Ehrliche Analyse oder Maidan-Apologetik? Deutsche "Ukraine-Versteher" im Faktencheck
von Wladislaw Sankin
Vergeblich sucht man in den deutschen Medien derzeit Nachrichten über die Ukraine. Auch der Beginn jener proeuropäischen Proteste in Kiew vor sieben Jahren, die den Volksaufstand auf dem Maidan, die stolze "Revolution der Würde", einläuteten, ist offenbar kein Anlass mehr, an die Ukraine zu erinnern. Dem einzigen Beitrag dieser Tage über die Ukraine verleiht der MDR einen nicht ganz so feierlichen Titel – "Prorussische Opposition auf dem Vormarsch". Die Journalistin vermeidet es, die damaligen Proteste als "Revolution der Würde" zu bezeichnen, und spricht ganz nüchtern von "Euromaidan".
Doch die Ukraine-Berichterstattung ist nicht ganz zum Erliegen gekommen. Wenn man genauer hinschaut, dann stellt man schnell fest, dass es nicht mehr die üblichen Medien "für jedermann" sind, die am hiesigen Ukraine-Narrativ feilen. Diese Aufgabe haben schon seit Jahren mehrere NGOs und Thinktanks übernommen. Zu ihren Konsumenten gehören wichtige Entscheidungsträger aus Politik, Wissenschaft und Kultur. Was sollen sie wissen und was nicht? In der Ukraine findet derzeit ein "Aufbruch in eine offene Gesellschaft" statt – das sollen sie wissen. Dies schreibt zumindest der Thinktank der Ex-Abgeordneten der Grünen Marieluise Beck, Liberale Moderne (LibMod). Verfasst hat diese positiv gefärbte Analyse für die Webseite libmod.de ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Osteuropa-Zentrums in Bremen.
Es ist nicht verwunderlich für eine Organisation, die ganz offen politischen Lobbyismus betreibt und außenpolitisch nur eine bestimmte Agenda vertritt, etwas in ihrem Sinne zu färben. Aber auch für eine voreingenommene Analyse lassen sich zugrundeliegende Fakten finden. Ist dies auch in diesem Fall so? Mehr dazu im folgenden Faktencheck.
"Revoluzzer" in den Aufsichtsräten
LibMod: "Der Investigativjournalist Mustafa Najjem ahnte sicher nicht, welche Lawine er lostreten würde. Am 21. November 2013 rief er mit einer kleinen Nachricht auf Facebook zu einer Protestkundgebung auf, weil der ukrainische Präsident Wiktor Janukowytsch auf russischen Druck hin das lange Jahre verhandelte EU-Assoziationsabkommen im letzten Moment doch nicht unterzeichnet hatte."
In einer Anmerkung am Ende des Artikels erfahren wir, dass der Text nicht ganz aktuell ist, sondern auf einem zwei Jahre alten Beitrag der Reihe Ukraine-Analysen basiert. Beide Artikel wurden vom Osteuropa-Experten Eduard Klein verfasst. Es fällt auf, dass der Autor in einem älteren Beitrag über Najjem und dessen Mitstreiter – "drei Dutzend andere Aktivisten" – ausführlicher berichtet. Es sei schon ein Erfolg, dass sie als Abgeordnete "in der Werchowna Rada sitzen und die verkrustete politische Kultur von innen aufzubrechen versuchen", so der Artikel aus dem Jahr 2018.
Diese Gruppe der im Westen gut vernetzten "Euro-Optimisten" um den afghanischstämmigen Najjem ist äußerst wichtig für die Erzählung des Jahres 2018. Aus Sicht des Autors sind diese jungen prowestlichen Liberale das Lichtblick im korrupten Dschungel der ukrainischen Politik.
Wo stehen aber Mustafa Najjem und seine Mitstreiter zum gegenwärtigen Zeitpunkt? Führen sie auch weiterhin ihren selbstlosen Kampf? Diese Gruppe, ebenfalls bekannt als "Soros-Kinder" (auch in Najjems ironischer Selbstbezeichnung) hat in der Zwischenzeit jedoch das Parlament verlassen und ihre Partei, die "Demokratische Allianz", aufgelöst.
Wie steht es jetzt um den Jungpolitiker? Vor genau einem Jahr erhielt Najjem den Posten des stellvertretenden Direktors im wichtigsten staatlichen Rüstungsunternehmens "Ukroboronprom" – mit einem für die Ukraine fürstlichen Gehalt von umgerechnet 10.000 Dollar monatlich. Der andere Anti-Korruptionskämpfer aus Najjems Gruppe, Sergei Leschtschenko, wurde zeitgleich in den Aufsichtsrat des ebenso staatlichen Bahnunternehmens "Ukrainische Eisenbahn" gewählt. Auch er bekommt umgerechnet etwa 10.000 Dollar im Monat. Sie arbeiten im Interesse der US-Firmen und globalen Konzerne, die so durch ihre Einflussagenten strategisch wichtige Branchen kontrollieren, schreiben kritische Medien in ihrer Heimat.
In den Staatsunternehmen verdienen die ehemaligen Maidan-Anführer nicht nur gutes Geld. Laut einer journalistischen Untersuchung sorgt Leschtschenko mit seiner "Aufsicht" etwa dafür, dass der ukrainische Oligarch Igor Kolomoiski vom ukrainischen Diesel-Markt durch US-Unternehmen verdrängt wird.
Die Wendung im Schicksal der einstigen "Aktivisten" Najjem und Leschtschenko spricht für sich. Kein Wunder, dass der Autor sie in seinem jüngsten Bericht nicht mehr erwähnt.
Merkel: Ohne Wenn und Aber
Neben dem Aktivisten-Mythos gehört zum westlichen Maidan-Narrativ auch die Vorstellung, dass der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch ausschließlich auf russischen Druck hin die Unterschrift des EU-Assoziierungsabkommens verweigerte. Das ist falsch. Russlands Bedenken hinsichtlich der geplanten Öffnung des ukrainischen Marktes für EU-Waren waren ökonomisch nachvollziehbar und legitim. So entfielen im Jahr 2012 36,3 Prozent des Außenhandelsumsatzes der Ukraine oder 63,1 Milliarden US-Dollar auf die Länder der Zollunion. Zum Vergleich: Auf die EU-Länder entfielen 29,2 Prozent oder 50,7 Milliarden US-Dollar.
Ein dreiseitiges Regulierungsformat einschließlich Russlands – der Vorschlag von Janukowitsch – lehnte die EU ab. Der wichtigste Unterhändler bei allen Verhandlungen der Ukraine mit der EU, der EU-Osterweiterungskommissar Štefan Füle, beschrieb in einem ausführlichen Interview die damals entstandene Lage so:
Nun muss man wissen, dass ich bei allen Begegnungen mit den führenden Politikern der Ukraine den Eindruck gewonnen hatte, dass sie ausnahmslos nach Europa wollten, ohne die guten Beziehungen zu Russland zu gefährden oder gar aufs Spiel zu setzen. Sie standen unter Druck von beiden Seiten, denn sowohl die EU als auch Moskau verlangten alles oder nichts.
Speziell zu Janukowitsch sagte Füle: "Er war nicht zerrissen. Nur stand er unter großem Druck von mehreren Seiten. Und der Druck kam, wie viele bei uns irrtümlich zu wissen meinten, eben nicht nur aus Moskau."
Es folgte das berüchtigte Vilnius-Ultimatium von Angela Merkel, als die Kanzlerin Janukowitsch im Falle der Nicht-Unterzeichnung mit "Ersetzung" gedroht haben soll. Mit diesem Alleingang hätte sie der EU geschadet, es sei nicht im Interesse der EU gewesen, der Ukraine einen Vertrag aufzuzwingen.
Ein Ultimatium zu stellen – er solle unterzeichnen ohne Wenn und Aber -, hätte die EU weder von ihr verlangt noch wäre das Plan B gewesen", so Füle.
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Die Hälfte für die Union mit Russland
LibMod: "Die landesweiten Proteste bereiteten schließlich dem unbeliebten, kleptokratischen Janukowytsch-Régime ein Ende."
Auch diese Behauptung ist falsch. Die Proteste gegen Janukowitsch waren nicht landesweit. Sie erfassten vor allem die Regionen im Westen und in der Zentralukraine. In den Großstädten des Südostens kamen an Wochenenden maximal nur wenige Hunderte "Pro-Maidaner" auf die Straße. Gleichzeitig formierte sich in diesen Regionen der sogenannte Anti-Maidan – vor allem in Odessa, Charkiw, Donezk und Saporoschje. Auf der Krim fand der Anti-Maidan seinen Höhepunkt.
Was in vielen Medien außerdem unerwähnt bleibt – zu Tausenden wurden die Protestierenden jeden Alters aus der Westukraine mit Bussen nach Kiew verfrachtet, um dort den Eindruck einer massenhaften Bewegung zu erwecken. Denn viele Kiewer blieben den Protesten fern. Aus der Westukraine stammten die meisten militanten Maidan-Kämpfer. Auch mit seiner starken nationalistischen Färbung war der Kiewer Maidan mehr ein regionales westukrainisches als ein ukrainisches Phänomen. Im LibMod-Artikel ist militanter ukrainischer Nationalismus jedoch kein Thema.
Die Umfragen zeigten, dass nur die Hälfte der Ukrainer sich mit dem anfänglichen Anlass für die Proteste – der angeblichen Weigerung von Janukowitsch, "nach Europa" zu gehen – identifizierte. Wie eine Erhebung des angesehenen Kiewer Instituts für Soziologie ergab, waren Anfang November 2013 etwa 40 Prozent der Bürger für den Beitritt in die EU und 40 Prozent für den Beitritt in die Zollunion (später EAWU). Die Zollunion-Sympathisanten hatten in dieser Umfrage gar einen minimalen Vorsprung von einem bis zwei Prozent.
Auch war Janukowitsch keineswegs unbeliebt. Ganz im Gegenteil. Trotz Parteinahme nahezu aller Medien gegen ihn und seine Regierung lag er in demoskopischen Umfragen gegen seinen damaligen Herausforderer Vitali Klitschko mit 18,4 Prozent knapp vorne. Für Klitschko stimmten damals 17,6 Prozent der Wähler, für den künftigen Präsidenten Petro Poroschenko neun. Hass gegen Janukowitsch wurde vor allem in den Medien geschürt, die infolge einer Oligarchen-Verschwörung und eines großen westlichen Einflusses gegen ihn und für den Maidan umschwenkten.
Die Bezeichnung "Regime" trifft für die Janukowitsch-Regierung ebenso nicht zu. Dies ist eine reine Propaganda-Schablone der Pro-Maidaner. Im Gegenteil, es sind die Regierungen nach dem Staatsstreich, die auf Repression, nationalistische Rhetorik, Einschüchterung und Militanz setzen. Die Ukraine hat trotz massiver Armut und Überschuldung nach Janukowitsch die Ausgaben für den Sicherheitsapparat, verschiedene Kontrollgremien und das Militär um ein Vielfaches erhöht. Militante Nationalisten können im Land fast ungehindert Gewalt ausüben und ihnen missliebige Menschen einschüchtern. Auf der anderen Seite ist es der ukrainischen Justiz bis heute nicht gelungen, Janukowitsch und seinen höchsten Regierungsvertretern irgendwelche Verbrechen nachzuweisen.
Auch hier liegt der Autor in nur einem Satz gleich dreimal falsch. Warum? Weil er sich gern der Maidan-Propaganda anschließt. Deren Ziel besteht nach wie vor darin, Janukowitsch zu dämonisieren und die Zeit nach dem Maidan schönzureden.
Für wen gilt die Freiheit?
Allerdings gestaltet sich dies immer schwieriger. Selbst der LibMod-Artikel räumt die große Unzufriedenheit der Ukrainer nach dem Maidan ein: Fast drei Viertel der Bevölkerung sehen die Entwicklung des Landes auf dem falschen Pfad. Dennoch sieht der Autor mit der "gestiegenen Meinungsfreiheit" eine große Errungenschaft.
LibMod: "Die offene, kritische Auseinandersetzung gehört in der Ukraine heute zum gesellschaftlichen und politischen Diskurs. Im Parlament gibt es anders als in den meisten postsowjetischen Staaten tatsächlich eine Opposition. Es existiert eine vielfältige Medienlandschaft (auch wenn viele Medien in Oligarchenhand sind, resultiert aus deren Rivalität eine gewisse Pluralität). Im privaten Gespräch oder bei den zahlreichen Demonstrationen haben die Menschen in der post-Maidan Ukraine keine Angst, ihre Meinung frei zu äußern."
Um diese "Freiheiten" zu erreichen, mussten die "Aktivisten" aber zunächst die 48 Vertreter eines anderen politischen Diskurses – die Anhänger der Föderalisierung – in Odessa im Mai 2014 bis zum Tode jagen. Auch mussten sie Parteibüros der einstigen Regierungspartei zerschlagen und sogenannte "Mülllustrationen" – das Entsorgen von Beamten aus der Janukowitsch-Zeit im Müllcontainer – durchführen, die kommunistische und sonstige linke Parteien verbieten und mehrere politische Morde durchführen – darunter des berühmten Schriftstellers Oles Busina oder des Journalisten Pawel Scheremet, dessen Mörder laut Staatsanwaltschaft "die Situation durch den Mord destabilisieren wollten". Andersdenkende zur Flucht aus dem Land zwingen und Hunderte Verfahren wegen Staatsverrats, Separatismus oder Spionage einleiten sowie Dutzende von Bürgern hinter Gitter werfen und foltern. Gläubiger einer "falschen" Kirche systematisch angreifen und sie um deren Kirchenbesitz bringen. Zu guter Letzt russische Medien und russische soziale Netzwerke verbieten.
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Legt hier der Autor seine Realitätsverweigerung offen? Nein, er beschreibt nur seinen eigenen Erlebnishorizont und jenen seiner Gesprächspartner aus dem liberal prowestlichen Lager. Weiter im Text beschreibt er diese Menschen als angebliche Treiber der Demokratie:
LibMod: "Es ist vielmehr die quirlige und aktive Zivilgesellschaft, die auf Probleme aufmerksam macht."
Hier greift der Autor zum Euphemismus und setzt oft von westlichen Regierungen und NGOs bezahlten Aktivismus mit der "Zivilgesellschaft" gleich. Zu diesen "NGOs" gehören auch die deutschen Parteistiftungen, die in Osteuropa und vielen anderen Teilen der Welt zahlreiche Projekte, Kurse und Seminare finanzieren und damit vor allem junge Menschen anlocken. Der Autor spricht in seinem Text quasi seine eigene Klientel an und gibt sie für den fortschrittlichsten Teil der Gesellschaft aus.
Was geschieht aber in der Ukraine mit Menschen aus dem anderen gesellschaftlichen und politischen Spektrum? Kommen vielleicht auch sie nach den ersten Verwerfungen einer jungen Demokratie langsam in den Genuss der demokratischen Freiheiten? Darüber sprachen wir mit dem Journalisten aus Saporoschje Pawel Wolkow. Er pflegt linke Ansichten und war im Jahr 2014 Aktivist des Anti-Maidans. In den Jahren 2018 bis 2019 musste Wolkow aufgrund einer Reportage 13 Monate in Haft verbringen. Dank der engagierten Arbeit eines Anwaltsteams kam er wieder frei.
Er weist darauf hin, dass die Medienpluralität in der Ukraine wegen strenger Wording-Regelungen und der Selbstzensur eine Täuschung sei – so dürfe man beispielsweise "russische Aggression" nicht leugnen. Er selbst kann in der Ukraine keine Artikel publizieren und schreibt hauptsächlich für die aus Russland betriebenen Onlinemedien. Der Bedrohung des Separatismus, Terrorismus oder Spionage bezichtigt zu sein, sei omnipräsent und schüchtert sehr viele Menschen ein.
Seit den Zeiten des Maidans werden die Menschen für die Äußerung eigener Ansichten verhaftet. Von den älteren Fällen wie jenem von Ruslan Kozaba, der eineinhalb Jahre für den Aufruf zum Frieden absitzen musste, Wassili Murawizkij, für Artikel in einer russischen Ausgabe, Dmitri Wasilets, für den Versuch, einen Bericht aus einem unkontrollierten Gebiet zu machen, mir, für die Erstellung eines solchen Berichts, bis hin zu ganz frischen – zum Beispiel der Russischlehrerin Tatjana Kusmitsch, die kulturelle Veranstaltungen in der russischen Gemeinde der Stadt Cherson abhielt.
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Wenn es nicht zu einer Verhaftung kommt, dann werde in vielen Fällen in langen, schwierigen kafkaesken Prozessen "ermittelt". "Oft muss man überhaupt keine Meinung äußern, um 'abgeholt' zu werden. Denn das repressive System braucht Statistiken, man braucht Indikatoren für die 'Effizienz' der Arbeit", so Wolkow.
Der Journalist weist darauf hin, dass die Gegenseite ganz offen die Sprache des Hasses praktiziert, ohne dafür Verantwortung zu tragen:
"Währenddessen rufen sogenannte Aktivisten wie der militante Dmitri Kortschinski in den Sendungen der zentralen Fernsehsender offen dazu auf, ukrainische Bürger, die über die Notwendigkeit von Frieden und guten Beziehungen zu Russland sprechen, zu packen und in die Keller zu werfen."
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Kortschinski ist militanter Nationalist und eine bekannte Medienpersönlichkeit. Und er ist nicht der einzige Meinungsführer, der sich der Sprache des Hasses bedient: Radikale Positionen und Entmenschlichung des politischen Gegners – des sogenannten "Prorussen" – sind in der Ukraine zur Normalität geworden. LibMod bedient sich der Doppelmoral, wenn es dieses Problem nicht bemerkt. Denn in Deutschland gehören LibMod und ähnliche NGOs zu den Ersten, die wegen "rechter Hetze" Alarm schlagen.
Freiheit und Corona-Vakzine
Im letzten Teil des Artikels will der Autor erklären, warum die Menschen in der Ukraine nicht mehr zurück in die Vor-Maidan-Zeit wollen. Denn:
LibMod: "Zuerst auf dem Maidan und nunmehr im Donbas verteidigten die Bürgerinnen und Bürger ihre neu gewonnene Freiheit – und sie bezahlen dafür einen hohen Blutzoll."
Man staune über so viel Pathos. Lange war man im Westen der Meinung, dass die ca. 80 Maidan-Tote von der Sonderpolizei erschossen worden sind. Der Mythos "Janukowitsch ließ die Polizei auf sein Volk schießen" hält aber seit Jahren nicht mehr stand. Zu viele Indizien, mehrere Untersuchungen und inzwischen auch mehrere Eingeständnisse weisen darauf hin, dass zumindest ein Großteil der Morde auf dem Maidan auf eine Provokation und heimtückische False-Flag-Attacken zurückzuführen ist. Die letzten verdächtigten Berkut-Polizisten wurden schon vor einem Jahr freigelassen. Auch nach fast sieben Jahren (!) stocken die Ermittlungen, und diese werden wahrscheinlich nicht in absehbarer Zeit etwas über die wahren Täter präsentieren. Es sei denn, in Kiew findet wieder ein Machtwechsel statt, diesmal aber unter anderen Vorzeichen.
Der dringende Verdacht einer Operation unter falscher Flagge lässt die ganze pathetische Maidan-Mythologie um die Märtyrer im "Namen der Freiheit" wie eine zynisch-makabere Lüge aussehen. Dessen ungeachtet, lässt dieser Verdacht beim wissenschaftlichen Mitarbeiter eines Forschungszentrums, der zur Objektivität verpflichtet ist, keinerlei Zweifel aufkommen. Abgesehen davon macht er sich mit einer Seite des Konflikts dermaßen gemein, dass er das Leiden der Gegenseite noch nicht einmal erwähnt. Wir fragen den Autor an dieser Stelle selbst:
Wofür haben die 18 bis 23 getöteten und fast 1.000 verwundeten Polizisten ihr Blutzoll bezahlt? Nicht etwa dafür, dass der Staat nicht ins Chaos und Nationalismus in Zerfall und totale Abhängigkeit vom Westen abstürzt?
Offenbar sind es keine Werte, die für LibMod erwähnenswert wären.
Und wofür haben mehr als 3.000 Zivilisten und über 5.000 Kämpfer der Gegenseite ihr Leben gelassen? Es gehört auch zur gern verschwiegenen Wahrheit des Donbass-Krieges, dass der überwiegende Teil der Zivilisten infolge des Beschusses vonseiten Regierungstruppen in den Gebieten der Aufständischen starb. Laut einem UNO-Bericht aus dem Jahr 2019 sind bis zu 90 Prozent der Opfer – Tote und Verletzte – durch ukrainische Beschüsse zu beklagen.
Sind deren Leben für LibMod also unwerte Leben?
An einer weiteren Stelle zeigt der Autor, unter welchen Umständen die ukrainische Regierung nach dem Maidan funktioniert:
LibMod: "Die Zivilgesellschaft übt mit Protesten, Kampagnen und Reformvorschlägen von innen Druck auf die Entscheidungsträgerer aus. Gleichzeitig nutzt die internationale Gemeinschaft ihre finanziellen und diplomatischen Druckmittel, um von außen zur Umsetzung von Reformen zu mahnen."
An dieser Stelle ist die LibMod-Analyse unfreiwillig ehrlich. Die ukrainische Regierung entscheidet sich nur unter "Druck" zu etwas. Doch von wem kommt der Druck? Wie wir oben bereits ausführten, besteht die sogenannte "Zivilgesellschaft" in der Regel nicht aus selbstlosen Aktivisten, sondern aus denjenigen, die NGO-Aktivismus zum Karrieresprung in den westlichen Institutionen nutzen. Der Autor fragt sich nicht, woher diese "Zivilgesellschaft" überhaupt ihre finanziellen Mittel haben sollte, um ihre kreativen "Proteste" zu organisieren und "Kampagnen und Reformvorschläge" zu erarbeiten und umzusetzen. Ja, richtig: von westlichen "Philanthropen", Geheimdiensten und Regierungen sowie ukrainischen Oligarchen.
Roman Waschtschuk, der kanadische Botschafter von 2014 bis 2019, erklärte vor Kurzem in einer Vorlesung, wie Direktsteuerung vonseiten der G7-Staaten und des Internationalen Währungsfonds in der Ukraine genau funktionierte. Das Land nannte er "Laborkaninchen" und Experimentierfeld für allerlei westliche "Reformer". Am Ende gab der Diplomat zu, dass die ukrainische Bevölkerung beim "Reformieren" völlig missachtet gewesen sei.
Der zweite Satz kommt deshalb einem Eingeständnis gleich. Der Autor rechtfertigt die westliche Einmischung in der Ukraine mit Reformen. "Reformen" kommt von "formen". Der Westen "formt" die Ukraine also nach seinem Gutdünken. Die anmaßende Gleichsetzung der wenigen westlichen Staaten mit der "internationalen Gemeinschaft" fällt ihm dabei nicht einmal auf. Damit legt er koloniales, herrschaftliches Denken an den Tag. Denn Indien, Iran, China, Indonesien, Brasilien, Kasachstan, Ägypten, Mexiko und weit über Hundert weiterer großer und kleiner Staaten, die Ukraine nicht mit "finanziellen und diplomatischen Druckmittel" zu irgendwas "mahnen", gehören in dieser Logik nicht zur "internationalen Gemeinschaft".
Die Frage ist nur, unter welchen Reformen der Autor jenen inzwischen berühmt gewordenen Befehl aus der US-Botschaft einordnet. "Die Ukraine wird NICHT (hervorgehoben im Originalzitat) Russlands COVID-Impfstoff kaufen, der nicht durch klinische Sicherheitstests gelaufen ist", so die Botschaft. Die Anordnung wurde nicht einmal an den ukrainischen Gesundheitsminister (!) von einem Botschafter weitergegeben. Erteilt hat sie die vorläufige US-Geschäftsträgerin in US-Angelegenheiten in der Ukraine, Christina Queen, während eines Dinners in der Botschaft. "Im Namen der US-ukrainischen Partnerschaft".
Dieser Zustand einer peinlichen, geradezu beschämenden Abhängigkeit der Ukraine vom Westen und vor allem von den USA beschreibt der LibMod-Artikel als "Freiheit", für die es sich lohnt zu sterben.
Fazit
Während die Ukraine – mit ihrem Bürgerkrieg, ihren Krisen und Errungenschaften – schon lange weit am Rande des medialen Interesses steht, sind es immer mehr die "gesellschaftlichen Akteure" wie NGOs, Thinktanks, aber auch Forschungseinrichtungen mit Blick auf Osteuropa, die weiterhin über die Ukraine berichten. Statt Realität spiegeln diese Berichte jedoch die Wunschvorstellungen ihrer Auftraggeber wider. Wie diese aussehen, ist nicht schwer zu ermitteln. Sie bestehen in der Begründung, warum der Westen allgemein und deutsche staatlich finanzierte Parteieinrichtungen ihren Einfluss in der Ukraine behalten und vergrößern müssten.
Dieser Einfluss, auch vorher sehr umfangreich, hat sich seit 2014 enorm vergrößert. Deswegen romantisieren LibMod und ähnliche Thinktanks den Maidan-Umsturz mit der gleichen Energie wie früher. Gleichzeitig müssten sie Russland weiterhin so lange wie möglich aus der Ukraine heraushalten. Der Artikel propagiert radikalen Interventionismus und versucht, ihn notdürftig mit Euphemismen wie "Hilfe bei Reformen" und "Unterstützung" zu verschleiern.
Für diese schlichten geopolitischen Ziele werden auch Einrichtungen mit einem scheinbar objektiven, "wissenschaftlichen" Anspruch eingespannt. Eduard Klein, der Autor des LibMod-Artikels, ist eigentlich für die Forschungsstelle Osteuropa und Fachzeitschrift Ukraine-Analysen tätig. Während der Thinktank "Liberale Moderne" sich klar und ehrlich als politischer Lobbyist positioniert, fungieren Forscher und Analysten eigentlich als unparteiische Beobachter. Zumindest haben sie (noch) diesen Ruf. Das ist aber nicht wahr, denn auch sie agieren wie politische Thinktanks, wie diese Fusion mit der grünennahen Organisation LibMod eindrücklich zeigt.
Politische Befangenheit bedeutet nicht automatisch, dass alles, war in der LibMod-Analyse steht, falsch ist. Aber es wird oft genug unterschlagen, verdreht und schlichtweg gelogen, wie unsere ausführliche "Gegenanalyse" zeigt. Lassen wir aber die Politik und als Landeskunde getarnte Propaganda beiseite. Wie anfangs erwähnt, gehören zur erlauchten Gruppe der Ukraine-Interessierten wohl auch Entscheidungsträger aus Politik und Gesellschaft. Eigentlich sollten sie Interesse an einer halbwegs objektiven Berichterstattung haben. In Wirklichkeit ist diese Berichterstattung, obwohl sie "elitär" ist und Anspruch hat, differenziert zu sein, schwer in ihrer Einseitigkeit zu überbieten. Und da birgt sich die Gefahr, dass solche "Analysen" dazu beitragen, dass die deutsche Außenpolitik immer mehr zu einem realitätsfernen, missionarischen und liberal-transatlantischen Sektierertum ausartet.
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Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.