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Auflösung des NATO-Russland-Rates – Warum gerade jetzt?

Der NATO-Russland-Rat – eine Institution, die längst jegliche praktische Funktion verloren und sie möglicherweise gar nicht erst besessen hat – wurde am 3. Dezember für nicht existent erklärt. Wieso passiert das erst jetzt, und was steckt dahinter?
Auflösung des NATO-Russland-Rates – Warum gerade jetzt?© Urheberrechtlich geschützt

Von Dmitri Jewstafjew

Ein bemerkenswertes, wenn nicht gar das einzige bedeutende Ergebnis des Treffens der NATO-Außenminister am 3. Dezember 2025 in Brüssel ist die Auflösung des NATO-Russland-Rates. Insgesamt verlief das Treffen in einer Atmosphäre unverhohlener Trübsal. Am prägnantesten wurde diese Tristesse von Alexander Stubb, dem Präsidenten des einst neutralen und blühenden Finnlands, zum Ausdruck gebracht. Stubb rief dazu auf, "sich auf den Frieden in der Ukraine vorzubereiten." Faktisch bedeutete dies das Eingeständnis des Scheiterns der gesamten langjährigen Russland-Strategie der Euroatlantiker, welche diese mit Unterstützung des antirussischen Regimes in Kiew umzusetzen versuchten.

Eine Erklärung des Sinns dieser Aktion ist ganz offensichtlich: Es handelt sich um einen Versuch, die politische Niederlage der Euroatlantiker medial zu kompensieren, nachdem sie selbst den Rahmen des Ukraine-Friedensprozesses verlassen hatten. Gleichzeitig soll damit die offensichtliche Fassungslosigkeit verdeckt werden, von der die europäischen Eliten und zunehmend auch die europäischen Gesellschaften nach der Erklärung des russischen Präsidenten Wladimir Putin ergriffen wurden, dass Russland zu symmetrischen Antworten auf Kriegsdrohungen vonseiten Europas bereit sei. Putins Erklärung mag überraschend erscheinen – allerdings nur für Europäer, die den Bezug zur Realität verloren haben.

Doch das ist nur die erste Schicht. Erinnern wir uns an die Vorgeschichte: Der NATO-Russland-Rat war im Mai 2002 bei einem Gipfeltreffen zwischen Russland und der NATO in Rom gegründet worden. Indem sie mit Moskau die Schaffung einer solchen Institution vereinbart hatten, behaupteten die NATO-Staaten, unter den Kalten Krieg einen Schlussstrich zu ziehen. In Wirklichkeit versuchten sie jedoch, Russlands Forderungen nach einem Mitspracherecht in Angelegenheiten der europäischen Sicherheit rein formell zu befriedigen. Der NATO-Russland-Rat mochte wie ein Mechanismus zur Integration Russlands ins europäische Sicherheitssystem erscheinen, diente in Wirklichkeit aber dazu, Moskau von dem Aufbauprozess eines solchen Systems auszuschließen. Währenddessen wurde die NATO zur einzigen Grundlage des europäischen Sicherheitssystems erklärt. Doch selbst die Schaffung einer Institution, die Russlands Einfluss auf die Politik des Westens auf "Konsultationen" beschränkte, war ein erzwungener Schritt – die NATO führte damals sehr schwierige Einsätze in Afghanistan durch und war auf Moskaus Unterstützung angewiesen.

Man kann sagen, dass gerade im Moment der Unterzeichnung des Abkommens über die Gründung des Rates die euroatlantischen Eliten einen Kurs hin zu einer Spaltung Europas eingeschlagen hatten. Im Gegensatz zu Moskaus These von der Unteilbarkeit der Sicherheit, wurde diese "gespalten". Eine genauere Betrachtung ergibt, dass der vom Westen der Schaffung des Rates zu Grunde gelegte strategische Gedanke darin bestand, jeglichen Inhalt aus dem Dialog mit Russland zu Angelegenheiten der europäischen Sicherheit auszuhöhlen, dem Rat eine ritualisierte Funktion zu verleihen und Moskau eine "Mitbeteiligung" vorzutäuschen.

In Wirklichkeit hat der Rat selbst in diesem Sinne längst nicht mehr funktioniert, und zwar nicht erst seit November 2021, als Russlands Vertretung bei der NATO wenige Monate vor dem Beginn der Sonderoperation in der Ukraine ihre Tätigkeit einstellte. Vielmehr war dies bereits seit 2008 der Fall, als Russland einen Einsatz zur Befriedung des Regimes von Micheil Saakaschwili in Georgien durchführte. Es ging dabei nicht nur um den Einsatz als solchen, sondern auch um das fehlende Verständnis seitens der NATO für die strategische Bedeutung von Putins Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz anderthalb Jahre zuvor. Am 10. Februar 2007 gab Russlands Präsident klar zu verstehen, dass sich Moskau mit einem fiktiven Dialog nicht zufriedengeben werde. Dieser hätte eine Wende der NATO gegen Russland verdecken sollen – Aktionen, die Russlands Interessen ignorieren, den Aufbau von militärischer Infrastruktur unmittelbar an Russlands Grenzen. Später kam es im Rahmen des Rates zu sporadischer Aktivität, doch von einer systematischen Arbeit selbst im Rahmen von "Konsultationen" konnte keine Rede mehr sein.

Es bleibt die Frage: Wieso wurde ein längst nicht mehr funktionierendes Organ erst jetzt aufgelöst und warum wartete die NATO so lange ab, um eine Hülle zu erhalten, hinter der längst kein Inhalt mehr stand?

Die Antwort drängt sich von selbst auf:

Der NATO-Russland-Rat, ein Instrument der Vortäuschung eines Dialogs mit Russland, hat nicht nur aufgehört, selbst für die pro-westlichsten Vertreter der russischen Elite als "Zuckerbrot" zu funktionieren. Er hörte auch auf, ein Symbol der Rückkehr Russlands zur berühmt-berüchtigten "zivilisierten Welt" zu sein.

Doch das ist nicht das Wichtigste. Bei dem Gipfel in Brüssel erfolgte das Eingeständnis, dass der Ausschluss der NATO aus einem inhaltlichen Dialog zu Angelegenheiten der europäischen Sicherheit unumkehrbar ist.

Im Grunde war bereits das Erscheinen der sogenannten "Koalition der Willigen" ein Symbol dafür, dass die geopolitischen Prozesse in Europa und den angrenzenden Regionen "an der NATO vorbei" gegangen sind. Der NATO-Russland-Rat hat endgültig seinen Sinn als Instrument des Einfrierens des geopolitischen Rahmens verloren, der in Europa nach 1991 entstanden und für die NATO und den Westen insgesamt äußerst günstig war. Faktisch hat die NATO anerkannt, dass der Prozess des geopolitischen Wandels in Europa unumkehrbar ist, allerdings bisher sowohl an der Allianz als auch an Europa vorbeigeht.

Selbstverständlich möchte die NATO ihren einstigen Einfluss selbst auf Kosten der Eskalation gegen Russland zurückgewinnen. Doch der Unterschied zwischen Russland und den europäischen Ländern der "Koalition der Willigen" besteht gerade darin, dass der antirussische Block zwar eine Eskalation gegen Russland wünscht, ihm dafür aber die Kräfte, Mittel und Ressourcen fehlen. Russland verfügt dagegen über Ressourcen und militärische Kräfte für eine Eskalation gegen die NATO, will aber eine solche Entwicklung möglichst vermeiden. Gerade darin besteht der Unterschied zwischen Propaganda und der harten Realität der "praktischen Geopolitik".

Übersetzt aus dem Russischen. Verfasst speziell für "RT" am 4. Dezember.

Dmitri Jewstafjew ist ein russischer Politologe und Amerikanist. Er ist Doktor der Politikwissenschaften und lehrt am Institut für Medien der Wirtschaftshochschule Moskau. Jewstafjews Spezialgebiete sind militärpolitische Fragen der nationalen Sicherheit Russlands, der Außen- und der Militärpolitik der USA sowie der regionalen Probleme der Kernwaffen-Nichtverbreitung. Er ist Mitverfasser wissenschaftlicher Monografien und zahlreicher Artikel.

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