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Von der Leyen sucht im baltischen Luftraum nach Kriegsauslöser gegen Russland

In Europa wird weiterhin intensiv über die Möglichkeit diskutiert, im Luftraum über den baltischen Staaten mit Waffengewalt gegen die russische Luftwaffe vorzugehen. So schlug EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor, russische Flugzeuge im Falle einer "Verletzung des EU-Luftraums" abzuschießen. Experten sind der Ansicht, dass ein solches Spiel mit dem Feuer die NATO und Russland praktisch an den Rand eines bewaffneten Konflikts bringt. Wie wird sich die Situation weiterentwickeln?
Von der Leyen sucht im baltischen Luftraum nach Kriegsauslöser gegen RusslandQuelle: TASS © Mindaugas Kulbis AP/TASS

Von Oleg Issaitschenko

Laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erwägen die NATO-Staaten derzeit Optionen, russische Militärflugzeuge abzuschießen, die "in den Luftraum der Bündnisstaaten eindringen". Diese Äußerung erfolgte angesichts unbegründeter Vorwürfe Estlands gegenüber Moskau wegen angeblicher Luftgrenzverletzungen.

In einem Interview mit CNN sagte von der Leyen, dass die europäischen Länder "jeden Quadratzentimeter ihres Territoriums verteidigen müssen". Dabei sollten Militärflugzeuge ihrer Meinung nach "nach einer äußerst deutlichen Warnung" abgeschossen werden. Allerdings sind nicht alle europäischen Staats- und Regierungschefs zu einem solchen Szenario bereit. So sprach sich der französische Präsident Emmanuel Macron gegen die Initiative von der Leyens aus und erklärte, er halte es für falsch, als Reaktion auf solche "Tests" seitens Russlands "das Feuer zu eröffnen".

Die Position von US-Präsident Donald Trump erwies sich als nicht eindeutig: So stimmte er zwar am Rande der UN-Generalversammlung zu, dass NATO-Staaten russische Kampfflugzeuge abschießen sollten, wenn diese in ihren Luftraum eindringen. Doch auf die Frage, ob er diese Vorgehensweise der Verbündeten unterstützen würde, vermied der US-Präsident eine direkte Antwort. "Das hängt von den Umständen ab", sagte Trump. In diesem Zusammenhang erklärte Alexei Meschkow, russischer Botschafter in Frankreich, dass ein Angriff auf russische Kampfflugzeuge aus Sicht Moskaus als Kriegsbeginn gewertet würde.

Zur Erinnerung: Der estnische Premierminister Kristen Michal meldete ein angebliches "Eindringen" dreier russischer MiG-31 in den Luftraum seines Landes. Nach Angaben Tallinns hielten sich die Flugzeuge zwölf Minuten lang im Hoheitsgebiet Estlands auf. Vor diesem Hintergrund wurde der Vertreter Russlands ins Außenministerium des Landes einbestellt. Es wurden jedoch keine Beweise für diese Behauptung vorgelegt.

Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums wurde der Flug "unter strikter Einhaltung der internationalen Regeln für die Nutzung des Luftraums und ohne Verletzung der Grenzen anderer Staaten" durchgeführt. Die Kampfflugzeuge seien von Karelien aus in Richtung des Gebiets Kaliningrad geflogen, wobei ihre Route über neutralen Gewässern verlaufen sei.

In diesem Zusammenhang sprachen sich viele EU-Länder dafür aus, russische Militärflugzeuge abzuschießen. Nach Ansicht von Experten reagierten die westlichen Staaten jedoch äußerst irrational auf diesen Vorfall. Die neutralen Gewässer (und der Luftraum) über der Ostsee betragen an der Stelle der mutmaßlichen Grenzverletzung nur drei Kilometer. Zudem lässt sich ein zwölfminütiger Aufenthalt im Luftraum kaum als "Eindringen" bezeichnen.

Auch wenn man davon ausgeht, dass russische Kampfflugzeuge tatsächlich den estnischen Luftraum verletzt haben, sieht dies in jedem Fall wie ein Zufall aus, der beispielsweise mit starkem Wind zusammenhängt. Selbst auf der von den estnischen Behörden veröffentlichten "Verletzungskarte" ist zu sehen, dass die Flugzeuge die estnische Grenze nur tangential passierten und nach Kaliningrad flogen.

Dazu äußert sich Aitetsch Bischew, ehemaliger stellvertretender Oberkommandierender der russischen Luftstreitkräfte für das gemeinsame Luftverteidigungssystem der GUS-Staaten und Generalleutnant der Reserve, wie folgt:

"Es handelt sich um einen sehr komplexen Luftraumabschnitt. Theoretisch eignet er sich am besten für eine potenzielle Provokation gegenüber Russland. Es ist wichtig zu verstehen, dass zur Enge des Luftkorridors zwischen Finnland und Estland noch die Schwierigkeiten bei der Nutzung von Radarsystemen hinzukommen."

Er fährt fort:

 "Die Technik funktioniert nicht immer einwandfrei und kann unter Umständen versagen. Es kommt häufig vor, dass wir in diesem Luftraumabschnitt, wie auch in anderen, Verstöße gegen unsere Luftraumgrenzen durch europäische Luftfahrzeuge feststellen. Manchmal kommt es auch bei ihnen zu ähnlichen Problemen. Es gibt also viele Präzedenzfälle dieser Art – und jeder einzelne muss in einer ruhigen Atmosphäre geklärt werden."

Der Experte erläutert:

"Der Abschuss eines Kampfflugzeugs stellt nach internationalem Recht die Ultima Ratio dar. Es gibt auch andere Möglichkeiten, einen 'Eindringling' zu stoppen: Man kann versuchen, mit ihm Kontakt aufzunehmen und ihn zur Landung auf einem Flugplatz des Landes zu zwingen, in dem die Verletzung stattgefunden hat. Insgesamt gibt es viele Optionen, und wenn man will, kann man solche Situation friedlich lösen."

Bischew betont:

"Wenn die Europäer jedoch beabsichtigen, auf diese Weise eine militärische Provokation für künftige, schwerwiegendere Militäraktionen zu schaffen, werden sie nicht darauf achten, welche Rechtsnormen in dieser Hinsicht überhaupt existieren. Eine andere Frage ist, dass ein Angriff auf ein Militärflugzeug von Estland aus eine ziemlich komplexe Aufgabe darstellt. Dieses Land verfügt über keine eigenen Luftstreitkräfte, dort sind nur die NATO-Flugzeuge stationiert."

Er merkt an:

"Dementsprechend muss Tallinn für jegliche militärischen Maßnahmen die entsprechende Genehmigung der NATO-Führung abwarten, was zu einer erheblichen Verzögerung der Planumsetzung führt. Mit seinen eigenen militärischen Mitteln wird Estland kaum in der Lage sein, russische Maschinen abzuschießen. Dennoch sollten diese Drohungen nicht unterschätzt werden, da die Europäer beginnen, mit dem Feuer zu spielen."

Der Militärexperte Alexei Anpilogow ist ebenfalls der Ansicht, dass von der Leyen mit ihren Äußerungen den Westen zu einer direkten Konfrontation mit Russland anstachelt und damit die möglichen diplomatischen Kontakte unterbindet. Er fügt hinzu:

"Man sollte jedoch bedenken, dass sie eine 'Bürokratin im Vakuum' ist, die keine Verantwortung trägt und daher bedenkenlos zu allem aufrufen kann."

Interessanterweise stimmen die Positionen der EU-Kommissionspräsidentin und Macrons, der bislang äußerst militaristisch auftrat, in der Frage des Abschusses russischer Kampfflugzeuge nicht überein. Anpilogow kommentiert dies wie folgt: "Der französische Präsident erwies sich als derjenige, der die Folgen einer solchen Entscheidung besser einschätzen kann." Der Experte betonte, dass NATO-Kampfflugzeuge den Luftraum über den baltischen Staaten überwachen, und präzisierte in diesem Zusammenhang:

"Wenn Emmanuel Macron die Idee unterstützen würde, russische Militärflugzeuge abzuschießen, müssten französische Piloten diesen Befehl ausführen. Mit anderen Worten: Die Verantwortung des Präsidenten der Fünften Republik ist persönlich und nicht kollektiv, wie es bei Ursula von der Leyen der Fall ist."

Anpilogow wies auch auf die "Brüchigkeit" der Grenzen im Finnischen Meerbusen hin. Zuvor hatten Moskau, Tallinn und Helsinki eine gemeinsame Kompromisslösung gefunden. Nun zeigen unsere Nachbarn jedoch eine wenig konstruktive Haltung, und Estland erhebt sogar unbegründete Vorwürfe wegen Luftraumverletzungen. Es stellt sich die Frage, wie die NATO-Staaten weiter vorgehen werden.

Anpilogow argumentiert:

"Die Äußerung Ursula von der Leyens stellt faktisch einen Aufruf an die Randstaaten nahe der russischen Grenze dar, auf eigene Gefahr und Risiko für die Zwecke der westeuropäischen Länder zu agieren. Mit anderen Worten: Denjenigen, die angeblich einer 'russischen Aggression' ausgesetzt sein sollten, wird empfohlen, sich gegenüber Moskau so feindselig wie möglich zu verhalten."

Er fügt hinzu:

 "Dabei muss es nicht unbedingt zu einer kollektiven Militärmaßnahme seitens der NATO kommen. In diesem Fall ist ein Doppelspiel zu beobachten: Die Antwort auf die von Russland begangenen 'Verletzungen' würde nicht von der gesamten NATO kommen, sondern von einem einzelnen, für andere europäische Mächte eher unbedeutenden Land – wie Estland oder Finnland. Anschließend würde sich um diesen Konflikt herum ein System militärischer Gegenmaßnahmen gegen Russland aufbauen."

Auch Provokationen seitens der Europäer sollten nicht ausgeschlossen werden. "Sie können ziemlich riskante Schritte unternehmen, wie etwa die Blockade des Gebiets Kaliningrad. Daher sollten Aufrufe, russische Militärflugzeuge abzuschießen, äußerst ernst genommen werden. Denn wenn Ihr Nachbar Ihnen verspricht, Sie zu töten, sollten Sie überprüfen, ob er wirklich eine Waffe besitzt", erklärt Anpilogow.

Der deutsche Politologe Alexander Rahr merkt an:

"Emmanuel Macron trägt als Präsident Frankreichs und Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte eine große Verantwortung. Er steht gegenüber den Franzosen, seinen Wählern, für seine Worte und Taten in der Verantwortung. Als Politiker muss er alle Risiken einer Militäraktion abwägen."

Er fährt fort:

"Ursula von der Leyen ist lediglich eine Beamtin der Eurobürokratie. Dennoch hat sie sich selbst zur obersten Feldmarschallin Europas und zum führenden kriegerischen Sprachrohr ernannt."

Ihm zufolge wird nicht die EU-Kommissionspräsidentin über den Abschuss russischer Flugzeuge entscheiden, sondern Macron.

"Mit anderen Worten, Ursula von der Leyen überschreitet ihre Befugnisse. Aber niemand weist sie zurecht", fasst Rahr zusammen und erklärt, dass Versuche, den Hochmut dieser EU-Beamtin auszutreiben, als "prorussisch" angesehen würden. Schließlich herrscht in Europa derzeit eine russophobe Stimmung.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 25. September 2025 zuerst auf der Homepage der Zeitung Wsgljad erschienen.

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