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Russland kesselt letzten ukrainischen Stützpunkt vor Slawjansk ein

In der Donezker Volksrepublik wurde Kirowsk befreit – und das ist mehr als eine Episode unter vielen. Dieser Ort eröffnet den russischen Streitkräften den Weg nach Krasny Liman. Wie gelang die Befreiung von Kirowsk und was bedeutet sie für die Befreiung des nördlichen Donbass?
Russland kesselt letzten ukrainischen Stützpunkt vor Slawjansk einQuelle: Sputnik © Stanislaw Krassilnikow

Von Jewgeni Krutikow

Russlands Verteidigungsministerium hat die Befreiung der Siedlung Kirowsk im Norden der Donezker Volksrepublik bekannt gegeben. In etwa zehn Kilometern Entfernung liegt Krasny Liman – ein großer Stützpunkt des ukrainischen Militärs, die letzte Deckung vor dem Ballungsraum Slawjansk-Kramatorsk. Zudem wurden an diesem Frontabschnitt die Dörfer Schandrigolowo und Derilowo eingenommen, weiter südlich laufen Kämpfe um Jampol. Im Grunde bleibt vor Krasny Liman nur noch das Dorf Drobyschewo, an dessen Rändern bereits gekämpft wird, sowie neue ukrainische Positionen bei dem Weiler Stawki.

Kirowsk, das 2016 von der Ukraine im Rahmen der sogenannten Dekommunisierung in Saretschnoje umbenannt wurde, liegt am Ufer des Flusses Scherebez und deckte Kransy Liman von Osten. Schon vor einigen Wochen war die Lage an den Flanken nördlich und südlich von Kirowsk instabil. Im Süden liegen Jampol und der Serebrjanka-Forst, der heftig umkämpft war. Ein Vorrücken am zentralen Abschnitt wurde erst möglich, nachdem das ukrainische Militär endgültig aus dem Wald vertrieben worden war und sich die südliche Flanke in Richtung Jampol und weiter bis direkt vor Sewersk bewegt hatte.

An der Nordflanke blieb die Spannung auch nach der Befreiung des Sererbrjanka-Forsts bestehen. Das ukrainische Kommando erkannte offenbar, dass sich die Lage am Frontabschnitt Krasny Liman verschlimmert, und beschloss, die Nordflanke zu stärken. Aus Krasny Liman selbst wurden zusätzliche Kräfte hinter die alte Sandgrube in die Ortschaft Schandrigolowo am Fluss Nitrius verlegt. Genau diese kleine Siedlung, die Ufer des Nitrius und die umliegenden alten Sandgruben wurden für einige Tage zum Mittelpunkt der Kämpfe.

Schandrigolowo wurde ebenfalls am 29. September befreit. Russlands Verteidigungsminister Andrei Beloussow gratulierte dazu dem Kommando und dem Personal der 144. Garde-Motschützendivision. Die Befreiung von Schandrigolowo deckte die Nordflanke des Frontabschnitts Krasny Liman. Kämpfer der 144. Division nahmen Derilowo auf den Fersen des zurückweichenden Gegners ein, überwanden wiederholt das Flüsschen Nitrius und stießen nach Drobyschewo vor.

Gleichzeitig hielt das ukrainische Militär den zentralen Teil des Frontabschnitts Krasny Liman nicht für eine Gefahr für die Stabilität der eigenen Position. In den Weilern Kolodes und Stawki wurde eine neue Verteidigungslinie aufgebaut. Geografisch ist das eine Steppenzone, ein Teil der sogenannten Bachmut-Senke. Das offene Gelände gab dem ukrainischen Militär die Möglichkeit, seinen gewohnten "Drohnenschleier" zu nutzen, um die Felder im Dreieck Schandrigolowo – Krasny Liman – Kirowsk zu kontrollieren.

Warum auch immer – das ukrainische Militär hielt Kirowsk selbst für eine fast uneinnehmbare Festung. Die Siedlung ist ein großes Dorf ohne Mehrfamilienhäuser. Die ukrainischen Truppen richteten ihre Stellungen in Einfamilienhäusern ein und rechneten damit, dass Russlands Streitkräfte am Abschnitt Krasny Liman frontal angreifen würden.

Doch damit machte das ukrainische Kommando einen fatalen Fehler. Russische Soldaten setzten in der Nacht auf Booten über den Fluss Scherebez und die überfluteten Sandgruben über und landeten überraschend direkt in der Mitte des Ortes.

Der Überraschungseffekt führte zunächst zu Panik unter den ukrainischen Truppen. Es gab eindrucksvolle Aufnahmen von Gefangenen aus den Reihen der ukrainischen Zwangsrekruten.

Nach einiger Zeit kamen die ukrainischen Truppen zu sich und begannen, den russischen Stoßtrupps aktiv Widerstand zu leisten. Dann kamen die Luftstreitkräfte zu Hilfe, die Ziele im Hinterland der ukrainischen Verteidigung angriffen. Die ukrainischen Kommandeure begannen daraufhin, Häuser in Brand zu setzen, und versuchten so den russischen Vormarsch zu stoppen. Doch das war ein Akt der Verzweiflung. Kirowsk war zum 29. September vollständig eingenommen. Die Säuberung des Ortes von ukrainischen Versprengten, die sich in den Kellern versteckten, dauerte allerdings noch etwa einen Tag.

Dabei ist hervorzuheben, dass die Ukraine bei Kirowsk recht große Kräfte – bis zu 19 Bataillone – einsetzte. Praktisch alle Häuser wurden zu Festungen umgebaut. Die ukrainischen Kampfgruppen bewegten sich nicht nur innerhalb der Siedlung, sondern auch auf den Anhöhen und in dem bewaldeten Gelände außerhalb. Die 63. Mechanisierte Brigade der Streitkräfte der Ukraine nutzte die Ufer des Flusses Scherebez als natürliche Verteidigungslinie und verminte einige Abschnitte.

Nach der vollständigen Besetzung von Kirowsk stießen Russlands Streitkräfte in die Wälder südlich von Kirowsk vor und setzten sich dort fest. Somit wurde die Verbindung zur Front der russischen 25. Armee hergestellt. Einheiten dieser Armee führen seit einigen Tagen Straßenkämpfe im benachbarten Jampol, nachdem sie dorthin aus dem Serebrjanka-Forst über eine Straußenfarm vorgedrungen sind. In Jampol selbst ist der östliche Ortsteil bereits vollständig besetzt, die Kämpfe laufen im Zentrum neben den Gebäuden der Schule und des Ortsrates. Die ukrainischen Truppen können von Krasny Liman her nur noch über eine einzige Straße aus südwestlicher Richtung versorgt werden. Doch eine Unterbrechung dieses Weges ist nur eine Frage der Zeit.

Jampol, das auf einer kleinen Anhöhe liegt, ist an sich schon ein bedeutender Punkt. In der gegenwärtigen operativen Lage wird es zudem die Rolle einer äußerst wichtigen Flankenposition für die geplante Einkesselung von Krasny Liman spielen. Darüber hinaus beherrscht Jampol die windungsreichen Ufer des Flusses Sewerski Donez. Von hier aus ist es möglich, die Operationen am Frontabschnitt Sewersk zu kontrollieren – vor allem entlang der Eisenbahnlinie und bei dem kleinen Dorf Dronowka. Die ukrainischen Truppen haben versucht, Dronowka in einen Logistikhub für die Nordflanke der Verteidigung von Sewersk zu verwandeln. Russlands Streitkräfte rückten an diesem Abschnitt bereits bis zum Bergwerk Nr. 6 vor, das Sewersk deckt, und Dronowka selbst wird eingekesselt.

Krasny Liman ist ein schwieriges Ziel. Von hier aus sind es 20 Kilometer Luftlinie durch Waldgebiete bis nach Slawjansk. Und es ist die letzte große befestigte Stellung nordöstlich des Ballungsraums Slawjansk-Kramatorsk. Es gibt allen Grund zu der Annahme, dass die ukrainischen Streitkräfte die Stadt bis zum letzten Mann verteidigen werden. Zumal der russische Vorstoß aus Jampol zum größten Tagebau von Krasny Liman und dem Ufer des Sewerski Donez unweit der Ortschaft Osjornoje eine sichere südliche Flanke für die Umzingelung von Krasny Liman schaffen wird.

Am nördlichen Abschnitt ziehen sich die ukrainischen Truppen zu dem kleinen Ort Nowosjolowka zurück und versuchen, eine neue Verteidigungslinie bei Drobyschewo aufzubauen. Am mittleren Abschnitt haben sie bereits eine neue Verteidigungslinie direkt im Feld vor der Stadt errichtet, wo sie sich auf die alte sowjetische asphaltierte Landebahn des Flugplatzes von Krasny Liman stützen.

In der Stadt selbst wurden Stellungen in alten Industriegebieten befestigt. Sicher sind sie nicht so stark, wie in den Städten mit großen Industrieobjekten, doch Krasny Liman wird durch eine von Norden nach Süden verlaufende Eisenbahnlinie in zwei Hälften geteilt. Gerade deswegen könnten Stellungen entlang der Gleise, bei den Lagern, Lokhallen und Stationen zu einem ernsten Problem werden.

In jedem Fall geht die Operation zur Einkesselung von Krasny Liman und des ukrainischen Truppenverbands südlich von Sewersk in die entscheidende Phase über. Im strategischen Sinne geht es um eine konzentrierte Operation zur Umzingelung des gesamten nördlichen Donbass mit seinem großen Ballungsraum Slawjansk-Kramatorsk von drei Seiten her.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst veröffentlicht bei der Zeitung "Wsgljad" am 30. September.

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