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Im Namen der Freiheit: Der Wunsch, Syrien zu destabilisieren, reicht Jahrzehnte zurück

Assad muss weg, so das transatlantische Credo. Durschaubar wird das Anliegen bei einem Blick in die jüngere Geschichte. Dieser offenbart, dass der Westen bereits seit Jahrzehnten versucht, Syrien zu destabilisieren, um es nach seinen Wünschen umzugestalten.
Im Namen der Freiheit: Der Wunsch, Syrien zu destabilisieren, reicht Jahrzehnte zurückQuelle: Reuters

Aktuell sind es vor allem die sogenannten Weißhelme, die in den Schlagzeilen stehen, wenn es um das Thema Syrien geht. Einige (?) dieser von den USA und EU-Staaten, darunter auch von der Bundesregierung, unterstützten sogenannten Ersthelfer wurden in einer Kommandoaktion aus Syrien evakuiert. "Selbstlos" retteten sie Menschen und müssten daher nun vor den Schergen des "Assad-Regimes" in Schutz genommen werden. Etliche Indizien, die dafür sprechen, dass es sich bei den Weißhelmen um ein geopolitisches Instrument im internationalen syrischen Stellvertreterkrieg handelt, werden geflissentlich übergangen.

Dabei würde ein Blick in die jüngere und jüngste Zeitgeschichte reichen, um diese  Sichtweise weiter zu untermauern und zu verdeutlichen, mit welchen Mitteln die westliche Staatengemeinschaft bereits seit Jahrzehnten versucht, Syrien gefügig zu machen.

So erklärte der ehemalige französische Außenminister Roland Dumas freimütig vor laufenden Kameras im französischen Fernsehen, wie er im Jahr 2009 - also zwei Jahre vor dem offiziellen Ausbruch eines vermeintlichen Ablegers des sogenannten "Arabischen Frühlings" - in Großbritannien von den Plänen zum Sturz Assads erfuhr.

Ich werde Ihnen etwas erzählen. Ich war zwei Jahre vor der Gewalt in Syrien wegen anderer Dinge in England. Ich traf mich mit hochrangigen britischen Offiziellen, die mir gegenüber versicherten, dass sie etwas in Syrien vorbereiten. Das war in Großbritannien, nicht in den USA. Großbritannien bereitete eine Rebellen-Invasion nach Syrien vor. Obwohl ich gar nicht mehr Außenminister war, fragten sie [die Offiziellen] mich, ob ich mitmachen würde. Natürlich lehnte ich ab. Ich sagte, ich sei Franzose und das interessiere mich nicht.

Um jeden Zweifel an der Natur des Kriegs in Syrien zu zerstreuen fügte der ehemalige französische Top-Diplomat abrundend hinzu:

Diese Operation reicht weit zurück. Sie war vorbereitet, bedacht und geplant.

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Allein schon diese Aussagen Dumas sollten objektiven und politisch neutralen Beobachtern deutlich vor Augen führen, woher der Wind in Syrien weht. Dumas steht kaum im Verdacht, ein sogenannter Assad-Apologet zu sein. Die Mär vom Aufstand der Massen gegen das tyrannische syrische Regime wird auch aufgrund des folgenden Telegrams als wohldurchdachte taktische Inszenierung entlarvt. Das Telegramm wurde von WikiLeaks drei Jahre vor dem Besuch Dumas in Großbritannien, also im Jahr 2006, veröffentlicht:

Die WikiLeaks-Enthüllung verdeutlich, wie die US-Regierung gezielt an der Identifizierung und Nutzung von Schwächen der Assad-Regierung arbeitete – um diese dann ebenso gezielt auszunutzen und das Land zu destabilisieren. Es war William Roebuck, der als politischer Berater der US-Botschaft in Damaskus folgendes zu Protokoll gab:

Wir glauben, dass Bashars [al-Assad] Schwächen darin liegen, wie er auf sich abzeichnende, wahrnehmbare und reale Probleme reagiert, wie etwa auf den Konflikt zwischen wirtschaftlichen Reformschritten (wie begrenzt auch immer) und etablierten, korrupten Kräften, auf die Kurdenfrage oder auf die potenzielle Bedrohung des Regimes durch die zunehmende Präsenz islamistischer Extremisten. Dieses Telegramm fasst unsere Einschätzung dieser Schwachstellen zusammen und deutet darauf hin, dass es Aktionen, Aussagen und Signale geben könnte, die das USG [United States Government] aussenden kann, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass sich solche Gelegenheiten ergeben.

Nicht zuletzt das Gedächtnis des US-Generals Wesley Clark, das er im Jahr 2007 in einem Gespräch für Democracy Now bemühte, verweist ebenfalls in eindringlicher Deutlichkeit auf die lange Hand, von welcher der Krieg in Syrien geplant wurde. Dies alles unter dem Vorwand der Bekämpfung des internationalen Terrorismus nach den desaströsen Geschehnissen des 11. Septembers 2001. Zehn Tage nach dem schicksalhaften Tag führte Clark ein Gespräch mit einem Stabs-General des Pentagon. Dieser teilte ihm mit, dass man nun in den Krieg gegen den Irak ziehen werde. Die Frage nach dem Warum konnte dieser nicht beantworten. Einige Wochen später traf Clark ihn erneut. Auf die Frage, ob man denn immer noch plane, Krieg gegen den Irak zu führen, antworte der Pentagon-General:

Oh, es ist schlimmer als das. Ich habe das hier gerade von oben [aus dem Büro des Verteidigungsministers, Wesley Clark 2007] bekommen. Dies ist ein Memo, das beschreibt, wie wir in fünf Jahren sieben Länder ausschalten werden, beginnend mit dem Irak, dann Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan und schließlich den Iran.

Auch die jetzt einseitige Kündigung des Atom-Deals mit Teheran und das Sanktionsregime, mit dem das Land bereits seit Jahrzehnten überzogen wird, folgt also vermutlich einem rein taktischen Kalkül mit dem strategischen Ziel, eine selbstbestimmte und erstarkende Region zu paralysieren. Nur einen weiteren Beleg für einen möglichen derartigen Hintergrund: Im Jahr 2004 lancierte Bashar al-Assad seine sogenannte "Five Seas Vision", eine Strategie, um Syriens exklusive geographische Lage zu nutzen und dadurch zu einer wirtschaftlichen Macht zu werden. Die Vision umfasste etliche wirtschaftliche Kooperationen mit Staaten wie der Türkei, Rumänien, der Ukraine, Aserbaidschan, dem Iran, dem Irak und dem Libanon.

Zu diesen Vereinbarungen gehörten folgende große Pipeline-Projekte: eine Gaspipeline aus dem Iran, eine Pipeline in die Türkei, die mit der geplanten Nabucco-Gaspipeline aus Aserbaidschan verbunden ist, und der Wiederaufbau der Ölpipeline von Nordirak nach Syrien. Der 2004 begonnene offizielle Fünfjahresplan Syriens sah energische Maßnahmen für den Bau von Straßen, Häfen und Pipelines innerhalb des Landes vor, die für die Verwirklichung der "Five Seas Vision" notwendig sind, heißt es unter anderem in einem Artikel zu der Vision des "syrischen Diktators".

Ein erst im vergangenen Jahr deklassifiziertes CIA-Dokument aus dem Jahr 1986 verweist - kaum verklausuliert - darauf, wie das innersyrische Potential für religiöse Spannungen und sektiererische Tendenzen dazu genutzt werden könnte, das "syrische Regime" zu stürzen.

Obwohl wir der Meinung sind, dass die Angst vor Repressalien und organisatorischen Problemen eine zweite sunnitische Herausforderung unwahrscheinlich macht, könnte eine übertriebene Reaktion der Regierung auf kleinere Ausbrüche von sunnitischen Dissidenten zu großen Unruhen führen. In den meisten Fällen hätte das Regime die Mittel, eine sunnitische Oppositionsbewegung zu zerschlagen, aber wir glauben, dass die weit verbreitete Gewalt in der Bevölkerung eine große Anzahl sunnitischer Offiziere und Wehrpflichtiger zum Desertieren oder zur Meuterei anregen und die Voraussetzungen für einen Bürgerkrieg schaffen könnte.

Das ist eine recht unverhohlene und durch etliche historische Beispiele bekannte Handlungsempfehlung, um innere Spannungen zu befeuern und sich dann als Brandmeister ins Spiel zu bringen. Nicht umsonst verweisen namhafte Beobachter und Analysten seit Jahr und Tag darauf, dass es sich bei den nach wie vor durch die westliche Staatengemeinschaft gepriesenen und geschützten "moderaten Rebellen" oder der "syrischen Opposition" vielfach um Ableger Al-Kaidas oder der Al-Nusra Front handelt.

Unverblümt geht es im CIA-Text weiter:

Wir glauben, dass ein Wiederaufflammen kommunaler Gewalt zwischen Alawiten und Sunniten die Sunniten im Militär dazu inspirieren könnte, sich gegen das Regime zu wenden (…) Eine allgemeine Kampagne der Gewalt durch Alawiten gegen die Sunniten könnte sogar moderate Sunniten dazu bringen, sich der Opposition anzuschließen. Überreste der Muslimbruderschaft - einige kehren aus dem Exil im Irak zurück - könnten einen Kern der Führung der Bewegung bilden.

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Dann aber lässt die CIA mit folgendem bemerkenswerten Hinweis die Katze aus dem Sack:

Unserer Ansicht nach wären die Interessen der USA am besten durch ein sunnitisches Regime gewahrt, das von gewinnorientierten Moderaten kontrolliert wird. Moderate Unternehmer würden einen starken Bedarf an westlicher Hilfe und Investitionen sehen, um die Privatwirtschaft Syriens aufzubauen und damit den Weg für stärkere Verbindungen zu westlichen Regierungen zu ebnen.

Wie immer geht es bei solcher, gerne auch mal völkerrechtswidrigen Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten natürlich nicht um "Menschenrechte" oder den ominösen Begriff der "Freiheit", sondern einfach um nackte wirtschaftliche Interessen. Eine Marionettenregierung, ob demokratisch oder nicht, dient den eigenen Interessen dabei am besten. Die profitbringende "Hilfe" ereilt dabei die Staaten, die vorher durch das eigene Vorgehen verwüstet wurden. Durch die dann notwendigen Kredite wird der neue Vasall an die Kette genommen. Von den darauffolgenden Wiederaufbauprogrammen und den Investitionen in den rudimentären Aufbau einer neokapitalistischen, aber nicht konkurrenzfähigen Konsumgesellschaft profitieren ausschließlich die eigenen Unternehmen.

Doch die bislang gescheiterten Versuche, Syrien in die Knechtschaft zu zwingen, reichen noch weitere Jahrzehnte zurück und zwar bis in die 1940er Jahre. In einem Interview 1969 bestätigte CIA-Offizier Miles Copeland Aussagen, die er in schon in seinen Memoiren gemacht hatte. Danach hatte die Central Intelligence Agency 20 Jahre zuvor bereits einen Putsch gegen die syrische Regierung organisiert und gesteuert. 1956 folgte die gescheiterte antikommunistische Intervention Operation Straggle, gefolgt von der ebenfalls gescheiterten Operation Wappen. Und schließlich kam noch 1957 ein CIA/MI6-Attentatsplan dazu.

Die Vereinigten Staaten und auch ihre Verbündeten diessseits des Atlantiks, bemühen sich demnach bereits seit siebzig Jahren um die Kontrolle Syriens. Die Erinnerung daran erlaubt es, auch den aktuellen Stellvertreterkrieg aus der notwendigen Perspektive zu betrachten und den stets aufs Neue reproduzierten Zerrbildern selbsternannter Qualitätsmedien und Nachrichtenprogramme zu wiederstehen.

Vor dem Jahr 2009 galt Bashar al-Assad nie als bösartiger Diktator, sondern moderner Hoffnungsträger, der noch im Jahre 2002 sogar von Tony Blair für die Ehrenritterschaft nominiert wurde. Dass dieser syrische Präsident in den letzten Jahren dann zur "Bestie Assad" mutiert wurde, ist für die transatlantische Staatengemeinschaft keinesfalls ein ungewöhnliches Phänomen. Der entscheidende Wendepunkt, hin zum vermeintlichen arabischen Frühling, den Syrien im Jahr 2011 erleben musste, hatte selbstverständlich erneut vor allem ökonomische Gründe.

Es war im Jahr 2009, als Katar Damaskus den Bau einer Pipeline vorschlug. Diese sollte über das katarische Gasfeld North Field, angrenzend an das South Pars Field in Iran, über Saudi-Arabien, Jordanien und Syrien in die Türkei führen, um von dort die EU mit Erdgas zu versorgen. Die syrische Regierung entschied sich jedoch im Jahr 2010 für ein Konkurrenzprojekt, das eine Pipeline von Iran über den Irak nach Syrien vorsah. Im Jahr 2011 folgte dann der vermeintliche Aufstand der syrischen Bevölkerung gegen den "Diktator Assad", und der Stellvertreterkrieg nahm seinen Lauf. Im Namen der Freiheit und der Menschenrechte fordern die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten seither "Assad muss weg".

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