
Energiegerechtigkeit als neues Konzept der globalen Entwicklung

Von Alexander Jakowenko
Unlängst behauptete Elon Musk, dass Energie die Währung der Zukunft sein werde. Ob dies zutrifft oder nicht und wie die Zukunft der Kryptowährung aussehen wird, ist dabei nicht so wichtig. Es ist jedoch offensichtlich, dass die Energieversorgung zu einer entscheidenden Voraussetzung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung wird, und zwar in weitaus größerem Maße als in der Vergangenheit. Darüber hinaus forcieren die Industrieländer, darunter auch die USA, den Ausbau ihres Energiezugangs bereits im Rahmen einer neuen technologischen Ordnung, die von künstlicher Intelligenz und Robotik bestimmt sein wird, was wiederum die Nachfrage nach Stromerzeugung und deren Nachhaltigkeit deutlich steigern wird.
Die Kluft im weltweiten Energiesektor droht sich also weiter zu vergrößern, obwohl sie ohnehin schon enorm ist. So beträgt beispielsweise die gesamte Stromerzeugung Afrikas 253 Gigawatt und liegt damit unter der Russlands. Doch unser Land verbraucht seine eigenen Ressourcen, unabhängig davon, um welchen Bereich der Stromerzeugung es sich handelt, und ist darüber hinaus einer der führenden Lieferanten von Öl, Gas und Kohle auf den Weltmärkten, das heißt, es gehört zu den Ländern, die zur globalen Energiesicherheit beitragen. Was die Ölförderung betrifft, so ist geplant, diese bis zum Jahr 2030 auf 540 Millionen Tonnen zu steigern, wobei etwa 60 Prozent davon schwer förderbare Reserven sind. Das bedeutet, dass wir über die entsprechenden eigenen Technologien und die Produktion der dafür erforderlichen Ausrüstungen verfügen. Hinzu kommt die führende Rolle Russlands beim Bau von Kernkraftwerken im Ausland – vor allem in den Ländern des Globalen Südens und Ostens – und bei der Lieferung von Brennstoffen für Kernkraftwerke.
Bei den führenden westlichen Ländern, insbesondere der Europäischen Union und Japan, die den Entwicklungsländern beim Zugang zu Energieressourcen echte Konkurrenz machen, sieht die Situation anders aus.

Denn dieser "Wettlauf um Ressourcen" wird immer noch nach den vom Westen im Rahmen seiner globalen Hegemonie festgelegten Spielregeln geführt: Man nennt diese Regeln "Neokolonialismus ", der den Entwicklungsländern praktisch jegliche Souveränität über ihre natürlichen Ressourcen im Allgemeinen und ihre Energieressourcen im Besonderen entzieht. Die der Welt aufgezwungene "Energiewende" mit vorrangiger Förderung der "grünen" Wirtschaft, die sich bereits am Beispiel Europas als Fehlschlag erweist, droht die technologische Abhängigkeit der Entwicklungsländer vom Westen nur noch zu verstärken und ihre Rückständigkeit langfristig zu zementieren. Daher steht die Weltgemeinschaft heute mehr denn je vor der Herausforderung, allen Menschen gleichberechtigten Zugang zu Energieressourcen zu gewährleisten.
Dieses Thema wurde auch im Rahmen der jüngsten Russischen Energiewoche angesprochen.
Der Energieminister Russlands, Sergei Ziwiljow, skizzierte die Pläne zur Entwicklung der russischen Stromerzeugung (Inbetriebnahme von 88 Gigawatt bis zum Jahr 2042) und stellte zutreffend fest, dass "wir unseren Kindern und Enkeln keine teure Stromerzeugung hinterlassen dürfen". Er wies auch auf die Bedeutung des Energiedialogs im Rahmen der BRICS-Staaten hin, der seit zehn Jahren besteht und für dessen Stärkung Russland konsequent erhebliche Anstrengungen unternimmt. Dabei fördert Moskau gemeinsam mit Gleichgesinnten auf internationaler Ebene seine Vision einer gerechten und gleichberechtigten Zusammenarbeit im Energiebereich. Russland ist in Wort und Tat an der Entwicklung der Energiewirtschaft auf dem afrikanischen Kontinent beteiligt, wo dieses Problem besonders akut ist und wo bis zum Jahr 2050 mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung leben wird. Die Zusammenarbeit im Bereich des Brennstoff- und Energiesektors erstreckt sich bereits auf die Länder der Sahelzone. Es wird ein umfassenderes Ziel verfolgt: die Förderung einer ausgewogenen und effektiven Entwicklung dieser Länder, einschließlich der Umsetzung von Projekten, die für sie alle von Bedeutung sind. All dies ist Teil unserer "Rückkehr nach Afrika", wo wir dem positiven Erbe der Sowjetunion gerecht werden, einschließlich des hohen Vertrauens, das unserem Land auf dem Kontinent entgegengebracht wird.
Heutzutage ist es schwer zu leugnen, dass sich in der globalen Energiewirtschaft eine umfassende Systemkrise abzeichnet. Diese Krise wurde durch das unipolare Weltmodell ausgelöst, das sowohl formal (auch in den UN-Dokumenten) als auch praktisch die Weltentwicklung bestimmte. Dieses negative Erbe zu überwinden, wird keine einfache Aufgabe sein – so groß und zerstörerisch ist es. Es wird wohl nicht zu vermeiden sein, den Westen dazu zu zwingen, sich aktiv an diesem Prozess zu beteiligen und sich von der Vorstellung zu distanzieren, er sei ein "blühender Garten" (der, wie ich anmerken möchte, auf Kosten der übrigen Welt blüht). Ohne dies wird es nicht möglich sein, eine ausgewogene weltweite Entwicklung zu erreichen. Hier sind der politische Wille und die Bereitschaft der westlichen Eliten zum Mitteilen gefragt – analog dazu, wie sie nach zwei Weltkriegen (!) mit breiten Schichten ihrer eigenen Bevölkerung im Rahmen der Schaffung einer sozial orientierten Wirtschaft mitteilen mussten. Damals profitierte die gesamte Gesellschaft davon. Nun wird die gesamte Welt davon profitieren, einschließlich der westlichen Staaten selbst: Diese leiden unter dem Zustrom von Migranten aus dem Süden, und nun wird die eigentliche Problemquelle gelöst – auf dem Weg zur Entwicklung dieser Länder.
Die erwähnte Krise manifestiert sich laut Swetlana Tschupschewa, Generaldirektorin der Agentur für strategische Initiativen (ASI), in drei wesentlichen und miteinander verbundenen Problemen. Das erste ist die Energiearmut, von der ein Viertel der Weltbevölkerung betroffen ist. Über 660 Millionen Menschen haben überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität. Das zweite Problem liegt in der Doppelmoral westlicher Länder. So verbietet die Europäische Union in ihren Ländern das Fracking (Hydraulic Fracturing bei der Förderung von Schieferöl und -gas, bei dem viel Wasser und chemische Reagenzien zum Einsatz kommen), importiert jedoch aktiv die mit dieser Methode in den USA gewonnenen Rohstoffe. Darüber hinaus blockiert die EU unter dem Vorwand des Umweltschutzes Investitionen in die Gasinfrastruktur Afrikas.
Trotz der aktiven Förderung einer äußerlich attraktiven ESG-Agenda ("ESG" steht für "Umwelt, Soziales und Governance") haben westliche Länder selbst Schwierigkeiten bei der Umsetzung "grüner" Projekte. Nach Angaben der britischen Financial Times wurden bis Ende des Jahres 2024 in den USA 40 Prozent solcher Projekte auf Eis gelegt oder ganz eingestellt. Nun droht Katar, einer der führenden Lieferanten von Flüssigerdgas (LNG) für den europäischen Markt, diese Lieferungen einzustellen, sollte Brüssel seine Anforderungen hinsichtlich des CO2-Fußabdrucks des von Katar produzierten LNG nicht zurücknehmen. Das ist ein Beispiel dafür, dass es für den Westen sinnvoll wäre, "sich selbst zu reflektieren" und zu erkennen, dass die Entwicklungsprobleme der Entwicklungsländer eine direkte Folge des Kolonialismus und der bis heute andauernden neokolonialen Ausbeutung ihrer Naturressourcen sind.
Und das dritte Problem besteht darin, dass die ESG-Agenda vom Westen gezielt als Instrument eingesetzt wird, um die Entwicklung des globalen Südens und Ostens zu bremsen. Dort ist man sich durchaus bewusst, dass es auf der Erde nicht genügend Ressourcen gibt, um allen Menschen den gleichen Lebensstandard wie in den westlichen Ländern zu ermöglichen (und selbst in diesen gibt es deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Bevölkerungsschichten). Dabei werden die Standards dieser Agenda bis hin zu den erklärten demokratischen, in den westlichen Ländern selbst nicht eingehalten: Sie begeben sich erneut auf den Weg der Militarisierung, begleitet von Einschränkungen der Meinungsfreiheit und jeglicher Andersdenkenden, was an die Erfahrungen der Weimarer Republik in Deutschland und eines Großteils Europas in der Zwischenkriegszeit erinnert. Diese Instinkte der westlichen Eliten stehen eindeutig im Widerspruch zu den grundlegenden Interessen der weltweiten Entwicklung.
Die Energiegerechtigkeit beinhaltet auch das Anrecht auf Entwicklung. Daher könnten die folgenden Konzepte als positive Alternativen zur westlichen Agenda dienen: Co-Versorgung (die gegenseitige Integration traditioneller und erneuerbarer Energiequellen zur Gewährleistung einer stabilen Energieversorgung), Co-Organisation (koordinierte Steuerung der dezentralen Erzeugung auf Basis digitaler Plattformen) und Co-Entwicklung (kontinuierliche Anpassung von Energietechnologien und -märkten, Sicherstellung von Synergien zwischen Energie, Industrie und Verkehr). Es gibt bereits Beispiele für die praktische Umsetzung eines solchen Ansatzes. So dienen russische Kernkraftwerke im Ausland nicht nur der Energieversorgung, sondern auch der Förderung der lokalen Wissenschaft und Bildung: Im Rahmen des Projekts zum Bau des Kernkraftwerks "Ruppur" in Bangladesch errichtet der russische Staatskonzern Rosatom beispielsweise auch ein Bildungszentrum vor Ort.
Ein weiterer Pluspunkt betrifft die Erfahrungen Russlands im Bereich der dezentralen Stromversorgung mit der Einführung von Hybridsystemen mit erneuerbaren Energiequellen und Speichern. Dieser Ansatz wird dazu beitragen, die Zugangschancen zu Energie für Bewohner isolierter und schwer erreichbarer Gebiete auszugleichen, was ebenfalls für die Energiegerechtigkeit von großer Relevanz ist.
All dies bezieht sich auf die Ebene der Technik und der Methoden, aber entscheidend ist hier das Konzept der gemeinsamen Entwicklung, das im weitesten Sinne als gegenseitige Abhängigkeit aller Mitglieder der Weltgemeinschaft zu verstehen ist, als Verzicht auf eine faktisch getrennte Existenz verschiedener Ländergruppen, ja sogar als Verzicht auf deren Daseinsweise in jeweils separaten Dimensionen und Zeitepochen. Und die Energiebranche ist der Schlüsselbereich, der die Entwicklung aller auf einen gemeinsamen Nenner bringen kann. Für die Entwicklung eines Konzepts der Energiegerechtigkeit und eines Modells der Technologiesouveränität – ohne die sowohl das Recht auf eigene Entwicklung als auch die Souveränität jeglichen Sinn verlieren – ist Russland in einer einzigartigen Position. Möglicherweise besteht darin die größte Herausforderung für die Menschheit im 21. Jahrhundert und insbesondere für den Westen: Nach 500 Jahren globaler Dominanz und Anspruch auf Exklusivität muss er nun seine zivilisatorische Kompatibilität, seine Fähigkeit und seine Kompetenz zu einer nicht-imperialen Existenz auf Augenhöhe mit dem Rest der Welt unter Beweis stellen.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 12. November 2025 zuerst bei RIA Nowosti erschienen.
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