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US-Vorsitz im UN-Sicherheitsrat untergräbt dessen Satzung: Beispiel Nicaragua

Die USA und ihre Verbündeten setzten eine Debatte über Nicaragua im UN-Sicherheitsrat durch und missachteten damit dessen Prinzipien. Ein Schritt in dem Versuch, die US-Angriffsdoktrin bei inneren Angelegenheiten auf diesem Umweg in Völkerrecht zu verwandeln.
US-Vorsitz im UN-Sicherheitsrat untergräbt dessen Satzung: Beispiel NicaraguaQuelle: Reuters

von Maria Müller

Die USA haben im September den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat und nutzten die Gelegenheit, dessen Satzung zu untergraben. Seine Aufgabe besteht laut Satzung darin, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu verteidigen. Innerstaatliche Probleme gehören jedoch nicht dazu. Dennoch ist es den USA am 5. September gelungen, in einem gespaltenen Sicherheitsrat eine Debatte über Nicaragua durchzusetzen.

Im Vorfeld der Sitzung fand eine harsche Diskussion zwischen den Mitgliedern statt. Sechs von insgesamt 15 Staaten erklärten, es handle sich im Fall von Nicaragua um einen internen Konflikt, der keine Bedrohung für den Weltfrieden oder die internationale Sicherheit darstelle. Man befürchte, dass die Rolle des UN-Sicherheitsrates de facto verändert werde. China, Russland, Bolivien, Kasachstan, Äquatorial-Guinea und Kuwait vertraten diese Position.

Nikki Haley: Vermehrte Migrantenströme stellten eine Gefahr dar

Die USA, Frankreich, England, Peru, Polen und vier weitere Staaten stimmten hingegen für das völlig neue Vorgehen. Beschlüsse des Sicherheitsrats über Verfahrensfragen bedürfen der Zustimmung von neun Mitgliedern (Artikel 27 II der UNO-Charta). 

In der Begründung der US-Sprecherin Nikki Haley waren dann auch alle verbalen Versatzstücke enthalten, die das Weiße Haus in den letzten Monaten gegen Venezuela und jetzt auch gegen Nicaragua verwendet: Vermehrte Migrantenströme stellten eine Gefahr dar, es handle sich um "gescheiterte Staaten", deren Bevölkerung "unter Einsatz aller Mittel" von den Diktatoren befreit werden müsste.

"Der Sicherheitsrat soll und kann kein passiver Beobachter sein, während Nicaragua weiterhin zu einem gescheiterten und diktatorischen Staat wird, weil wir wissen, wohin dieser Weg führt", sagte Haley, und weiter:

Nicaragua bewegt sich mit jedem Tag weiter in Richtung Syrien und Venezuela, beides Länder, die vom massiven Exodus ihrer Bürger gezeichnet sind.

Nicaragua erlebt seit April regierungsfeindliche Proteste, bei denen zwischen 300 bis 400 Menschen starben und 2000 verwundet wurden. Ein Teil der Opfer soll vor allem durch bewaffnete "Freiwillige" auf der Seite der Sandinisten verursacht worden sein. Für einen nicht geklärten Anteil an Opfern seien jedoch auch ebenfalls bewaffnete Oppositionelle verantwortlich. Hier standen die gewalttätigen Verwüstungen in Venezuela Pate. Am 6. September demonstrierten Zehntausende mit der Forderung nach Aufklärung der Verbrechen in Managua.

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Etwa 10.000 Nicaraguaner stellten im Juni und Juli Asylanträge im benachbarten Costa Rica. Darunter seien laut Vizeminister Paulino Mora jedoch 80 Prozent Nicaraguaner, die bereits in Costa Rica wohnen und nun die politische Situation nutzen wollten, um den Flüchtlingsstatus zu erhalten. Bis jetzt bekamen ihn nur sechs Prozent der Antragsteller.

Der Vertreter von Bolivien im Sicherheitsrat, Sacha Llorenti, wies in seinem Beitrag auf die bisherige Einflussnahme der Vereinigten Staaten auf Nicaragua hin und warf den USA vor, die Menschenrechtsfrage zu instrumentalisieren, um ihren Einfluss auf das Land zu verstärken. Seine Worte sind u.a. durch Äusserungen von Benjamin Waddell, dem Chef der "Schule für internationales Training" belegt, der sich im Juni brüstete:

Die von der Stiftung in Nicaragua unterstützten Organisationen haben viele Jahre und Millionen von Dollar gebraucht, um die Grundlagen für den Aufstand zu schaffen.

Der Bolivianer Llorenti erinnerte an die Geschichte der USA:

Politische Einmischungen, Militärinvasionen, Unterstützung für Diktatoren und Finanzierung von Staatsstreichen. Wenn es den USA beim Thema Nicaragua um die Menschenrechte ginge, hätten sie sich nicht aus dem UN-Menschenrechtsausschuss zurückgezogen. (Wegen der Verurteilung Israels, Anm. d. Red.)

Das Vorgehen der USA hat aber einen tiefergehenden Hintergrund 

Die jüngsten Drohungen der USA gegen den internationalen Menschenrechtsgerichtshof in Den Haag bestätigen die Vorwürfe Llorentis. Washington will die Richter sanktionieren und vor ein Gericht stellen, falls sie weiter wegen Folterungen durch US-Soldaten in Afghanistan ermitteln.

Mehrheitlich vertraten die Mitglieder des Sicherheitsrates die Ansicht, dass Nicaragua die regionale Initiative der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zu einem Dialog in dem Konflikt annehmen sollte. Nicaraguas Außenminister Denis Moncada bekräftigte vor diesem Hintergrund das entschiedene Engagement seiner Regierung für den Frieden. Seine Regierung wolle einen "echten Dialog zwischen allen Nicaraguanern". Die Regierung von Präsident Daniel Ortega hatte wiederholt erklärt, man wolle eine breite Debatte mit der Bevölkerung und keinen auf die Protestierenden zugeschnittenen Dialog.

Der Schachzug der USA im UNO-Sicherheitsrat hat jedoch einen tiefergehenden Hintergrund. Die demonstrative Aktion soll mit dazu beitragen, das bisherige Verständnis der völkerrechtlichen Bestimmungen allmählich zu verändern und ein neues "Gewohnheitsrecht" zu schaffen.

Der Sicherheitsrat ist der Ort, an dem unter bestimmten Voraussetzungen Militärschläge beschlossen werden können. Grundsätzlich sind sie jedoch nur im Verteidigungsfall erlaubt, und wenn der Konflikt den Weltfrieden und die internationale (zwischenstaatliche) Sicherheit bedroht.

Die USA versuchen deshalb, neue Gebilde für Verteidigungsfälle zu konstruieren, besser noch für eine "präventive Verteidigung". Dazu bemühen sie Gründe wie die Verletzung von internationalen Konventionen - wie die für Menschenrechte oder gegen (angebliche) Chemiewaffenanschläge in einem innerstaatlichen Szenario. Nach dem Wunsch der USA soll in solchen Fällen eine militärische Intervention - sprich Angriffskrieg - aus humanitären Gründen legal werden.

Migrantenthema mit der Frage des militärischen Eingreifens verbunden

Dazu urteilten die Rechtsexperten des Deutschen Bundestages in einem Gutachten vom 28. Juni 2018 jedoch, dass es fraglich sei, ob das Mittel der Gewaltanwendung überhaupt geeignet wäre, künftiges Leid zu verhindern. Die humanitäre Argumentation (für Kriegseinsätze) sei aufgrund bestehender Missbrauchsgefahr im Völkerrecht umstritten und nicht tragfähig.

Seit einigen Monaten versuchen verschiedene Sprecher aus Washington, stark anwachsende Emigrantenströme eines Landes als eine "Gefahr" und als angebliche Aggression gegen Nachbarstaaten darzustellen. In ihrem Diskurs verbinden sie das Migrantenthema mit der Frage des militärischen Eingreifens als eine "Option". Dass diese "Option" in jedem Fall das Ausmaß an Menschenrechtsverletzungen um ein Vielfaches steigert und die Flüchtlingsströme vergrößert, wird in den Argumentationen ausgeklammert.

Auch die Unfähigkeit oder Unwilligkeit einer Regierung, terroristische Aktionen auf ihrem Territorium zu unterbinden, soll als Bedrohung gegen Drittstaaten eingestuft werden, die dann also militärische Angriffe auf das Staatsgebiet rechtfertigen würden.

In diesem Zusammenhang sei daran zu erinnert, dass der Internationale Gerichtshof (IGH) erst 1986 die USA wegen der Bewaffnung und Ausbildung paramilitärischer Terroristen (Contras) in Nicaragua verurteilte. Sie unterstützten die Contras über 10 Jahre lang mit Geld und Waffen gegen die Sandinistische Regierung. Nach dem Urteil weigerten sich die USA, den Gerichtshof weiterhin anzuerkennen. Im November 1986 verabschiedete die UNO-Vollversammlung fast einstimmig eine Resolution, mit der sie die USA zum Zahlen der Reparationen aufforderte.

Im Juli 2017 leitete die Regierung Nicaraguas ein Gerichtsverfahren gegen die Vereinigten Staaten ein, um die vor über 30 Jahren gerichtlich geforderte Entschädigung von geschätzten 17 Milliarden Dollar zu erzwingen. Die rechtsgerichtete Regierung von Violeta Chamorro (1990 - 1997) hatte noch auf die Reparationszahlungen verzichtet.

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