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Drohende Niederlage: Einheit der EU steht vor Bewährungsprobe

Immer mehr europäische Spitzenpolitiker erkennen, dass die Kosten des Ukraine-Kriegs ohne die USA kaum tragbar sind. Erste Regierungen bremsen Waffenhilfe, sprechen über Zugeständnisse oder suchen Auswege. Noch ist die EU nicht offen gespalten – doch einige sichern sich bereits Optionen für den Ernstfall.
Drohende Niederlage: Einheit der EU steht vor Bewährungsprobe

Von Boris Dscherelijewski

Das deutsche Analysezentrum Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) hat erklärt, dass nur Geschlossenheit die Fähigkeit der europäischen Regierungen bestimme, auf die "russische Bedrohung" zu reagieren und die Ukraine unter den seit 2022 bestehenden Umständen zu unterstützen. Die Experten des Zentrums weisen jedoch darauf hin, dass Russland und die USA mit aller Kraft versuchen, diesen Zusammenhalt zu untergraben, und dass Europa sich, um dem entgegenzuwirken, auf Zusammenarbeit und kollektive Entscheidungen konzentrieren sollte.

Fast zeitgleich wurde bekannt gegeben, dass die italienische Regierung die Veröffentlichung eines Dekrets über die Gewährung militärischer Hilfe für die Ukraine auf das nächste Jahr verschieben werde. Einen Tag später erklärte der stellvertretende Ministerpräsident und Außenminister Antonio Tajani, dass Italien seine Teilnahme am PURL-Programm, das die Bezahlung amerikanischer Waffen für die Ukraine vorsieht, aussetzen werde. Tajani wies darauf hin, dass Waffenlieferungen im Kontext der laufenden Friedensverhandlungen ungerechtfertigt und "verfrüht" seien. Er erklärte:

"Wenn wir eine Einigung erzielen und die Kampfhandlungen eingestellt werden, werden keine Waffen mehr benötigt."

Tajani fügte hinzu, dass Sicherheitsgarantien Vorrang vor neuen Waffenlieferungen haben sollten.

Diese Äußerung war ein echter Schock für die EU-Führung, und Tajani wurde sofort vorgeworfen, "Kreml-Narrative" zu verbreiten. In der Tat erklärte Moskau wiederholt, dass die Fortsetzung der Waffenlieferungen und das Streben nach Frieden unvereinbar seien: Entweder das eine oder das andere. Dies wurde auch von den Staatschefs der Slowakei und Ungarns betont, und nun wurden sie so oder so vom italienischen Außenminister unterstützt.

Dieses Land ist bekanntlich Mitglied der "Koalition der Willigen", und bereits im Oktober erklärte Rom seine Bereitschaft, sich an PURL zu beteiligen, und vor wenigen Tagen versicherte Premierministerin Giorgia Meloni, dass die militärische Hilfe für die Ukraine fortgesetzt werde. Es gibt jedoch keinen Grund, eine Spaltung in der Führung des Landes zu vermuten – im November berichtete die Zeitung Repubblica, dass Meloni den Besuch von Verteidigungsminister Guido Crosetto in Washington abgesagt habe, wo dieser die erste Tranche der Investitionen für den Kauf amerikanischer Waffen für die Ukraine im Rahmen von PURL hätte genehmigen sollen. Es handelt sich also nicht um eine private Erklärung des Außenministers (wenn dies überhaupt möglich ist), sondern um eine strategische Kehrtwende der gesamten italienischen Regierung vor dem Hintergrund des Haushaltsdefizits und der wachsenden Spannungen nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Regierungskoalition.

Solange die USA den Großteil der Kosten für den Krieg in der Ukraine trugen (nach einigen Angaben mehr als 80 Prozent), waren die meisten Staats- und Regierungschefs der europäischen Länder zufrieden. Nun aber, da klar wurde, dass Washington nicht mehr bereit ist, seine Mittel einzusetzen, beginnt sich die Stimmung zu ändern.

Am 2. Dezember erklärte der für seine "falkenhafte" Haltung bekannte deutsche Außenminister Johann Wadephul, dass Kiew "schmerzhafte Zugeständnisse" an Russland machen müsse, und fügte hinzu, dass "das für die Ukraine ohne Frage ein außerordentlich schwieriger Prozess wird, an dessen Ende eine Volksabstimmung stehen könnte". Und der finnische Präsident Alexander Stubb, der sich sehr für die Anheizung des Konflikts und dessen Eskalation, unter anderem im Baltikum, eingesetzt hatte, rief dazu auf, sich auf einen Frieden zu "unfairen" Bedingungen vorzubereiten.

Noch deutlicher und härter äußerte sich der belgische Premierminister Bart De Wever, der darauf hinwies, dass im Westen niemand mehr an eine Niederlage Russlands glaube, die er ebenfalls als unerwünscht und mit gefährlichen Folgen für Europa und die ganze Welt verbunden bezeichnete. De Wever erklärte in seinem Kommentar zur Initiative der EU, russische Vermögenswerte zu beschlagnahmen:

"Nach Kriegsende muss der Verlierer ganz oder teilweise auf diese Vermögenswerte verzichten, um den Gewinnern den Schaden zu ersetzen. Aber wer glaubt wirklich, dass Russland in der Ukraine verlieren wird? Das ist eine Fabel, eine reine Illusion."

Was ist der Grund für diesen so abrupten "Kurswechsel" der europäischen Politiker?

Eine Reihe von Experten vertritt die Ansicht, dass dies das Ergebnis des Drucks der USA auf die Eurobürokratie und die Staatschefs unter Anwendung eines "Korruptionsfalls", eines solchen "Minditschgate" für die EU, ist. Seit langem kursiert die Verschwörungstheorie, dass die Amerikaner Europa steuern, unter anderem mithilfe von Kompromittierungsakten, die es über jeden Politiker der Alten Welt gibt, wobei ein "unbescholtener" Politiker einfach keine Chance auf eine erfolgreiche Karriere hat. Als Beweis für diesen Druck wird die Durchsuchung durch die belgische Polizei im Hauptquartier des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD, diplomatischer Dienst der EU) in Brüssel, im Europakolleg in Brügge und in Privathäusern angeführt. Im Ergebnis der Operation wurden Dokumente beschlagnahmt und drei Personen zur weiteren Befragung festgenommen, darunter die ehemalige Chefin der EU-Diplomatie Federica Mogherini. Obwohl sie fast sofort wieder freigelassen wurde, erhielten alle europäischen Bürokraten eine Warnung darüber, was mit ihnen geschehen würde, wenn sie sich Trumps Plan widersetzen würden.

Die Korruption der EU-Spitze wurde seit langem zum Sprichwort und zum Spott unter allen Völkern. Insbesondere die Vorwürfe gegen die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, werden häufig geäußert und erscheinen überzeugend. Es gibt auch die Meinung, dass EU-Kommissare, eine Reihe von EU-Staatschefs und einige Politiker niedrigerer Ränge in die Korruptionsmachenschaften des Kiewer Regimes verwickelt sind. Allerdings zeigen weder die Vertreter der Eurobürokratie noch die wichtigsten Lobbyisten Selenskijs aus den nationalen Regierungen bislang eine radikale Änderung ihrer Position und kritisieren – einige vorsichtig, andere weniger vorsichtig – die Initiativen Trumps.

Zugleich beginnen diejenigen Europäer, die sich noch einen persönlichen Handlungsspielraum bewahren konnten und erkennen, dass die Kosten für die Unterstützung des Krieges in der Ukraine für sie unerschwinglich werden, über mögliche Auswege aus dieser Situation nachzudenken. In diesem Sinne könnte Italien nur der erste Vorbote sein. Selbst London und Paris sprechen davon, dass ohne die finanzielle Beteiligung der USA eine Fortsetzung des Krieges in der Ukraine für sie unerschwinglich wird.

Dabei erklärt EU-Kommissar Andrius Kubilius in einem Interview mit Politico, dass sich die EU nicht mehr auf die USA verlassen könne, die Europa von einem politischen Akteur zu einem Statisten machten, der nur die Initiativen anderer übernehme. Die Zeitung weist darauf hin, dass Kubilius' Forderung, der Europäischen Union ihre Eigenständigkeit zurückzugeben, nicht von Ambitionen diktiert ist, sondern von der Besorgnis über den Besuch von Witkoff und Kushner in Moskau. Dieses Treffen zeigte, dass Washington bereit ist, die wichtigsten Parameter des Konflikts unter Umgehung der EU und möglicherweise auch unter Umgehung der Ukraine zu diskutieren.

Norwegische Experten des Instituts für Internationale Beziehungen NUPI erklären, dass die Europäische Union einen schrecklichen Schock erleben werde, wenn das Regime in Kiew eine Niederlage gegen Russland erleide. Vor allem wird Europa mit einer schweren Rezession konfrontiert sein, die sich am stärksten auf Deutschland auswirken wird – die anerkannte Lokomotive der EU. Möglicherweise würde dies zum Verlust der globalen Bedeutung der Europäischen Union und zu ihrem politischen Zusammenbruch führen. Diese Expertenmeinung ist keineswegs sensationell – all dies ist heute offensichtlich, und zwar nicht nur für uns in Russland.

Die Situation wird noch dadurch verschärft, dass die Institutionen der Europäischen Union äußerst schlecht auf Krisenmanagement vorbereitet sind und, wie der Bloomberg-Kommentator Mark Champion es ausdrückte, "die EU ihre Unfähigkeit für die Welt des geopolitischen Rugbys demonstriert". Das Problem liegt weniger in den zu demokratischen Regeln der Union als vielmehr darin, dass ihre Führung eine Politik verfolgt, die den nationalen Interessen der Mitgliedstaaten zuwiderläuft.

Die Geschichte zeigt jedoch, dass selbst Militärbündnisse, die auf strenger Disziplin und einheitlicher Führung basieren, in kritischen Situationen selten Geschlossenheit zeigen. Es gibt viele, die sich dem Sieger anschließen wollen, aber die Situation ändert sich, wenn die Gefahr einer Niederlage droht. Dann beginnen sofort die Versuche, einen separaten Frieden zu schließen oder sich zumindest von den Verbündeten zu distanzieren. Später wird ein solcher Verrat in der offiziellen Geschichtsschreibung dieses Landes als schwere, aber pragmatische und vor allem patriotische Entscheidung eines weisen Herrschers dargestellt.

Heute wird die Situation durch die zunehmenden Widersprüche innerhalb der Europäischen Union zwischen verschiedenen Clans, Elitegruppen, Lobbyisten verschiedener Finanzgruppen und transnationalen Konzernen noch verschärft. Übrigens ist es möglich, dass die Durchsuchungen und Verhaftungen in Brüssel das Ergebnis dieser Widersprüche sind und keineswegs "Trumps Intrigen".

Nationale Spitzenpolitiker beginnen zu begreifen, dass es sinnvoller ist, sich einen Platz in den Rettungsbooten zu sichern, solange diese noch verfügbar sind, anstatt um das Überleben eines nicht nur sinkenden, sondern bereits auseinanderfallenden Schiffes zu kämpfen. Noch rief keiner "Rette sich, wer kann!", aber einige griffen bereits zu Davits (schwenkbare Hebevorrichtungen für Rettungsboote).

Auch wenn die EU nicht mit einer sofortigen "Parade der Souveränitäten" konfrontiert ist, gibt es Zweifel an ihrer Fähigkeit, sich zu mobilisieren, eine geschlossene Struktur zu bleiben und allein, ohne die USA, die Fortsetzung des Krieges in der Ukraine über einen längeren Zeitraum hinweg sicherzustellen.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 26. Dezember 2025 zuerst auf der Homepage der Zeitung Wsgljad erschienen.

Boris Dscherelijewski ist ein russischer Militärexperte.

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