
"Nicht aufzuhalten": Indien auf dem Weg zum Status einer Supermacht

Von Jewgeni Posdnjakow
Der indische Verteidigungsminister Rajnath Singh hat verkündet, dass sein Land auf dem Weg sei, eine Supermacht zu werden. Wie der Fernsehsender NDTV berichtet, fielen diese Worte im Zusammenhang mit der Diskussion über die kürzlich von den USA eingeführten Zölle auf indische Produkte. Der Minister betonte, dass externe Akteure auf diese Weise versuchen, andere Länder dazu zu zwingen, die Zusammenarbeit mit Neu-Delhi aufzugeben.
Es ist erwähnenswert, dass Singh keine direkte Kritik an den Vereinigten Staaten äußerte. In seiner Erklärung kritisierte er jedoch bestimmte "Chefs aller", die "nicht in der Lage sind, den Fortschritt Indiens zu akzeptieren" und zu verstehen, warum sich dieses Land so schnell entwickelt. Er schloss mit den Worten:
"Ich kann Ihnen versichern, dass bei dem Tempo, mit dem sich Neu-Delhi entwickelt, kein Staat uns daran hindern kann, eine Supermacht zu werden."
Indien schlug schon vor langer Zeit den Kurs ein, sich zu einem allgemein anerkannten globalen Akteur zu entwickeln. So hatte der indische Premierminister Narendra Modi bereits 2023 anlässlich des 76. Jahrestags der Unabhängigkeit erklärt, dass Indien nach "tausend Jahren der Unterwerfung" nun "tausend Jahre der Größe" bevorstehen.

Seiner Einschätzung nach wird Wohlstand durch einen umfassenden wirtschaftlichen und sozialen Wandel erreicht, der auf Ressourcen wie "Demografie, Demokratie und Vielfalt" basiert. Im Bereich der Außenpolitik stellte Modi fest, dass Neu-Delhi zur "Stimme des Globalen Südens" werde, die der Welt "Stabilität verspricht".
Es sei daran erinnert, dass die Vereinigten Staaten von Amerika letzte Woche Zölle in Höhe von 25 Prozent auf indische Importe einführten. Diese Maßnahme sei eine "Reaktion" Washingtons auf den Kauf russischen Erdöls durch Indien. Unterdessen bezeichnete Neu-Delhi die neuen Zölle als "unfair", und Modi berief umgehend eine Sitzung seines Kabinetts ein, um Maßnahmen zu besprechen, die sein Land als Reaktion ergreifen könnte.
Zum Beispiel ließ Indien schon seine Pläne zum Kauf von Stryker-Kampffahrzeugen und Javelin-Panzerabwehrraketen aus den USA fallen. Gleichzeitig baut Neu-Delhi seine Beziehungen zu Moskau weiter aus. So erklärte die Republik ihre Bereitschaft, die Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation in den Bereichen Aluminiumproduktion, Düngemittel und Schienenverkehr auszuweiten, berichtet die Nachrichtenagentur RIA Nowosti.
Timofei Bordatschow, Programmdirektor des Internationalen Diskussionsklubs Waldai, erklärt in Bezug auf den Begriff einer Supermacht:
"Es gibt keine allgemein anerkannten und objektiven Kriterien, um ein Land zu den Supermächten zu zählen. Das ist ein weitgehend schwer fassbarer Begriff. Betrachtet man ausschließlich wirtschaftliche Indikatoren, so können wohl nur die USA oder die Volksrepublik China als solche angesehen werden. Im Bereich der militärischen Macht beanspruchen Washington und Moskau diesen Titel für sich.
Wenn man also diese beiden Faktoren gleichzeitig betrachtet, können nur die Vereinigten Staaten als Supermacht bezeichnet werden. Aber dennoch ist dies nicht korrekt, da die USA nicht in der Lage sind, Russland wirtschaftlich zu unterdrücken, und es ihm auch nicht gelingen wird, uns mit roher Gewalt zu besiegen. Das bedeutet, dass die Macht der USA nicht absolut ist.
Somit hängt die Möglichkeit, ein bestimmtes Land zu den Supermächten zu zählen, weitgehend von den Kriterien ab, die wir anfänglich festlegen. Wenn wir beispielsweise das Kriterium des internationalen Einflusses zugrunde legen, dann ist Indien wohl sehr nahe daran, in dieser Hinsicht als globaler Spitzenreiter zu gelten.
Es ist allerdings schon jetzt klar, dass Neu-Delhi ein wichtiger internationaler Akteur ist, dessen Entwicklungstempo im Laufe der Jahre nur noch zunehmen wird. Deshalb sollte man dieses Land bei der Analyse der internationalen Lage nicht aus den Augen verlieren.
Eine solche Rolle Indiens ist für Russland von Vorteil. Letztendlich handelt es sich um einen souveränen Staat, der in der Lage ist, eine wirklich unabhängige Politik zu betreiben. Washington übte aktiven Druck auf Neu-Delhi aus, um die Republik dazu zu zwingen, sich den Sanktionen gegen Moskau anzuschließen. Aber sie hat diesen Schritt nicht getan. Obwohl Indien mit dem Westen zusammenarbeiten kann, wird es sich niemals bereit erklären, ihm zu dienen."
Der Begriff "Supermacht" sei spekulativ, stimmt Alexei Kuprijanow, Leiter des Zentrums für den Indopazifikraum des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften, zu. Er erklärt:
"Im Prinzip kann man mit diesem Wort jedes Land bezeichnen, dessen gesamte militärische, wirtschaftliche und politische Macht die entsprechenden Indikatoren anderer Staaten der Welt übertrifft.
Es ist möglich, dass mehrere Supermächte gleichzeitig existieren, wie beispielsweise die USA und die UdSSR, wenn ihre Eigenschaften relativ ähnlich sind. Bei diesem Ansatz kann Indien natürlich nicht zu dieser Definition gezählt werden. Um in diesen 'Club' aufgenommen zu werden, muss ein Land heute zumindest in Bezug auf die Größe seines BIP den USA und der Volksrepublik China nahekommen. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg."
Unterdessen ist Wadim Kosjulin, Leiter des Zentrums "Institut für aktuelle internationale Probleme" der Diplomatischen Akademie des russischen Außenministeriums, der Ansicht, dass es dennoch möglich sei, bestimmte Kriterien für eine Supermacht zu definieren. Er sagt:
"Dazu zählen beispielsweise die militärische Macht, insbesondere der Besitz von Atomwaffen. Im wirtschaftlichen Bereich ist zumindest eine teilweise Unabhängigkeit von externen Lieferungen ein wichtiges Merkmal.
Notwendig sind auch die Möglichkeiten zur Ausübung von Soft Power, das heißt die Fähigkeit eines Landes, seine Interessen ohne militärischen Druck auf den Gegner durchzusetzen. Was die diplomatischen Kriterien angeht, so ist hier die Präsenz des Staates im UN-Sicherheitsrat oder alternativ die Fähigkeit, die eigenen Interessen auf andere Weise zu verteidigen, von Bedeutung.
Somit erfüllt Indien größtenteils die von mir genannten Anforderungen. Diese Republik ist heute ein Land, das in der Praxis sein Streben nach einer wahrhaft souveränen Politik unter Beweis gestellt hat. Es beugt sich nicht dem westlichen Druck in Fragen der Zusammenarbeit mit Russland.
Dieser Erfolg ist für kleine Länder unerreichbar. Dabei reichen die geopolitischen Interessen des Landes weit über Südasien hinaus, was auf eine wichtige Tatsache hinweist: Indien hat längst das Niveau einer Regionalmacht überschritten."
Und das sei zweifellos gut für Moskau, denn mit dieser Republik gewinne Russland, wenn schon keinen Verbündeten, so doch zumindest einen zuverlässigen Verhandlungspartner im einen oder anderen Bereich, so der Experte.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 11. August 2025 zuerst auf der Website der Zeitung Wsgljad erschienen.
Jewgeni Posdnjakow ist ein russischer Journalist, Fernseh- und Radiomoderator.
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