Russland-Kritiker: "Merkel hat Sprengkraft von Nord Stream 2 unterschätzt"
Erneut macht das Projekt, bei dem eine weitere Leitung von Russland durch die Ostsee in die Mitte Europas gelegt wird, Schlagzeilen. Frankreich sah nach Jahren der Kooperation auf einmal schwerwiegende Sicherheitsbedenken der östlichen EU-Mitgliedsstaaten bedroht. Zwar konnte man sich auf einen Kompromiss einigen, aber der Vorgang zeigt die Möglichkeiten der Instrumentalisierung durch die Politik auf.
Das Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 soll zusätzlich zur bereits vorhandenen Leitung Nord Stream Gas aus Russland nach Europa liefern. Sie ist innerhalb Deutschlands, aber auch der EU sehr umstritten. Zudem erhöhen die USA seit Beginn des Projekts ihren Druck auf die Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft. Trotzdem hält die Bundesregierung an der Pipeline fest.
Der Politikwissenschaftler Dr. Stefan Meister, Leiter des Robert Bosch-Zentrums für Mittel- und Osteuropa bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), ist ein Kritiker der russischen Regierung und bezweifelt den Nutzen der Pipeline. Der wirtschaftliche Nutzen werde von den politischen Kosten mittlerweile überdeckt. Dennoch sind die Rollen für "Gut" und "Böse" längst nicht so eindeutig verteilt, wie es den Anschein hat.
"Deutschland ist der Buhmann"
Neben Deutschland unterstützen auch Frankreich, die Niederlande, Italien, Österreich, Griechenland, Tschechien und Ungarn die Pipeline. Für Deutschland ist die Rolle als Transitland besonders attraktiv, selbst wenn es keinen erhöhten Gasbedarf geben sollte.
Kritischer sehen Polen, das Baltikum, Rumänien und die Slowakei das Projekt. Für Länder wie Spanien und Portugal spielt der Gastransport keine Rolle, da sie zu weit entfernt sind. Dennoch wird in den Medien meist nur Deutschland als Hauptakteur neben Russland wahrgenommen. Das liegt nach Meister daran, dass es sich hier vor allem um ein "Medienthema" handelt, das von Medien und Politikern instrumentalisiert wird. Mit dem Hochspielen des Themas soll Druck auf die Bundesregierung aufgebaut werden, während sich andere Profiteure bedeckt halten.
Denn entgegen der Bedeutung der Pipeline auf politischer Ebene stehe die deutsche Bevölkerung dem Projekt eher "emotionsfrei" bis positiv gegenüber. Dies sei ein Resultat der alten politischen Ansicht, dass Wirtschaftsprojekte im Rahmen von "Wandel durch Annäherung" generell positiv einzuschätzen sind. Die relative Distanz der deutschen Bevölkerung zum Projekt solle jedoch nicht unterschätzt werden.
Sprengstoff für die Bundesregierung
Was der Regierung aber seit Beginn fehle, sei eine generelle Strategie im Umgang mit russischen Energieprojekten. Zunächst habe Angela Merkel das Gasprojekt als rein wirtschaftliches Thema behandelt und versucht, die Probleme auszusitzen.
Entstanden sei das Problem, weil man die Pipeline zunächst nach innenpolitischen Gesichtspunkten und nicht nach europa- oder sicherheitspolitischen Kriterien bewertet habe.
Merkel habe im Verlauf der Ukraine-Krise 2014/2015 aufgrund der Sanktionen gegen Russland der SPD und der deutschen Wirtschaft Zugeständnisse machen wollen. Die Gasverbindung war als Ausgleich für die wirtschaftlichen Einbußen gedacht. Mittlerweile aber, so Meister, übersteigen die "politischen Kosten den wirtschaftlichen Nutzen".
Für die Bundesregierung gebe es momentan keine Möglichkeit, auf die Kritiker zuzugehen und beispielsweise die Genehmigungen zu entziehen, ohne innenpolitischen Schaden anzurichten. Neben Klagen der beteiligten Firmen würden die Bürger ihr Unverständnis an der Wahlurne zeigen. Eine Verschlechterung in den Beziehungen zu Russland wolle man gerade im Wahljahr 2019 nicht riskieren.
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Nach Stefan Meister ist es innerhalb der EU und der transatlantischen Beziehungen vor allem die Möglichkeit, das Projekt als "bargaining-chip", also als Verhandlungsmasse in weiteren Verhandlungen zu verwenden, was die Pipeline so problematisch mache. So konnte Frankreich kurzfristig den diplomatischen Druck auf Deutschland erhöhen. Welche Zugeständnisse Berlin im Gegenzug an Macron machen musste, steht noch nicht fest, aber sicher hat die Zustimmung Frankreichs ihren Preis.
Was die deutsche Regierung nicht vorausahnen konnte, war die Instrumentalisierung durch die Wirtschaftspolitik Donald Trumps. Dass der US-amerikanische Präsident die Pipeline derart heftig angreifen und mit Sanktionen drohen würde, um für einen neuen Handelsvertrag mit der EU in eine bessere Position zu kommen, sei vorher nicht absehbar gewesen. Dennoch wäre Nord Stream 2 nicht der eigentliche Auslöser. Da Wirtschaftssanktionen jetzt offizielle Handelspolitik der USA seien, hätte sich Trump etwas anderes gesucht, um sein Vorgehen zu rechtfertigen. Auch Grenell sei in diesem Zusammenhang lediglich "Diener seines Herrn", dem wichtiger sei, wie er im Weißen Haus ankomme.
Russland als Kontrollmacht?
Aus vielen Gründen sieht Meister in der Pipeline jedoch keine sicherheits- oder geopolitische Gefahr für Deutschland. Er ist der Ansicht, dass die Pipeline Putin eine gewisse politische Hebelwirkung gegenüber der EU verschaffe, diese aber nicht überschätzt werden sollte.
In Zukunft werde es eher zu einer Liberalisierung des Gasmarktes kommen, wobei LNG ebenfalls eine Rolle spielen werde. Die Laufzeitverträge werden kürzer und die Macht der Abnehmer größer. Die Abhängigkeit von russischem Gas werde nur kurz- bis mittelfristig sein. Insgesamt werde die Hebelwirkung, falls sie überhaupt eintrete, gering sein. Die langjährige und reibungslose Zusammenarbeit der russischen Gasindustrie mit deutschen Betrieben spreche dagegen, dass Russland die Leitung als politisches Druckmittel einsetzen werde. Außerdem sei Gazprom auf die Einnahmen der Erdgasexporte angewiesen. Dass Russland den Gasexport als "Hebel" zu benutzen gedenkt, hält Meister für unwahrscheinlich.
Ukraine soll bestraft werden
Für Meister ist dennoch klar, dass Nord Stream 2 für Russland als "Bestrafung" der Ukraine gedacht ist. Mittelfristig sollen durch Nord Stream 2 und Turkstream alle Gaslieferungen an der Ukraine vorbeifließen. Dadurch käme dem Transitland ein wichtiges Druckmittel gegen Russland abhanden. Meister ist überzeugt, dass Russland die Ukraine weiter eingrenzen wird, sobald Moskau die Pipeline vollendet hat.
Zwar haben Merkel und Altmaier für eine Beibehaltung des Gastransits durch die Ukraine geworben, Putin habe sich jedoch nicht auf vorschnelle Verpflichtungen eingelassen. Auch die größte Gefahr für die Pipeline, drohende Sanktionen durch die USA, würde den Bau wohl nur verzögern, aber nicht verhindern, so Meister. Selbst wenn sich alle Geldgeber zurückziehen würden: "Putin will die Pipeline." Wie es aussieht, ist Putin da nicht allein.
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