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Putin beendet die Scharade: Trump-Telefonat bremst diplomatische Offensive des Westens

Während Russland und die Ukraine in Istanbul wieder direkte Gespräche aufgenommen haben und Moskau die Ultimaten aus der EU unbekümmert verstreichen ließ, rückte das Telefonat zwischen Wladimir Putin und Donald Trump in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.
Putin beendet die Scharade: Trump-Telefonat bremst diplomatische Offensive des Westens© Drew Angerer/Getty Images; Sputnik/Gavriil Grigorov

Von Sergei Poletajew

In den letzten Wochen hat sich der Schwerpunkt des Ukraine-Konflikts merklich vom Schlachtfeld auf die diplomatische Arena verlagert. Politische Akteure auf allen Seiten haben ihre Aufmerksamkeit darauf gerichtet, die Bedingungen für eine mögliche Beilegung des Konflikts – oder zumindest den Rahmen für künftige Verhandlungen – festzulegen.

Diese jüngste Phase hatte mit einem koordinierten Besuch führender westeuropäischer Politiker in Kiew begonnen und endete am Montag mit einem Telefongespräch zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem US-amerikanischen Amtskollegen Donald Trump. Das Kernstück dieser diplomatischen Wende war jedoch die unerwartete Wiederaufnahme direkter Gespräche zwischen Russland und der Ukraine in Istanbul.

Dabei geht es nicht nur um Frieden, sondern um einen breiteren Wettbewerb um Einfluss und strategische Ausrichtung. Konkurrierende Vorstellungen darüber, wie der Konflikt zu beenden – oder zu bewältigen – ist, prallen in Echtzeit aufeinander. Westeuropa ringt um seine Bedeutung, die Ukraine ist zwischen Dringlichkeit und Unsicherheit gefangen, und Trump, der nun im Mittelpunkt dieses geopolitischen Tauziehens steht, wird von beiden Seiten umworben.

Wer gewinnt also wirklich diesen Schattenkrieg des Einflusses? Und was passiert, wenn die diplomatische Front zusammenbricht? Werfen wir einen genaueren Blick darauf.

Bühne frei für Istanbul

Am 10. Mai reisten führende Politiker aus Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Deutschland und Polen nach Kiew. Ihre Botschaft an Russland war klar und deutlich: Entweder es stimmt einem 30-tägigen Waffenstillstand bediingungslos zu, oder es muss mit neuen Sanktionen und europäischen Waffenlieferungen an die Ukraine rechnen.

Das war nicht überraschend. Die Friedensinitiativen von Trump und seinem Berater Steve Witkoff waren Anfang Mai ins Stocken geraten und hatten der "Kriegspartei" der europäischen Globalisten – mit denen sich Kiew aus naheliegenden Gründen verbündet hat – freie Bahn verschafft. Aber es gibt ein Problem: Europa sind sowohl die Waffen als auch wirksame Sanktionen ausgegangen.

Deutschland hat noch ein paar symbolische Taurus-Raketen, die wie Familienjuwelen aufbewahrt werden, aber selbst wenn es sich entschließen sollte, sich von ihnen zu trennen, würde deren Anzahl das Gleichgewicht auf dem Schlachtfeld nicht wesentlich verändern.

Damit bleibt den Westeuropäern nur ein einziger wirklicher Schachzug: Trump davon zu überzeugen, ihre Agenda zu unterstützen, und ihn in eine Politik zu pressen, die nicht seine eigene ist. Noch am selben Abend machte Putin seinen Gegenzug: Er lud Kiew öffentlich zur Wiederaufnahme direkter Friedensgespräche in Istanbul ein.

Mit diesem Angebot hat der russische Präsident 

  • die Verhandlungsbedingungen selbst festgelegt und damit signalisiert, dass Russland im Vorteil ist und die Ukraine mehr zu verlieren hat, wenn sie die Sache in die Länge zieht;
  • Westeuropa völlig außen vor gelassen und Witkoffs Friedensplan zugunsten von Gesprächen verworfen, bei denen es nicht um einen symbolischen Waffenstillstand, sondern um einen dauerhaften Frieden zu Russlands Bedingungen geht.
  • auch einen klaren Akt diplomatischen Trollens vollzogen, die Ukrainer wieder an denselben Verhandlungstisch einzuladen, den sie vor drei Jahren in Istanbul verlassen hatten, wobei Wladimir Medinski die russische Delegation erneut anführte.

Gespräche in Istanbul: Mehr als nur Posen

Trotz einiger Trollereien hat Russland eine relativ schwergewichtige Delegation nach Istanbul entsandt: den Leiter des militärischen Geheimdienstes, hochrangige Vertreter des Außen- und des Verteidigungsministeriums sowie eine Reihe erfahrener Experten. Das ist die Art von Team, die man bei ernsthaften Verhandlungen erwarten würde – wenn die Parteien tatsächlich eine gemeinsame Grundlage hätten

Das haben sie aber nicht, zumindest noch nicht. Dennoch waren die Gespräche substanzieller als erwartet. Keine der beiden Seiten stürmte hinaus, und die Gespräche wurden als konstruktiv bezeichnet. Vor allem einigten sich beide Seiten darauf, die Gespräche fortzusetzen und den bisher größten Gefangenenaustausch in diesem Konflikt durchzuführen.

Der Austausch erfolgt im Verhältnis 1:1 – 1.000 Gefangene von jeder Seite: nahezu alle gefangenen Russen und etwa ein Sechstel der ukrainischen Kriegsgefangenen. Das ursprüngliche Ziel Kiews war ein vollständiger Austausch "allen gegen alle", sodass die derzeitigen Ergebnisse eindeutig zugunsten Moskaus ausfallen.

Ich vertrete seit Langem die Auffassung, dass der einzige Weg zu einem dauerhaften Frieden in einem direkten Abkommen zwischen Russland und der Ukraine liegt. Dies würde voraussetzen, dass Kiew seine antirussische Haltung aufgibt und Moskaus Bedingungen akzeptiert. Und das kann nur geschehen, wenn die Ukraine ihre Ausrichtung auf die europäische Kriegslobby unter Führung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und des britischen Premierministers Keir Starmer aufgibt.

Noch am letzten Donnerstag schien das unmöglich. Der ukrainische Präsident Wladimir Selenski forderte Putin auf, nach Istanbul zu kommen, und bestand auf einem sofortigen Waffenstillstand und mehr.

Aber seltsamerweise wurde Westeuropa überhaupt nicht zu den Istanbuler Gesprächen eingeladen. Kein EU-Vertreter war in der Türkei. Die nur wenige Tage zuvor ausgesprochenen Ultimaten? Wurden sowohl von Moskau als auch von Washington ignoriert.

Während die Gespräche in Istanbul weitergingen, flog Selenskij nach Albanien zu einer weiteren Runde von Fototerminen mit Macron und Co. Das Timing ließ die Reise wie absichtliche Ablenkung erscheinen.

Wenn dem so ist, ist sie gescheitert. Die Istanbuler Gespräche beherrschten die Schlagzeilen, während die Bilder aus Albanien kaum Beachtung fanden – abgesehen von der bizarren, kindergartenähnlichen Umgebung des Treffens zwischen Macron und Selenskij.

Die westliche Propaganda mag Istanbul als ein Treffen von Putins "Lakaien" und Albanien als das Nervenzentrum der freien Welt dargestellt haben, aber die öffentliche Wahrnehmung sprach eine andere Sprache.

Warum die Gespräche wichtig waren

Warum verliefen die Gespräche in Istanbul also besser als erwartet? Weil die Ukraine zum ersten Mal seit drei Jahren auf Theatralik verzichtete und sich zu einem echten Gespräch zusammensetzte. Vielleicht erkennt man in Kiew endlich, dass der Zusammenbruch der Ukraine umso härter ausfallen wird, je länger man auf Westeuropas schwache Hand setzt.

Vielleicht ist es nicht Selenskij selbst, sondern jemand, der ihm nahesteht. Wenn das stimmt, könnten wir es mit einer internen Spaltung der ukrainischen Führung zu tun haben, die bisher relativ geeint geblieben ist.

Die Besessenheit der Ukrainer und der Westeuropäer von einem sofortigen Waffenstillstand ist bezeichnend. Vor einem Jahr hatte Kiew darauf bestanden, dass ohne einen vollständigen Rückzug Russlands und Sicherheitsgarantien der NATO keine Gespräche beginnen könnten.

Warum dieser Wandel? Weil die westeuropäischen Staaten wissen, dass sie ohne die Unterstützung der USA die Rückendeckung der Ukraine bilden und Washington ablösen müssen. Doch um aus einer Position der Stärke heraus zu verhandeln, müsste der Block Putin direkt konfrontieren – etwas, wozu führende Politiker wie Macron und Starmer eindeutig nicht bereit sind.

Stattdessen setzen sie auf Trump, um Moskau zu einem Waffenstillstand zu drängen – um Zeit zu gewinnen und die Ukraine auf die nächste Runde vorzubereiten.

Der Kampf um Trump

Der eigentliche Kampf wird jetzt um Trumps Gunst geführt. Wenn Putin ihn davon überzeugt, die Forderung nach einem Waffenstillstand fallen zu lassen, könnte die Ukraine zum Einlenken gezwungen sein.

Woher stammt eigentlich Trumps Idee eines Waffenstillstands ursprünglich? Sie erinnert an Dutzende von Konflikten aus der Zeit des Kalten Krieges, in denen internationale Mächte die Feindseligkeiten einfroren, um Krisen auf unbestimmte Zeit zu bewältigen – oft mithilfe von UN-Friedenstruppen, um die Lage unter Kontrolle zu halten.

Trump scheint auf dieses Modell fixiert zu sein. Sein Team denkt genauso, auch wenn jeder von ihnen im Stillen andere Strategien verfolgt. Aber der Ukraine-Krieg ist kein Stellvertreterkrieg im Dschungel, sondern ein massiver Konflikt, bei dem es keine Kraft von außen gibt, die den Frieden erzwingen könnte. Und es scheint, als würde Trump das langsam begreifen.

Zum jetzigen Zeitpunkt hat er zwei realistische Optionen: Die gescheiterte Politik des ehemaligen US-Präsidenten Joe Biden fortzusetzen (ein Erfolg für die Kriegspartei) oder den Rückzug der USA aus der Ukraine einzuleiten. Vielleicht hat er sich bereits entschieden; wir werden es bald wissen.

Warum ist das wichtig? Unter Biden trug Washington die ganze Last des Konflikts. Das heutige Ausmaß des Konflikts ist nur deshalb möglich, weil die USA das Vorgehen Moskaus als direkte Bedrohung der US-amerikanischen Macht ansehen. Doch nach dem Scheitern der Sanktionen und dem Scheitern der militärischen Eskalation im Jahr 2022 haben sich die USA weitgehend zurückgehalten.

Jetzt, nach dem Treffen in Istanbul, sagt Trump, er wolle Krieg und Frieden direkt mit Putin regeln. Das ist eine schlechte Nachricht für Kiew und Brüssel, die seit Februar versuchen, sich in die Gespräche einzuschalten. Ihr letzter Versuch – das Kiewer Ultimatum vom 10. Mai – wurde sowohl von Washington als auch von Moskau schlichtweg ignoriert.

Letzter Anruf

Wahrscheinlich ging es bei dem Telefonat am Montag zwischen Putin und Trump vor allem um den Waffenstillstand. Putins Ziel: Trump davon zu überzeugen, dass seine Idee einer bedingungslosen Feuerpause der Ukraine und der europäischen Kriegslobby direkt in die Hände spielt.

Ein Waffenstillstand muss zu einem dauerhaften Frieden führen – nicht nur zu einer weiteren Pause vor der nächsten Eskalation. Trump hat Bidens Politik als katastrophal gebrandmarkt. Jetzt versuchen die Ukraine und Westeuropa, ihn dazu zu verleiten, sie unter einem anderen Namen fortzusetzen.

Sie machen keinen Hehl daraus. Der Plan ist, jeden Waffenstillstand als Zeitfenster zu nutzen, um sich neu zu versorgen, neu zu formieren und möglicherweise zu eskalieren. Der Einmarsch westeuropäischer Truppen in die Ukraine infolge eines Waffenstillstands wird jetzt offen diskutiert. Natürlich kann Russland das an seinen Grenzen nicht akzeptieren.

Ein bedingungsloser Waffenstillstand würde den Frieden nicht näherbringen – er würde uns dem Dritten Weltkrieg näherbringen. Ein nachhaltiger Frieden ist nur möglich, wenn die Ukraine und ihre europäischen Unterstützer ihre derzeitige Politik aufgeben.

Und nach den Erklärungen im Anschluss an das Telefonat mit Putin scheint sich Trump für diese Logik zu erwärmen. Das bedeutet, dass die diplomatische Runde, die am 10. Mai begann, an Russland geht. Es sind gerade einmal zehn Tage vergangen, und niemand spricht mehr über das in Kiew gestellte Ultimatum.

Übersetzt aus dem EnglischenSergei Poletajew ist ein Informationsanalytiker und Publizist, Mitbegründer und Herausgeber des Vatfor-Projekts.

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