Trump, Biden und die Kontinuität der US-Politik
von Gert-Ewen Ungar
Für deutsche Politiker ist der Sieg Joe Bidens bei der US-Präsidentschaftswahl offenkundig eine Erlösung. Auch der deutsche Mainstream, der in seiner Berichterstattung zur Wahl wie die deutsche Filiale der Wahlkampfzentrale der Demokratischen Partei wirkte, tarnt seine Freude über das Ergebnis kaum. Jetzt wird alles anders, ist die Nachricht, jetzt wird wieder richtig Politik gemacht, der Störfaktor wurde demokratisch sauber, nämlich durch eine Abwahl beseitigt. Das System – so wird suggeriert – ist insgesamt gesund, das transatlantische Verhältnis intakt.
Zwar geben einige Autoren zu bedenken, dass das Verhältnis auch nach Donald Trump wegen unterschiedlicher Interessen "komplex" bleiben wird, aber insgesamt sehen auch sie eine Erneuerung des transatlantischen Verhältnisses am politischen Horizont aufleuchten.
Die Wahrscheinlichkeit, dass dies tatsächlich passiert, ist jedoch relativ gering. Es gibt dafür zwei Gründe: Zahlreiche als Brüskierung oder politische Unzuverlässigkeit erlebte Zumutungen Trumps wurden bereits zuvor von der Administration unter Präsident Barak Obama vorbereitet, stehen also in einer Kontinuität der US-Politik, die keineswegs die alleinige Handschrift Trumps trägt. Andere Entscheidungen Trumps hingegen, die deutschen Politikern aufstießen, werden auch unter der Administration Bidens absehbar nicht zurückgenommen werden. Dazu gehört zum Beispiel der Umzug der US-Botschaft nach Jerusalem, die als Alleingang, Provokation und politischer Fehler bewertet wurde. Biden machte bereits im April deutlich, dass er den Umzug zum damaligen Zeitpunkt für falsch halte, sagte aber auch, dass er diesen Fehler unter seiner Präsidentschaft eben nicht korrigieren werde.
Auch Hoffnungen auf eine baldige Wiederannäherung und erneute Inkraftsetzung des Atomabkommens mit dem Iran dürften enttäuscht werden. Trump ist es gelungen, das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Vereinigten Staaten noch weitaus gründlicher als seine Vorgänger zu erschüttern. Die USA fühlen sich an völkerrechtliche Verträge nicht gebunden, das hat die Administration Trump besonders deutlich gemacht. Das ist zwar nicht grundlegend neu, aber die "Halbwertszeit" beim Atomabkommen war extrem kurz. Aus Sicht künftiger Vertragspartner bedarf es daher verständlicherweise umfassender Garantien seitens der USA, die an einem ernsthaften Willen zur Vertragserfüllung – auch über die Dauer einer Präsidentschaft hinaus – keinen Zweifel mehr aufkommen lassen.
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Doch auch der Bruch internationaler Verträge ist keine Erfindung Trumps. Die Kündigung des INF-Vertrages, der die Stationierung von atomwaffenfähigen Kurz- und Mittelstreckenwaffen in Europa untersagt, wurde bereits 2014 von Obama erwogen und der Vertrag damit zur Disposition gestellt. Schon damals zeichnete sich die Drohung einer Aussetzung der Vereinbarung ab. Russland, gegen das sich die Vorwürfe richteten, konnte tun und lassen was es wollte, konnte versichern und zur Inspektion der eigenen Waffensysteme einladen – die Marschrichtung zur Aufkündigung des Vertrages war bereits von Obama vorgegeben.
Trump hat dieses von Obama begonnene Spiel mit der Sicherheitsarchitektur in Europa lediglich fortgesetzt. Biden wird das dann absehbar vollenden, denn auch unter Biden ist nicht zu erwarten, dass die Zerstörung der bestehenden Sicherheitsmechanismen durch die USA eingestellt wird. Die "Demokraten" sind wahrlich keine "Friedenstauben". Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Obama hat Trump keinen neuen Krieg begonnen, auch wenn er keinen alten beendet hat. Obama hinterließ seinem Nachfolger Syrien und Libyen als von ihm neu eröffnete Kriegsschauplätze der USA. In Syrien griffen die Vereinigten Staaten ab 2015 militärisch und völkerrechtswidrig ein, nachdem sie zuvor schon "Rebellen" mit Waffen versorgt und logistisch unterstützt hatten – mit robuster Rückendeckung ihrer westlichen Alliierten, zu denen auch Deutschland gehört.
Libyen bombte die Obama-Administration in den Zustand eines Failed State. Der Vorwurf, die EU würde als Alliierter der US-Politik die Flüchtlingsströme selbst generieren, die auch zu ihren eigenen inneren Verwerfungen führen, ist nicht von der Hand zu weisen. Biden wird absehbar wieder verstärkt auf militärische Lösungen setzen, denn er persönlich unterstützte alle Kriegseinsätze der USA der letzten Jahre.
Dass unter einem Präsidenten der Demokraten die Kriegsgefahr wieder ansteigt, ist daher offensichtlich. Die USA sind im Abstieg begriffen, und aufstrebende Länder wie China und Russland sind längst als feindliche Nationen gebrandmarkt.
Mit den von den USA und ihren Verbündeten angezettelten völkerrechtswidrigen Angriffskriegen werden auch die UNO und der UN-Sicherheitsrat ihre vermittelnde Funktion weiter einbüßen und durch die aggressive Politik der USA in ihrer sicherheitspolitischen Bedeutung erodieren. Die Schutzmächte des Völkerrechts sind aktuell nicht die westlichen Länder und schon gar nicht die USA, sondern Russland und China. Diese Tatsache sollte man in Deutschland dringend zur Kenntnis nehmen.
Dass nun ausgerechnet der "Demokrat" Biden der Pressefreiheit wieder zu Geltung verhelfen und nicht weiter auf die Auslieferung von Julian Assange bestehen werde, kann schon jetzt verneint werden. Biden hält nach eigener Aussage Julian Assange für einen "High-Tech-Terroristen". In diesem Zusammenhang ist eher zu erwarten, dass Zensur und Einschränkungen der Pressefreiheit unter Biden nicht abnehmen, sondern weiter fortschreiten.
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Ob Biden in der Lage ist, die US-amerikanische Gesellschaft wieder zu versöhnen, darf ebenfalls bezweifelt werden. Während Trump vielen als ausgemachter Rassist gilt, der die US-Gesellschaft gespalten hat, wird vergessen, dass Rassenunruhen und Rassismus in der gesamten Geschichte der USA eine Kontinuität aufweisen. Unter dem ersten schwarzen Präsidenten Obama war es die Ermordung des Afroamerikaners Michael Brown durch die Polizei, die zu massiven Protesten zunächst in der Stadt Ferguson führte, die sich dann noch landesweit ausdehnten. Obama machte genau das, was sein Amtsnachfolger dann auch tat: Er schickte die Nationalgarde zur Zerschlagung der Proteste. Der Rassismus in den USA ist ein strukturelles Problem, das Trump keineswegs erfunden hat und das sich auch unter Biden nicht in Luft auflösen wird. Es wird sich – im Gegenteil – mit einer zunehmenden ökonomischen Ungleichheit vermutlich noch weiter vertiefen.
Ganz große Hoffnungen macht man sich in Deutschland in Bezug auf die künftige Wirtschaftspolitik. Allerdings wird auch unter einem Präsidenten Biden die absolut unsoziale deutsche Beggar-thy-Neighbour-Politik (Anm.: angelehnt an das Kartenspiel "Beggar-my-neighbour", eine Wirtschaftspolitik zu Lasten der Nachbarländer) keine Anerkennung oder auch nur Tolerierung erfahren. Es wäre auch völlig verkürzt, den Beginn des Handelsstreits zwischen Deutschland oder der EU mit den USA zeitgleich zur Präsidentschaft Trumps zu sehen.
Bereits unter Obama wurde Deutschland immer wieder zu einer Reduktion seiner Bilanzüberschüsse aufgefordert. Das geht auch gar nicht anders, denn Deutschland verletzt mit seinem auf Export orientierten Wirtschaftsmodell nicht nur die eigenen Gesetze, sondern auch internationale Abkommen. Was Deutschland hier in einer ideologischen Verbohrtheit zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil praktiziert, kommt einer Kriegserklärung an die Handelspartner gleich. Das kann auch ein Präsident Biden nicht gutheißen, und er wird dementsprechend dagegen vorgehen. Kein Staatsoberhaupt dieser Welt lässt sich von einer ausländischen Macht die heimische Industrie ruinieren und Arbeitsplätze zerstören.
Da ein Einlenken der Bundesregierung nicht erkennbar ist, da es noch nicht einmal den Hauch eines Willens zur Einsicht in die Zusammenhänge des internationalen Handels gibt, wird der Handelskrieg mit den USA weiter eskalieren und an Fahrt aufnehmen.
Was dann auf der Positivseite bleibt, ist ein Wiedereintritt der USA in die Weltgesundheitsorganisation und der Beitritt zum Pariser Klimaabkommen. Allerdings ist Letzteres schon jetzt Makulatur. Insbesondere die westlichen Länder setzen auf die falschen Steuerungsinstrumente, um die vereinbarten Ziele zu erreichen. Der "Markt" soll es irgendwie regeln, doch irgendwie tut er das einfach nicht – so sehr man ihn auch bittet. So wird es absehbar auch bei einem erneuten Beitritt der USA zum Pariser Abkommen regelmäßig verlauten, dass die USA gemeinsam mit Deutschland und anderen Ländern der EU die Klimaziele leider verfehlen.
Die Hoffnungen, die auf einem Wechsel im Weißen Haus ruhen, werden sich zerschlagen. Es war nicht Trump, der das transatlantische Verhältnis gestört und zerstört hat. Trump – das wird oft verkannt – steht bei allem rhetorischen Poltern in vielen Bereichen für Kontinuität einer US-Politik, die auch unter Biden fortgeführt werden wird.
Die Erosion des Verhältnisses ist ein schon länger bestehender Prozess, der sich auch unter einem neuen Präsidenten fortsetzen wird. Die Interessen werden zunehmend nicht nur unterschiedlicher, sondern schlicht gegensätzlich. Der Westen driftet weiter auseinander, er wird immer häufiger an seinen eigenen Werten scheitern. Der westliche Liberalismus als gesellschaftliches und ökonomisches Modell ist auch mit Joe Biden nicht zukunftsfähig.
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