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Schwarz auf Weiß: Ein Wochenrückblick auf den medialen Abgrund

Die "Propagandaschau" hört auf und reißt eine Lücke in die Medienkritik. Zudem boten vor allem der Tod des US-Politikers John McCain und die Unruhen in Chemnitz den Mainstreammedien Anlass zu verzerrender Berichterstattung.
Schwarz auf Weiß: Ein Wochenrückblick auf den medialen AbgrundQuelle: Reuters © John Schults

Von Thomas Schwarz

Die rabiaten Medienkritiker der Propagandaschau stellen nach fünf Jahren den Dienst ein. Das verkünden die Macher auf der nun eingefrorenen Seite. Aus diesem Anlass soll die Medienrückschau in dieser Woche nicht mit Verwerfungen des Mainstreams beginnen, sondern mit einem kleinen "Nachruf". Zwar war die Propagandaschau mit ihrem aggressiven Stil und den verwendeten Nazi-Keulen nichts für Zartbesaitete. Auch konnte man die Artikel der Seite aus ebendiesen Gründen nur sehr begrenzt an Freunde und Familie weiterleiten. Aber: Der Blog gehört zur Avantgarde der konsequenten deutschen Medienkritik und hat sich mit einem beeindruckenden Arbeitspensum um Aufklärung und Desillusionierung verdient gemacht.

Gerade die genutzte harte und oft grenzwertige Sprache half dabei, viele in Jahrzehnten aufgebaute Propaganda-Barrieren zu zertrümmern: Auf einen groben Klotz gehört schließlich ein grober Keil. Etwa das Heiligen-Bild des unabhängigen und unbestechlichen Hauptstadt-Journalisten – sei er in Berlin oder Washington – musste unter dem gnadenlosen analytischen Dauerfeuer des einzigen und anonymen Autoren der Seite, genannt "Dok", zusammenbrechen. So hat die Propagandaschau bei aller berechtigter Kritik an einer verrohenden Tendenz einen wichtigen Teil zum Entstehen der aktuellen reinigenden Mediendebatte beigetragen. Darum sind die Verdienste der subversiven Verbal-Randalierer höher einzuschätzen als etwa die eher systemerhaltenden Beiträge von betulichen "Medienkritikern" wie Stefan Niggemeier.

"Propagandaschau": Das "Schmuddelheft der Medienkritik" hört auf

Entsprechend dem erarbeiteten Image erklingt auch das Abschiedsschreiben im gewohnten Hardcore-Duktus: "Regelmäßige Leser wissen, dass wir in den mit Zwangsgebühren finanzierten Staatssendern täglich, systematisch und in allen substanziellen Fragen der Innen- und Außenpolitik belogen und manipuliert werden. Wer das noch bezweifelt oder in Abrede stellt, ist entweder ein vollkommen ahnungsloser Dummkopf oder Teil dieses verbrecherischen Systems, das in den ver­gan­genen Jahren unvorstellbares Leid, Krieg, Terror, Vertreibung, Massenflucht, Ausbeutung, sowie soziale und politische Spaltung und den beginnenden Zerfall der EU bewirkt hat."

Dieser Absatz klingt noch relativ sanft. Als gekaufte und willfährige Propagandisten gezeichnete Mainstream-Journalisten wie Claus Kleber, Golineh Atai oder Tom Buhrow wurden regelmäßig als "transatlantische Maulhuren" oder geistige Enkel von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels bezeichnet. Wie gesagt: Die Propagandaschau lieferte keine Familien-Lektüre – sie war das Schmuddelheft der Medienkritik, das Pendant zu Papas Pornos in der untersten Schublade: Entweder verschämt genutzt als versteckte Informationsquelle – oder offensiv ans Revers geheftet als Merkmal für besonders harte Medienkritik-Machos. Weiteres Merkmal war die thematische Beschränkung auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, weil der durch einen Staatsvertrag prinzipiell zu ausgewogener Berichterstattung verpflichtet ist – im Gegensatz zu Privatmedien.

 "Maulhure" und "Barrikadenbraut"

Eines der bevorzugten Ziele von Redaktion und  Leserschaft war die seit ihrer distanzlosen Maidan-Berichterstattung als "Barrikadenbraut" verrufene Golineh Atai. Atai sagte etwa einst der Zeit: "Und die Grenzen der Meinungsfreiheit sind recht weit gefasst. Der Blog Propagandaschau hatte mich zum Beispiel zur 'Maulhure des Jahres' ernannt." Diese Steilvorlage durch Verzerrung ließ sich die Propagandaschau nicht entgehen: "Tatsache ist: 1. Die 'Maulhure des Jahres' wurde nicht 'ernannt‘, sondern wurde – anders als die lächerlichen Preise die Atai von ihren Verbrecherkollegen verliehen bekam – in einer öffentlichen Abstimmung gewählt. 2. Golineh Atai ist in dieser Abstimmung nicht zur 'Maulhure des Jahres' gewählt worden, sondern hinter Claus Kleber und vor Günther Jauch nur Zweite geworden." Das gnadenlose Fazit: "Gleich zwei erwiesene Lügen in einem Satz also – das schafft nicht jeder."

Neben der entfesselten Sprache war ein zentraler Kritikpunkt, die Propagandaschau sei "rechtsoffen" gewesen. Es stimmt: Die AfD wurde nicht grundsätzlich verdammt und die tendenziöse Berichterstattung zu der Partei regelmäßig gegeißelt. Auch wurde neben einer großen Palette an "linken" Publikationen die Junge Freiheit ebenso verlinkt wie Tichys Einblick. Dieses Prinzip ging aber zum einen nie über eine betont "unparteiische" Haltung hinaus. Zum anderen waren die Inhalte des Einzelkämpfers Dok meistens gründlich, oft geradezu scharfsinnig und von der Tendenz eindeutig pazifistisch und progressiv – früher hätte man diese Haltung als "links" bezeichnet.

Auch wenn man die verletzende und verrohte Sprache oder eine angeblich zu weit gehende Toleranz gegenüber der AfD kritisieren kann: Die Propagandaschau hat es fünf Jahre lang verstanden, Kritik und Bildung mit schrägem Entertainment und schillernder, aggressiver Kanalisierung zu verbinden. Ein wichtiges Element war auch der "Propagandaticker", eine permanent aktualisierte Link-Liste zu erhellenden oder schockierenden Beiträgen. Diese Liste war legendär – sie bot Lesern eine nie versiegende Quelle der Empörung und Anregung und Journalisten eine Fundgrube an Medienthemen. Übrigens: Der letzte Link, der den nun eingefrorenen Ticker für die Ewigkeit anführen wird – er führt zur "Schwarz auf Weiß"-Kolumne von RT.

 John McCain: "Der letzte Held"

Auf ein kurzes Gedächtnis der Leser bauten viele Medien in dieser Woche bei ihren Nachrufen auf den US-Politiker John McCain. Es gibt allerdings wenige politische Protagonisten, die so eindeutig und so gründlich in den Augen zahlloser Bürger jeden moralischen Kredit verspielt haben. Insofern sind die Artikel zwiespältig zu beurteilen: Einerseits versuchen sie in infamer Weise, einen mutmaßlichen Kriegstreiber reinzuwaschen, was nur schwer erträglich ist. Andererseits kann es keine bessere Demaskierung vieler Journalisten geben als die Lobeshymnen auf eine mutmaßlich weltweit verachtete Person.

Besonders eifrig hervorgetan haben sich bei der Heiligsprechung McCains wenig überraschend die Transatlantiker vom Spiegel, die ihn als "letzte[n] Held[en]" bezeichnen und fortfahren: "Held und Patriot: Das sind die zwei meiststrapazierten Worte Amerikas, vor allem für Verstorbene und Uniformträger. (…) John Sidney McCain III. ist jedoch einer der wenigen Menschen, die beide Titel verdient haben." Da will die Zeit nicht nachstehen, bezeichnet McCain als "Held[en] und Vorbild" und erklärt, "warum Amerika einen Staatsmann wie McCain heute mehr denn je braucht".

Wie gesagt: Wer solche Hymnen über einen mutmaßlichen Kriegstreiber schreibt, befleckt und offenbart sich vor allem selbst. Eine Liste mit McCains zahlreichen Aufrufen zu Angriffskriegen findet sich hier, ein kluges und kritisches Porträt (auf Englisch) gibt es hier.

Mehr zum Thema - Der White-Collar-Kriminelle John McCain: Glücksspiel-Junkie und Terroristen-Freund (Teil 2)

 Demonstrieren in Chemnitz "Pimmel mit Ohren"?

Es zählt zu den Merkmalen der deutschen Medienlandschaft, dass Missstände in der Berichterstattung oft gemeinschaftlich zu spät erkannt werden. Und dass, selbst wenn Fehlentwicklungen bereits ausgemacht wurden, Rückfälle in die kritisierten Handlungen nicht lange auf sich warten lassen. So ist es mittlerweile eigentlich Konsens, dass Beschimpfungen, Arroganz und erhobene Zeigefinger keinen einzigen "Fremdenfeind" zum Besseren bekehren können – im Gegenteil. Dennoch verfielen die großen deutschen Medien nach den Unruhen von Chemnitz fast kollektiv in pauschales Sachsen-Bashing, warfen "Nazis" und verunsicherte Bürger in einen Topf und spulten die allzu bekannte Palette an Beschimpfungen, Arroganz und erhobenen Zeigefingern ab. Analyse der sozioökonomischen Auslöser der Verunsicherungen in Chemnitz? Absolute Fehlanzeige.

Besonders hervorgetan hat sich dabei Jakob Augstein in einem infamen Kommentar, den die NachDenkSeitenanalysieren: "Jakob Augstein hat es gut. Der millionenschwere Verlagserbe und Vorzeigelinke hat offenbar allen Grund, auf Menschen herabzuschauen, die beim Spermienlotto keine sechs Richtigen mit Zusatzzahl hatten. 'Pimmel mit Ohren', so nennt er die 'stiernackigen Männer' aus den Videos aus Chemnitz in seinem denkfaulen Spiegel-Kommentar zu den Vorkommnissen."

Aus "Wir schaffen das" wurde: "Ihr schafft das schon"

Es gibt aber auch positive Begleiterscheinung der Vorgänge in Chemnitz, nämlich eine neue Betrachtung der Aufgaben des Staates: Neoliberale Prinzipien geraten in zunehmend schlechtes Licht, in Umfragen wünschen sich 80 Prozent der Angestellten im öffentlichen Dienst einen handlungsfähigen "starken Staat". Da muss selbst die FDP ihren neoliberalen und staatsfeindlichen Hintergrund vorübergehend verleugnen, etwa wenn FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagt, die Wurzeln für die Ausschreitungen von Chemnitz lägen im "Wir schaffen das" von Angela Merkel. Damit meint er nicht die Grenzöffnung von 2015, sondern die staatliche Nicht-Reaktion darauf. Aus "Wir schaffen das" wurde durch öffentliche Untätigkeit: "Ihr schafft das schon". Genau dieser staatliche Rückzug legte die Basis für die Eruptionen von Chemnitz.

Das sieht auch die FAZ so, die schreibt: "Das war von Beginn an der Fehler der Flüchtlingspolitik des Kanzleramts, dass vermeintliches Mutmachen im imaginären 'Wir' mit Überrumpelung und Bevormundung verschmolz. Denn es ist nicht die Bundespolitik, die 'es' schaffen muss, sondern es sind die Städte, Dörfer, Kreise, die auch mit noch so viel Erfolgen nicht verhindern können, dass sich Ermüdung, Frust und das Ende von Illusionen breitmachen. Für diejenigen, die das in aller Sachlichkeit artikulieren möchten, gibt es kaum Raum zwischen rechtsradikalen Agitatoren sowie asozialen Trittbrettfahrern auf der einen und den moralisierenden Einschüchterungen auf der anderen Seite." Das richtige Fazit der Zeitung lautet: "Kubicki hatte Recht. Nur hätte er es anders formulieren sollen, nämlich so wie die SPD-Oberbürgermeisterin von Chemnitz: 'Wir wurden alleingelassen'."

Viele andere große Medien hauten allerdings in die gleiche Kerbe wie die Süddeutsche Zeitung, die Kubickis Anmerkung scharf kritisiert: "Es sind hanebüchene Vorwürfe. Sie vergiften das Klima zwischen Einheimischen und Zugewanderten, schüren Misstrauen gegen Politik allgemein und erschweren den Blick auf das, was Deutschland – neben dem, was bisher nicht gelungen ist – tatsächlich geschafft hat."

Der kurze Sommer der direkten Demokratie

Man rieb sich in dieser Woche verwundert die Augen – und das nicht, weil die Zeitumstellung mal wieder den Biorhythmus durcheinandergebracht hat. Sondern weil man sich wunderte, wie einfach und schnell direkte Demokratie auch im bürgerfernen Verwaltungslabyrinth von Brüssel funktionieren kann. Die Abstimmung über die Abschaffung der Sommerzeit könnte sogar gefährlich für die Machtstrukturen EU werden: Wenn sich die Bürger nämlich fragen, warum man nicht auch über gewichtige Themen in dieser direkten Form abstimmt.

Die Westfälischen Nachrichten bringen es auf den Punkt: "Eine Online-Abstimmung, an der sich Millionen Menschen beteiligten und eine klare Mehrheit für die Abschaffung der halbjährlichen Zeitumstellung - mehr war nicht nötig, um die angeblich so unbeweglichen Bürokraten in Brüssel in Schwung zu bringen. Wie schön wäre es, wenn jetzt andere Probleme in Europa und auf dieser Erde auch so angegangen würden. Die breite Masse der Europäer möchte keinen Handelsstreit mit den USA, möchte keinen Plastikmüll in den Meeren, möchte keinen Brexit. Wer organisiert die nächste Online-Abstimmung? Freiwillige vor." Einschränkend möchte man aber doch auch auf die Gefahren einer allzu direkten Demokratie verweisen.

 Es war nicht alles schlecht

Der Lesetipp weist diesmal in die Zukunft. Wer die kraftstrotzende, kontroverse und politisch unkorrekte Zeit-Kolumne "Fischer im Recht" des Ex-Bundesrichters Thomas Fischer in den letzten Monaten vermisst hat, kann sich nun freuen: Ab kommender Woche schreibt Fischer regelmäßige Kolumnen beim Medienportal Meedia. Es ist allerdings ein Konkurrenzprodukt zu diesem Text: nämlich eine Medienkolumne, "eher etwas satirisch als besserwissend, aber in der Sache klar und ernsthaft", wie der Autor anmerkt.

Mehr zum Thema - Neonazis und Antifaschisten – Chemnitz in der ausländischen Presse

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