärker belegt sind als üblich.

Dass die Krankenhäuser dennoch eine Überlastung beklagen, liegt daran, dass sie trotzdem überlastet sind. Es fehlt seit Langem zunehmend an Personal. Grund dafür ist wiederum, dass die Krankenhäuser mit ihren Fallpauschalen rentabel wirtschaften müssen. Andernfalls droht ihnen finanziell die Pleite. Denn Personal ist für sie – ob privat oder kommunal – ein Kostenfaktor, der die Gewinne schmälert und die Einrichtungen zuweilen in die roten Zahlen treibt. Deshalb verschwinden zusehends wenig lukrative und betreuungsintensive Bereiche, wie Kinderstationen und Kreißsäle, als Folge von Entscheidungen des Managements. Wenn noch dazu aktuell viele Pflegekräfte in Quarantäne sitzen, wächst der Notstand.

Ob die Not so dramatisch ist, wie stets kolportiert wird, scheint trotzdem fraglich. In Bremen verkündete der städtische Klinikverbund Gesundheit Nord kurz vor den Feiertagen, dass er ab kommendem Jahr Personal abbauen werde. Der Grund: Die Krankenhäuser seien nicht hinreichend ausgelastet. Es gelte, Kosten zu sparen. Darüber berichtete am 23. Dezember der Weser-Kurier. Auch mit Schließungen geht es unvermindert weiter. So stellt etwa das Krankenhaus im rheinland-pfälzischen Ingelheim seinen Betrieb zum Jahresende ein, wie der SWR informierte.

Mehr Tote durch zu frühe Beatmung?

Dafür verdienen Kliniken aber wenigstens sehr gut an künstlicher Beatmung. Auch das ist nicht neu, wie ein Bericht des Südwestrundfunks (SWR) aus dem Jahr 2018 offenbart. Daran hat sich seither nichts verändert. Das geht aus einem Bericht der Welt vom April hervor. 

Thomas Voßhaar, Vorsitzender des Verbandes pneumologischer Kliniken in Deutschland und Chefarzt der Lungenklinik im nordrhein-westfälischen Moers, kritisierte am ersten Weihnachtstag in der Frankfurter Rundschau nicht als erster Mediziner, dass COVID-19-Patienten oft viel zu früh beatmet und häufiger als Folge dessen sterben würden.

"Der Lockdown, der uns Milliarden kostet, soll verhindern, dass die Intensivstationen mit COVID-19-Patienten überlastet werden, aber dann wählen wir eine Behandlungsmethode, die dazu beiträgt, dass Patienten vielleicht unnötig sterben und auch längere Zeit auf Intensivstationen bleiben müssen", sagte Voßhaar der Zeitung.

In seiner Lungenklinik seien seit März 250 Patienten mit COVID-19 behandelt worden, 15 davon – also sechs Prozent – seien verstorben. Die Sterberate der insgesamt in Kliniken behandelten Patienten mit dieser Erkrankung liege aber bei 22 Prozent, also fast viermal höher als in Moers, heißt es in dem Bericht. Ein Umdenken scheint dennoch auch in dieser Frage derzeit nicht in Sicht.

Zahl der belegbaren Betten schwindet

Dass die Klinikkapazitäten – wohl wegen Personalmangels – unaufhörlich schrumpfen, zeigt das Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Alleine vom 1. bis 27. Dezember sank die Zahl belegbarer Intensivbetten demnach um rund 1.100 auf gut 26.500. Ende Oktober hatten die Kliniken noch fast 29.000 freie Betten gemeldet, für die ausreichend Personal zur verfügbar ist.

Dabei waren die Intensivstationen am Tag nach Weihnachten unterdurchschnittlich mit insgesamt 21.367 Patienten belegt. Darunter befanden sich fast 5.600 positiv auf das Coronavirus Getestete. In welchem Umfang derzeit andere Behandlungen und Operationen verschoben werden, ist nicht bekannt.

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