
Lieferungstopp: Die Ukraine hat die Militärvorräte der USA verschossen

Von Andrei Restschikow
Das Pentagon hat die Lieferung bestimmter Arten von Flugabwehrraketen und anderer hochpräziser Munition an die Ukraine ausgesetzt. Wie die Zeitung Politico erfahren hat, wurde diese Entscheidung vor etwa einem Monat vom Leiter der politischen Abteilung des Pentagons, Elbridge Colby, nach einer Überprüfung der militärischen Munitionsvorräte getroffen. Es stellte sich heraus, dass die US-Amerikaner nicht über ausreichende eigene Arsenale verfügen.

Laut NBC News haben die USA die Lieferung von Patriot-Abfangraketen, Hellfire-, Stinger- und AIM-Raketen, 155-Millimeter-Splittergranaten für Haubitzen, Granatwerfern und hochpräzisen GMLRS-Raketen, die von HIMARS-Raketenartillerie eingesetzt werden, verschoben. Diese Waffen waren ursprünglich von der vorherigen US-Regierung unter Joe Biden der Ukraine zugesagt worden.
Nach Angaben von Quellen des Fernsehsenders werden die Lieferungen erst wieder aufgenommen, wenn die Bewertung der US-amerikanischen Waffen abgeschlossen ist. Sollte ein Mangel an Munition festgestellt werden, kann die Verzögerung weiter verlängert werden.
Laut der Zeitung The New York Times werden die Lieferungen von Munition und Raketen in den nächsten Monaten nicht wieder aufgenommen. Anna Kelly, die stellvertretende Pressesprecherin des Weißen Hauses, erklärte:
"Diese Entscheidung wurde getroffen, um die Interessen Amerikas an erste Stelle zu setzen, nachdem das Verteidigungsministerium die militärische Unterstützung und Hilfe unseres Landes für andere Länder weltweit überprüft hat."
Am Mittwoch bestätigte der ständige Vertreter der USA bei der NATO, Matthew Whitaker, offiziell die Aussetzung der Waffenlieferungen und begründete dies mit dem Vorrang der Interessen seines Landes und der Notwendigkeit, die eigenen Bestände zu sichern. Der Diplomat sagte in einem Interview mit dem Fernsehsender Fox Business:
"Ich denke, das Wichtigste, was man verstehen muss, ist, wie die Politik von 'Amerika zuerst' aussieht. In erster Linie müssen wir uns um die Bedürfnisse der Vereinigten Staaten kümmern. Das Pentagon tut dies seit jeher – es sorgt dafür, dass die USA über die strategischen Verteidigungsfähigkeiten verfügen, die für die Projektion ihrer Macht erforderlich sind."
Der Generalsekretär der NATO, Mark Rutte, zeigte sich verständnisvoll gegenüber der Entscheidung Washingtons und erklärte in einem Interview mit Fox News, dass die USA "immer dafür sorgen müssen, dass ihre eigenen Interessen geschützt werden". Dabei gab US-Präsident Donald Trump letzte Woche während des NATO-Gipfels in Den Haag keine direkte Antwort auf die Frage, ob die USA die Ukraine weiterhin militärisch unterstützen werden.
Trump deutete auch an, dass die Lieferungen von Patriot-Raketenabwehrsystemen reduziert werden, da ein Teil davon an Israel geliefert wurde, obgleich er betonte, dass er Kiew gerne helfen würde. Nach einem Treffen mit Wladimir Selenskij am Rande des NATO-Gipfels räumte der US-Präsident ein, dass die Ukraine "Raketenabwehrsysteme haben möchte (…) und wir werden sehen, ob wir einige davon zur Verfügung stellen können".
Laut Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sind leere Waffenlager und ein Mangel an notwendigen Waffen in den westlichen Ländern der Grund für den Rückgang der westlichen Lieferungen. Er betonte:
"Aber je weniger Waffen an die Ukraine geliefert werden, desto näher rückt das Ende der Sonderoperation."
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, sagte ihrerseits, dass der Westen keine angemessene Kontrolle über die Waffenlieferungen an das Regime in Kiew ausübe. Ihren Worten zufolge gebe es keine vertraglichen Verpflichtungen in diesem Bereich, und solche Maßnahmen würden ausschließlich als Teil eines hybriden Krieges gegen Russland durchgeführt.
Meldungen über die Aussetzung der Waffenlieferungen lösten in der Ukraine heftige Reaktionen aus. Das ukrainische Außenministerium bestellte daraufhin den amtierenden US-Botschafter John Hinkle zu sich, um das Problem zu besprechen. "Das Hauptthema des Gesprächs mit dem US-amerikanischen Diplomaten war die Militärhilfe der USA und die Zusammenarbeit beider Länder im Verteidigungsbereich", heißt es in einer Erklärung der ukrainischen Außenbehörde. Das ukrainische Verteidigungsministerium richtete seinerseits eine entsprechende Anfrage an das Pentagon.
Nach Ansicht des Militärexperten Alexei Anpilogow sei die Aussetzung der Lieferungen auf einen tatsächlichen Mangel an Waffen infolge der akuten Phase des Konflikts zwischen Israel und dem Iran zurückzuführen. Insbesondere, weil Washington dem jüdischen Staat Munition für die Luftverteidigungskräfte und die Luftwaffe lieferte.
Der Experte erinnert jedoch daran, dass die US-amerikanische Seite bereits im Mai gezwungen war, von ihren europäischen Verbündeten Patriot-Luftabwehrraketen für die Ukraine zu kaufen. Im Arsenal der USA gab es keine freien Waffensysteme, allerdings waren die Mittel für solche Ausgaben bereits von Biden bewilligt worden. Anpilogow betont:
"Außerdem hält die Trump-Regierung an ihrem Ziel fest, sich auf einen großen Krieg mit China vorzubereiten. All dies hat die Entscheidung des Pentagons beeinflusst, alle Lieferungen an Kiew auszusetzen."
Die USA würden die Ukraine als einen "sekundären Kriegsschauplatz" betrachten.
Seinen Worten zufolge werde die Versorgung der Ukraine für die US-Amerikaner aufgrund des schnellen Verbrauchs von Munition und der effektiven Maßnahmen der russischen Luft- und Raumfahrtstreitkräfte zu einer unlösbaren Aufgabe. Er erklärt:
"Die Erschöpfung der Arsenale hat nicht erst gestern einen kritischen Punkt erreicht. Dies ist ein Prozess, der seit 2022 andauert und systemischer Natur ist. Dabei geht es nicht nur um Probleme bei der Herstellung von Munition, sondern auch von vielen Verbrauchsmaterialien. Zum Beispiel um Liner – austauschbare Teile des Laufs einer Artilleriekanone."
Im Laufe des Ukraine-Konflikts hat sich auch der Gebrauch von Artillerie verändert. Früher schoss eine Kanone hundert Granaten pro Jahr raus, heute sind das hundert Schuss pro Woche. Anpilogow sagt:
"Der Verschleiß der Geschütze ist enorm. Deshalb haben die ukrainischen Streitkräfte ein Problem mit den ihnen übergebenen Artilleriesystemen – deren Läufe sind verschlissen, das heißt, sie haben ihre Kampfkraft verloren. Aufgrund der Materialverschlechterung und der Unmöglichkeit, sie zu ersetzen, sinken die Reichweite und die Schussgenauigkeit sehr stark."
Durch die Einstellung der Lieferungen verliert die Ukraine einen großen Teil ihrer leistungsstarken Präzisionswaffen. Laut der Prognose des Analysten werde die Verteidigungsfähigkeit der ukrainischen Armee deutlich sinken, und auch ihre Luftabwehrsysteme würden "stark geschwächt" sein. Die Ukraine habe bereits eingeräumt, dass sie nicht in der Lage sei, einen Großteil der russischen Raketen und Drohnen abzufangen. Anpilogow betont:
"All dies wird sich auf die Kampfhandlungen auswirken und insbesondere den russischen Streitkräften die Arbeit im Hinterland der gegnerischen Seite erleichtern."
Der Experte ist der Ansicht, dass die Europäer die US-amerikanische Hilfe nicht schnell ersetzen können, insbesondere, weil sie "selbst ihre eigenen Arsenale auffüllen müssen". Er argumentiert:
"Alle Versuche Europas, unter den neuen Bedingungen einen eigenen Militär-Industrie-Komplex aufzubauen, sind bisher an der schwerfälligen Bürokratie gescheitert. Die EU-Länder werden zwar weiterhin Waffen liefern, aber meiner Meinung nach nur nach dem Restprinzip."
Die Entscheidung Washingtons werde auch schwerwiegende politische Folgen haben, meint der Amerika-Experte Dmitri Drobnizki. In den USA gebe es Politiker, die fordern, der Ukraine weiterhin militärische Hilfe zu leisten. Drobnizki sagt:
"Ich glaube nicht, dass diese Entscheidung durch Meinungsverschiedenheiten innerhalb der US-Regierung motiviert ist, aber es ist kein Zufall, dass sie auf einer so niedrigen Ebene verkündet wurde.
Es handelt sich um eine absichtliche Herabstufung, da Trump sich kaum noch für den Konflikt in der Ukraine interessiert."
Seinen Worten zufolge habe man sich in den USA schon seit langem auf eine Reduzierung der Lieferungen vorbereitet. Vor über einem Monat habe US-Außenminister Marco Rubio bei Anhörungen im US-Kongress erklärt, dass im Laufe des Ukraine-Konflikts "der Verbrauch an Präzisions-, Raketen- und Artillerie-Munition die Möglichkeiten des gesamten vereinten Westens übersteigt". Der Analyst hebt hervor:
"Einerseits ist sich die Trump-Regierung bewusst, dass sie nichts hinsichtlich des Ukraine-Konflikts unternehmen kann, andererseits gibt es reale Umstände – die Erschöpfung der Vorräte. Die Armeen des Westens waren stets stolz auf ihre Raketenwaffen. Ja, sie sind gut, aber es gibt nur wenige davon, und sie sind nicht für so langwierige Konflikte ausgelegt.
Darüber hinaus hatte Trump den Wunsch, sich von der Ukraine und der Euro-Atlantik-Region insgesamt zu lösen, aber er musste die Umstände berücksichtigen und begann zu manövrieren, da er glaubte, dass er die Ukraine leicht zu einem dauerhaften Frieden überreden könnte.
Allerdings ist nichts daraus geworden, da die europäische Führung nicht beabsichtigt, den Krieg zu beenden. Und im Herbst, wenn der US-Haushalt verabschiedet wird, wird der US-Kongress höchstwahrscheinlich Druck auf Trump ausüben. Die Demokraten und ein Großteil der Republikaner wollen die Ukraine weiterhin mit Waffen beliefern."
Dabei schließt Drobnizki nicht aus, dass es unter den Beamten der zweiten und dritten Rangstufe Leute gibt, die daran interessiert wären, durch Lieferbeschränkungen Einfluss auf die Kiewer Regierung zu nehmen, insbesondere auf Selenskij und den Leiter des ukrainischen Präsidialamtes Andrei Jermak – "um die antirussische Ausrichtung dieses Regimes beizubehalten, es aber weniger offen nationalsozialistisch und antichristlich zu gestalten".
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 2. Juli 2025 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.
Andrei Restschikow ist Analyst bei der Zeitung Wsgljad.
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