Merkel fordert von Erdoğan "umgehende Beendigung" der Syrien-Offensive
In einem Telefonat am Sonntag forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel vom Präsidenten der Türkei Recep Tayyip Erdoğan eine "umgehende Beendigung der Militäroperation" gegen kurdische Milizen in Nordsyrien. Dies gab eine Sprecherin der Bundesregierung bekannt. Türkische Kampfflugzeuge griffen Ziele in den nordöstlichen Grenzgebieten Syriens mit kurdischer Bevölkerungsmehrheit an, die aktuell von den kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces, deutsch: Syrische Demokratische Kräfte) kontrolliert werden.
Dabei griffen türkische Bodentruppen kurdische Milizen an, die die Türkei als Terroristen betrachtet – sie werden dabei von syrischen Milizen unterstützt, die gegen die dortige Regierung kämpfen. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron machte ein Ende der Operation zum Anliegen seines Telefonats mit Erdoğan am Sonntag: "Wir haben den gemeinsamen Wunsch, dass diese Offensive endet", ging Macron mit Merkel d'accord. "Diese Offensive birgt die Gefahr einer unhaltbaren humanitären Situation", so Macron.
Merkel warnte Erdoğan ungeachtet berechtigter türkischer Sicherheitsinteressen, dass infolge der Militäroperation größere Teile der in den Grenzgebieten ansässigen Bevölkerung vertrieben werden könnten. Zudem drohen eine Destabilisierung der Region und nicht zuletzt die Rückkehr der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). So sollen Berichten zufolge rund 780 IS-Terroristen nach Beschuss des Lagers Ain Issa durch mit der türkischen Armee verbundenen Milizen aus der Haft ausgebrochen sein. Anwohner meldeten, dass sich einige der Terroristen auf den Weg nach Raqqa gemacht haben – die frühere Hochburg des IS.
Erdoğan wies die Berichte über den Ausbruch als "Desinformation" zurück. Derweil verschärft sich die humanitäre Lage im von der türkischen Offensive betroffenen Gebiet zusehends: Laut UN-Angaben wurden seit Beginn der Offensive am Mittwoch bereits 130.000 Menschen von ihrem Wohnsitz vertrieben. In Hasaka, wohin die meisten Vertriebenen flüchteten, hat sich die Wasserversorgung dramatisch verschlechtert – etwa 400.000 Menschen sind davon betroffen. Im russischen Verteidigungsministerium spricht man bereits jetzt von einer humanitären Katastrophe.
EU-Außenminister beschließen Stopp von Waffenlieferungen
Merkels Ermahnung erfolgte zu einem wichtigen Zeitpunkt: Die EU-Staats- und Regierungschefs waren dabei, sich auf den Außenministergipfel in Luxemburg vorzubereiten, bei dem eine gemeinsame Reaktion auf Erdoğans eingeleitete "Operation Friedensquelle" besprochen werden sollte.
Deutschland, Frankreich, Norwegen und die Niederlande diskutierten sofort nach Beginn des türkischen Überfalls auf Syrien, die Lieferungen von Rüstungsgütern an Ankara einstweilig auszusetzen, was sie in Eigenregie auch taten; Schweden sprach sich für ein Waffenembargo, personenbezogene und wirtschaftliche Sanktionen gegen die Türkei aus – und auch jenseits des Atlantiks drohte US-Präsident Donald Trump damit, die türkische Wirtschaft mit "mächtigen Sanktionen" zu schädigen.
Als Ergebnis des Gipfels wurde nun ein EU-weites Waffenembargo gegen die Türkei verhängt. Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen (Die Linke) kritisierte, dass das Embargo nur neue, noch nicht genehmigte Lieferungen betreffe. Bereits genehmigte Waffenlieferungen seien davon unberührt.
Erdoğans Drohkulisse: Ich schick euch die Flüchtlinge
Die von den Kurden kontrollierten Grenzgebiete, die sich von der türkischen Grenze aus 30 Kilometer auf syrisches Territorium erstrecken, sind von Erdoğan für die Umsiedlung einiger der 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei vorgesehen. Die Alternative, drohte er, bestehe darin, diese Flüchtlinge nach Europa weiterzuleiten.
Erdoğan ist sich wohl bewusst, welches Damoklesschwert er über die Köpfe der Oberhäupter des angeschlagenen europäischen Establishments hält:
Hey EU, aufwachen! Ich sage es noch einmal: Wenn ihr versucht, unsere Operation dort als Invasion darzustellen, wird unsere Aufgabe [deutlich] einfach[er]: Wir werden die [Grenz-]Tore öffnen und 3,6 Millionen Migranten zu euch schicken", sagte er in einer Rede vor seiner Partei AKP am Donnerstag.
Erdoğan hatte sich wiederholt darüber beschwert, dass sein Land nur einen Bruchteil der zwischen 2016 und 2019 versprochenen sechs Milliarden Euro von der EU erhalten habe. Eine Gruppe von EU-Politkern flog Anfang dieses Monats nach Ankara, um seine Regierung davon zu überzeugen, die Grenzübergänge geschlossen zu halten. Dabei machten sie dem türkischen Staatsoberhaupt Versprechungen über mehr Hilfsgelder.
Erdoğan stellte Merkel außerdem vor eine weitere Wahl:
Sind wir [nun] Verbündete in der NATO, oder haben Sie ohne unser Wissen eine terroristische Organisation in die NATO aufgenommen?", fragte er am Sonntag in einer Sendung des türkischen Fernsehsenders NTV.
"Eine sehr seltsame Herangehensweise. Seid ihr nun mit uns oder mit den Terroristen?" Erdoğan bezog sich damit auf die in Nordostsyrien aktive Kurdenmiliz YPG, die in der Türkei als militärischer Arm der kurdischen Arbeiterpartei PKK und damit als Terrororganisation gilt.
Derweil halten die Feindseligkeiten im Nordosten Syriens an: Türkische Bodentruppen sind 30 bis 35 Kilometer ins Landesinnere vorgestoßen und haben die Kontrolle über die durch Nordostsyrien führende Schnellstraße M-4 an sich gerissen, behauptet das türkische Verteidigungsministerium. Tall Abyad sei ebenfalls unter türkischer Kontrolle – neben dem regulären Militär seien verbündete Milizen an der Einnahme der Stadt beteiligt gewesen.
Am Sonntag setzte sich die syrische Armee zum Grenzgebiet mit der Türkei in Bewegung. Zuvor hatten sich die syrische Regierung und die SDF darauf geeinigt, dass die syrische Armee in das von der SDF kontrollierte Gebiet einziehen kann, um die türkische Offensive zu stoppen.
Mehr zum Thema – Staatsmedien: Syrische Armee rückt gegen türkische Besatzungskräfte vor
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.