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Interview zur Wiedergutmachung: "Deutsche Selbstwahrnehmung untrennbar mit Holocaust verbunden"

Der Wissenschaftler Elazar Barkan lobt Deutschland als gutes Beispiel in der Geschichte der Wiedergutmachung. Deutschlands Identität als Gesellschaft, die sich für den Holocaust verantwortlich sieht, ist heute in die deutsche Selbstwahrnehmung eingebettet. RT Deutsch sprach mit dem Experten.
Interview zur Wiedergutmachung: "Deutsche Selbstwahrnehmung untrennbar mit Holocaust verbunden"Quelle: Reuters © Yonathan Weitzman

Elazar Barkan ist Professor für internationale und öffentliche Angelegenheiten sowie Direktor des Instituts für Menschenrechtsstudien an der Columbia University. In Den Haag ist Barkan Mitbegründer des Instituts für historische Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. 

Herr Barakan, bitte erklären Sie uns den Begriff der Wiedergutmachung. Was ist hierunter zu verstehen? 

Restitution hat auch die technische Bedeutung der Rückgabe des Eigentums an den eigentlichen Eigentümer, oder ein Haus, oder etwas anderes. Restitution bedeutet auch Regression. Das ist die Wiedergutmachung vergangener Gewalt. In den 1990er-Jahren war Deutschland daran sehr beteiligt und gründete einen Fonds für die osteuropäischen Zwangsarbeiter. Die lange Geschichte deutscher Wiedergutmachung beginnt im Jahr 1952 mit Adenauer und den jüdischen Ansprüchen. In den 90ern weitete sich dies auf viele Staaten aus, viele Länder übernahmen teilweise die Reparationspolitik, und nach 2001 wurde das Thema vom Krieg gegen den Terror überwältigt beziehungsweise überschattet. 

Die USA hatten einen neuen Präsidenten Bush, und er beachtete das Thema nicht. Clinton war viel direkter und hatte einen Staatssekretär, der sich hiermit befasste. Die globale Führung verminderte die Bedeutung der Wiedergutmachung. In vielen Ländern hat es eine Rechtsänderung gegeben, die auch den Wiedergutmachungen/Rückerstattungen/Schadensersatz (...) geholfen hat (...). Die Befürworter der Wiedergutmachung waren besorgt über die Gräueltaten (...) in der heutigen Zeit, und es gab weniger Raum für Politik, die von Ethik geprägt ist. (...) Der Wunsch nach Wiedergutmachung und Rückerstattung muss von den Tätern oder deren Nachkommen stammen. Wiedergutmachung und Reparationen sind kaum durch Obligationen vonseiten der Täter motiviert, sondern fast immer durch das Selbstverständnis einer ethischen Politik.

Gibt es denn überhaupt so etwas wie Wiedergutmachung? Kann man die Verluste durch Krieg, Ungerechtigkeit, Sklaverei, Kolonialisierung ausgleichen? Ein Gemälde, ein Haus, Schmuck, physische Sachen können zurückgegeben werden. Was kann überhaupt zurückgegeben werden, und haben Sie Beispiele für eine erfolgreiche Wiedergutmachung?

Ja, die deutschen Reparationen und Entschädigungen an die Juden und an Israel von 1952 bis heute. Ich vertrete eine Position, die Adenauer hierbei die Rolle einer zentralen (historischen) Figur zuschreibt. Die Frage ist, ob Adenauer aus politischen oder ethischen Gründen gehandelt hat. Und beide Gründe zusammengenommen motivierten ihn, eine ethische Politik zu verfolgen und Deutschland zu einem normalen Land zu machen. Er erkannte, dass die Reparationen an die Juden und Opfer und an Israel als neuen Staat ausschlaggebend waren. 

Andere Länder hingegen haben komplett polarisierende Positionen eingenommen, vornehmlich Japan. Also auf Ihre Frage, ob die Verbrechen nicht zu groß sind, um wiedergutgemacht zu werden: Meiner Meinung nach ist es keine rein finanzielle Transaktion. Keine der Verbrechen, Genozide, Kriegsverbrechen können adäquat vergolten werden. Die Reparationen, die Wiedergutmachungen sind in dem Willen zur Schlichtung verankert. Selbst wenn die Reparationen im Bezug auf das Geld signifikant sind.

Nehmen wir das Beispiel Deutschlands, das in den letzten sieben Jahrzehnten fast 200 Milliarden Euro an Wiedergutmachung zahlte. Es kann die tatsächliche Zerstörung des jüdischen Lebens und des Leidens in Europa nicht kompensieren, nicht, was den Besitz, und schon gar nicht, was Leben anbelangt. 

Aber dennoch zeigte Deutschland eine anderes Verhalten, zahlte es eine aus Sicht der Opfer signifikante Geldsumme. Aus deutscher Perspektive ist diese nicht signifikant. Lassen Sie mich erklären, weshalb dies so ist. Wir sprechen hier von Hunderten Milliarden, egal ob Euro, Deutsche Mark, Dollar, es kommt darauf an, wie man es über die 70 Jahre hinweg berechnet. Runden wir es einfach auf einen für die Opferhilfe nennenswerten Betrag auf. Es war sicher wichtig für die israelische Wirtschaft in den 50er-Jahren. Aus Sicht der Opfer muss die Reparation bedeutend sein. 

Andererseits kann es aus Sicht des Täters nicht sinnvoll, nicht lebensverändernd sein. Damit meine ich, wenn man das BIP in Deutschland mit der Reparationszahlung vergleicht, ist das ein winziger Betrag. Er hatte keinen Einfluss. Es gab einen wirtschaftlichen Schub durch Sachleistungen an Israel, wie Maschinen usw. 

Das hat die deutsche Wirtschaft in keiner Weise verändert. Es war produktiv, es war sinnvoll für die Opfer (...).

Deutschlands Identität als Gesellschaft, die sich für den Holocaust verantwortlich sieht, ist heute in die deutsche Selbstwahrnehmung eingebettet.

Sie haben es nicht auf äußeren Druck hin getan. (...) Wir können uns keine passende Geldsumme ausdenken, die das Leid rückgängig machen würde. 

Und in Bezug auf Kolonialismus und Sklaverei? Wie steht es hiermit?  

Auf die gleiche Art, wie es Deutschland auf sich genommen hat. Es gibt Möglichkeiten, wie westliche, nicht nur westliche Länder, die an Sklaverei und Kolonialismus beteiligt waren, einen Plan zur Wiedergutmachung finden können. Heute ist dies in den USA zu einem sehr wichtigen Thema für die kommenden Wahlen geworden. Alle Demokraten, alle Kandidaten für das Amt des Präsidenten werden gebeten, eine Stellungnahme dazu abzugeben. Jetzt erst wird es zu einer wichtigen Angelegenheit bei den Wahlen. (...) Wir haben mindestens ein Jahrzehnt vor uns, in dem wir die Wiedergutmachung betreiben müssen. Es gibt noch einen weiteren Punkt, der in Zukunft wichtig werden wird: die wachsende Nachfrage der afrikanischen Staaten nach Objekten, die während des Kolonialismus und des Imperialismus geplündert wurden. Diese war in den 90er-Jahren sehr stark und wurde aufgrund einer veränderten ethnischen und internationalen Politik fallen gelassen. Aber (das Thema) kommt wieder. 

Warum beschäftigt man sich jetzt wieder mit dem Thema? 

Das Übel der Kolonialherrschaft zu beheben, wird immer legitimer. Reparation ist keine rein ethische Frage, sondern sie wird durch politische Ansprüche verstärkt. In dem Moment, in dem sich Afrika dahin bewegt, eine stärkere Stimme bei den Forderungen nach Reparationen zu haben. Es gibt eine jüngere Generation, die in den 90er-Jahren aufgewachsen ist, und sie werden in höhere Positionen eingesetzt. Länder wie Belgien oder sogar Deutschland sind mit der Nachfrage nach bestimmten Objekten konfrontiert, und dies wird nicht bald gelöst werden. Aber wir hören weiterhin Berichte über verschiedene Kunstgegenstände oder anthropologische oder religiöse Objekte, die zurückgegeben werden. 

Noch heute beschäftigen wir uns in Deutschland mit Wiedergutmachungsforderungen, die aus dem Zweiten Weltkrieg stammen. In Ostdeutschland gibt es derzeit einen Fall, bei dem die Jewish Claims Conference (JCC) Grundstücke zurückfordert, die einst einer jüdischen Landwirtschaftsorganisation gehörten. Das besondere hieran ist, dass es keine lebenden Nachfahren gibt, die Anspruch erheben könnten. Die JCC agiert somit aus eigenem Antrieb. Das Geld, das die JCC durch den Verkauf der Grundstücke erhalten wird, soll an Holocaustüberlebende gehen. Ist das Wiedergutmachung? 

Dieser Fall erinnert an die Fälle '89, als die Besitzer von Eigentum in Ostdeutschland nichts mit den Nazi-Enteignungen zu tun hatten. Es kam zu einer Lösung, indem der deutsche Staat Geld zahlte. In Potsdam wurden wurden Opfer entschädigt. Menschen, die dort lebten, litten nicht. (...) In jedem Fall ist die Rückgabe von Eigentum wahrscheinlich die schädlichste Variante. Die Generation, die dies genießt, ist wahrscheinlich die vierte Generation oder so. Und die Opfer sind nicht die eigentlichen Opfer. Die Claims Conference will eine bestimmte Summe Geld, um Holocaustüberlebenden zu helfen, aber im Wesentlichen ist das kein Streit um Eigentum, sondern um Geld. Ethisch ist das kompliziert. Es geht wahrscheinlich um eine niedrige (...) Summe. Die Jewish Claims Conference war sehr gut im Erhalten von Reparationen, aber sie hat in vielen Fällen auch versagt. (...) Ich denke nicht, dass es zu einem politischen Status kommt. Die Regierung könnte gewillt sein zu zahlen, weil [die Summe] relativ niedrig ist. 

Reden wir im Gegensatz dazu mal über die Beziehung zu Polen und die Forderungen der polnischen Regierungen gegenüber Deutschland. 

Das ist die eigentliche Frage der Wiedergutmachung. Die Tatsache, dass Juden in Polen keine Reparationen bekamen. Polen, Deutschland und Israel. Es hängt von der Wahl und der Haltung des nächsten Kanzlers ab, ob er vorankommt oder nicht. Polen entwickelt sich weiter nach rechts. Das Land verlangt Geld von Deutschland, aber es versagt den Juden das Geld. Es gibt keine ethische Debatte, die stattfindet. 

Sie fordern zehn Milliarden für osteuropäische Zwangsarbeiter von Deutschland. Deutschland verweist auf ein Abkommen, dem zufolge Polen keine weiteren Zahlungen zustehen. Es gibt nicht viele Wiedergutmachungsfälle. Im Fall Japans stellt Südkorea Forderungen. Der Rest sind Ad-hoc-Fälle. 

Wann hat eine Person Anspruch auf Wiedergutmachung? Welches Gesetz greift? 

Dafür gibt es keine richtige Antwort. Es ist eine Kombination ethischer Fragen mit politischen Gleichungen. Die Roma bekamen nichts, sie bekamen nichts, weil sie niemanden damit beauftragen konnten. Aber neuerdings wird die Forderung der Roma-Zivilgesellschaft Gegenstand möglicher Reparationen. Es kommt darauf an, wie stark die Roma werden.

Nehmen wir das jüngste Beispiel der Jesiden. Wie sieht es hier mit Wiedergutmachung aus? 

Die Täter sind [die Terroristen des] IS. Sie könnten Entschädigungen als Augenzeugen aus Empathie erhalten. Die Täter wurden eliminiert. Die Besonderheit der Frage, die Sie stellen, ist: Ist Wiedergutmachung freiwillig? Wenn sie erzwungen ist, hat sie keine ethische Bedeutung, und es ist eine schwierige Art der Reparation. Es ist nicht nur ethisch. Zum Beispiel hatte Israel '52 keine Möglichkeit, Druck auf Deutschland auszuüben. Dies übrigens, dieses Statement ist nicht unbedingt eine Ansicht, die alle teilen. Es gibt Leute, die argumentieren, dass Adenauer keine Wahl hatte. Aber ich sehe das nicht so. 

Gibt es auch so etwas wie ein Verfallsdatum? Oder gibt es für Reparationen kein Zeitfenster? Ich denke da an die Reparationsforderungen aufgrund der Verbrechen an den Herero und Nama in Afrika zwischen 1904 und 1908 unter deutscher Kolonialherrschaft. 

Das ist immer ein Problem, wenn wir über Wiedergutmachung sprechen. Wie weit geht man zurück, und sagen die Briten, wir müssten ja für die Kreuzzüge zahlen? Das ist nicht der Fall. Nur dann, wenn es einen geeinte und anhaltende Klage von den Opfern gibt. (...) Kolonialherrschaft ist ein so großes Thema, dass es nicht als eine Frage gelöst werden kann, sondern es wird in spezifischen Fällen behandelt. Kulturelles Eigentum ist sehr einfach, es konzentriert die Diskussion auf das Übel und die Verbrechen, und es eröffnet die Diskussion auf andere Dinge. Reparationen (...) sind keine Forderungen, die eingelöst werden, und das Thema ist vorbei. Es ist eine Forderung, die eine neue Verbindung zwischen zwei Ländern bringt. Deutschland zahlte in den 50er-Jahren zunächst eine Milliarde Deutsche Mark. Es etablierte eine Beziehung zwischen Israel und Deutschland, und Deutschland setzte die Beitragszahlungen fort.

In Ihrem Buch "The Guilt of Nations" argumentieren Sie, dass in einigen Ländern, darunter auch die Vereinigten Staaten, Australien und Neuseeland, sowohl Regierungen als auch Minderheitengruppen gezwungen sind, die Geschichte des Kolonialismus zu korrigieren und die nationale Identität neu zu definieren, um vergangene Ungerechtigkeiten gegen indigene Völker innerhalb ihrer Grenzen anzuerkennen. Erkennen die Vereinigten Staaten vergangene Ungerechtigkeiten an? Was ist mit der Bombardierung von Hiroshima? Mit dem Vietnamkrieg? 

Zwei Dinge dazu. Erstens: Ich schrieb das Buch Ende der 90er. Damals verbreiteten sich die Menschenrechte dramatisch, bevor China anfing, sein Gewicht zu nutzen. Das Buch ist optimistischer, als dies die letzten 15 Jahre uns erlauben würden. Ich war optimistischer. Und zweitens, es gibt Fälle, die politisch nicht umstritten, ethisch nicht umstritten, aber politisch gesehen nicht richtig sind. Die Herero sind ein Beispiel dafür. Die Ethik ist aufseiten der Herero, aber die Regierungen von Namibia und Deutschland haben kein politisches Interesse daran, sich zu einigen. 

Im Bezug auf Hiroshima und Nagasaki gibt es keinen Konsens, ob es sich um Gräueltaten oder um einen gerechtfertigtes Element des Krieges handelte. In Vietnam ist es einfacher, zu argumentieren, dass es Kriegsverbrechen gab, aber es gibt keine Aktivisten, die Reparationen fordern. Auch nicht in Bezug auf den Krieg der US-Amerikaner in Kambodscha.

Es muss also eine Kombination aus der Ethik des Falls, dem historischen Konsens und der politischen Frage vorhanden sein. 

Wenn eines davon nicht vorhanden ist, dann sind die Chancen auf Reparationen viel geringer. Kanada geht mit (der Schuld gegenüber) indigenen Völkern viel besser um als die USA, aber auch dort gibt es politische Probleme. (...) Den USA fällt es seit 2000 schwer, irgendetwas zuzugeben. Selbst in den 90er-Jahren war Clinton sehr vorsichtig, nicht zu viel zuzugeben. In Bezug auf Hawaii, die Sklaverei in Afrika, die medizinischen Experimente an Afroamerikanern in den USA gab es Entschuldigungen. Die USA sind sehr schlecht darin, Verantwortung zu übernehmen. 

Wenn Entschädigung von der internationalen Moralität abhängt, wie ist es dann um diese heute bestellt?

Furchtbar. Die Angriffe auf Menschenrechte. Wenn ich darüber nachdenke, in welchen Ländern sich in den letzten fünf Jahren die Menschenrechte verbesserten. Wir dachten von Myanmar bzw. Burma, (...) dass es große Verbesserungen gab, aber stattdessen gab es den Genozid, oder wie man es auch immer nennen mag, an den Rohingya. Das einzig positive Beispiel mit Verbesserungen im Bezug auf Menschenrechte ist Kolumbien. Vielleicht gibt es hier Wiedergutmachungen. (...) Obwohl Menschenrechtler noch immer umgebracht werden. (...) Aber das ist die Nation mit den meisten Verbesserungen, würde ich sagen. Und vielleicht das einzige Beispiel. 

Der wachsende Einfluss der politischen Rechten, [in Großbritannien durch den] Brexit, in Ungarn, in Polen, auf den Philippinen, (...) und natürlich in den USA. Während Menschenrechte Teil der diplomatischen Politik waren, gibt es heute kein großes Land, das Menschenrechte priorisiert.

Die EU macht für einen so wichtigen Akteur sehr wenig Außenpolitik. Sie setzt ihre Stärke nicht dazu ein, die Menschenrechte voranzutreiben. 

Zum Beispiel Deutschland und die Türkei. Es gibt Druck aus Deutschland, es ist aber trotz der engen Beziehungen keine Supermacht, die die Türkei ermahnen könnte. (...) Es gibt enorme Hindernisse für die Menschenrechte. 

In Ihrem Essay "Between Restitution and international morality" besprechen Sie auch den Fall der Sudetendeutschen. Sind diese Opfer oder Täter? Wo ist die Linie zwischen denjenigen Menschen, denen Wiedergutmachung zusteht, und denjenigen, die falsche Ansprüche erheben?

Meine Meinung ist, dass die Sudetendeutschen eine ethnische Gruppe waren, die den Nationalsozialismus förderte. 

Ich glaube auch nicht, dass es illegal war, sie auszuweisen. Weil der Austausch der Bevölkerung vor '48 legal war. Erst die Genfer Konferenz verbietet diesen. Die Sudetendeutschen übertrieben die Zahlen der Opfer massiv. Und ihre Forderung war keine der individuellen Wiedergutmachung. Sie sind viel wohlhabender als die Tschechen, aber sie wollten Gruppenrechte in der Tschechischen Republik.

Es gibt hierbei keine Legitimität, meiner Meinung nach in Bezug auf die Zerstörung und den Krieg allgemein. Beide, sie (die Opfer) und die Deutschen, wurden aus Polen herausgeworfen – von den Alliierten genehmigt.

Die Sudetendeutschen hatten keine sauberen Hände. Sie waren Teil der deutschen Minderheit, die Hitler einen Grund lieferte, die Invasion zu rechtfertigen.

Die Sudetendeutschen wären heute in einer anderen ethischen Situation, wenn sie die Komplexität [ihrer Situation] anerkannt hätten. Sie gaben vor, Opfer zu sein. Das ist ethisch nicht zu überzeugend. (...) Sie nutzten die ethische Position aus. (...) Sie waren die Hauptunterstützer der CSU in Bayern. Sie hielten den Druck aufrecht, auch wenn es viel weniger Opfer unter ihnen gab. (...) Die andere Besonderheit der Sudetendeutschen ist, dass sie reich sind, und sie kaufen Immobilien in der Tschechischen Republik. Sie sind nicht die Opfer, die entschädigt werden sollen. 

Es gibt immer wieder Berichte über Holocoaust-Überlebende, die in Armut leben. Ist das richtig? 

Ich bin mir sicher, dass es Beispiele hierfür gibt, aber wenn man übereinkommen könnte, dass die Kompensationen, die Deutschland an individuelle Überlebende zahlte, eine internationale Norm werden sollte, das wäre wunderbar. Die meisten erhalten monatliche Zahlungen, und auch, wenn es sicher nicht genug ist, sind 70 Jahre eine lange Zeit, dies zu bekommen. Ob Sudetendeutsche oder Holocaust-Überlebende, es wird immer einige geben, die sagen, es müsse mehr geben (mehr gezahlt werden). (...) Das ist die Natur des Aktivismus und der Politik. (...)

Wenn das deutsche Beispiel für Reparationen und Verantwortung für die Juden zur Norm würde, wäre die Welt ein viel besserer Ort.

Europa hat ein wunderbares Gerüst für Menschenrechte. Als Block ist es sehr reich, aber stattdessen begrenzt es die Zuwanderung. In Straßburg beim Gericht [dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte; Anm. d. Red.] werden die (Menschenrechts-)Fälle sehr langsam bearbeitet. Die nordischen Länder und Deutschland unterstützen die Zivilgesellschaft auf der ganzen Welt. Sie sollten ihre politische Stärke nutzen (...). Ich würde sehr gerne eine europäische Führerschaft sehen, aber stattdessen nutzen sie die Auseinandersetzungen über Migration, der Anstieg der populistischen Parteien, dies ist alles sehr enttäuschend. Es gibt viel Arbeit für das Menschenrecht, die Gesellschaft (...). Die Menschen sollten glauben, dass, wenn sie politisch dafür kämpfen, auch wenn ihr Kampf lang ist, die Populisten viel zu gefährlich sind, um sie davonkommen zu lassen. 

Wir bedanken uns für das Interview. 

Das Interview führte RT Deutsch Redakteurin Olga Banach. 

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