International

Der Dritte Weltkrieg – dieses Mal in der Wirtschaft

Eine Lösung des Ukraine-Konflikts hängt immer stärker von einer Umgestaltung der gesamten Weltordnung ab. Der Dritte Weltkrieg läuft in wirtschaftlicher Dimension ab, und die USA scheinen den Kampf an zwei Fronten gegen Russland und China zu verlieren.
Der Dritte Weltkrieg – dieses Mal in der WirtschaftQuelle: Gettyimages.ru © da-kuk

Von Alexandr Jakowenko

Die Schwierigkeiten beim Erreichen einer Übereinkunft im Ukraine-Konflikt, auf die Moskau mehrmals hingewiesen hat, sind offensichtlich nicht nur im Hinblick auf das Regime in Kiew, das seine Legitimität verloren hatte. Auch westliche – vor allem europäische – Hauptstädte haben sich in eine rhetorische Sackgasse getrieben und sind unwillig, ihre unvermeidliche Niederlage bei diesem Versuch, die "russische Frage" zu lösen, zu akzeptieren. Wird ein breiterer Kontext oder dessen grundlegende Transformation helfen, eine langfristige Lösung des Problems und einen stabilen Frieden unter Berücksichtigung der Ursachen der Ukraine-Krise zu erreichen? Es wird immer offensichtlicher, dass einer dieser Gründe der Zustand des Westens als Gesellschaft, Zivilisation und politische beziehungsweise geopolitische Gemeinschaft ist.

Es bestehen kaum Zweifel daran, dass die westliche Gesellschaft eine Krise erlebt, die mit jener vergleichbar ist, die zum Ersten Weltkrieg geführt hat. Davon zeugen die jüngsten Demonstrationen und sonstige Aktionen in Frankreich und Großbritannien sowie die Popularitätszunahme von nichtsystemischen alternativen politischen Kräften und Bewegungen überall in Europa, darunter in Deutschland. Bundeskanzler Friedrich Merz behauptete, dass es keine Mittel gebe, um den Sozialstaat zu finanzieren. Unter dem Vorwand einer "russischen Bedrohung" wird also die Wahl von Kanonen statt Butter aufgezwungen. Im Übrigen glaubt Donald Trump an diese Bedrohung nicht. In seiner Person machte das konservative Segment des US-Establishments eine Wahl zugunsten der "Revolution des gesunden Menschenverstands".

Kurz: Europa vollbrachte eine Kreisbewegung. Zum Preis von zwei Weltkriegen und der russischen Revolution hatte es zuvor eine sozial orientierte Wirtschaft geschaffen (die "Sozialisierung" der Wirtschaft erfolgte in der Nachkriegszeit unter anderem als Reaktion auf die sowjetische Herausforderung). Und nun – wohlbemerkt nach dem Zusammenbruch der UdSSR – kommen die europäischen Eliten durch die Logik der neoliberalen Wirtschaftspolitik zum alten Rezept, um das Problem der überfälligen Transformation der Gesellschaft zu lösen. Diese Lösung heißt Krieg und Militarisierung der gesamten Wirtschaft und europäischen Politik.

Der Kreis hat sich geschlossen. Doch nicht alles ist so einfach. Im Ergebnis zweier Weltkriege bildete sich der einheitliche historische Westen. Auch hier gibt es ein russisches Erbe: Ohne die entscheidende Rolle der Sowjetunion bei der Niederschlagung des Nazideutschlands und des militaristischen Japans hätten die Angelsachsen die innerwestliche Bipolarität nicht durch die Besatzung ihrer beiden Wettbewerber um die Vorherrschaft in westlicher Zivilisation und die Weltpolitik beseitigen können.

Inzwischen ist in der westlichen Gemeinschaft eine Spaltung herangereift. Auf der einen Seite steht das "alte Europa", wo die liberal-globalistische Elite mithilfe eingeborener Instinkte und alter Strategien ums eigene Überleben kämpft. Auf der anderen Seite stehen die USA, die sich als Supermacht des 21. Jahrhunderts positionieren, die sich von den Fesseln der Globalisierung und des inzwischen für das Metropol nachteiligen globalen Imperiums löst und die ihre Verbündeten frei nach dem Finanzminister Scott Bessent als "Investmentfonds" betrachtet. In Washington besteht Einigkeit darüber, dass die Hauptbedrohung für die "amerikanische Vorherrschaft" ("primacy") von China ausgeht. Dort hat man längst verstanden, dass es nicht wie bei dem berüchtigten "Zweifrontenkrieg" gelingen wird, China und Russland gleichzeitig einzudämmen. Gerade deswegen wurde der Versuch unternommen, mit Russland zu beginnen, doch das ukrainische Projekt erwies sich als ähnlich abenteuerlich wie die deutschen Pläne der Zweifrontenkriege zuvor. Daher wird es notwendig, die Niederlage einzuräumen und weiterzugehen und Moskau gegen Peking aufzuspielen, oder mit anderen Worten Russlands "strategische Autonomie" von China zu erwirken.

Gleichzeitig wurde im Verlauf des ukrainischen Konflikts klar, dass die militärischen Ressourcen, um auf Russland gewaltsam einzuwirken, unzureichend sind. Folgerichtig gilt dies auch für China, das seine Armee modernisiert und bereits im Jahr 2030 bei der Stärke der strategischen Eindämmungskräfte das Niveau von Russland und den USA erreichen wird. Somit wurde in der Ukraine nicht nur Zeit, sondern auch der Ruf der militärischen Dominanz verloren. Gerade deswegen setzen die USA auf eine komplexe wirtschaftliche und technologische Isolation Chinas bei gleichzeitiger Normalisierung der Beziehungen zu Russland. Dieser steht der unbeendete Konflikt des Westens gegen Russland in der Ukraine im Wege.

Die Anstandsregeln fordern von Trump, aus diesem Konflikt auf dem Weg seiner Beendigung zu den Bedingungen des Westens herauszutreten. Dies würde ein Einfrieren des Konflikts bedeuten, was ausgeschlossen ist. Russland hat eine stärkere Position (und tief im Inneren respektieren US-Amerikaner Stärke und verachten "Schwächlinge"), und Moskau gab klar zu verstehen, dass es praktisch unmöglich ist, mit Kiew einen vollwertigen Friedensvertrag zu schließen. Ohne diesen wird es wohlgemerkt keinen Wiederaufbau dessen geben, was von der Ukraine übrig bleiben wird. Nun liegt die Entscheidung bei Trump, und er bringt das Thema der Eindämmung Chinas in die Ukraine-Frage ein. Die Möglichkeit von neuen antirussischen Sanktionen demonstriert er, indem er seine Verbündeten Tarife von 50 bis 100 Prozent gegen China und Indien einführen lässt. Südkorea und Mexiko willigten bereits ein, doch Japan weigerte sich – wie auch für die EU käme dies für Japan dem Tod gleich, und Tokio ist nicht zu einem wirtschaftlichen Seppuku bereit. Ebenso wenig bereit sind dazu die USA, die sich an Pekings faktischem Monopol für Seltenerdmetalle, die für jede moderne hochtechnologische Produktion benötigt werden, die Zähne ausgebissen haben.

Von europäischen Verbündeten wird nichts weniger als Selbstaufopferung gefordert, was in der westlichen Weltanschauung völlig fehlt. Ob es Trump gelingen wird, irgendetwas von Europa zu erreichen, werden die Ergebnisse seines Staatsbesuchs in Großbritannien zeigen. Doch zu England haben die USA lange historische Beziehungen, darunter deren "besonderer" Charakter in der Nachkriegszeit. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Großbritannien den Vorschlag erhält, sich von der "gemeinsamen Front" mit dem kontinentalen Europa zu lösen und der angelsächsischen Allianz mit Zentrum in Washington beizutreten – zumal London mit dem EU-Austritt einen Schritt in diese Richtung bereits getan hat.

Hinzu kommt eine tiefere Geschichte – die britische Tradition der "Splendid Isolation" und der Aufrechterhaltung des "europäischen Gleichgewichts" im 19. Jahrhundert. Im Übrigen sprach Winston Churchill in seiner von der Truman-Administration unterstützten Fulton-Rede im März 1946 von einer "Führerschaft der englischsprachigen Länder in der freien Welt". Daher müsste England in seiner traditionellen internationalen Positionierung nur einige Akzente versetzen und sich der Strategie anschließen, Ressourcen des kontinentalen Europas als Verbrauchsmaterial zum Wiederaufbau der wirtschaftlichen und technologischen Macht der USA zu nutzen. In diesem Fall müsste man einräumen, dass der amerikanische Unabhängigkeitskrieg nur noch ein dritter Akt der englischen Revolution war – nach der Glorreichen Revolution des Jahrs 1688, als London von Truppen des Wilhelms von Oranien besetzt wurde.

Dann würde England auf Versuche verzichten müssen, taktische Nuklearwaffen zu erhalten, um mit Frankreich bezüglich der "nuklearen Eindämmung" Russlands gleichzuziehen, was eine weitere Hürde für die russisch-amerikanische Normalisierung bedeuten würde. Europa sollte verstehen, dass es nur ein strategisches Gleichgewicht gibt, nämlich zwischen den USA und Russland. Und jegliche Bedrohungen von Russland können nicht außerhalb dieses Kontexts gesehen werden, denn sowohl die NATO als auch einzelne Verbündete der USA leiten sich daraus ab. Während des Kalten Kriegs sahen die USA einen Einsatz von taktischen Nuklearwaffen gegen vorrückende sowjetische Truppen auf europäischem Gebiet außerhalb des eigentlichen US-Gebiets gerade deswegen vor, weil sie andernfalls einen Vergeltungsschlag gegen eigenes Territorium riskierten. Und wie Russland mehrmals betonte, hat es keine Absicht, in Europa einzufallen.

Zudem sollte London verstehen, dass inzwischen, wie bereits zweimal in der Geschichte geschehen, der Dritte Weltkrieg läuft, allerdings im Format eines Wirtschaftskriegs. Anders lässt sich die westliche Gesellschaft nicht umformatieren. In diese Logik passt auch die Tatsache, dass das vereinte Europa immer zu einem antirussischen Imperium wird, ob als Napoleons Imperium oder als Drittes Reich. Die gegenwärtige Europäische Union stellt das "vierte wirtschaftliche Reich" Deutschlands dar, was auch Deutsche selbst einräumen. Und wenn Europa überhaupt Chancen hat, als Zivilisation zu überleben, dann nur unter den Fittichen der Angelsachsen. All das ist indirekt, wenn auch vieles verschleiert sein wird, wie auch Trumps Streben, aus dem Ukraine-Konflikt ohne Verluste herauszutreten. Darüber hinaus gibt es in den USA Anzeichen für eine Stagflation, und auf der laufenden Sitzung der Fed muss entschieden werden, wie realistisch diese ist, worauf die Entscheidung über den Refinanzierungssatz hindeuten wird.

Wieder wie bei Bill Clinton vor 30 Jahren: "Es geht nur um die Wirtschaft!", nur jetzt für Amerika auf globaler Ebene. 

Unter den Bedingungen eines totalen Wirtschaftskriegs des Westens gegen Russland in Form des Sanktionsdrucks konnte es gar nicht anders kommen: Die US-amerikanische Wirtschaft wurde zum Vorläufer und Teil eines globalen Kriegs. Washington ist in einer viel schwächeren Position und steht vor der Aufgabe, erst den wirtschaftlichen Druck auf China umzustellen und es von allen Märkten abzuschneiden, darunter vom europäischen Markt. Dabei arbeiten russische Energieträger dieses Mal nicht zum Vorteil von Europa – was Europas bewusste Wahl war –, sondern für die Partner der eurasischen Integration im Rahmen der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 18. September.

Mehr zum Thema:  Wiederaufleben der Blockfreien Bewegung – geopolitische Niederlage des Westens

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.