
Lord Skidelsky entlarvt Kriegshetzer – Teil II: Das Budapester Memorandum

Den ersten Teil der Analyse finden Sie hier.
Von Rainer Rupp
Das Budapester Memorandum von 1994 wird von russophoben Kriegstreibern immer wieder als Beweis dafür zitiert, dass die "inhärent aggressive Macht Russland" und deren "autoritärer Charakter" Moskau unfähig mache, internationale Abkommen einzuhalten. Was jedoch von NATO-Propagandisten als felsenfestes Argument in westlichen Fernseh- oder Radiodiskussion immer wieder runtergebetet wird, entbehrt jeder Substanz. Wie so viele andere vom Westen im Brustton der Überzeugung erhobene Verurteilungen Russlands ist auch dies eine Luftnummer.

Das Budapester Memorandum ist ein internationales politisches Abkommen. Es wurde in Budapest im Rahmen einer Konferenz der OSZE (damals KSZE) vom 5. Dezember 1994 unterzeichnet. Der Hintergrund war, dass sich nach der Auflösung der Sowjetunion auf dem Territorium der Ukraine das drittgrößte nukleare Arsenal der Welt befand. Im Gegenzug für den vollständigen Verzicht auf diese Atomwaffen und den Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag (NPT) als nicht-nuklearer Staat gaben die Unterzeichnerstaaten der Ukraine bestimmte Sicherheitszusagen, die nicht als völkerrechtlich bindender Vertrag gelten, sondern als politische Verpflichtung. (Ähnliche Memoranden gab es mit Weißrussland und Kasachstan.)
Diese Nichtverbindlichkeit des Abkommens von Budapest ist der wesentliche Unterschied zum völkerrechtlich verbindlichen Minsk-II-Abkommen von 2014/2015. Minsk II wurde vom UN-Sicherheitsrat verabschiedet und dadurch auf die Ebene internationalen Rechts erhoben, nur um anschließend von den Westmächten als Instrument benutzt zu werden, um Russland zu hintergehen und die Zeit zu nutzen, um die Ukraine militärisch gegen Russland hochzurüsten. Dieser eklatante Völkerrechtsbetrug bleibt den moralisch höherstehenden NATO-Propagandisten in den TV-Talkshows geflissentlich unerwähnt.
Aber schauen wir uns nun die Kerninhalte der im Budapester Abkommens enthaltenen Zusagen an, zu denen sich 1994 die Garantiestaaten – die USA mit Bill Clinton, Russland mit Boris Jelzin, das Vereinigte Königreich mit John Major und die Ukraine mit Leonid Kutschma – verpflichtet hatten.
Sie umfassten:
1. Die "Unabhängigkeit, Souveränität und bestehenden Grenzen der Ukraine zu respektieren";
2. Von der "Androhung oder Anwendung von Gewalt" gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit der Ukraine abzusehen (außer in Selbstverteidigung oder im Einklang mit der UN-Charta);
3. Von "wirtschaftlichem Zwang" abzusehen, um die Ukraine zu beeinflussen;
4. Im Falle einer Aggression gegen die Ukraine oder einer Drohung mit Atomwaffen "sofortige Maßnahmen im UN-Sicherheitsrat" zu ergreifen, um der Ukraine Beistand zu leisten;
5. Keine Atomwaffen gegen die Ukraine einzusetzen (außer bei einem Angriff der Ukraine in Allianz mit einem Atomwaffenstaat);
6. Konsultationen abzuhalten, falls Fragen zur Umsetzung entstehen.
Bis 1996 gab die Ukraine alle Atomwaffen an Russland ab. Das wird heute von vielen naziaffinen Russenhassern in der Ukraine öffentlich bedauert, und mit Unterstützung des Westens behaupten sie, Moskau habe sie betrogen. Die Russen hätten ihre Atomwaffen gestohlen, dann aber das angeblich hochheilige Versprechen gebrochen, die territoriale Integrität des Landes zu respektieren und die Ukrainer weder zu bedrohen noch anzugreifen. Diese Lesart des Budapester Memorandums wird vollumfänglich von den westlichen NATO-Propagandisten auf internationaler Ebene verbreitet. Sie unterstreichen, dass Russland das Memorandum durch die Aufnahmen der Krim in die Russische Föderation im Jahr 2014 und die militärische Sonderoperation in der Ukraine 2022 verletzt habe.
Aber bevor wir weitermachen, noch eine Frage: War die Ukraine nach dem Maidan-Gewaltputsch und den massenhaften nachfolgenden Gewaltexzessen gegen Russisch sprechende Bürger im Donbass noch dieselbe Ukraine, mit der Russland in aller Freundschaft 1994 das Abkommen von Budapest unterzeichnet hatte?
War die Ukraine nach den von der Putschregierung in Kiew organisierten militärischen "Anti-Terror-Operationen" gegen die Zivilbevölkerung im Donbass, die von fanatisierten Nazi-Gruppen wie Asow angeführt wurden, noch dieselbe wie 1994? Laut einem UN-Bericht vom Dezember 2021 haben diese bestialischen Operationen gegen die Zivilbevölkerung in den Dörfern des Donbass knapp 14.000 Zivilisten das Leben gekostet.
Angesichts dieser Fakten kann niemand mit einem Funken vernünftigem Menschenverstand davon ausgehen, dass es für Russland noch irgendeine politische Verpflichtung aus dem Budapester Memorandum gibt, zumal das Memorandum nicht bindend ist, und erst recht nicht, weil Russland die aus dem "verfassungswidrigen Umsturz" hervorgegangene Übergangsregierungen bis heute nicht anerkannt hat und als illegitim bzw. als "Junta" oder "Kiewer Regime" bezeichnet.
Schauen wir uns nun an, wie der britische Lord Robert Skidelsky dieses Thema "Budapester Memorandum" abhandelt. Er erklärt in wenigen Sätzen das Memorandum und verweist dann darauf, dass es immer wieder zitiert wird, um Moskaus Bruch internationaler Abkommen zu belegen. Russlands Besetzung der Krim 2014 und seine Invasion der Ukraine 2022 werden als entscheidender Beweis zitiert, dass kein Verlass auf russische Zusicherungen ist. Das wiederum steht hinter der dominanten europäischen Sicht, dass Russland in der Ukraine entscheidend besiegt werden muss; andernfalls würde es jede Atempause nutzen, um sich neu zu gruppieren und seine Aggression fortzusetzen, so das offizielle Narrativ von Friedrich Merz, Emmanuel Macron, Keir Starmer und Co.
Das allerdings sei – so Skidelsky – eine "einseitige Interpretation" des Budapester Abkommens. Erstens besaß die Ukraine nie eine unabhängige nukleare Fähigkeit: Die Sprengköpfe waren sowjetisch, und sämtliche Kommando- und Kontrollsysteme, einschließlich Startcodes, hatten nie Moskau verlassen. Die Ukraine hatte die Hardware (Raketen und Startrampen), aber nicht die Fähigkeit, sie zu nutzen.
Zweitens war das Budapester Memorandum eine politische Verpflichtung statt eines rechtlich durchsetzbaren Vertrags, da es keinen Durchsetzungsmechanismus gab. Wie alle politischen Verpflichtungen war es ein Produkt von Umständen und Erwartungen. Der Umstand war Russlands geopolitischer Zusammenbruch in den 1990er-Jahren. Die Erwartung war, dass die unabhängige Ukraine im postsowjetischen Raum bleiben werde. (Die Ukraine war ein Gründungsmitglied des postsowjetischen Gemeinschaft Unabhängiger Staaten [GUS], obwohl sie ihre Teilnahme nie ratifizierte.)
Russlands Erwartungen basierten auf den politischen Zusicherungen der Führer der nun unabhängigen Ukraine. Der ukrainische Präsident Kutschma, der das Budapester Memorandum unterzeichnet hatte, bekräftigte wiederholt den blockfreien Status der Ukraine, ihre Absicht, militärisch neutral zu bleiben, und ihr Engagement für eine fortgesetzte Zusammenarbeit mit Russland durch verschiedene GUS-Institutionen. Im Laufe des ersten Jahrzehnts nach der Unabhängigkeit erklärten ukrainische Führer öffentlich, dass eine NATO-Mitgliedschaft nicht in Betracht gezogen werde, während die Wirtschaft und Verteidigungsindustrien der Ukraine tief mit Russland verflochten blieben.
Skidelskys Schlussfolgerung ist: "Obwohl von den oben beschriebenen Umständen nichts im Memorandum kodifiziert war, behandelte Russland es als politischen Kontext, der dem Abkommen von 1994 zugrunde lag – ein Verständnis, das seiner Ansicht nach durch die Bukarester Erklärung von 2008 ('Die Ukraine wird Mitglied der NATO') und die ukrainische Verfassungsänderung von 2019 umgestoßen wurde, was die NATO- und EU-Mitgliedschaften zu 'unwiderruflichen' Zielen der ukrainischen Regierungspolitik machte."
Und er fügte hinzu: "Also ja, Russland brach eine politische Verpflichtung – aber dem war eine vollkommen gebrochene ukrainische Verpflichtung vorausgegangen."
Im nächsten Teil beleuchten wir die angebliche "Unverletzlichkeit der Grenzen", "Einflusssphären und die Monroe-Doktrin" sowie den "Militärischen Keynesianismus".
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