
Energie-Aorten Eurasiens wachsen – Europa genießt stummen Herzinfarkt

Von Elem Chintsky
Der Gazprom-Chef Alexej Miller ließ am Dienstag verlautbaren, dass Peking, Moskau und Ulaanbaatar ein Memorandum über den Bau der Transit-Erdgaspipeline "Sojus-Wostok" (zu Deutsch: "Union-Osten") nach China durch die Mongolei unterzeichnet haben. Dieses trilaterale Staatsdokument ist rechtlich bindend. Auch genannt "Kraft Sibiriens 2", soll diese neue Pipeline die bereits arbeitende, bilaterale "Kraft Sibiriens 1" (zwischen China und Russland direkt) im Liefervolumen weit übersteigen.
Das neue Projekt soll die Lieferung von 50 Milliarden Kubikmetern Erdgas pro Jahr von Russland über die Mongolei nach China ermöglichen. Die im Jahr 2014 vertraglich beschlossene und 2019 in Betrieb genommene "Kraft Sibiriens 1" lieferte bisher 38 Milliarden Kubikmeter russischen Erdgases an China. Das druckfrische Memorandum hat aber auch den Inhalt, dass dieselbe "Kraft Sibiriens 1" nun dieses Arbeitsvolumen auf 44 Milliarden Kubikmeter erhöhen wird. Zu all dem kommt noch hinzu, dass über die kleinere "Fernost-Route" – auch "Kraft Sibiriens 3" genannt – von 10 auf 12 Milliarden Kubikmeter pro Jahr erhöht wird.

Diese historisch bedeutenden Energie- und Infrastrukturprojekte Eurasiens finden statt, während das Echo der zerbombten Nord-Stream-Pipelines die europäische kognitive Dissonanz und den dort von geheuchelter Lebensbejahung verschleierten Todestrieb weiter füttert. Nur ein chirurgischer Elitenwechsel Europas könnte da noch für Abhilfe sorgen. Aber am deutschen Beispiel sieht man, wie dieselben Leute immer wieder ins Amt gewählt werden, ohne dass ein radikaler Kurswechsel veranlasst wird. Der aushöhlende Energie-Deal, den die EU-Kommissionschefin mit Donald Trump vereinbarte, müsste eigentlich diesen zivilisatorischen Todestrieb Europas offenlegen. Dass er dies nicht tut, spricht für die Ausweglosigkeit, in der der alte Kontinent sich unwissend wiegt.
Zurück zu dem Fortschritt, der im fernen Osten Asiens, abseits europäischer Wege und Zuständigkeiten, betrieben wird. Um allein das Ausmaß der bereits arbeitenden "Kraft Sibiriens 1" zu verstehen: Die Baukosten (ungefähr 55 Milliarden Euro) beliefen sich auf das Fünffache der von "Nord Stream 2", aber die Fertigstellung war fast doppelt so schnell. Während keine der beiden Nord Stream-Pipelines arbeitet, stellen die Chinesen und Russen bereits die nächsten auf die Schienen.
Sind also alle offiziellen Energiewege nach Europa trocken gelegt? Trotz der jüngsten Bombardierungen der russischen Erdöl-Pipeline "Druschba" (zu Deutsch: "Freundschaft") durch das Kiewer Regime gibt es noch die Erdgas-Pipeline "TurkStream", durch die vom kontinentalen Südosten Europas russische Energie fließt.
Der Hauptnutznießer in diesem Fall ist Erdoğans Türkei. Auch das ständig von der EU belästigte Serbien profitiert bisher. Es sollte jedoch klar sein, dass "wer auch immer" für den plötzlichen und terroristischen Stopp von Nord Stream verantwortlich ist, auch nach einer baldigen Vernichtung von "TurkStream" trachtet. Wie würde das alte NATO-Mitglied Türkei darauf reagieren? Es könnte sich als einer der entscheidenden Nägel im selbst verschuldeten NATO-Sarg entpuppen.
Dabei betrugen die Erdgasexporte aus Russland in die EU über die "TurkStream"-Pipeline von Januar bis August dieses Jahres 11,5 Milliarden Kubikmeter – das sind 6,7 Prozent Wachstum im direkten Jahresvergleich. Das gesamte Potenzial der Pipeline ist dabei bei weitem nicht ausgeschöpft: Die totale Kapazität beträgt 31,5 Milliarden Kubikmeter, wonach zurzeit nur ein Drittel dessen bedient wird.
Der Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) in Tianjin, China, ist ein enormer Katalysator für konkretes Handeln im "Heartland" ("Herzland"), zu dem dem US-amerikanisch-angelsächsischen Establishment mehr und mehr der Zutritt verweigert wird. Gibt es vergebliche Versuche, das noch umzukehren? Durchaus. Der Ukrainekonflikt ist einer von ihnen. Aserbaidschan, Israel mit Iran, aber auch Taiwan sind weitere Spannungsgebiete, die Washington D. C. zur Erhaltung der einstigen Hoheit zu nutzen versucht. Das humpelnde Brüssel arbeitet dabei mithilfe der hegemonial ewig gestrigen Engländer den Amerikanern zu, wo es nur kann.
Die chinesische Initiative des "One Belt, One Road", die Arbeit der Eurasischen Wirtschaftsunion, das mongolische Konzept der "Steppenstraße" und die BRICS-Gruppe als Ganzes arbeiten auf der gesamten "Weltinsel Mackinders" auf eine synergetische Zukunft hin. Energie ist der Schlüssel für das 21. Jahrhundert, und unter Peking und Moskau realisiert Eurasien monumentale Projekte – wie das russische Gazprom ein ums andere Mal demonstriert. Beim jüngsten SCO-Gipfel soll Xi Jinping Narendra Modi mit den Worten "Es ist Zeit, dass Elefant und Drache miteinander tanzen" begrüßt haben. Dieser Tanz ist die wohl treffendste Metapher für die eben beschriebene Synergetik – und der russische Bär tanzt friedfertig mit.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.
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