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Tomahawks: Nicht Kampf-, sondern Druckmittel

Der Zweck der angekündigten Lieferungen von Tomahawk-Marschflugkörpern an die Ukraine besteht aus Sicht der USA lediglich darin, Druck auf Russland auszuüben. Das Problem: Als Druckmittel haben die Tomahawks keine Auswirkungen, als Eskalationsfaktor dagegen schon.
Tomahawks: Nicht Kampf-, sondern DruckmittelQuelle: Gettyimages.ru © U. S. Navy

Von Ilja Kramnik

Donald Trumps Problem in Sachen Übergabe von Tomahawk-Marschflugkörpern besteht darin, dass er ernsthaft – sonst hätte er das nicht persönlich kommentiert – zu glauben scheint, dass diese Maßnahme wirksam sei, um Russland insgesamt und Wladimir Putin persönlich unter Druck zu setzen. Ein Jurist würde dies als "untauglichen Versuch" bezeichnen. Ein solcher Terminus wird verwendet, wenn beispielsweise jemand versucht, einen Mord zu begehen, allerdings nicht weiß, dass seine Waffe defekt ist.

Die Tomahawks sind in diesem Falle natürlich intakt, doch die Aufgabe besteht ja darin, Russland durch deren Übergabe an die Ukraine unter Druck zu setzen. Und zur Lösung dieser Aufgabe eignen sich die Marschflugkörper ebenso gut wie eine Spielzeugpistole für einen Mord. Für wahrhaftigen Druck auf Russland müsste das gesamte Arsenal der US-amerikanischen Marschflugkörper eingesetzt werden, doch auch das würde nicht reichen: Das Ergebnis wäre ein schneller Übergang zu einem heißen Krieg, allerdings nicht mehr zwischen Russland und der Ukraine, sondern zwischen Russland und der NATO.

Offensichtlich will Trump dies nicht und versucht stattdessen, Druck auszuüben: "Seht her, wir liefern der Ukraine Waffen, schließt also Frieden, sonst werden sie schießen." Und sie könnten in der Tat schießen.

Wie aber wird in diesem Fall Russlands Reaktion ausfallen? Offensichtlich geht Moskau davon aus, dass der Westen die Sinnlosigkeit dieses "Drucks" ebenso wie die Untauglichkeit des gewählten Druckmittels versteht, zumal Trump versprochen hat, sich diesbezüglich mit Putin in Verbindung zu setzen, und er entsprechende Argumente auch persönlich zu hören bekommen wird. Folglich könnte Russland meinen, dass das Ziel des Gegners in diesem Fall nicht darin besteht, "Druck auszuüben", sondern mindestens Schaden anzurichten, und zwar unter fremder Flagge. Doch das würde eine direkte Kriegsbeteiligung der USA aufseiten der Ukraine bedeuten, die weit darüber hinausgeht, was sich die Gegner im Kalten Krieg leisten konnten. So lieferte die UdSSR während des Vietnamkriegs keine Schiffsabwehrraketen an Vietnam, die in der Lage gewesen wären, die US-Marine anzugreifen, obwohl die Entfernungen selbst Angriffe auf Flugzeugträger ermöglichten und die Sowjetunion die Ziele vorgeben konnte. Ebenso schloss die UdSSR in den 1980er Jahren einen Einsatz von syrischen Schiffsabwehrsystemen gegen US-Schiffe an der Küste Libanons aus.

Die USA verzichteten ihrerseits während des Afghanistan-Kriegs auf Versuche, die Mudschaheddin bei Angriffen auf sowjetisches Territorium zu unterstützen und weigerten sich, entsprechende Satellitenbilder und Aufklärungsdaten zu teilen. Alle derartigen Versuche, von denen es nicht wenige gab, unternahmen die Mudschaheddin aus eigenen Kräften, indem sie Grenzposten und grenznahe Objekte angriffen. Sowohl die UdSSR als auch die USA agierten dabei nicht aus Menschenliebe: Moskau und Washington verstanden nur zu gut, wo die Grenzen lokaler Konflikte verlaufen, die selbst bei äußerster Antipathie gegenüber dem Gegner nicht überschritten werden sollten.

Kehren wir nun in unsere Zeit und unsere Region zurück. Die Gefahr einer unmittelbaren Einmischung der USA in den Konflikt würde seine Logik vollständig ändern. Was für Washington ein "Druckmittel" zu sein scheint, kann und muss Russland anders bewerten – als eine direkte Gefahr der Konfrontation mit den Vereinigten Staaten. Allein schon deshalb, weil es keinen Sinn hat, auf diese Weise Druck auszuüben. Im Rahmen einer direkten Bedrohung hat Russland das Recht, davon auszugehen, dass eine Lieferung von Tomahawks an die Ukraine die Vorbereitung auf etwas Ernsteres sein kann. Doch in diesem Fall wird auch Russlands Reaktion anders ausfallen, als es die USA im Rahmen ihres "Druckkonzepts" vermuten.

Übersetzt aus dem Russischen. Verfasst speziell für "RT" am 14. Oktober 2015.

Ilja Kramnik ist Militäranalyst, Experte beim Russischen Rat für Internationale Angelegenheiten sowie Forscher am Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen.

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