Meinung

Russland-Bericht des britischen Parlaments neuer Tiefpunkt der highly likely "Beweisführung"

Der Russland-Bericht des britischen Parlaments enthält keinerlei Beispiele für eine Einmischung Moskaus in die britische Politik. Das allein reicht schon, um ihn komplett der Lächerlichkeit preiszugeben – doch an Lächerlichkeiten enthält der Bericht noch viel mehr, findet George Galloway.
Russland-Bericht des britischen Parlaments neuer Tiefpunkt der highly likely "Beweisführung"Quelle: Gettyimages.ru © JULIAN ELLIOTT

von George Galloway

Der Russland-Bericht, an dem der britische Staat mächtig herumgedoktert hat, hat sich mit fast einem Jahr Verspätung endlich als eine vom Berg geborene Maus entpuppt. Na ja, was heißt hier mächtig: Der Bericht ist nur 50 Seiten lang, und vieles davon ist ausgesternt – das moderne Schwärzen von heute. Er wurde aus transparent politischen Gründen zurückgehalten – tolles Beispiel für die Funktionsweise unserer guten alten Freundin, "der auf Regeln basierenden Ordnung".

Wie vieles in der westlichen Politik werden auch die erwähnten "Regeln" mehr vermittels ihrer Verletzung geehrt: von Jugoslawien über Libyen, dem Atomabkommen mit dem Iran, die Pariser Abkommen, den INF-Vertrag bis hin zum Open-Skies-Vertrag und vielem mehr.

Wie so oft brachte es BBC-Guru Andrew Neil – ein absoluter Anti-Russland-Falke – auch diesmal am besten zum Ausdruck, und zwar auf Twitter während der Pressekonferenz zur Vorstellung des Berichts:

Die eklatante Schwäche dieser Pressekonferenz über den Bericht über die Einmischung Russlands in den Kreml besteht darin, dass der Bericht, wenn man um ein paar so richtig ungeheuerliche Beispiele daraus bittet, niemand überhaupt ein Beispiel nennt oder nennen kann – weder ein ungeheuerliches noch irgendeines.

Ganz genau. Dieser Bericht besteht nicht einmal den "highly likely"-Test ("sehr wahrscheinlich"), der im Rahmen der Skripal-Affäre zum neuen Standard der Beweisführung wurde.

Es werden keineBeispiele für russische Einmischung gegeben. Es gibt nur "Berichte aus offenen Quellen", das heißt keinerlei Information von den sage und schreibe sieben britischen Geheimdiensten. Aus dem Bericht geht hervor, dass heute mehr Geheimdienstmitarbeiter in Großbritannien zu Russland arbeiten als während des Kalten Krieges – doch keiner von ihnen kann auch nur ein einziges Beispiel vorweisen, sei dieses ungeheuerlich oder nicht.

Das allein reicht schon, um den Bericht komplett der Lächerlichkeit preiszugeben – doch an solchen Sachen enthält er noch viel, viel mehr. Lassen Sie mich zunächst definieren, was "Berichterstattung aus offenen Quellen" ist.

Wenn ich Ihnen zum Beispiel sage, dass Laura Kuenssberg und Boris Johnson früher ein Liebespaar waren, dann ist das "Open Source Reporting". Das wäre nicht verleumderisch – es wäre auch nicht unbedingt eine Schande (je nach Zeitpunkt und Familienstand). Es wäre allerdings völlig unwahr. Es wäre jedoch "in der Öffentlichkeit" – einfach, weil ich es gerade dort hineingestellt habe.

Also, die Argumentation, dass Russland sich in das schottische Unabhängigkeitsreferendum von 2014 eingemischt haben soll, beruht damit auf "öffentlich zugänglichen Kommentaren". Ich schreibe diese Kolumne für RT (wie jede Woche) und ich bin im RT-Fernsehen öfter als jede andere Person zu sehen, die ich so kenne – buchstäblich sieben Tage in der Woche. Und tatsächlich war die Berichterstattung von RT über das schottische Referendum bewundernswert ausgewogen, zumindest im Vergleich zur Berichterstattung der BBC!

Es gab reichlich "Open-Source"-Berichterstattung, der zufolge Russland sich angeblich in das Brexit-Referendum eingemischt habe. Aber auch hier wird im Russland-Bericht kein einziges Beispiel angeführt. Es wird ausdrücklich festgestellt, dass seitens britischer Geheimdienste nicht eine einzige Untersuchung auch nur begonnen wurde.

Mit anderen Worten, es handelt sich um nichts als Klatsch, genau wie bei meiner "Geschichte" über Laura und Boris.

Wer sind die Zeugen?

Und dann gibt es die "Sachverständigen", denen in dem Bericht "besonderer Dank" gezollt wird.

Eine schwere Entscheidung, mit wem man anfangen soll, aber lassen Sie uns zuerst das ungeheuerliche Beispiel von Christopher Steele betrachten. Steele verbrachte eine kurze Zeit in Russland als britischer Geheimagent. Seine freiberufliche Agentur ehemaliger Spione, Orbis Business Intelligence, verfasste das "schmutzige Dossier" über Donald Trump. Dieses wurde nun mit enormen politischen und finanziellen Kosten für die USA dekonstruiert – nicht zuletzt auch durch den Mueller-Bericht, der auf dieses Dossier gestützt war.

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Im Bericht wurde unter anderem die Existenz von kompromittierendem Material gegen Trump behauptet: Es ging um russische Mädchen, die sich vor Freude über den Aufenthalt in einem Hotelzimmer in Moskau mit Donald J. Trump nass gemacht haben sollen.

Trumps Grad der Keimphobie könnte problemlos mit dem des verstorbenen Fluggerätkonstrukteurs Howard Hughes konkurrieren – er hatte ein leichtes Spiel zu beweisen, dass er von allen Männern der Welt am wenigsten das Einnässen durch Prostituierte genießen kann. Dies schoss ein großes, nun ja, Loch in das imaginäre Szenario.

Steeles Mitarbeiter Pablo Miller war Berichten zufolge der MI6-Betreuer eines gewissen Sergei Skripal, seines nahen Nachbarn in Salisbury, und trank regelmäßig Tee mit dem pensionierten britischen Spion. Der ehemalige britische Gesandte Craig Murray weist hin:

Die britische Regierung verbietet mit einer D Notice jegliche Erwähnung von Pablo Miller in den Medien. Jeder sollte sich selbst über Miller, seine Verbindung zu Christopher Steele, Orbis Intelligence, das Trump-Russland-Dossier und Sergei Skripal, Salisbury, informieren. Die Regierung versucht, diese Informationen unter Verschluss zu halten.

Die Verfasser des Berichts dankten auch Bill Browder, dem Leiter des Investitionsfonds Hermitage Capital Management, der eine der Haupttriebkräfte hinter dem Magnitski-Gesetz war. Browder, ein Enkel eines ehemaligen Anführers der Kommunistischen Partei der USA, ist vor der russischen Justiz auf der Flucht. Er wurde von einem russischen Gericht wegen Steuerhinterziehung zu neun Jahren Gefängnis verurteilt (und wird im Mordfall Magnitski als der Mordauftragsvergabe dringend verdächtig von Russland international gesucht. Anm. d. Red.). Mit den Worten der berühmten Prostituierten Mandy Rice-Davies im Old Bailey während der Profumo-Affäre: "Na, natürlich sagt er das."

Dann ist da noch Anne Applebaum. Anne (selber eine US-Amerikanerin) ist Großbritanniens führende Fanatikerin des Kalten Krieges, die durch ihre streitbaren, manchmal verstörenden Kritzeleien zum Anhängsel einer jeden rechten Denkfabrik und rechter Medienplattform wurde, die diese Namen überhaupt verdienen. Ihr Ehemann ist ein polnischer Hardline-Politiker, der verglichen mit dem Applebaum wie Schneewittchen wirkt.

Und, äh, na ja, das war's.

Das sind mir schöne Bemühungen um einen schönen Frieden

Abgesehen von dem Vorschlag, den "Official Secrets Act" durch ein neues Spionagegesetz zu ersetzen, einem weiteren Vorschlag, eine Registrierungspflicht für ausländische Agenten im Stil der McCarthy-Ära einzuführen, einem Vorschlag, dem Inlandsgeheimdienst MI5 Befugnisse über die Wahlkommission zu übertragen, Forderungen, Social-Network-Unternehmen weiter zu terrorisieren, damit sie sich an die staatlich vorgeschriebene Linie halten, und weiterer Maßnahmen, die nur so "Integrity Initiative" vor sich hinschreien, ist es das auch wirklich schon gewesen. Was für ein Antiklimax!

Großbritannien hat Präsident Putin schon immer gehasst. Und man kann auch sehen, warum. Sie wollten ja, sagen sie, Russland zu einem "Partner" machen – und zwar in einer Zeit, in der Russland betrunken auf dem Boden lag und sich die Taschen zugunsten westlicher Interessen (und einiger im Bericht genannter Oligarchen) leeren ließ. Aber irgendwie ging ihr Interesse daran plötzlich verloren, als Putin Russland vom Boden hochzerrte und dem Land sowohl seinen Nationalstolz als auch sein internationales Prestige zurückgab. (Was nirgendwo mehr zutrifft als auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen.)

Sie hassen Putin vor allem deshalb, weil er sich ihnen entgegenstellt – was mich nun zu meiner Lieblingszeile im gesamten Bericht führt. Russlands Erfolg bei der Vernichtung der blutrünstigen, kopfabschlagenden Verbündeten des Westens in Syrien sei, so heißt es, "einer der größten Rückschläge" für die britische Außenpolitik im Jahr 2018 gewesen und "stellt den Westen vor Schwierigkeiten bei der Unterstützung des Friedens in der Region". Frieden ist damit ein Sieg für Al-Qaida, die Terrormiliz IS und den ganzen Rest der Buchstabensuppe des islamistischen Extremismus. Schöne Bemühungen sind mir das – um einen schönen Frieden!

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George Galloway war fast 30 Jahre lang Abgeordneter im Unterhaus des britischen Parlaments. Er ist Filmemacher, Schriftsteller und ein angesehener Redner. Galloway präsentiert auch Fernseh- und Radiosendungen, unter anderem bei RT International. Seinen englischsprachigen Twitterkanal liest und abonniert man unter @georgegalloway

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