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Lord Skidelsky entlarvt Kriegshetzer – Teil III: Doppelmoral der "Unverletzlichkeit der Grenzen"

Der letzte Teil der Artikelreihe schildert die Überlegungen des britischen Ökonomen und Geostrategen Lord Skidelsky zur vom Westen diktierten "Heiligkeit der Grenzen", zur Ablehnung einer russischen Einflusssphäre trotz Monroe-Doktrin und zum Versuch, der Bevölkerung Angst einzujagen, um mit Rüstung die Industrie zu beleben.
Lord Skidelsky entlarvt Kriegshetzer – Teil III: Doppelmoral der "Unverletzlichkeit der Grenzen"Quelle: Gettyimages.ru © Tajh Payne/US Navy via Getty Images

Von Rainer Rupp

Teil I: Die Täuschungen hinter der Ukraine-Debatte

Teil II: Das Budapester Memorandum

In der von den USA erfundenen und diktierten, vom kollektiven Westen befolgten "regelbasierten Weltordnung" wird auch die sogenannte Unantastbarkeit internationaler Grenzen als oberstes Prinzip festgeschrieben. Aber im Fall westlicher Verstöße gegen die eigenen heiligen Regeln greifen natürlich Sonderregeln. Diese deuten berüchtigte "Einzelfälle" wie den brutalen, unprovozierten NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien und die gewaltsame Abtrennung der serbischen Provinz Kosovo nicht nur zu einer entschuldbaren, sondern auch zu einer dringend notwendigen humanitären Operation, gleichsam zu einer charitativen Maßnahme unter Gutmenschen um.

Wenn aber irgendwo auf der Welt Grenzen ohne westliche Führung gewaltsam verändert werden, laufen die neoliberalen Westeliten Sturm. Laut Lord Robert Skidelsky ist dem Westen dabei völlig egal, wie willkürlich diese Grenzen in früheren Jahren, oder Jahrhunderten gezogen wurden (wie bei den meisten Staaten im Nahen Osten). Egal ist auch, ob sich die äußeren Umstände, unter denen die aktuell noch geltende Grenzziehung ursprünglich entstanden war, nicht fundamental geändert haben. Dies alles ist mit Blick auf die Ukraine zu bedenken, über die Skidelsky präzisiert, dass die Grenzen der heutigen Ukraine das Ergebnis einer jahrhundertelangen, ständigen Neuziehung von Grenzen sind.

So habe etwa im zaristischen Russland keine politische oder administrative Einheit namens Ukraine existiert. Der Begriff "Ukraine" habe damals lediglich das "Grenzland" im Allgemeinen bezeichnet. Die Gebiete des heutigen Staates Ukraine seien damals in mehrere Verwaltungseinheiten zersplittert gewesen, in denen die Ukrainer verstreut lebten, ohne ein starkes Bewusstsein einer eigenen nationalen Identität zu haben, so der Lord, um dann einen kurzen historischen Rückblick anzufügen:

"1922 wurde die Ukraine Gründungsmitglied der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Formal waren all diese Republiken souverän, doch in Wirklichkeit regierte die Kommunistische Partei aus Moskau. 1939 wurde Ostgalizien (mit Zentrum Lemberg, das 1923 völkerrechtlich als Teil Polens anerkannt worden war) infolge des 'Molotow-Ribbentrop-Pakts' in die sowjetische Ukraine eingegliedert. 1940 kamen Nordbukowina und Südbessarabien hinzu, wiederum im Einvernehmen mit Nazi-Deutschland. 1945 wurde Transkarpatien nach dem sowjetischen Sieg über Deutschland annektiert. Und 1954 übertrug der sowjetische Führer Nikita Chruschtschow die Krim an die ukrainische Republik."

Diese Geschichte lege ein "grundlegendes Problem offen" führt der Autor weiter aus, ohne sich auf die eine oder andere Sichtweise festzulegen:

"Wenn bestehende Grenzen aus irgendeinem Grund nicht mehr zur Realität passen, gibt es keinen friedlichen internationalen Mechanismus, sie zu verändern (im Gegensatz zu einvernehmlichen innerstaatlichen Änderungen wie der Aufspaltung der Tschechoslowakei in Tschechien und Slowakei 1993)."

Einflusssphären und die Monroe-Doktrin

Das Prinzip der Unverletzlichkeit von Grenzen hängt laut Skidelsky eng zusammen mit dem der gleichberechtigten Souveränität – also der Idee, dass jeder Staat frei seine Außen- und Innenpolitik wählen darf. Das bedeute "eine Ablehnung alter Konzepte wie Pufferzonen, Einflusssphären oder erzwungener Neutralität".

Diese These, dass jeder Staat seine Außen- und Innenpolitik frei wählen kann, wird besonders stark von USA/NATO/EU-Kreisen vertreten, um deren Expansion bis an die Grenzen Russlands zu rechtfertigen. In diesem Zusammenhang hält Skidelsky jedoch den USA und dem gesamten Westen ihre Doppelmoral vor Augen. Denn die USA hätten ihre "Monroe-Doktrin" nie offiziell aufgegeben. Und jetzt habe die Trump-Regierung sie sogar wieder zum wesentlichen Teil ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie vom 4. Dezember 2025 gemacht und explizit neu formuliert.

Der "Trump-Zusatz" vom 5. Dezember stellt klar, dass das amerikanische Volk – nicht "fremde Nationen oder globalistische Institutionen" – Herr in der eigenen Hemisphäre sein müsse. Es dürfe daher nicht zulassen, dass seine Herrschaft (über die westliche Hemisphäre) durch äußere Mächte gefährdet wird. Das lässt den lateinamerikanischen Staaten gewiss nicht die Möglichkeit, ihre Außen- und Innenpolitik selbst frei zu wählen.

Für die Debatte um die Ukraine bedeutet das laut Skidelsky:

Wenn Washington sich das Recht vorbehält, selbst zu bestimmen, was in seiner strategischen Peripherie vor sich geht, fällt es schwerer, Moskaus Behauptung vom Tisch zu wischen, die NATO-Osterweiterung habe die nach dem Ende des Kalten Krieges getroffene Anerkennung von Einflusssphären (beispielsweise durch US-Außenminister Baker: die NATO wird keinen Zentimeter gen Osten expandieren) verletzt.

Militärischer Keynesianismus

In seinem letzten Kapitel schöpft Skidelsky aus seinem umfassenden Lebenswerk über den berühmten britischen Ökonomen Keynes und kommt dabei zu einer für viele sicherlich verblüffenden Aussage. Demnach hat der gigantische Schub zu militärischer Aufrüstung in den EU-Ländern versteckte Treiber beziehungsweise Motive, die "weit über die offiziell genannte Sicherheitsbegründung hinausgehen, Russland abzuwehren". Denn in der europäischen Politikdebatte zeichne sich zunehmend eine Strömung ab, die den Aufrüstungsdrang mit einem zweiten, weniger offen zugegebenen Ziel verknüpft. Zwar wird ein Großteil der EU-Aufrüstungsagenda mit Sicherheitsargumenten gerechtfertigt; in der Praxis diene dies "jedoch dem Versuch, die schwache Produktivität Europas und die angeschlagene Industriestruktur wiederzubeleben". Laut Skidelsky handelt es sich also um

"Industriepolitik, die sich als Verteidigungsnotwendigkeit tarnt, gewissermaßen eine Strategie des militärischen Keynesianismus nach Pandemie und Stagnation. Aus dieser Sicht ist die Betonung einer existentiellen russischen Bedrohung keine strategische Einschätzung, sondern nichts anderes als politische Tarnung für eine massive industrielle Mobilisierung, mit der EU-Spitzen die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Europas wiederherstellen wollen."

Zwar stimme Skidelsky zu, dass Europa neue Wachstumsquellen braucht. Doch der Versuch, Industriepolitik unter dem Deckmantel einer Kriegsbereitschaft einzuschmuggeln – indem Angst geschürt und Bedrohungen übertrieben werden –, sei "weder ehrlich noch akzeptabel". Eine kriegsähnliche Stimmung zu erzeugen, um wirtschaftliche Erneuerung zu legitimieren, mag politisch bequem sein, doch untergrabe sie die demokratische Debatte und drohe, Europa in eine dauerhafte Militarisierung zu treiben, die mit den tatsächlichen wirtschaftlichen Herausforderungen des Kontinents wenig zu tun hat.

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