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Ex-Admiral: Trotz gezielter Unterwanderung des Staates entfernt sich die Türkei von NATO und USA

Die USA haben eine NATO-freundliche Elite in der Türkei aufgebaut, die die türkische Gesellschaft in allen Bereichen mit treuen Vertretern unterwandert hat. Der türkische Ex-Admiral Soner Polat erklärt im RT Deutsch-Interview, warum sich Ankara trotzdem von der NATO entfernt.
Ex-Admiral: Trotz gezielter Unterwanderung des Staates entfernt sich die Türkei von NATO und USA

von Ali Özkök

Soner Polat ist türkischer Admiral im Ruhestand. Von 2005 bis 2007 war er Chef der Geheimdienstabteilung des Generalstabs in Ankara und von 2007 bis 2009 Kommandant der Marine der Mittelmeerregion in Mersin. 2009 wurde er zum Logistikchef der Seestreitkräfte befördert. Während dieser Aufgabe wurde er am 11. Februar 2011 aufgrund des Balyoz-Falls verhaftet und 2013 wieder entlassen.

Welche Rolle spielt die Gülen-Bewegung im Spannungsverhältnis zwischen der Türkei und den USA?

Der durch die türkischen Streitkräfte und die Oberste Republikanische Staatsanwaltschaft signierte "FETÖ-Bericht" liegt ja vor. Der Kaynak-Verlag hat diesen Bericht unter dem Titel "Die heutige ideologische Ausrichtung der türkischen Streitkräfte" veröffentlicht. Lassen Sie mich einige Abschnitte aus diesem Bericht als Zeugnis des Wandels und der Entwicklung in der türkischen Armee anführen: 

"Die geographische Lage der Republik Türkei wird zum ständigen Schauplatz der Auseinandersetzung und des Eingriffs globaler Mächte durch Verwendung verschiedener Instrumente/Hebel in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Religion und Militär. Dieser Punkt (der Putschversuch) sollte nicht unabhängig von den Planspielen global agierender Staaten bezüglich der Republik Türkei und des türkischen Volkes bewertet werden.

FETÖ/PSS (parallele staatliche Struktur) erhält Unterstützung von Staaten, die eigene Ziele in der Türkei verfolgen. Diese Staaten, die über die TSK (türkischen Streitkräfte) unser Land zu kontrollieren beabsichtigen, versuchen mit dem Instrument FETÖ/PSS die TSK in ihre Hände zu bekommen und sie zu schwächen. Diejenigen, deren Hoffnungen durch die PKK nicht erfüllt wurden, benutzen als neue Plattform FETÖ/PSS. Zwischen Gefangennahme und Rückführung des PKK-Führers Abdullah Öcalan in unser Land und der Ausreise Fethullah Gülens in die USA lag nur eine sehr kurze Zeitspanne. Der FETÖ-Führer lebt seit Jahren in der USA.

Es wurde festgestellt, dass Offiziere, die Angehörige der FETÖ/PSS-Strukturen waren und für Auslandsdienste ausgewählt in den NATO-Kader berufen wurden, sowohl einige nationale und militärische Informationen an NATO-Behörden weitergegeben haben als auch benutzt wurden, fremde Interessen durchzusetzen.

Es kann festgestellt werden; äußere Faktoren haben genauso wie innere Faktoren eine wichtige Rolle dabei gespielt, dass die türkische Armee beim Putschversuch 2016 lahmgelegt wurde. Sie griffen die türkische Armee mit asymmetrischen Methoden an, verhinderten mit den verschiedensten Mitteln eine Reaktion von Seiten der TSK. Und wenn sie es mal versuchte zu reagieren, wurde sie mit den benutzten Etikettierungen wieder zermürbt. Bei diesen Arbeiten funktionierte die FETÖ/PSS lediglich als ein Werkzeug, als Mittel zum Zweck."

Können Sie die Kernaussagen zusammenfassen?

Wie man sieht, wird in dem TSK-Bericht das Handeln von fremden Mächten innerhalb der FETÖ-Angelegenheit nicht nur indirekt, sondern ganz direkt hervorgehoben.

Haben Sie auch eigene Erfahrungen im Zusammenhang mit NATO-Aktivitäten sammeln können, die womöglich die nationalen Interessen der Türkei unterminierten?

Persönlich habe ich während meiner militärischen Dienstzeit feststellen können, dass die NATO und die USA nicht auf der Seite der Türkei stehen. Im Gegenteil, sie nutzten sensible Punkte unseres Landes für ihre eigenen Interessen aus. Ich hatte enge Beziehungen zur NATO. Ich nahm an Dutzenden von NATO-Konferenzen teil. Bei diesen Konferenzen habe ich beobachten können, dass wichtige Staaten der NATO auf indirekte Mittel zurückgriffen, um die PKK zu schützen oder zu unterstützen. Ich sah ein, dass die Idee des Westens, einen unabhängigen Kurdenstaat zu gründen, nicht verschwinden wird. Nachdem ich im Zuge des Balyoz-Komplotts inhaftiert wurde, hatte ich Gelegenheit, diese Themen noch besser auszuwerten. Als ich aus dem Gefängnis kam, schloß ich mich der meiner politischen Haltung nahestehenden "Patriotischen Partei" (Vatan Partisi) an.

Die Türkei rückte nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 politisch näher zu Russland. Wie schätzen Sie die Zukunft der Türkei innerhalb der NATO ein, und gibt es ihrer Meinung nach Bündnisalternativen für Ankara?

Lassen Sie uns zunächst einen Punkt unterstreichen: In allen im türkischen Parlament vertretenen Parteien gibt es eine starke transatlantische Ader. Die NATO und die USA haben seit dem türkischen Beitritt ein NATO-freundliches Fundament im Land kreiert. In der Bürokratie, der Presse, den Universitäten, in Nichtregierungsorganisationen, bei wirtschaftlichen Entscheidungsmechanismen, einfach überall haben sie ihre Vertreter. Ihre Fähigkeiten, eine Öffentlichkeit herzustellen, sind sehr stark. Auch wenn ihre Zahl klein ist, ist ihr Lärm umso größer.

Aber trotz dieser mächtigen Strukturen und der transatlantisch orientierten Parteien nähert sich die Türkei mit jedem weiteren Tag etwas mehr Eurasien an. Der Grund dafür sind Bedrohungen gegen unser Land und geopolitische Notwendigkeiten.  

Auch wenn die eurasischen Strömungen stärker werden, ist ein kurzfristiger Austritt der Türkei aus der NATO nicht sehr wahrscheinlich. Die NATO wird als Balance-Element in der Türkei betrachtet.

Aber bei Betrachtung der objektiven Voraussetzungen ist allerdings zu konstatieren, dass sich die Türkei Schritt für Schritt von der NATO entfernt und Eurasien annähert. Wahrscheinlich wird diese Tendenz sich fortsetzen. Aufgrund der Haltung der USA ist eine Rückkehr fast unmöglich. Der Austritt der Türkei aus der NATO wäre ein geopolitischer Umbruch globalen Ausmaßes. Dabei gibt es erhebliches Kooperationspotenzial mit den Ländern Westasiens (also des Nahen Ostens) und denen Eurasiens, also mit Russland, China, Pakistan und den Turkstaaten. Diese sind die natürlichen Partner Ankaras (und der Türkei).

Trump hat erklärt, dass die USA ihre Truppen doch noch in Syrien lassen werden, zur Unterstützung der Kurden-Miliz YPG. Wie groß ist die Sorge, dass die USA die YPG nicht nur gegen Assad, sondern auch irgendwann auch gegen die Türkei einsetzen, um diese zu politischen Konzessionen zu zwingen?

Daran gibt es (für mich) keinerlei Zweifel. Die von den USA an die YPG übergebene Menge und Qualität an Waffen und Munition hat staatliche Dimensionen erreicht und ist nicht mehr mit der Unterstützung einer Miliz vergleichbar. Außerdem unterstützen die USA die YPG mit Mitteln aus dem eigenen Staatshaushalt. Das bedeutet, dass der Schutz und die Unterstützung für die YPG keine verdeckte Geheimdienstoperation mehr ist, sondern Staatspolitik der USA.

Die Zahl an übergebenen Waffen übersteigt bei weitem die für den Kampf gegen ISIS erforderliche Menge. Dass hier das eigentliche Ziel die Türkei ist, ist offensichtlich. Die USA wollen, wie schon im Nordirak, auch in Syrien ein autonomes Gebiet schaffen, in dem die Kurden "freie" Hand haben sollen. So will Washington im Süden die Verbindung der Türkei zur arabischen Welt kappen und den geopolitischen Interessen Ankaras einen Schlag versetzen. Auf diese Weise wird im Norden Syriens auch ein Stützpunkt für asymmetrische Angriffe gegen die Türkei installiert. Die USA benutzen die PKK/YPG gegen alle Staaten in der Region.

Welche politischen und militärischen Alternativen hat die türkische Regierung, um die USA in Syrien zurückzudrängen?

Mit den Operationen "Euphrat Schild" und "Olivenzweig" hat sie gezeigt, dass - wenn es um ihre eigenen nationalen Interessen geht - selbst die USA nichts dagegen tun können. Daher wird die Türkei, wenn es hart auf hart kommen sollte, auch alleine zur Tat schreiten.

Im jetzigen Stadium versuchen die USA die Türkei hinzuhalten und mit einem Wirtschaftskrieg zu bedrohen. Hierbei ist es für die Türkei - ganz rational betrachtet - der vernünftigste Aktionsmechanismus, mit den Astana-Verbündeten (Russland und Iran) und mit Syrien gemeinsam Schritte zu unternehmen, um dieses Problem zu lösen. Das zwischen der Türkei und Syrien 1998 abgeschlossene Adana-Abkommen, das auch von Russland erwähnt wurde, gibt grünes Licht für eine gemeinsame Operation zwischen den Ländern. Ein solcher Aktionsmechanismus wäre ein starkes Fundament hinsichtlich der internationalen Legitimität und des internationalen Rechts und würde die USA vor der ganzen Welt bloßstellen. Sobald ein regionales Bündnis gegründet werden würde, könnten die USA und die YPG alle ihre Trümpfe verlieren.

Generell scheint die türkische Bevölkerung eine US-kritische Haltung zu haben, während die türkische Politik immer an einem Miteinanderauskommen festhielt. Wie erklären Sie dieses Phänomen?

Nach dem zweiten Weltkrieg haben sich die USA und die NATO - und in den letzten Jahren auch die EU - ein stabiles Fundament aufgebaut, haben in fast allen Institutionen des Landes eine wirkungsvolle Handlungsposition erlangt. Alle Oppositionsparteien (CHP, Iyi Partisi, Saadet Partisi und HDP) im türkischen Parlament - allen voran die CHP - stehen auf der europäisch-atlantischen Seite. Ihre gesamte Politik steht im Einklang mit den USA, der NATO und der EU. Trotz AKP ist die Berichterstattung der türkischen Presse, insbesondere der am meisten gelesenen Erzeugnisse großer Medien-Holdings, auf USA-Linie. Die Zahl USA-kritischer Publikationsorgane ist sehr überschaubar.

Das türkische Volk gibt von Wahl zu Wahl seine Stimme ab, wird darüber hinaus aber von politischen Initiativen und Entscheidungsmechanismen ausgegrenzt. Das Parteiengesetz ermöglicht es einer kleinen Gruppe von Leuten, eine riesige Partei unter ihrer Kontrolle zu halten. Aus diesem Grund spiegelt sich die anti-amerikanische Haltung des türkischen Volkes nicht adäquat in der türkischen Politik wider. Aber die Türkei ist Zeuge eines sehr wichtigen Wandels geworden: Die traditionell vom europäisch-atlantischen System ausgenutzten armen Bevölkerungsschichten haben ein antiimperialistisches Bewusstsein entwickelt. Dass diese Tatsache zu ernsthaften Veränderungen in der türkischen Politik führen wird, werden wir mittelfristig beobachten können.

 Vielen Dank für das Gespräch!

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