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Russlandexperte Gerhard Mangott im Exklusiv-Interview: "Trump ist nicht Herr der Russlandpolitik"

US-Präsident Donald Trump strebte eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland an, hatte aber keine klare Strategie dafür. Dies spielte den Vetoakteuren gegen dieses Vorhaben in die Hände. Russlandexperte Gerhard Mangott sprach darüber mit RT Deutsch.
Russlandexperte Gerhard Mangott im Exklusiv-Interview: "Trump ist nicht Herr der Russlandpolitik"Quelle: Sputnik

von Ali Özkök

Gerhard Mangott ist Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck. Er gilt als führender Russlandexperte in Österreich. Im April veröffentlicht der Professor eine ausführliche Studie zur Entwicklung der US-amerikanisch-russischen Beziehungen seit dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump, die er am 17. Januar bereits im Rahmen einer Analyse in ihren Kernpunkten zusammenfasste.

In Ihrer jüngst veröffentlichten Analyse schreiben Sie, dass es in Washington keine Russlandstrategie gibt. Warum hat man in Washington ein blindes Auge für eine Russland-Roadmap?

Obama hatte eine Russlandstrategie, den Versuch einer Zusammenarbeit in Bereichen gemeinsamen Interesses trotz weiter bestehender Differenzen in anderen Fragen (Reset-Ansatz). Damit wurden einige beachtliche Ergebnisse erzielt (u. a. das Rüstungsabkommen New Start), aber letztlich sollte die Strategie angesichts wachsender Differenzen scheitern. Die Beziehungen waren zuletzt völlig zerrüttet. Trump hat von Anfang an signalisiert, die Beziehungen mit Russland verbessern zu wollen. Aber er hatte nie ein geschlossenes Konzept dafür ausgearbeitet – wie in vielen anderen Bereichen der Außenpolitik der USA unter Trump auch.

Sie nennen als einen wichtigen Grund für die unveränderliche und konfrontative Russlandpolitik der USA die so genannten Vetoakteure. Wer sind diese Akteure und was haben die für ein Interesse?

Dies sind zum einen Vetoakteure, die Trump selbst in sein Kabinett geholt hat. Das gesamte Sicherheitskabinett (Mattis, Pompeo, McMaster und Tillerson) vertritt eine harte Linie gegenüber Russland: Bestrafung durch Sanktionen, Eindämmung und Abschreckung auf der Basis eines modernisierten Nukleararsenals.

Zum anderen sind es die Vetoakteure im Kongress – in beiden Häusern, bei Republikanern und bei Demokraten. Dies steht in der Tradition einer antirussischen Haltung der beiden Kammern zumindest seit 2005; eine Haltung, die durch die Ukrainekrise, die Syrienkrise und die mutmaßliche Einmischung Russlands in den Präsidentenwahlkampf der USA 2016 noch erheblich radikalisiert wurde. Aber auch die übergroße Mehrheit des Foreign-Policy-Establishments, der Medien und der Think-Tanks schließen sich dieser harten Haltung an. Dabei ist festzustellen, dass die meisten dieser Vetoakteure keinerlei Konzept für eine pragmatische Normalisierung des Verhältnisses zwischen der USA und Russland haben.

Welche Argumente sprechen dafür, dass die USA als größte Wirtschafts- und Militärmacht der Welt mit Russland kooperieren sollten?

Es gibt viele regionale Krisen und Sicherheitsrisiken, die die USA nicht ohne Russland bewältigen können - angefangen mit der Regelung des Syrienkonfliktes, der Ukrainekrise, der Koreakrise bis hin zur Verhinderung nuklearer Proliferation und der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit beim Counterterrorism.

Ihrer Meinung nach erfolgte in den letzten Monaten eine weitere Verschlechterung der US-Russland-Beziehungen, weil es sehr wenige hochrangige Kontakte zwischen beiden Staaten gibt. Können diese Kontakte die Meinung des Establishments in den USA wirklich beeinflussen, solange Trump innenpolitisch geschwächt ist?

Die ausbleibenden Kontakte auf der Ebene des Präsidenten sind Ausdruck des Einflusses und der Vetomacht des Sicherheitskabinetts. Trump ist nicht Herr der Russlandpolitik. Die russische Führung musste einsehen, dass Trump nicht der entscheidende Faktor für die Gestaltung der bilateralen Beziehungen ist. Auf der Ebene des Sicherheitskabinetts bestehen aber keine tragfähigen Beziehungen zwischen den beiden Staaten.

Sie argumentieren, dass die USA ihre globale Führungs- und Ordnungsrolle abgeben, wovon Russland profitieren würde. Warum sollte Trump daran ein Interesse haben, wenn er doch geschworen hat, "Amerika wieder groß machen" zu wollen?

"Make America Great Again" bedeutet für Trump die strikte Beachtung nationaler Interessen; dem liegt die Auffassung zugrunde, dass im Bereich der Interessen keine Win-Win-Lösungen mit anderen Staaten möglich sind, sondern nur Nullsummenspiele. Trump lehnt es ab, die Bürden für eine liberale Ordnungsmacht alleine zu tragen und fordert von anderen Staaten, ihren Beitrag dazu zu leisten. Nach einem Jahr ist die anfängliche Skepsis gegenüber Allianzen allerdings deutlich zurückgegangen - wie die National Security Strategy 2017 und die National Defence Strategy 2018 deutlich machen. Was bleibt, ist die Einstellung Trumps, die USA nicht mehr in allen militärischen regionalen Konflikte zu involvieren. Aber auch hier ist abzuwarten, was davon angesichts der differierenden Haltung des Sicherheitskbinetts übrig bleibt. Zumindest im Nahen Osten konnte Russland bisher von einer reduzierten Rolle und einem begrenzten Interesse der USA profitieren und seinen Einfluss und seine Relevanz ausweiten.

Das russisch-amerikanische Verhältnis wird Ihrer Erkenntnis zufolge vom Ausgang der Konfliktfelder Syrien, Ukraine und Nuklearwaffen in den nächsten Jahren bestimmt. Wo sehen Sie Probleme?

In der Ukrainekrise hat das Kabinett Trump die Position Obamas völlig übernommen. Im Hinblick auf die Lieferung letaler Waffen an die ukrainischen Streitkräfte ist Trump sogar über Obama hinausgegangen. Ein Schlüsselfaktor wird hier sein, ob sich die USA und Russland - Volker und Surkow - auf eine Verzahnung der Umsetzung der Auflagen des Minsker Abkommens mit der Präsenz von friedenserhaltenden Einheiten der Vereinten Nationen einigen können. Das wird aber nicht nur von Russland abhängen, sondern auch von der Bereitschaft und der Fähigkeit der ukrainischen Regierung, die politischen Auflagen des Abkommens zu erfüllen.

Im Bereich der nuklearen Rüstung wird es darum gehen, das 2021 auslaufende Rüstungsabkommen New Start zu verlängern. Das wäre bereits ein großer Erfolg, denn weiterreichende Abrüstungsschritte sind auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Im Mittelpunkt aber wird die Zukunft des INF-Vertrages von 1987 stehen. Russland und die USA werfen sich gegenseitig vor, die Vertragsbestimmungen zu verletzen. Das große Risiko ist der Kollaps des INF-Vertrages und die Nichtverlängerung des New Start. Damit gäbe es zwischen der USA und Russland keine strategischen Rüstungskontrollabkommen mehr.

Die USA haben sich in Syrien marginalisiert. Der Astana-Prozess hilft Moskau, Ankara und Teheran, eine von Genf abgekoppelte Verhandlungslösung zu erreichen. Kürzlich gaben die USA den Aufbau einer Grenztruppe aus den Reihen der kurdischen YPG-Miliz bekannt, was als Spaltungsversuch vonseiten Washingtons bewertet wird. Sind das erste Anzeichen, dass sich die USA wieder ins Spiel bringen wollen?

Die Rede von Außenminister Tillerson an der Stanford University im Januar 2018 hat die Syrienpolitik der USA neu formatiert. Hatte Trump sich zunächst ausschließlich auf die Bekämpfung des IS konzentrieren wollen, wollen die USA nun sowohl auf die politische Lösung des Syrienkonfliktes Einfluss nehmen (mit dem Ziel der Absetzung al-Assads) als auch die iranische Präsenz und den iranischen Einfluss in Syrien zurückdrängen. Die USA sind bisher allerdings die Antwort schuldig geblieben, mit welchen Hebeln diese Ziele erreicht werden sollen. Die begrenzte und zudem völkerrechtswidrige Präsenz von US-Soldaten in Syrien reicht dazu nicht aus. Die Allianz mit den "Demokratischen Kräften Syriens" auch nicht – die führt im Gegenteil zu heftigen Verwerfungen zwischen der USA und der Türkei.

Die USA können allerdings den Sotschi-Prozess, den Russland, die Türkei und der Iran vorantreiben wollen, torpedieren und Russland in die unangenehme Lage bringen, den erfolgreich geführten Krieg nicht mit einer politischen Lösung zu Ende bringen zu können. Umgekehrt sind die USA aber nicht in der Lage, den Genfer Prozess zu einem Erfolg zu führen.

Die Türkei ist schon lange kein treuer Verbündeter des Westens mehr. Zusammen mit Russland verfolgt Ankara eigene Ziele. Ist das ein großer Verlust für Washington?

Die USA haben es seit 2012 verabsäumt, ihre eigenen strategischen Ziele in Syrien mit den türkischen Interessen in Syrien abzustimmen. Gleichzeitig ist es Russland gelungen, sein für kurze Zeit eingefrorenes Verhältnis mit der Türkei (November 2015 bis Juli 2016) zu normalisieren und die beiderseitigen Interessen in Syrien einander anzunähern.

Der Konflikt der USA mit der Türkei, der viele Ursachen hat (nicht nur die Differenzen in Syrien), ist nun mit der türkischen Intervention in der syrischen Provinz Afrin eskaliert. Wenn die USA die türkische Militärintervention in Afrin zur Kenntnis genommen haben, werden sie in der Region um Manbidsch einen türkischen Angriff abzuwehren versuchen. Erdogan hat sich allerdings nach innen mit seinem wiederholten Bekenntnis, eine Sicherheitszone gegen die "Terrorarmee der YPG" an der gesamten Grenzlinie Syriens zur Türkei errichten zu wollen, selbst in eine Ecke manövriert. Dieses Ziel wäre nur mit einem offenen militärischen Konflikt mit der USA erreichbar. Die USA können nämlich die kurdische YPG nicht fallen lassen, denn deren militärische Stärke ist für die USA der einzige Hebel, in Syrien noch mitzumischen.

Sie warnen vor einer Gewaltspirale in der Ukraine, sollte Trump die Lieferung von letalen Waffen an Kiew billigen. Spielt Europa in diesem Konflikt überhaupt noch eine Rolle oder kann die EU etwas tun, um dem entgegenzuwirken?

Die Lieferung letaler Waffen erhöht zumindest das Risiko, dass innerhalb der ukrainischen Führung die Stimmen mehr Gewicht bekommen, die für eine militärische Lösung der Donbasskrise eintreten. Sollte es dazu kommen, wäre eine dramatische Eskalation mit einem erhöhten militärischen Engagement Russlands die Folge.

Frankreich und Deutschland, die Architekten des Minsker Prozesses, halten sich seit einigen Monaten deutlich zurück. Es scheint, als ob beide Regierungen abwarten wollen, ob die Verhandlungen zwischen Volker und Surkow Fortschritte bringen können.

Wie könnte sich die globale Sicherheitsarchitektur verändern, sollten sich die US-Beziehungen zu Russland weiter verschärfen?

Wenn sich die Beziehungen zwischen der USA und Russland weiter verschärfen, wird sich Russland noch stärker an China anlehnen. Wenn sich zeitgleich die Beziehungen zwischen den USA und China verschlechtern (Handel, Investitionen, Nordkorea, Südchinesisches Meer), wird das die Interessengemeinschaft zwischen Russland und China stärken. Wenn sich in absehbarer Zeit ein bipolares System zwischen der USA und China etablieren sollte, wäre Russland dann die Swing Power, die den chinesischen Pol verstärken wird.

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