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Die alte Weltordnung wurde in China begraben: Warum der SOZ-Gipfel so wichtig war

Bei dem Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit in Tianjin bekräftigten Xi, Putin und Modi die Forderung nach einem multipolaren System unter Führung der Vereinten Nationen. Während sich die eurasischen Blöcke zusammenschließen und die EU ins Abseits gedrängt wird, wird die US-geführte unipolare Ordnung zunehmend herausgefordert.
Die alte Weltordnung wurde in China begraben: Warum der SOZ-Gipfel so wichtig warQuelle: Gettyimages.ru © Ma Di/VCG via Getty Images

Das jüngste Treffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) im chinesischen Tianjin sieht auf den ersten Blick wie ein weiteres Gipfeltreffen aus – Händeschütteln, Familienfotos, vorbereitete Erklärungen. Aber das zweitägige Treffen, das Montag endete, war mehr als nur diplomatisches Theater: Es war ein weiterer Meilenstein für das Ende der von den Vereinigten Staaten dominierten unipolaren Ära und den Aufstieg eines multipolaren Systems, dessen Zentrum Asien, Eurasien und der globale Süden bilden.

Am Tisch saßen der chinesische Präsident Xi Jinping, sein russischer Amtskollege Wladimir Putin und der indische Premierminister Narendra Modi – zusammen repräsentieren sie mehr als ein Drittel der Menschheit und drei der größten Länder der Erde.

Xi stellte eine umfassende Initiative zur Global Governance vor, darunter den Vorschlag einer SOZ-Entwicklungsbank, die Zusammenarbeit im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) und die finanzielle Unterstützung für Entwicklungsländer. Putin bezeichnete die SOZ als "ein Instrument für echten Multilateralismus" und forderte ein eurasisches Sicherheitsmodell, das sich der Kontrolle des Westens entzieht. Modis Anwesenheit – sein erster Besuch in China seit Jahren – und die eindrucksvolle Inszenierung seines Treffens mit Putin signalisierten, dass Indien bereit ist, sich als Teil dieser neuen Ordnung zu verstehen.

Was da gerade passiert ist (und warum es mehr ist als nur ein Fototermin)

Der Vorschlag: Xi wirbt für eine Ordnung, die die Global Governance "demokratisiert" und die Abhängigkeit von der US-zentrierten Finanzwelt verringert (weniger am US-Dollar ausgerichtet, mehr regionale Institutionen). Putin bezeichnete die SOZ als Vehikel für "echten Multilateralismus" und eurasische Sicherheit. Indem er China als Partner und nicht als Rivalen bezeichnete, signalisierte Modi, dass Neu-Delhi sich nicht Washingtons Anti-China-Agenda anschließen wird.

Das Publikum: Mehr als 20 nicht-westliche Staats- und Regierungschefs waren anwesend, und UN-Generalsekretär António Guterres unterstützte die Organisation der Veranstaltung – kein Clubtreffen im Verborgenen, sondern ein UN-zentrierter Rahmen bei einem von China geleiteten Forum.

Übersetzung: "Wir wollen die UN-Charta zurück – nicht die internen Regeln anderer"

Die Linie Pekings ist unverblümt: Ablehnung der Blöcke des Kalten Krieges und Wiederherstellung des UN-Systems als einzige universelle Rechtsgrundlage. Das ist eine direkte Kritik an der nach 1991 entstandenen "regelbasierten internationalen Ordnung", die in Washington oder Brüssel entworfen und selektiv durchgesetzt wurde.

Beispiele dafür sind nicht schwer zu finden. Die NATO-Bombardierung Jugoslawiens im Jahr 1999 erfolgte ohne UN-Mandat und wurde mit der "Schutzverantwortung" gerechtfertigt. Die von den USA angeführte Invasion des Irak im Jahr 2003 wurde trotz fehlender Zustimmung des UN-Sicherheitsrates gestartet – ein Krieg, der später sogar von westlichen Politikern als auf falschen Prämissen beruhend eingestanden wurde. Im Jahr 2011 nutzte die NATO eine UN-Resolution, die eine Flugverbotszone über Libyen genehmigte, um einen regelrechten Regimewechsel zu erreichen, wodurch ein gescheiterter Staat zurückblieb und ein Korridor des Elends in das Herz Westeuropas hinein entstand.

Für China, Russland und viele Staaten des Globalen Südens bewiesen diese Ereignisse, dass es bei der "regelbasierten Ordnung" nie um universelles Recht ging, sondern um westliche Willkür. Die Forderung in Tianjin, die UN-Charta als einzigen legitimen Rahmen wiederherzustellen, soll das Blatt wenden: Die Argumentation lautet, dass die SOZ, die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika und die neuen Mitglieder Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate sowie Indonesien) und ihre Partner die tatsächlichen Regeln des Völkerrechts verteidigen, während der Westen diese durch Ad-hoc-Koalitionen und wechselnde Standards ersetzt, die seinen eigenen Interessen dienen.

Sowohl Xi als auch Putin brachten diesen Aspekt auf den Punkt, allerdings in unterschiedlicher Weise.

Xis Linie: Der chinesische Staatschef verurteilte "Hegemonialismus und Mobbing" und forderte eine "Demokratisierung der Global Governance". Wobei er betonte, dass die SOZ als Modell für echten Multilateralismus dienen sollte, der in der UNO und der Welthandelsorganisation (WTO) verankert ist und nicht in Ad-hoc-"Regeln", die von einigen wenigen westlichen Hauptstädten ausgearbeitet wurden.

Putins Linie: Russlands Präsident ging noch weiter und warf den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten vor, direkt für die Eskalation des Konflikts in der Ukraine verantwortlich zu sein. Er argumentierte, dass die SOZ einen Rahmen für eine echte eurasische Sicherheitsordnung biete – eine, die nicht von der NATO oder den vom Westen auferlegten Standards diktiert werde.

Die bereits vorhandene Architektur, die die Unipolarität ersetzt 

Sicherheitssäule: Die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit bringt Russland, China, Indien und zentralasiatische Staaten zusammen, um Sicherheit, Terrorismusbekämpfung und Nachrichtendienste zu koordinieren – das Hard-Power-Gerüst, das alles andere möglich macht.

Wirtschaftsforen: Die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) wurden 2024 um Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate erweitert, 2025 folgte Indonesien.

Mit ihrer Neuen Entwicklungsbank und ihrem Bestreben, den Handel in nationalen Währungen zu fördern, fungieren sie nun als Gegengewicht zur Gruppe der Sieben (G7).

Regionales Gewicht: Die Vereinigung südostasiatischer Staaten (ASEAN) – ein zehnköpfiger Block, der den asiatischen Handel und dessen Standards prägt – stimmt sich zunehmend mit den Projekten der SOZ und der BRICS ab.

Energiehebel: Der Golf-Kooperationsrat (GCC), sechs arabische Monarchien, koordiniert die Politik über die größere Organisation der Erdöl exportierenden Länder Plus (OPEC+), wodurch sie die Kontrolle über wichtige Ölströme erhalten.

Zusammengenommen fungieren diese Gremien bereits als paralleles Regierungssystem, das keine westliche Unterstützung oder Vetomacht benötigt.

Die Bedeutungslosigkeit der EU

Die Europäische Union (EU) ist in Tianjin nicht vertreten – und diese Abwesenheit spricht Bände. Einst als zweiter globaler Pol gepriesen, ist Europa heute in Verteidigungsfragen an die NATO gebunden, von externen Energiequellen abhängig und intern zersplittert. Selbst sein Vorzeigeprojekt, der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM), hat die Beziehungen zu Indien und anderen Volkswirtschaften des Globalen Südens getrübt. In Tianjin war Europa kein Entscheidungsträger, sondern nur Zuschauer.

Nach den Gesprächen: die Panzer

Der SOZ-Gipfel findet vor der Militärparade zum Tag des Sieges in Peking am 3. September statt, mit der an den 80. Jahrestag der Kapitulation Japans im Zweiten Weltkrieg erinnert wird. Xi, Putin und der nordkoreanische Staatschef Kim Jong-un, mit dem Moskau ein bilaterales Sicherheitsabkommen geschlossen hat, werden gemeinsam dabei sein, wenn Peking Interkontinentalraketen, Langstreckenwaffensysteme und Drohnenformationen präsentiert.

Das Spektakel wird wahrscheinlich zeigen, dass Multipolarität nicht nur eine Form der diplomatischen Sprache ist, sondern dass sie durch die zur Schau gestellte Hard Power untermauert wird.

Warum Tianjin über Tianjin hinaus von Bedeutung ist

Ein konkurrierendes Regelwerk mit Institutionen: Von einer Bank der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit über BRICS-Finanzierungen bis hin zu einer möglichen Koordinierung zwischen ASEAN und GCC gibt es nun einen Verfahrensweg, um ohne westliche Aufsicht zu handeln.

"UN first": Durch die Verankerung der Legitimität in der UN-Charta positioniert der Block westliche "regelbasierte" Rahmenwerke als parteiisch.

Indiens Kalkül: Modis öffentliche Handschläge mit Xi und Putin haben ein eurasisches Dreieck normalisiert, das Washington und Brüssel nicht so leicht zerbrechen können.

Europas schwindendes Veto: EU-Vorschriften wie der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus bestimmen nicht mehr die Agenda in Eurasien, wo Energie, Handel und Sicherheit anderswo koordiniert werden.

Das Fazit

Bei dem Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit in Tianjin ging es weniger um formelle Reden als um Symbolik. Es signalisierte, dass die unipolare Welt zu Ende ist. Von Entwicklungsbanken über Energiekorridore bis hin zu Raketenparaden nimmt eine neue multipolare Ordnung Gestalt an – und sie braucht dafür keine Zustimmung des Westens mehr.

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