Meinung

Offener Brief an Amnesty International Deutschland zum halbherzigen Einsatz für Julian Assange

150 Erstunterzeichner haben sich Ende November in einem offenen Brief an das deutsche Büro von Amnesty International (AID) gewandt. In dem Schreiben wird unter anderem die Frage aufgeworfen, wieso Amnesty im Gegensatz zum UN-Sonderberichterstatter Nilz Melzer, nicht auf die Folter des WikiLeaks-Gründers verweist und auch keine Kritik an dessen gegenwärtigen Haftbedingungen formuliert. RT dokumentiert den Brief im Wortlaut.
Offener Brief an Amnesty International Deutschland zum halbherzigen Einsatz für Julian AssangeQuelle: www.globallookpress.com

Offener Brief und Appell an Amnesty International Deutschland

Inhaftierung und Folter von Julian Assange

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren!

Amnesty International Deutschland (AID) ist in unserem Land eine weithin geachtete und viel zitierte Stimme, wenn es um Fragen der Menschenrechte geht.

Mit großem Befremden stellen wir jedoch fest, dass sich AID im Falle des inhaftierten Journalisten Julian Assange über mehrere Jahre hinweg weder mit einer Initiative zu dessen Freilassung eingesetzt noch in sonstiger Weise zu den bestehenden Menschenrechtsverletzungen in seinem Fall zu Wort gemeldet hat.

Zahlreiche Menschen, die uns im Rahmen unserer Aktivitäten zur Unterstützung für Julian Assange begegnet sind, traten an uns mit der Frage heran, was AID in dieser Sache unternehme, und empfinden die fehlende Unterstützung von AID als ebenso befremdlich wie wir.

Julian Assanges Situation

Bereits im Januar 2016 stellte der UNO-Menschenrechtsrat in einem Rechtsgutachten über Julian Assanges erzwungene Flucht in die Londoner Botschaft Ecuadors fest, dass ihm "fundamentale Freiheiten gegen seinen Willen entzogen wurden" und dass "der Entzug seiner Freiheit willkürlich und illegal ist".

Seit Mai 2019 liegen die dramatischen Berichte des UN-Sonderberichterstatters über Folter, Nils Melzer, vor, dessen Untersuchung ergab, dass Julian Assange "alle Symptome, die typisch sind für langanhaltende psychologische Folter – darunter extremer Stress, chronische Angst und äußerst große psychologische Traumatisierung – zeigt. […] [Er] wurde absichtlich über Jahre hinweg zunehmend ernsthaften Formen grausamer, unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt, deren Gesamtwirkung einzig und allein als psychologische Folter beschrieben werden kann. […] Die Willkür und der Missbrauch, denen er weiter ausgesetzt ist, könnten ihn bald sein Leben kosten".

Julian Assange befindet sich zurzeit im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, und die britische Justiz führt ein Verfahren zu seiner Auslieferung an die USA. Darin werden die Verfahrensrechte von Julian Assange massiv und andauernd verletzt: Er hat nur äußerst restriktiven Zugang zu den Dokumenten seines Verfahrens. Der Kontakt zu seinen Anwälten ist zeitlich beschränkt. Ihm werden täglich nur zehn Minuten für Telefonate zugestanden. Er hat keinen Internetzugang. Während der Gerichtstermine ist er in einem Glaskäfig eingesperrt, was einen direkten Austausch mit seinen Anwälten unterbindet. An den Prozesstagen im September musste er sich vor den Transfers vom Gefängnis zum Gericht und zurück zweimal täglich vollständig entkleiden, um Ganzkörper-Röntgenuntersuchungen über sich ergehen zu lassen.

Die Möglichkeiten der Prozessbeobachtung wurden immer weiter eingeschränkt. Unter anderem wurde die ursprünglich vorgesehene Möglichkeit für die Nichtregierungsorganisationen Reporter ohne Grenzen, PEN und Amnesty International, dem Prozess live per Telefonschaltung zu folgen, unterbunden. Christian Mihr, Chef von Reporter ohne Grenzen Deutschland, kommentierte das Geschehen in London mit den Worten, dass in dem Verfahren noch nicht einmal der Anschein von Fairness und Transparenz gewährleistet sei. Der preisgekrönte investigative Journalist John Pilger sprach gar von einem "Stalinistischen Prozess".

Nils Melzer bemerkte zur Gesamtheit der Ereignisse und zur mangelnden Rechtsstaatlichkeit in Julian Assanges Auslieferungsprozess, dass er in seinen 20 Jahren Arbeit mit Opfern von Krieg, Gewalt und politischer Verfolgung noch niemals zuvor gesehen habe, dass "sich eine Gruppe demokratischer Staaten zusammengetan hat, um eine Einzelperson absichtlich zu isolieren, zu dämonisieren und zu missbrauchen, und das über einen so langen Zeitraum und mit so wenig Beachtung der Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit".

Was tut AID öffentlich?

Am 21. Februar 2020 forderte AID mit einer Unterschriftensammlung an den amerikanischen Justizminister gerichtet: "USA: Anklage gegen Julian Assange fallen lassen!". In dem diesbezüglichen Begleitartikel äußerte sich der AID-Generalsekretär mit den Worten:

"Assange drohen in den USA Haftbedingungen, die Folter und anderer Misshandlung gleichkommen, und es ist davon auszugehen, dass kein rechtsstaatlich faires Verfahren in den USA gewährleistet ist."

An keiner Stelle weist der Artikel auf die bereits bestehende jahrelange Folter hin.

An keiner Stelle werden seine gegenwärtigen Haftbedingungen und seine eingeschränkten Möglichkeiten zur eigenen Verteidigung erwähnt.

An keiner Stelle wird thematisiert, dass seine Verurteilung zu einer fast einjährigen Haftstrafe wegen "Kautionsverletzung" völlig willkürlich war.

An keiner Stelle wird benannt, dass seine momentane Inhaftierung ebenso willkürlich und rechtswidrig ist.

An keiner Stelle wird darauf eingegangen, dass sein derzeitiges Verfahren zu seiner Auslieferung keinen rechtsstaatlichen Ansprüchen genügt.

Diese Auslassungen wiederholte AID in einem nachfolgenden Artikel am 4. September 2020, in dem es heißt:

"Bei einer Verurteilung würden ihm schwere Menschenrechtsverletzungen drohen wie zum Beispiel Haftbedingungen, die Folter und anderer Misshandlung gleichkommen. Dies schließt verlängerte Einzelhaft mit ein."

Besteht AID weiter auf diesen Auslassungen, oder möchte AID sich davon distanzieren?

Persönliche Erfahrungen mit AID

Eine telefonische Anfrage im August 2020 an die Zentrale von AID in Berlin erbrachte zu diesem Sachverhalt die Antwort: "Es gibt Journalisten, die man mehr, und welche, die man weniger mag" und weitere ausweichende Aussagen.

In einem persönlichen Gespräch mit einer AID-Aktivistin im Oktober 2020 in Köln gab diese, angesprochen darauf, warum AID sich nicht auch um Julian Assange kümmere, die Antwort:

"Wir haben Anweisung, nix zu machen. Er ist ein Vergewaltiger. Außerdem gibt es wichtigere Sachen."

Steht AID hinter diesen Aussagen, oder distanziert sich AID von diesen?

Wir verlangen Antworten!

Aus welchem Grund bleibt AID im Falle der bestehenden Menschenrechtsverletzungen von Julian Assange untätig, und warum begründen sogar eigene Mitglieder von AID diese Untätigkeit mit exakt demselben Vorwurf, der als falsch und als Schmutz- und Vernichtungskampagne entlarvt ist?

Aus welchem Grund ignoriert eine öffentlich hoch angesehene Institution für Menschenrechte wie AID sowohl das Rechtsgutachten des UNO-Menschenrechtsrates wie auch die Untersuchungsergebnisse des UN-Sonderberichterstatters über Folter?

Aus welchem Grund erweckt AID den Eindruck, es gäbe im Falle von Julian Assange keine bereits bestehende Verletzung der Menschenrechte, sondern projiziert diese lediglich in die Zukunft auf den eventuellen Fall seiner Auslieferung?

Aus welchem Grund lässt AID ausgerechnet den jeder Rechtsstaatlichkeit spottenden und skandalösen gegenwärtigen Auslieferungsprozess in London bewusst aus seiner Öffentlichkeitsarbeit aus?

Ohne Pressefreiheit wäre auch die Arbeit von AID unmöglich!

Whistleblower, investigative Journalisten, mutige Publizisten, eine freie Presse – sie sind und waren zu allen Zeiten das Rückgrat einer emanzipierten, freien und offenen Gesellschaft. Durch ihre Arbeit erfahren wir von Menschenrechtsverletzungen, Kriegsgräuel und angeblichen Kriegsgründen und von anderen Dingen, die der Öffentlichkeit verborgen bleiben sollen.

Julian Assange hat mit seinen Aktivitäten um WikiLeaks Meilensteine für den investigativen Journalismus gesetzt und innerhalb kurzer Zeit mehr Informationen von großer öffentlicher Relevanz zugänglich gemacht, als die meisten seines Fachs in einem ganzen Leben. Sein einziger "Fehler" bestand darin, Kriegsverbrechen der "falschen" Großmacht zu publizieren – den USA.

Diese setzten mit Duldung und aktiver Mithilfe verbündeter Staaten eine Maschinerie zu seiner gezielten persönlichen Vernichtung in Gang. Der Versuch, Julian Assange endgültig zum Schweigen zu bringen, ist eine Drohung an jeden Journalisten. Gelingt dieser Angriff auf die Person Julian Assange weiterhin, gelingt ein verheerender Angriff auf investigativen Journalismus, die Pressefreiheit und die rechtsstaatliche Demokratie.

Es geht hier nicht nur darum Julian Assange zu beschützen, sondern – wie es Nils Melzer ausdrückte – darum, einen "Präzedenzfall zu verhindern, der das Schicksal der westlichen Demokratien besiegeln würde. Denn wenn es erst einmal zu einem Verbrechen geworden ist, die Wahrheit zu sagen, während die Mächtigen straffrei ausgehen, wird es zu spät sein, den Kurs zu korrigieren. Unsere Stimme wird dann vor Zensur und unser Schicksal vor uneingeschränkter Tyrannei kapituliert haben".

Julian Assange ist ein gewaltloser politischer Gefangener, der umgehend und bedingungslos freigelassen werden muss.

Für alle freiheitlich denkenden Menschen, für diejenigen, die AID vertrauen, durch Spenden finanzieren und von der Notwendigkeit Ihrer Arbeit überzeugt sind, für uns alle ist es wichtig zu wissen, warum AID – im eklatanten Gegensatz zum eigenen Selbstverständnis – ausgerechnet im Fall von Julian Assange ein zutiefst verstörendes lautes Schweigen an den Tag legt.

Im öffentlichen Interesse fordern wir Sie, sehr geehrte Damen und Herren von AID, auf, sich zu erklären.

Wir drängen darauf, dass Sie sich umgehend – so wie es AID in solchen Fällen üblicherweise tut – mit einer "Urgent Action" für Julian Assange einsetzen!

Ihre Antwort erwarten wir bis zum 9. Dezember 2020 und weisen darauf hin, dass Ihre Antwort ebenso wie dieser Brief veröffentlicht wird.

Mit freundlichen Grüßen

Thespina Lazaridu

Stellvertretend im Namen der
Erst- und Mitunterzeichner

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.