Nach dem Lockdown brechen Wirtschaft und Gesundheitswesen des Westens zusammen – mit Millionen Toten
von Malcolm Kendrick
Der Schaden, den wir unseren Volkswirtschaften im Namen der Bekämpfung von COVID-19 zugefügt haben, wird weit mehr Menschen töten als das Virus selbst. So forderte der wirtschaftliche Kollaps nach dem Zerfall des kommunistischen Blocks dort Millionen von Toten.
Es hat noch nie eine Situation gegeben, die mit dem zu vergleichen ist, was wir in den vergangenen Wochen und Monaten erlebt haben. Noch nie in der Weltgeschichte wurden ganze Länder komplett abgeriegelt. Niemals zuvor haben ganze Länder ihrer eigenen Wirtschaft einen solch enormen Schaden zugefügt und ihre Gesundheitssysteme von allen anderen Aktivitäten abgerissen, um mit einem einzigen Virus fertig zu werden.
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Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass der potenzielle Schaden eines Lockdowns jede – spekulative – Verringerung der Todesfälle durch COVID bei Weitem übersteigen könnte. Ich begann, aus einer wirtschaftlichen Perspektive gegen den Lockdown zu argumentieren – was viele Menschen wütend machte. Ihr Gefühl sagte ihnen, dass es unmöglich sei, einem Menschenleben einen Wert beizumessen – und sei damit auch bloß ein Versuch gemeint, eine Geld-zu-Gesundheit-Bilanz aufzustellen.
Vielleicht waren sie sich nicht bewusst, dass wir das ständig tun. Aus diesem Grund wurde im Jahr 2000 das NICE – das britische National Institute for Health and Care Excellence – gegründet. Zu solchen Schritten wurden alle Gesundheitssysteme gezwungen. Kein Land kann es sich leisten, unbegrenzte Ressourcen ins Gesundheitswesen zu pumpen. Wir alle müssen entscheiden, was wir uns leisten können und was nicht. Das sind schwere Entscheidungen – doch sie zu treffen ist unerlässlich.
Vielleicht bin ich ja aus einem anderen Blickwinkel auf den Lockdown herangegangen als die meisten anderen Menschen. Als die Pandemie ausbrach, analysierte ich die Auswirkungen der wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen auf die Sterblichkeitsraten. Ich beschäftigte mich insbesondere mit dem Zerfall der Sowjetunion, zumal bekannt ist, dass die damalige rasche und unkontrollierte "Umwandlung" eines sozialistischen Systems in ein marktwirtschaftliches massive Auswirkungen auf die Gesundheit und das Gesundheitswesen hatte.
Eine erschöpfende Studie dreier österreichischer Akademiker über die Folgen der Auflösung des kommunistischen Blocks zeigt die wirtschaftlichen Verwüstungen, die sie anrichtete:
Die unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen des Wandels waren erhebliche Rückgänge des Bruttosozialprodukts. Zwischen 1990 und 1993 zum Beispiel sank das reale Bruttoinlandsprodukt in Litauen um 18 Prozent, in der Ukraine um 10 Prozent, in Russland um 10,1 Prozent und in Tadschikistan um 12,2 Prozent. Die ersten zehn Jahre des Wandels waren eine Zeit großer sozialer Verwerfungen und Chaos. Die Einführung eines marktwirtschaftlichen Waren- und Dienstleistungstauschsystems führte zu einem schwerwiegenden Rückgang des Bruttoinlandsprodukts, schrumpfenden Arbeitsmärkten und Arbeitslosigkeit – und damit schließlich zu sozialer Depression einschließlich steigender Sterbe- und Selbstmordraten.
Was wirkte sich real auf die Gesundheit aus? Mein Hauptforschungsinteresse gilt der Herz-Kreislauf-Medizin, und so konzentrierte ich mich auf Todesfälle durch eine koronare Herzkrankheit (KHK). Einfach ausgedrückt ging es mir um Todesfälle durch Herzinfarkte. Ich hatte gerade die nachstehende Grafik mit litauischen Daten zusammengestellt.
Wie Sie sehen, gab es 1989, im Jahr des Mauerfalls in Berlin, einen dramatischen Anstieg der Todesfälle durch KHK. Die Litauer begannen ihre singende Revolution, und es gab Massendemonstrationen für die Unabhängigkeit, verbunden mit erheblichen sozialen Umwälzungen.
Die sowjetischen Panzer rollten ein, blieben eine Weile und rollten dann wieder zurück, ohne besonders viel anzustellen. In der Zwischenzeit fiel das litauische Bruttoinlandsprodukt in den Keller, und die KHK-Todesrate verdoppelte sich in den nächsten drei Jahren praktisch – ein wahrer Berg von einem Sterblichkeitsanstieg, verglichen zu dem alles im Zusammenhang mit COVID wie eine Rüttelschwelle aussieht.
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Natürlich gingen in Litauen Sachen vor sich, die weit über wirtschaftliche Schwierigkeiten hinausgingen. Ich weiß jedoch, dass bereits Sorgen um wirtschaftliches Wohlergehen für sich genommen schon tödlich sein können – vielleicht das Tödlichste überhaupt. Zum Beispiel ergab eine Studie in Südafrika, dass Menschen mit erheblichen finanziellen Sorgen 13 Mal häufiger einen Herzinfarkt erleiden:
Menschen, die sich über erheblichen finanziellen Stress beklagt hatten, erlitten 13 Mal häufiger einen Herzinfarkt als Menschen, die nur minimalem oder gar keinem Stress ausgesetzt waren. Bei Personen mit mäßigem arbeitsbedingtem Stress war die Wahrscheinlichkeit, einen Herzinfarkt zu erleiden, 5,6 Mal so hoch wie bei Personen mit geringer oder gar keiner Stressbelastung.
Litauen war nicht die einzige ehemalige Sowjetrepublik beziehungsweise nicht das einzige Land im ehemaligen Ostblock, das einen massiven Anstieg der Todesraten zu verzeichnen hatte – und zwar nicht nur bezogen auf koronare Herzkrankheiten, sondern in Hinblick auf die Gesamttodesraten. Hier ist ein Ausschnitt aus einem Bericht über den Zerfall des Ostblocks:
Der Übergang zur Marktwirtschaft in vielen postkommunistischen Gesellschaften der ehemaligen Sowjetunion und anderer ehemaliger Ostblockländer in Europa führte zu einem 'demographischen Einbruch'. Zu den gravierendsten Ergebnissen gehörte der Rückgang der Lebenserwartung russischer Männer im Vergleich zum Jahr 1980 um vier Jahre – das heißt, von 62 auf 58 Jahre.
Auch in Armenien, Weißrussland, Bulgarien, Lettland, Litauen und Rumänien ging die Lebenserwartung deutlich zurück. Die unmittelbare Ursache für die steigende Sterblichkeit war die 'Zunahme selbstzerstörerischen Verhaltens, insbesondere bei Männern'. Alte Probleme wie Alkoholismus verschärften sich; der Drogenmissbrauch, ein relativ neues Problem im ehemaligen kommunistischen Block, hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen.
Dieser Bericht, "Transition 1999", besagt, dass nach dem Jahr 1989 die Selbstmordraten ebenfalls stark anstiegen – und zwar um 60 Prozent in Russland, um 80 Prozent in Litauen und um 95 Prozent in Lettland.
Hinter dem selbstzerstörerischen Verhalten, so die Autoren, stehen wirtschaftliche Faktoren: darunter grassierende Armut, steigende Arbeitslosigkeit, finanzielle Unsicherheit und Korruption. Während im Jahr 1988 nur vier Prozent der Bevölkerung in der Region über ein Einkommen von 4 Dollar (2,50 Pfund) pro Tag oder weniger verfügten, stieg diese Zahl bis zum Jahr 1994 auf 32 Prozent. Omar Noman, ein Wirtschaftswissenschaftler des UNCDF (Kapitalentwicklungsfonds der Vereinten Nationen) und einer der Verfasser des Berichts,gibt ein Beispiel für die Folgen:
Der Kern der von uns vertretenen Aussage besteht im Folgenden: Der Übergang zur Marktwirtschaft [in der Region] war der größte [...] Killer überhaupt, den wir im 20. Jahrhundert gesehen haben – Hungersnöte und Kriege ausgenommen. Der plötzliche Schock, und das, was er dem System angetan hat [...], hatte zur Folge, dass in den 1990er-Jahren fünf Millionen [russische Männer] ihr Leben verloren.
Fünf Millionen Menschenleben ... fünf Millionen allein in Russland! Während ich dies schreibe, haben wir eine weltweite Zahl von insgesamt gerade einmal knapp 400.000 Todesfällen durch COVID erreicht. COVID scheint nun auf dem besten Weg ad acta zu sein, und eine halbe Million Todesfälle insgesamt werden wir vielleicht gar nicht erreichen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen hingegen zeichnen sich gerade erst ab.
Um noch einmal auf die koronare Herzkrankheit zurückzukommen: Wie hoch waren die russischen Zahlen für die KHK-Todesfälle nach dem Übergang? Wie im Falle Litauens sind sie recht faszinierend und höchst beunruhigend.
Sie fragen sich vielleicht, warum die Entwicklung der KHK-Todesrate in Russland der in Litauen ganze zwei Jahre später folgt. Ich denke, die Antwort ist, dass der Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 in Litauen mit beinahe sofortiger Wirkung eine Krise auslöste. Auf der anderen Seite humpelte der Rest der Sowjetunion ein paar Jahre lang wie gehabt weiter. Im Jahr 1991 gab es einen Putschversuch, der scheiterte. Dieser signalisierte jedoch das Ende, und die Sowjetunion brach daraufhin rasch auseinander.
Ende 1991 wurde Russland unter der Führung von Boris Jelzin ein eigenständiges Land, das schnell zur Marktwirtschaft überging. Einige Menschen wurden märchenhaft reich – doch weitaus mehr wurden extrem arm. Diese verzögerte Auflösung ist mit ziemlicher Sicherheit der Grund dafür, dass die Entwicklung der russischen Todesraten zwei Jahre nach der in Litauens erfolgt.
Es gibt noch einen weiteren wichtigen Unterschied. Russland hatte nicht nur einen Ausreißer nach oben bei den Herzinfarkt-Todesraten, sondern zwei. Nach einem Anstieg, dann einem raschen Rückgang änderte sich das Vorzeichen der Entwicklung erneut, und die Todesraten stiegen wieder an. Warum also der doppelte Ausreißer nach oben?
Meines Erachtens lässt sich dies dadurch erklären, dass es im August 1998 zu einem massiven Zusammenbruch des Bankenwesens kam. Er hatte den Aktienmarkt praktisch ausgestampft und den Kurs des Rubels in die Unterwelt gestürzt. Gleichzeitig schnellte die Arbeitslosigkeit in die Höhe, und die Ersparnisse des einfachen Mannes wurden vollends vernichtet. Die Erholung dauerte Jahre, wie dieser Bericht deutlich macht:
Die Ungeheuerlichkeit des finanziellen Zusammenbruchs Russlands am 17. August 1998 wurde mir erst am nächsten Tag richtig bewusst.
"Wir sind so was von im Arsch", erklärte mir George Kogan, einer der berühmtesten und dienstältesten Börsenhändler Moskaus, in der Wohnung von Simon Dunlop, einem der berühmtesten Unternehmer Moskaus. "Das ganze System ist gerade abgestürzt. Es wird Jahre dauern, bis sich Russland wieder erholt."
Ich hoffe, nach dieser Vorführung der gesundheitlichen Auswirkungen wirtschaftlicher Zusammenbrüche wird verständlich, warum ich über den Lockdown zutiefst besorgt war. Mir war klar, dass er massive finanzielle Not bedeuten könnte, und ich befürchtete, dass die darauffolgenden Anstiege der Todesraten katastrophale Folgen haben könnten.
Als unsere Pandemie-"Experten" ihre Modelle zur Todesrate zusammenstellten – zogen sie da irgendetwas davon in Betracht? Mitnichten, das taten sie nicht. Aber welchen Sinn hat ein Modell, bei dessen Erstellung man sich nicht einmal die Mühe macht, die möglichen negativen Auswirkungen der empfohlenen Maßnahmen zu berücksichtigen?
Bei mir als Arzt würde man von Fahrlässigkeit oder sogar Pfusch sprechen, würde ich irgendeine Form der medizinischen Behandlung empfehlen und dabei nur über die Vorteile sprechen. Ich muss den Patienten über mögliche Nachteile informieren. Es kann sein, dass das Verfahren nicht funktioniert; es kann Ihnen davon schlechter werden, und so weiter.
Wir wurden zum Lockdown überredet – mit dem Versprechen, dass Hunderttausende von Leben im Vereinigten Königreich – sowie Millionen weltweit – gerettet werden könnten. Wir wurden nie davor gewarnt, dass wir infolge des Lockdowns den Verlust vieler Millionen Menschenleben zu beklagen haben könnten – und, wie ich fürchte, auch zu beklagen haben werden. Ich halte das für Ärztepfusch – und in diesem Fall ist der Patient die gesamte Erdbevölkerung.
Übersetzt aus dem Englischen.
Malcolm Kendrick ist Arzt und Autor, der als Allgemeinmediziner im National Health Service in England arbeitet. Sein Blog kann hier gelesen werden. Sein Buch 'Doctoring Data – How to Sort Out Medical Advice from Medical Nonsense' ist hier erhältlich.
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