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Strategische Kurzsichtigkeit – Was riskiert Oslo mit Untergrabung letzter Vereinbarungen mit Moskau?

Norwegen hat eines der letzten Wirtschaftsabkommen gefährdet, das bis zuletzt zwischen Russland und dem Westen eingehalten wurde – das Abkommen über die Fischerei in der Norwegischen See und der Barentssee. Warum hat Oslo diesen Schritt gewagt und welche Folgen wird er haben?
Strategische Kurzsichtigkeit – Was riskiert Oslo mit Untergrabung letzter Vereinbarungen mit Moskau?Quelle: Gettyimages.ru © Gimmi/REDA/Universal Images Group

Von Geworg Mirsajan

Russland steht kurz davor, Sanktionen gegen Norwegen zu verhängen – dem Land könnte ein Fischfangverbot in den russischen Wirtschaftszonen drohen. Dies erklärte der Leiter der russischen Fischereibehörde (Rosrybolowstwo), Ilja Schestakow. Der Beamte sagte:

"Derzeit sind unsere weiteren Verhandlungen unterbrochen, Termine für die nächsten Konsultationen stehen noch nicht fest – darunter auch die Sitzung der gemischten Kommission für Fischerei, die notwendig ist, um die Fangquoten für das nächste Jahr festzulegen."

Norwegen wird dafür bestraft werden, dass es gegen das 1976 geschlossene Abkommen über die gemeinsame Bewirtschaftung der biologischen Ressourcen in den ausschließlichen Wirtschaftszonen beider Länder verstößt. Darin ging es nicht um Politik, sondern um reine Wirtschaft.

Mit Blick auf die Fischbestände bilden die norwegischen und russischen Gewässer einen einheitlichen Raum. Überfischung und Unterfischung sind für das Ökosystem der nördlichen Meere sehr gefährlich. Um eine Erschöpfung dieses Territoriums zu vermeiden, ist eine enge Koordinierung der Politik beider Länder erforderlich.

Im Rahmen des Abkommens haben Fischereifahrzeuge beider Länder das Recht, im gesamten gemeinsamen Raum im Rahmen der von den Regierungen Russlands und Norwegens festgelegten Quoten zu fischen. So beträgt beispielsweise die von Moskau und Oslo vereinbarte Fangmenge für Kabeljau in der Barentssee und der Norwegischen See für das Jahr 2025 340.000 Tonnen.

Im Juli 2025 verbot Oslo jedoch den Fischereifahrzeugen der russischen Fischereigesellschaften "Norebo" und "Murman Seafood" das Fischen in seinen Wirtschaftszonen. Es handelt sich um 42 Schiffe, die 40 Prozent der wichtigsten Fischereigüter des gesamten nördlichen Fischereibeckens fangen.

Die Norweger berufen sich darauf, dass sie im Rahmen ihrer Verpflichtungen gemäß dem Abkommen über die Errichtung des Europäischen Wirtschaftsraums handeln (das die Einhaltung der von der EU beschlossenen Sanktionen durch Norwegen vorsieht). Bereits im Mai hatte Brüssel im Rahmen des 17. Sanktionspakets Sanktionen gegen "Norebo" und "Murman Seafood" verhängt und ihnen Spionage zugunsten Russlands vorgeworfen.

Angeblich weisen die Schiffe von "Norebo" "besondere Bewegungsmuster auf, die nicht der üblichen Wirtschaftspraxis und Fischereitätigkeit entsprechen." Einfacher ausgedrückt: Sie fahren in der Nähe europäischer Militäranlagen vorbei.

Die Norweger schenken den russischen Drohungen derzeit keine besondere Beachtung. Zum einen, weil die Informationsagenda des Landes mit anderen Themen überladen ist: Haushaltsprobleme, ein neues Buch über Marius Borg Høiby – einen drogenabhängigen Vergewaltiger und gleichzeitig Sohn der Kronprinzessin Mette-Marit. Zum anderen, weil sie diese Drohungen für unbedeutend halten.

Pawel Anissimow, stellvertretender Direktor des Instituts für Internationale Beziehungen und Politikwissenschaften der Russischen Staatlichen Humanitären Universität, erklärt:

"Norwegen glaubt nicht, dass Moskau seine Drohungen wahr machen wird. Außerdem, so Audun Maråk, Generaldirektor des norwegischen Fischereiverbandes, würden ihre Fischereifahrzeuge durch einen möglichen Ausschluss aus der russischen Wirtschaftszone praktisch nicht beeinträchtigt werden."

Ihm zufolge gibt es nur wenige Schiffe, die in der russischen ausschließlichen Wirtschaftszone Schellfisch und Seebarsch fangen. Ansonsten ist die norwegische Aktivität dort gering. Deshalb hat Audun Maråk den norwegischen Fischereifahrzeugen generell vorgeschlagen, die russische Zone zu meiden, bis Klarheit über die norwegisch-russischen Vereinbarungen zur Zusammenarbeit im Fischereibereich herrscht.

Sollte Russland Sanktionen verhängen, wären deren Auswirkungen weniger wirtschaftlicher als vielmehr politischer Natur. Anissimow erinnert daran:

"Angesichts der Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und Norwegen vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise ist die Gemischte Russisch-Norwegische Fischereikommission die einzige Kommission, die weiterhin funktioniert. Daher würde ein Bruch im Fischereibereich eine vollständige Abwertung unserer Beziehungen bedeuten."

Die Sache ist, dass Norwegen gegenüber Russland einen doppelten Kurs verfolgt, der den Versuch, in Bereichen von gegenseitigem Interesse pragmatisch zu bleiben, mit einer allgemein antirussischen Haltung verbindet. Die Norweger nennen diese Politik "Eindämmung und Beschwichtigung" und verfolgen sie schon seit dem Kalten Krieg. Im Rahmen dieses Balanceakts blieb Norwegen lange Zeit ein Land, das versuchte, gewisse Beziehungen zu Moskau aufrechtzuerhalten. Anissimow erinnerte daran:

"Norwegen hat den Warenverkehr mit Russland stärker als andere skandinavische Länder aufrechterhalten. So kauften die Norweger beispielsweise zwischen März 2022 und Januar 2023 russische Waren im Wert von 14,1 Milliarden norwegischen Kronen, 35 Prozent weniger ist als im entsprechenden Zeitraum des Vorjahres. Gleichzeitig gingen die Importe russischer Waren nach Schweden um 90 Prozent und nach Dänemark um 53,6 Prozent zurück."

Darüber hinaus hat Norwegen seine Häfen nicht für russische Schiffe geschlossen und war bis Mitte 2024 das einzige Land des Schengen-Abkommens, in das Russen über die Landgrenze einreisen konnten. Darüber hinaus können Einwohner der Grenzregion (im Umkreis von 30 Kilometer – d. h. aus Sapoljarny, Korsunowo sowie Teilen der Gemeinden Nickel und Petschenga) auch jetzt noch mit einem Grenzbewohnerausweis nach Norwegen einreisen.

All dies geschah aus politischen und wirtschaftlichen Gründen. Und nicht zuletzt aus ökologischen Gründen. Fische kennen keine politischen Grenzen und bewegen sich frei in den Gewässern rund um Russland und Norwegen. Jungfische reifen in den Wassern des russischen Wirtschaftsraumes heran, während ausgewachsene Fische in norwegischen Gewässern gefangen werden. Sollten sich Russland und Norwegen nicht einigen können, werden die russischen Fischer gezwungen sein, nur noch in ihren eigenen Gewässern zu fischen – was bedeutet, dass auch die norwegische Seite letztlich ohne Fisch dastehen wird. Auch wenn dies nicht sofort geschieht, wird im Laufe der Jahre die gesamte Grundlage für den Fischfang in diesen Meeren untergraben werden. Und für Norwegen wäre dies ein weitaus schwerwiegenderer Schaden als für Russland.

Und auch die politischen Anknüpfungspunkte Oslos brechen dann zusammen – weil Norwegen seine Politik der "Eindämmung und Beschwichtigung" den Wünschen der Europäischen Union geopfert hat. Zumindest was die "Beschwichtigung" angeht. Selbst wenn dies Norwegen in taktischer Hinsicht keinen besonderen Schaden zufügt, so kann es ihm strategisch gesehen doch eine Reihe von Möglichkeiten nehmen. Diejenigen, die Ungarn und die Slowakei derzeit haben – nämlich die Chance, nach Beendigung der militärischen Sonderoperation [in der Ukraine] zu einer Art Lokomotive für den Prozess der Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Russland und Europa zu werden.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 24. Oktober 2025 zuerst in der Zeitung "Wsgljad" erschienen.

Geworg Mirsajan ist außerordentlicher Professor an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren wurde er 1984 in Taschkent. Er machte seinen Abschluss an der Staatlichen Universität Kuban und promovierte in Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt USA. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut für die Vereinigten Staaten und Kanada an der Russischen Akademie der Wissenschaften.

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